OGH 12Os64/16b

OGH12Os64/16b14.7.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Juli 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Jülg, BSc, als Schriftführer in der Strafsache gegen Tamerlan N***** und weitere Angeklagte wegen Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Isa B***** gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Jugendschöffengericht vom 14. März 2016, GZ 9 Hv 22/16t‑126, sowie über die Beschwerde des Genannten gegen den unter einem gefassten Beschluss auf Verlängerung von Probezeiten nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0120OS00064.16B.0714.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (B./), demzufolge im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) betreffend den Angeklagten Isa B***** sowie der in Ansehung des Genannten gefasste Beschluss auf Verlängerung von Probezeiten aufgehoben und die Sache in diesem Umfang an das Landesgericht St. Pölten verwiesen, und zwar

1./ in Betreff des kassierten Schuldspruchs B./ mit dem Auftrag, hinsichtlich des diesem zugrundeliegenden Verhaltens des Isa B***** gemäß § 37 SMG vorzugehen,

2./ im Übrigen zu neuer Verhandlung und Entscheidung.

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte Isa B***** auf die Aufhebung verwiesen.

Dem Angeklagten Isa B***** fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch in Rechtskraft erwachsene Schuldsprüche anderer Angeklagter enthaltenden Urteil wurde Isa B***** (richtig:) zweier Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 2 StGB (A./I./), des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (A./II./) sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (B./) schuldig erkannt.

Danach haben

A./ Tamerlan N*****, Isa B*****, Amir K***** und Magomed G***** am 21. November 2015 in S***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB)

I./ anderen durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) eine fremde bewegliche Sache mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen und abgenötigt, indem sie sich in numerischer Überlegenheit den Opfern gegenüber aufstellten, diese zum Schein zum Ankauf von Suchtgift aufforderten, ihnen danach Bargeld wegnahmen und die Rückforderung desselben durch Inaussichtstellen eines Übels, Tamerlan N***** zudem dadurch, dass er eine Gasdruckpistole gegen die Opfer richtete, somit unter Verwendung einer Waffe, unterbanden, und zwar

1./ Christoph Kr***** 30 Euro Bargeld;

2./ Martin Na***** 15 Euro Bargeld,

wobei Isa B*****, Amir K***** und Magomed G***** den Raub ohne Anwendung erheblicher Gewalt an einer Sache geringen Werts begingen und die Tat nur unbedeutende Folgen nach sich zog;

II./ Christoph Kr***** durch gefährliche Drohung, nämlich durch Aufrechterhaltung des zu A./I./ dargestellten Bedrohungsszenarios, zu einer Handlung, nämlich zum Wegwerfen seines Mobiltelefons genötigt, wobei Tamerlan N*****, Amir K***** und Magomed G***** zudem dadurch, dass Tamerlan N***** nach wie vor eine Gasdruckpistole gegen das Opfer richtete, mit dem Tod drohten;

B./ Isa B***** in A***** im Zeitraum von April 2011 bis 14. April 2015 vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich insgesamt 125 g Cannabis, beinhaltend die Wirkstoffe THC sowie THCA, eine geringe Menge Kokain, beinhaltend den Wirkstoff Cocain, 7 Stück Ecstasy‑Tabletten, beinhaltend den „Wirkstoff XTC“ sowie 6 g Crystal‑Meth, beinhaltend den Wirkstoff Amphetamin, ausschließlich zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte Isa B***** mit einer auf § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Widersprüchlich (Z 5 dritter Fall) sind zwei Urteilsaussagen, wenn sie nach den Denkgesetzen oder grundlegenden Erfahrungssätzen nicht nebeneinander bestehen können (vgl 13 Os 82/15f). Im Sinn der Z 5 dritter Fall können die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) und deren Referat im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO), die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen, die zu den getroffenen Feststellungen über entscheidende Tatsachen angestellten Erwägungen sowie die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen und die dazu angestellten Erwägungen zueinander im Widerspruch stehen (RIS‑Justiz RS0119089).

Entgegen dem Beschwerdestandpunkt liegt kein Widerspruch iS der Z 5 darin, dass der Schöffensenat die Feststellungen zur subjektiven Tatseite des Angeklagten Isa B***** zum Schuldspruch A./I./ (US 11), insbesondere den Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz, entgegen dessen Verantwortung (US 18 f) – auch – auf die belastenden Aussagen des Mitangeklagten Tamerlan N***** stützte (US 18), während es die der Nichtannahme eines Vorsatzes des Isa B***** auf Verwendung einer Waffe (US 11 f) nach dessen Ansicht entgegenstehende Aussage des genannten Mitangeklagten, wonach dieser – in Bezug auf diesen Anklagevorwurf – nicht zum Weggeben der Waffe aufgefordert worden sei (ON 125 S 12; vgl aber zum Anklagevorwurf A./II./ ON 125 S 18), nicht gesondert erörterte.

