OGH 2Ob57/98s

OGH2Ob57/98s20.1.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schinko, Dr.Tittel, Dr.Baumann und Dr.Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christian H*****, vertreten durch Dr.Josef Peißl und Mag.Klaus Rieger, Rechtsanwälte in Köflach, wider die beklagten Parteien 1. Michael B*****, vertreten durch Dr.Willibald Rath und Dr.Manfred Rath, Rechtsanwälte in Graz; 2. Herbert S*****, und 3. ***** Versicherungs-AG, ***** zweit- und drittbeklagte Partei vertreten durch Dr.Hans-Peter Benischke und Dr.Edwin Anton Payr, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 92.971,- sA, infolge außerordentlicher Revision der zweit- und drittbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 20.Oktober 1995, GZ 6 R 241/95-32, womit das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 17. Mai 1995, GZ 26 C 293/94z-27, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die in ihren Aussprüchen betreffend die erstbeklagte Partei und bezüglich der Abweisung des Mehrbegehrens von S 30.990,33 sA gegenüber der zweit- und der drittbeklagten Partei als unangefochten unberührt bleiben, werden im Umfang des noch streitverfangenen Anspruches von S 61.980,67 samt 4 % Zinsen seit 3.7.1993 aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang an das Prozeßgericht erster Instanz zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Urteilsfällung zurückverwiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Am 16.4.1993 gegen 4.40 Uhr ereignete sich auf der Pyhrnautobahn A 9, Richtungsfahrbahn Spielfeld-Graz, auf Höhe des Baukilometers 74, ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Lenker und Halter eines PKW Audi 80 und der Erstbeklagte als Lenker des vom Zweitbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten Gelände- wagens Isuzu beteiligt waren. Unstrittig der Höhe nach ist der dem Kläger bei diesem Unfall entstandene Vermögensschaden von S 92.971,-, dessen Ersatz der Kläger unter Geltendmachung des Alleinverschuldens des Erstbeklagten begehrt und zu dem er vorbringt, das vom Erstbeklagten gelenkte Fahrzeug sei unbeleuchtet und quer zur Fahrbahnlängsachse derart auf der Fahrbahn gestanden, daß es beide Fahrstreifen blockiert habe. Trotz sofortiger Einleitung eines Bremsmanövers habe er die Kollision nicht verhindern können.

Die Beklagten wenden ein, daß den Kläger das überwiegende Verschulden am Zustandekommen des Unfalls treffe. Er habe nämlich eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten (kein Fahren auf Sicht) und das Bremsmanöver verspätet eingeleitet. Der Erstbeklagte sei vor dem gegenständlichen Unfall mit einem LKW-Zug kollidiert und sei mit dem von ihm gelenkten Fahrzeug deshalb leicht quer zur Fahrbahnlängsachse zum Stillstand gekommen; der Lenker des LKW-Zuges habe an seinem Fahrzeug sofort die Warnblinkanlage eingeschaltet, auf die der Kläger verspätet reagiert habe.

Der Zweitbeklagte wendet eine Gegenforderung in Höhe von S 11.000,-

aufrechnungsweise gegen die Klagsforderung mit dem Vorbringen ein, der Schaden an seinem Fahrzeug sei über eine Kaskoversicherung abgerechnet worden, wobei er einen Selbstbehalt in der geltend gemachten Höhe zu tragen habe. Der Erstbeklagte macht als Gegenforderung einen Schmerzengeldanspruch in Höhe von S 20.000,- als Teilforderung geltend. Beide Gegenforderungen werden vom Kläger dem Grunde und der Höhe nach bestritten (s ON 23, AS 107).

