OGH 10ObS91/16d

OGH10ObS91/16d19.7.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Rodlauer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und KR Karl Frint (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Dr. Astrid Wagner, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. Mai 2016, GZ 9 Rs 46/16z‑68, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00091.16D.0719.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Der 1960 geborene Kläger, der keinen Lehrberuf erlernt hat, war von 1987 bis 2013 mit einer Unterbrechung in einem Architekturbüro als Hausarbeiter bzw Haustechniker tätig. Er verrichte als Allroundkraft, „Handyman“ bzw „troubleshooter“ vorwiegend manuelle Tätigkeiten wie Abhol- und Lieferdienste; er betreute die Zentralkohleofenheizung im Keller eines Mietobjekts, führte diverse Reinigungsarbeiten (auch von Glasfassaden und Fenstern) durch, transportierte und stellte Möbel auf, verrichtete Reparaturarbeiten an praktisch allen Ausstattungen eines Mietobjekts (Holz‑Teppichböden, Fenster, Sanitäranlagen etc). Er nahm den Auf‑ und Abbau nicht tragender Zwischenwände vor, den Ein- und Ausbau sowie die Reparatur von Türen und verrichtete Bodenlege- und Verfliesungsarbeiten. Er organisierte auch die Renovierung von Mietobjekten und führte diese selbst manuell unter Beiziehung von konzessionierten Gewerbetreibenden für Gas‑Wasser‑Installationen und Elektroinstallationen durch. Er reparierte Sprechanlagen, verlegte kleinere Kabel, baute Küchen samt Wasseranschlüssen, Duschen und Badewannen ein, mauerte Ziegelwände in Kellerabteilen, machte Wasserinstallationen und tauschte Lampen. Büroarbeiten führte er nicht aus. Zuletzt war er im Angestelltenverhältnis (eingestuft in die Beschäftigungsgruppe II des Kollektivvertrags für Angestellte bei Architekten) tätig. Er wurde von seinem Arbeitgeber eine Woche lang zu einem Malerei‑ und Anstrichunternehmen sowie eine längere Zeit zu einem Installationsunternehmen entsandt, um Kenntnisse in diesen Berufen zu erwerben.

Der Kläger verfügt nicht über die wesentlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, die üblicherweise von ausgelernten Facharbeitern im Lehrberuf eines Gas- und Wasser‑ sowie Heizungsinstallateurs bzw eines Installations- und Gebäudetechnikers verlangt werden.

Aufgrund seiner im Einzelnen festgestellten medizinischen Leistungseinschränkungen kann der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch Informationsdienst-Berufstätigkeiten in Betrieben und Institutionen (entsprechend der Beschäftigungsgruppe 2 des Kollektivvertrags für Handelsangestellte) verrichten. Weiters kommen für ihn Verpackungs- und Sortiertätigkeiten in Leichtwarenbranchen sowie Hilfsarbeiten in der Werbemittelbranche und in Adressverlagen in Frage.

Die Vorinstanzen wiesen das auf Zuspruch der Berufsunfähigkeitspension gerichtete Klagebegehren ab. Rechtlich gingen sie übereinstimmend davon aus, dass keine Tätigkeiten vorlägen, die den Erwerb von Kenntnissen und Tätigkeiten erfordern, die sich auf mehrere Teilgebiete verschiedener Lehrberufe erstrecken und in ihrer Gesamtheit jenen eines angelernten Facharbeiters gleichzuhalten seien.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

In seiner außerordentlichen Revision bringt der Kläger zusammengefasst vor, er habe doch eine qualifizierte Tätigkeit als Haustechniker im Sinne einer Mischtätigkeit von Teiltätigkeiten mehrerer Lehrberufe – insbesondere jener eines Installateurs – ausgeübt. Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (§ 502 Abs 1 ZPO) aufgezeigt.

1.1 Nach § 255 Abs 2 ASVG liegt ein angelernter Beruf iSd Abs 1 vor, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausübt, für die es erforderlich ist, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse oder Fähigkeiten zu erwerben, welche jenen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten sind. Ein angelernter Beruf kann aber auch dann vorliegen, wenn es keinen gleichartig gesetzlich geregelten Lehrberuf gibt, die vom Versicherten verrichtete Tätigkeit nach den für sie in Betracht kommenden Voraussetzungen im Allgemeinen jedoch eine ähnliche Summe besonderer Kenntnisse oder Fähigkeiten erfordert, wie die Tätigkeiten in einem erlernten Beruf (RIS‑Justiz RS0084602, RS0084433 [T8]). Bildet die Berufstätigkeit des Versicherten, die er während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag überwiegend ausgeübt hat, einen Teil eines Lehrberufs, so ist zur Lösung der Frage des Berufsschutzes dieser Lehrberuf zum Vergleich heranzuziehen (RIS‑Justiz RS0084433 [T7]). Dabei reicht es nicht aus, wenn sich die Kenntnisse oder Fähigkeiten nur auf ein Teilgebiet oder mehrere Teilgebiete eines Tätigkeitsbereichs beschränken, die von gelernten Arbeitern allgemein in viel weiterem Umfang beherrscht werden (RIS‑Justiz RS0084638, RS0084585). Denkbar ist aber auch, dass sich die Tätigkeit eines Versicherten als Mischtätigkeit von Teiltätigkeiten mehrerer Lehrberufe darstellt und der Versicherte aus jedem Lehrberuf zwar nur einzelne Teiltätigkeiten beherrscht, die Summe dieser Teiltätigkeiten jedoch ein Maß erreicht, das die Annahme des Vorliegens von einem Lehrberuf vergleichbaren Kenntnissen und Fähigkeiten rechtfertigt (10 ObS 286/00g, SSV‑NF 14/132). Wenngleich ein angelernter Beruf somit nicht einem gesetzlich geregelten Beruf entsprechen muss (RIS‑Justiz RS0084602), müssen aber die qualifizierten, in der Praxis erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten an Qualität und Umfang jenen in einem Lehrberuf gleichzuhalten sein.

1.2. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass die Frage, ob ein angelernter Beruf vorliegt, keine Tat-, sondern eine Rechtsfrage ist. Grundlage für die Lösung dieser Frage bilden Feststellungen über die Kenntnisse und Fähigkeiten, über die der Versicherte im Einzelfall verfügt, und über die Anforderungen, die an einen gelernten Arbeiter in diesem Beruf üblicherweise gestellt werden (RIS‑Justiz RS0084563).

2. Mit diesen Grundsätzen der Rechtsprechung stehen die Entscheidungen der Vorinstanzen im Einklang. Nach den den Obersten Gerichtshof bindenden Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen ist die Beurteilung, der Kläger verfüge nicht über Kenntnisse und Fähigkeiten, die sich auf mehrere Teilgebiete verschiedener Lehrberufe erstrecken und in ihrer Gesamtheit jenen eines angelernten Facharbeiters (Installateurs, Malers) gleichzuhalten sind, jedenfalls vertretbar.

Die außerordentliche Revision des Klägers ist daher zurückzuweisen.

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