OGH 2Ob126/16t

OGH2Ob126/16t5.8.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** AG - *****, vertreten durch Mag. Ute Maria Caviola und Mag. Clemens Canigiani de Cerchi, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Z*****-AG, *****, vertreten durch Maraszto Milisits Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 18.740,99 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 12. April 2016, GZ 14 R 169/15y‑73, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 28. August 2015, GZ 25 Cg 24/12a‑69, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0020OB00126.16T.0805.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.568,52 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 261,52 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Gegenstand des Verfahrens sind Ansprüche nach § 11 EKHG. Der Lenker des bei der klagenden Haftpflichtversicherung versicherten Fahrzeugs (im Folgenden: Klagslenker) hatte seinen Pkw gegen 3 Uhr früh am zweiten Fahrstreifen der Südautobahn unbeleuchtet zum Stillstand gebracht und war eingeschlafen, weil er im alkoholisierten Zustand angenommen hatte, er befinde sich schon auf einem Parkplatz. Der Lenker des bei der beklagten Haftpflichtversicherung versicherten Pkw (im Folgenden: Beklagtenlenker) befuhr die Autobahn in derselben Richtung und hielt seinen Pkw wegen verdächtiger Motorgeräusche einige Meter vor dem Klagsfahrzeug am Pannenstreifen an. Sein Fahrzeug ragte etwa 30 cm in den ersten Fahrstreifen.

Ein dritter Pkw fuhr auf dem zweiten Fahrstreifen in derselben Richtung und kollidierte zunächst mit dem stehenden Klagsfahrzeug, wodurch er ins Schleudern geriet, auf das Dach kippte und auf dem Dach schlitternd gegen das Beklagtenfahrzeug stieß. Der Lenker des dritten Fahrzeugs (im Folgenden: Drittlenker) wurde getötet, der Beifahrer im Beklagtenfahrzeug schwer verletzt.

Der Beklagtenlenker hatte vor dem Unfall die Warnblinkanlage eingeschaltet und war anschließend mit etwa 4 bis 5 km/h rückwärts gefahren. Die Vorinstanzen konnten die dabei zurückgelegte Strecke nicht feststellen, sie konnten auch nicht feststellen, dass das Beklagtenfahrzeug im Zeitpunkt der Kollision noch in Bewegung gewesen wäre. Jedenfalls hätte sich aber Rückwärtsfahren mit einer Geschwindigkeit von 4 bis 5 km/h nicht auf den Unfall oder den Schaden ausgewirkt, und hätte die Gefahr auch nicht erhöht.

Der Drittlenker erlitt zwei an sich tödliche Verletzungen, nämlich einen Schädelbasisquerbruch und ein stumpfes Brustkorbtrauma. Jede dieser Verletzungen führt auch für sich allein binnen weniger Sekunden zum Tod. Die Vorinstanzen konnten nicht feststellen, ob die Verletzungen schon durch die erste oder erst durch die zweite Kollision verursacht wurden.

Die Klägerin leistete dem Beifahrer des Beklagtenfahrzeugs und den Nachkommen des Drittlenkers Ersatz und trug die Kosten der Absicherung der Unfallstelle. Sie begehrt von der Beklagten Regress im Ausmaß von einem Viertel und stützt sich dafür auf ein Verschulden des Beklagtenlenkers und – wegen des Hineinragens auf den ersten Fahrstreifen – auf außergewöhnliche Betriebsgefahr.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Das Berufungsgericht wies die Klage ab und ließ die ordentliche Revision zu.

Die Beklagte hafte mangels nachgewiesener Kausalität jedenfalls nicht für den Tod des Drittlenkers, weil dieser Tod auch schon durch die erste Kollision eingetreten sein könnte. Ein Fall alternativer Kausalität liege nicht vor, weil sich die zweite Kollision nur wegen der ersten ereignet habe; denke man letztere weg, wäre der Schaden daher nicht eingetreten. In Bezug auf den Schaden des Beifahrers im Beklagtenfahrzeug und auf die Kosten der Absicherung der Unfallstelle sei § 11 EKHG anzuwenden. Das Verschulden des Beklagtenlenkers trete gegenüber dem Verschulden des Klagslenkers derart in den Hintergrund, dass es vernachlässigt werden könne. Gleiches gelte wegen des besonders krassen Verschuldens des Klagslenkers für die mit dem Anhalten des Beklagtenfahrzeugs verbundene außergewöhnliche Betriebsgefahr.