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Der Unfall ereignete sich bei trockener Witterung und Dunkelheit auf einem geraden und übersichtlichen Teil der Autobahn, die an der Unfallstelle zwei Fahrstreifen mit Rauhasphaltdecke aufweist. Der Erstbeklagte gelangte mit dem von ihm gelenkten Fahrzeug deshalb in die spätere Kollisionsposition, weil er mit dem Fahrzeug zuvor gegen die linke Heckseite eines LKW gestoßen war; durch diesen Anprall wurde das Fahrzeug derart verdreht, daß es in einem Winkel von rund 90 Grad zur Fahrbahnlängsachse zum Stillstand kam. Gegen dieses quer auf der Fahrbahn stehende Hindernis stieß das Fahrzeug des Klägers mit der Front, wobei die Fahrzeuglängsachsen im Kollisionszeitpunkt annähernd einen rechten Winkel bildeten. Der Kläger hatte sich der späteren Unfallstelle mit einer Geschwindigkeit von ca. 110 bis 115 km/h genähert und dabei eine Fahrlinie auf dem rechten Fahrstreifen annähernd parallel zur Fahrbahnlängsachse eingehalten; das Scheinwerferlicht an seinem Fahrzeug beleuchtete eine Strecke von zumindest 100 m bis höchstens 150 m. Als der Kläger die am LKW eingeschaltete Warnblinkanlage wahrnahm, reagierte er erstmals in einer Entfernung von ca 87 m (3,4 Sekunden) vor der Kollision und leitete ein Vollbremsung unter gleichzeitigem Auslenken nach links ein. Sodann stieß das von ihm gelenkte Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von 50 - 60 km/h mit der Front gegen die linke vordere Flanke des vom Erstbeklagten gelenkten Fahrzeuges, das sich vor der Kollision zumindest schon mehrere Sekunden im Stillstand befand. Ausgehend von einer vom Scheinwerfer ausgeleuchteten Strecke von 100 m ist dem Kläger eine Reaktionsverspätung von 0,4 Sekunden unterlaufen; geht man hingegen davon aus, daß üblicherweise bei Trockenheit und unter Berücksichigung der Helligkeit einer Betonfahrbahn eine Strecke von rund 135 m ausgeleuchtet wird, beträgt die Reaktionsverspätung 1,3 Sekunden. Wäre der Kläger bereits ab Erkennen der Warnblinkanlage bremsbereit gefahren, hätte unter Zugrundelegung einer Reaktionszeit von 0,8 Sekunden seine Anhaltestrecke rund 98 m betragen.

Das Erstgericht nahm auf Grund dieses Sachverhaltes ein Alleinverschulden des Klägers am Unfall an.

Der Berufung des Klägers gab das Berufungsgericht teilweise Folge, indem es die Klagsabweisung hinsichtlich des Erstbeklagten bestätigte, den Zweitbeklagten und die drittbeklagte Partei hingegen unter Abweisung des Mehrbegehrens zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 61.980,67 sA verpflichtete. Ausgehend von den erstgerichtlichen Feststellungen beurteilte es den Sachverhalt dahin, daß vom Fahrzeug des Zweitbeklagten eine außergewöhnliche Betriebsgefahr ausgegangen sei, und hielt unter Anwendung des § 11 Abs 1 EKHG eine Schadensteilung von 1 : 2 zu Lasten der Beklagten für angemessen; auf die aufrechnungsweise eingewendeten Gegenforderungen nahm es mit der Begründung nicht Bedacht, diese seien lediglich vom Erstbeklagten geltend gemacht worden. Das Berufungsgericht sprach ferner aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil es an den im § 502 Abs 1 ZPO hiefür angeführten Kriterien fehle.

Gegen den stattgebenden Teil dieser Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die außerordentliche Revision von Zweit- und Drittbeklagtem mit dem Abänderungsantrag dahin, das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger hat in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt, die Revision zurück- bzw abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, weil das Berufungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen ist, daß die Gegenforderung nicht zu berücksichtigen sei; sie ist auch im Sinne des Aufhebungsantrages berechtigt.

