European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0110OS00076.16K.0818.000
Spruch:
Die Grundrechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe:
Mit Beschluss des Einzelrichters des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 30. April 2016 (ON 93) wurde über Nisvet T***** aus dem Grund des § 173 Abs 1, Abs 2 Z 3 lit b StPO die Untersuchungshaft verhängt, nachdem dieser am 27. April 2016 aufgrund einer am 15. April 2016 gerichtlich bewilligten Festnahmeanordnung der Staatsanwaltschaft Wien vom 13. April 2016 (ON 47) festgenommen und am 28. April 2016 in die Justizanstalt Klagenfurt (ON 1 S 71; ON 85) eingeliefert worden war.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 31. Mai 2016 (ON 180) gab das Oberlandesgericht Wien den gegen die Bewilligung der Festnahmeanordnung und gegen die Verhängung der Untersuchungshaft erhobenen Beschwerden des Nisvet T***** (ON 81, 123) nicht Folge. Das Beschwerdegericht bejahte das Vorliegen der Haftvoraussetzungen der §§ 170, 173 StPO, setzte die Haft jedoch zufolge der zwischenzeitig am 9. Mai 2016 über Antrag der Staatsanwaltschaft gegen Ablegung von Gelöbnissen erfolgten Enthaftung gegen gelindere Mittel (ON 1 S 91, 93; ON 125) nicht fort (ON 180).
Hinsichtlich des von der Staatsanwaltschaft in der Festnahmeanordnung (ON 47) und im Antrag auf Verhängung der Untersuchungshaft (ON 1 S 71, 73) inkriminierten Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1, Abs 2 StGB sowie des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB ging es ebenso wie das Erstgericht von einer dringenden Verdachtslage aus, während es – abweichend vom Erstgericht – hinsichtlich eines weiteren Vorwurfs einen dringenden Verdacht in Richtung § 153c Abs 1, Abs 2 StGB (anstatt § 153d Abs 1 StGB) und hinsichtlich des Vorwurfs der absichtlichen schweren Körperverletzung als Beteiligter nach §§ 12 zweiter Fall, 15, 87 Abs 1 StGB bloß eine einfache Verdachtslage annahm. Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO (§ 170 Abs 1 Z 4 StPO) sei im Zeitpunkt der Festnahme und der Verhängung der Untersuchungshaft vorgelegen, nicht hingegen die (ausschließlich) in der gerichtlich bewilligten Festnahmeanordnung darüber hinaus herangezogene Verdunkelungsgefahr (§ 170 Abs 1 Z 3 StPO).
Rechtliche Beurteilung
Die gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts als Beschwerdegericht gerichtete Grundrechtsbeschwerde ist zurückzuweisen:
Grundsätzlich misst der Oberste Gerichtshof mit Blick auf den – die Einhaltung aller die Haft betreffenden, vom Gericht zu beachtenden Vorschriften umfassenden – Prozessgegenstand von Haftbeschwerden auch einer nach Wegfall der Untersuchungshaft prüfenden Haftentscheidung des Oberlandesgerichts Grundrechtsbedeutung bei, sofern sich der Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt – wenn auch nicht mehr in Untersuchungshaft, so doch weiterhin – in Haft befindet (etwa in Strafhaft zufolge § 173 Abs 4 StPO oder nach rechtskräftiger Verurteilung), in welchem Fall § 2 Abs 2 GRGB nicht zur Anwendung gelangen könnte. Weil aber eine Haft zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht mehr vorlag, ist die dagegen gerichtete Grundrechtsbeschwerde unter dem Aspekt der §§ 1 Abs 1, 2 Abs 1 GRBG unzulässig (vgl 13 Os 165/99; 14 Os 157/09h [14 Os 58/10a]; RIS‑Justiz RS0128125; Kier in WK2 GRBG § 1 Rz 10 f).
Dass die die Freiheitsbeschränkung beendende Entscheidung des Landesgerichts für Strafsachen Wien zu spät getroffen worden wäre (§ 2 Abs 2 GRBG), behauptet die Grundrechtsbeschwerde nicht einmal. Abgesehen davon wäre sie insoweit verspätet, weil der Beschluss auf Aufhebung der Untersuchungshaft am 9. Mai 2016 verkündet wurde (ON 125), die Grundrechtsbeschwerde (ON 207) aber erst am 20. Juni 2016 bei Gericht einlangte (§ 4 Abs 1 GRBG).
Im Übrigen orientiert sich diese, die sich deutlich und bestimmt ausschließlich gegen die Annahme der Tatbegehungsgefahr zur Vermögensdelinquenz (im Zeitpunkt von Festnahme und Verhängung der Untersuchungshaft) richtet, auch nicht am Gesetz:
Gegenstand des Erkenntnisses über eine Grundrechtsbeschwerde ist – anders als bei einer Haftbeschwerde an das Oberlandesgericht – nicht die Haft, sondern die Entscheidung über diese (RIS-Justiz RS0061004 [T5], RS0112012 [T5] und RS0121605 [T3]).
Indem sich die Beschwerde nicht mit der Gesamtheit der Überlegungen des Oberlandesgerichts zum Haftgrund der Tatbegehungsgefahr und zur fehlenden Substituierbarkeit der Haft durch die Anwendung gelinderer Mittel (BS 6 ff) auseinandersetzt, sondern die Annahme von Tatbegehungsgefahr bloß unter Hinweis auf das Fehlen eines früheren Haftantrags trotz laufender Ermittlungen und die zwischenzeitig vom Erstgericht (über Antrag der Staatsanwaltschaft) verfügte Enthaftung nach der Leistung von Gelöbnissen als „absurd“ bezeichnet, verfehlt sie den gesetzlichen Bezugspunkt (vgl § 1 Abs 1 GRBG) und entzieht sich auch damit einer inhaltlichen Erwiderung (RIS‑Justiz RS0106464 [T4] und RS0112012).
Die Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) zurückzuweisen.
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