Die Revision sei zulässig, weil gefestigte Rechtsprechung zur Frage fehle, unter welchen Umständen ein Halter, dem bloß eine außergewöhnliche Betriebsgefahr zuzurechnen sei, nach § 11 EKHG bei einem extrem krassen Verschulden des anderen Beteiligten nicht ausgleichspflichtig werde.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision der Klägerin ist ungeachtet dieses den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruchs (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig.

1. Soweit die Revision annimmt, dass das Verhalten des Beklagtenlenkers und die durch dessen Anhalten verursachte außergewöhnliche Betriebsgefahr auch den Tod des Lenkers des Drittfahrzeugs verursacht habe, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Die Vorinstanzen haben diese Variante zwar als wahrscheinlich, aber ausdrücklich nicht als erwiesen angesehen. Zu den Ausführungen des Berufungsgerichts, wonach kein Fall alternativer Kausalität vorliege, nimmt die Revision nicht Stellung.

2. In Bezug auf die übrigen Schäden hält sich die Entscheidung des Berufungsgerichts im Rahmen gesicherter Rechtsprechung.

2.1. Nach § 11 EKHG ist zunächst das Verschulden der beteiligten Lenker gegeneinander abzuwägen. Dabei kann – wie bei der Beurteilung des Mitverschuldens nach § 1304 ABGB (RIS-Justiz RS0027202 [T11]) – das Verschulden eines Lenkers umso eher vernachlässigt werden, je schwerer das Verschulden des anderen wiegt; ein nicht allen Gegebenheiten voll Rechnung tragendes Verhalten eines Verkehrsteilnehmers muss nicht in jedem Fall zu einem Anspruch oder einer Anspruchskürzung führen (RIS‑Justiz RS0058508 [T1]). Dass dies hier angesichts des krassen Verschuldens des Klagslenkers zutrifft, soweit dem Beklagtenlenker das Hineinragen seines Pkw in den ersten Fahrstreifen vorzuwerfen ist, bedarf keiner weiteren Begründung. Das Rückwärtsfahren auf der Autobahn wäre zwar möglicherweise auch unter den Umständen des konkreten Falls nicht mehr vernachlässigbar, war aber nach den Feststellungen nicht kausal für den Unfall und die Schäden.

2.2. In weiterer Folge ist zwar richtig, dass außergewöhnliche Betriebsgefahr bei grobem Verschulden auf der Gegenseite in der Regel zu einer Ausgleichsquote von 25 % führt (RIS-Justiz RS0058551 [T9]). Der Oberste Gerichtshof hat aber bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass ein Verschulden auch derart schwerwiegend sein könnte, dass die zum Schaden beitragende außergewöhnliche Betriebsgefahr des anderen Fahrzeugs zu vernachlässigen wäre (RIS-Justiz RS0058551 [T6]; 2 Ob 82/88; 1 Ob 49/95; 2 Ob 57/98s, 2 Ob 359/99d).

2.3. Ob Letzteres zutrifft, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher in der Regel keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung. Eine vom Obersten Gerichtshof zur Wahrung der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung liegt hier nicht vor: Das Verschulden des Klagslenkers, der aufgrund seiner Alkoholisierung am zweiten Fahrstreifen der Autobahn anhielt und im unbeleuchteten Fahrzeug einschlief, kann auch im Hinblick auf die dadurch verursachte Gefahrenlage in vertretbarer Weise als derart schwerwiegend angesehen werden, dass die außergewöhnliche Betriebsgefahr, die durch das Anhalten und Hineinragen des Beklagtenfahrzeugs in den ersten Fahrstreifen der Autobahn begründet wurde, zur Gänze in den Hintergrund tritt.

3. Aus diesen Gründen ist die Revision zurückzuweisen.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Da die Beklagte auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen hat, hat die Klägerin die Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

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