Im Revisionsverfahren nicht mehr strittig ist der (in der Revisionsbeantwortung ausdrücklich zugestandene) Umstand, daß der Kläger auf das vor ihm auf der Fahrbahn auftauchende Hindernis verspätet mit einem Bremsentschluß reagiert hat, weshalb ihm ein Verschulden am Zustandekommen des Unfalls zur Last zu legen ist. Diesem Verschulden des Klägers steht gegenüber, daß der Schaden dadurch mitverursacht worden ist, daß vom Fahrzeug des Zweitbeklagten eine außergewöhnliche Betriebsgefahr ausgegangen ist. Eine solche ist immer dann anzunehmen, wenn durch die schon durch den Betrieb des Fahrzeuges gegebene gewöhnliche Betriebsgefahr eine besondere Gefahrenquelle hervorgerufen wird (ZVR 1983/1) bzw wenn die Gefahren, die regelmäßig und notwendig mit dem Betrieb eines Kfz verbunden sind, durch das Hinzutreten besonderer, nicht schon im normalen Betrieb gelegener, Umstände vergrößert werden (ZVR 1984/49; ZVR 1984/328; ZVR 1990/101 ua). So ist das Vorliegen einer außergewöhnlichen Betriebsgefahr eines stehenden Fahrzeuges dann bejaht worden, wenn Umstände vorliegen, die eine besonders gefährliche Situation herbeiführen (ZVR 1984/186), beispielsweise wenn bei einem auf der Überholspur einer Autobahn stehenden Lastkraftwagen mit Warnvorrichtungen ("bewegliche Baustelle") der eine rote Fahne schwenkende Warnposten ausfällt (2 Ob 172/70) oder wenn auf einer stark befahrenen Autobahn bei Dunkelheit ein PKW nach einem Vorunfall entgegen der Fahrtrichtung ohne Beleuchtung zum Stillstand kommt (ZVR 1990/101). Gleiches muß auch hier gelten, wo das Fahrzeug des Zweitbeklagten nach einem Vorunfall bei Dunkelheit auf einer zwei Fahrstreifen breiten Fahrbahn einer Autobahn in einem Winkel von 90 Grad zur Fahrbahnlängsachse derart zu Stehen kam, daß es in beide Fahrstreifen ragte.

Der Kläger hat zwar sein Prozeßvorbringen ausdrücklich nur auf das Alleinverschulden des Unfallgegners gestützt; zutreffend hat das Berufungsgericht daraus aber nicht den Schluß gezogen, daß das Klagebegehren ausschließlich im Lichte der Verschuldenshaftung nach dem ABGB zu prüfen sei, sondern hat auch die Halterhaftung nach dem EKHG in seine Überlegungen einbezogen, stellt doch die Haftung nach dem EKHG gegenüber der Haftung nach §§ 1295 ff ABGB kein Aliud, sondern ein Minus dar (MGA EKHG5 § 1 E 14). Treffen aber Verschuldens- und Gefährdungshaftung zusammen, so besteht zwischen mehreren beteiligten Fahrzeugen eine Ausgleichspflicht gemäß § 11 Abs 1 lezter Satz EKHG. Eine derartige Ausgleichspflicht ist insbesondere dort zu bejahen, wo das Verschulden des einen Beteiligten nicht so schwerwiegend ist, daß es gerechtfertigt erschiene, ihm gegenüber die zum Schaden beitragende außergewöhnliche Betriebsgefahr des anderen unfallsbeteiligten Fahrzeuges zu vernachlässigen (ZVR 1984/328). Auf das Vorliegen einer Haftungsbefreiung iS des § 9 EKHG haben sich die Beklagten nicht berufen. Bedacht zu nehmen ist bei diesem Ausgleich grundsätzlich auf das Gewicht der in Betracht kommenden Zurechnungskriterien und ihre Eignung zur Schadensherbeiführung im konkreten Fall (Koziol aaO Rz 12/27; ZVR 1989/202 mwN).

Soweit überlickbar, wurde vom Oberten Gerichtshof noch in keinem Falle eines Schadensausgleiches nach § 11 EKHG beim Zusammentreffen von Verschuldens- und Gefährdungshaftung eine Schadensteilung zu Lasten jener Beteiligten vorgenommen, die nur für die Betriebsgefahr eines Fahrzeuges einzustehen hatten. Stehen einander grobes Verschulden und außergewöhnliche Betriebsgefahr gegen- über, wird für letztere in der Regel nur eine Quote von 25 % in Ansatz gebracht (ZVR 1982/231; ZVR 1993/120), fällt das Verschulden hingegen nicht gravierend ins Gewicht, werden beide Zurechnungskriterien als gleichwertig betrachtet (ZVR 1984/241; ZVR 1984/317; ZVR 1984/328). Von dieser Rechtsprechung abzugehen bietet auch der vorliegende Sachverhalt keinen Anlaß.

Durch das infolge des Vorunfalles zum Stillstand gekommenen Fahrzeug des Zweitbeklagten wurde aufgrund dessen Position quer zur Fahrbahnlängsachse, noch dazu bei Dunkelheit auf einer Autobahn, zweifellos eine Situation geschaffen, in der es leicht zu einem Folgeunfall kommen konnte. Die derart verwirklichte außergewöhnliche Betriebsgefahr kann zwar beim gebotenen Ausgleich nach § 11 EKHG (entgegen der Entscheidung des Erstgerichtes bzw der Meinung der Revisionswerber) nicht gänzlich außer acht bleiben, sie fällt aber auch nicht (entgegen der nicht näher begründeten Meinung des Berufungsgerichtes) gegenüber dem Verschulden des Klägers überwiegend ins Gewicht, hätte dieser doch einerseits sein Fahrzeug bei rechtzeitiger Bremsung noch vor dem Fahrzeug des Zweitbeklagten zum Stillstand bringen oder es andererseits durch Auslenken nach links kontaktfrei am Hindernis vorbeibewegen können, wodurch in beiden Fällen der Unfall vermieden worden wäre. Es erscheint deshalb eine Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 1 gerechtfertigt.

Dennoch ist die Sache noch nicht spruchreif. Teilweise, nämlich soweit er sich auf die vom Zweitbeklagten eingewendete Forderung auf Ersatz des Selbstbehalts bezieht, ist der weitere Einwand der Revisionswerber berechtigt, das Berufungsgericht hätte die Gegenforderung nicht unberücksichtigt lassen dürfen. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichtes wurde sie nicht vom Erstbeklagten allein, sondern von allen beklagten Parteien eingewendet. Bezüglich des vom Erstbeklagten eingewendeten Schmerzengeldes hingegen kann eine auch zugunsten der beiden noch am Revisionsverfahren beteiligten Beklagten wirkende Aufrechnung infolge rechtskräftiger Teilabweisung des Klagebegehrens hinsichtlich des Erstbeklagten nicht mehr stattfinden.

Auszugehen ist davon, daß gemäß dem hier noch anzuwendenden § 22 KHVG 1987 (der im wesentlichen dem nunmehrigen § 26 KHVG 1994 entspricht) der Zweitbeklagte als Versicherter und die Drittbeklagte als Versicherer im Haftpflichtfall als Gesamtschuldner haften (passive Korrealität). Der Zweitbeklagte hat im Prozeß als Gegenforderung den ihm verbliebenen Selbstbehalt in Höhe von S 11.000,- als Vermögensschaden geltend gemacht. Er hat damit eine ihm zustehende Forderung zur Kompensation verwendet, wobei die Forderung mit Schadenseintritt (hier: dem Tag des Unfalls) entstanden ist. Es entspricht einhelliger Lehre und Rechtsprechung, daß die Wirkung einer Aufrechnungserklärung auf den Zeitpunkt bezogen wird, in welchem einander die Forderungen erstmals aufrechenbar gegenüberstanden (Rummel in Rummel2 § 1438 Rz 14 mwN), das ist bei Schadenersatzansprüchen aus Verkehrsunfällen idR der Tag des Unfalles (ZVR 1973/129; ZVR 1977/173; ZVR 1987/96). Im Fall der Aufrechnung erlöschen daher ab dieser Aufrechnungslage beide Forderungen und somit sowohl die, gegen die aufgerechnet wurde, als auch die zur Aufrechnung verwendete (vgl Gschnitzer in Klang2 VI 499; Rummel aaO § 1438 Rz 15). Die wirksame Aufrechnung bei passiver Korrealität mit einer eigenen Gegenforderung durch einen Schuldner wirkt aber damit immer auch zugunsten der Mitschuldner, also objektiv (Rummel aaO § 1441 Rz 11 mwN). Dies hat zur Folge, daß die Aufrechnung des Versicherten im Prozeß auch den Versicherer befreit und umgekehrt (ZVR 1973/129; SZ 56/121; ZVR 1987/96).

Feststellungen über Grund und Höhe des vom Zweitbeklagten zu tragenden Selbstbehaltes in der Kaskoversicherung fehlen. Die Sache erweist sich damit als noch nicht spruchreif. Das Erstgericht wird daher sein Beweisverfahren entsprechend zu ergänzen und sodann unter Zugrundelegung einer Schadensteilung von 1 : 1 neuerlich über die Ansprüche des Klägers gegenüber Zweit- und Drittbeklagtem zu entscheiden haben.

Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelverfahren ist im § 52 Abs 1 ZPO begründet.

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