Unter dem Aspekt einer Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) ist dazu anzumerken, dass deren erfolgreiche Geltendmachung in Ansehung eines unerörtert gebliebenen, in abstracto erheblichen Beweismittels, das jedoch nicht in Richtung – für die Lösung der Schuld- oder der Subsumtionsfrage entscheidend – günstigerer als der festgestellten Tatsachen weist, an der mangelnden Beschwer des Nichtigkeitswerbers scheitert (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 424).

Inwiefern das Urteil in sich widersprüchlich (Z 5 dritter Fall) sein sollte, weil die Tatrichter den im Zweifel zu Gunsten des Beschwerdeführers weder zu A./I./ noch zu A./II./ angenommenen Vorsatz auf Verwendung einer Waffe (US 11 f) auf die als glaubwürdig beurteilte Aussage des Zeugen Martin Na***** stützten, wonach Isa B***** den Angeklagten Tamerlan N***** dazu aufforderte, die Waffe wegzugeben (US 19 iVm US 10), ohne die bereits oben angeführte Verantwortung des Letztgenannten zu berücksichtigen, bleibt offen.

Die Feststellungen zur subjektiven Tatseite, darunter auch jene zum Zueignungs‑ und zum Bereicherungsvorsatz, leitete das Gericht in rechtsstaatlich nicht zu beanstandender, ja bei leugnenden Tätern in der Regel nicht anders möglicher Art und Weise aus dem objektiven Geschehensablauf ab (US 18; RIS‑Justiz RS0116882). Dem Beschwerdestandpunkt zum Schuldspruch A./I./ zuwider kann von einer diesbezüglich fehlenden Begründung (Z 5 vierter Fall) keine Rede sein.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) beschränkt sich unter Hinweis auf die leugnende Verantwortung des Angeklagten Isa B***** auf eine schlichte Beweiswürdigungskritik ohne erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen zu wecken (vgl RIS‑Justiz RS0118780).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO schon in nichtöffentlicher Sitzung sofort zurückzuweisen.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde hat sich der Oberste Gerichtshof jedoch – erneut in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – davon überzeugt, dass zum Nachteil des Angeklagten Isa B***** das Strafgesetz unrichtig angewendet worden ist (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

Aus Z 10a des § 281 Abs 1 StPO ist ein Urteil (ua) dann nichtig, wenn die darin enthaltenen Feststellungen bei richtiger Rechtsansicht die Nichtanwendung der Diversion nicht zu tragen vermögen. Gegenstand dieses Nichtigkeitsgrundes ist demnach – nicht anders als im Fall einer Rechtsrüge aus Z 9 oder einer Subsumtionsrüge aus Z 10 leg cit – der Vergleich der im Urteil getroffenen Feststellungen mit den Diversionskriterien (vgl RIS‑Justiz RS0119091).

Mit Blick auf die ausdrückliche Bejahung von ausschließlich zum persönlichen Gebrauch begangenen Straftaten nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (US 12) wären zwingend die Diversionsbestimmungen nach §§ 35 Abs 1, 37 SMG anzuwenden, demzufolge grundsätzlich eine Stellungnahme gemäß § 35 Abs 3 Z 2 SMG und die Zustimmung des Angeklagten zu allfällig notwendigen gesundheitsbezogenen Maßnahmen (§ 35 Abs 6 SMG) einzuholen gewesen (vgl 11 Os 129/14a). Feststellungen zu einem Diversionsausschluss finden sich im Urteil nicht. Desgleichen fehlen Anhaltspunkte aus dem abgeführten Beweisverfahren für das Vorliegen eines die Diversion nach §§ 35, 37 SMG hindernden Umstands (vgl AS 34 f, AS 38 in ON 125, AS 74 in ON 125 iVm ON 2 in ON 111).

Der aufgezeigte Rechtsfehler erforderte die Kassation des Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich sowie in Ansehung des aufgehobenen Schuldspruchs B./ ein Vorgehen gemäß § 288 Abs 2 Z 2a StPO.

Unter dem Aspekt des § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO bleibt anzumerken, dass die Feststellung des Wirkstoffs „XTC“ in Ansehung der sieben Stück Ecstasy‑Tabletten (US 12) isoliert betrachtet die Subsumtion unter den Tatbestand des § 27 Abs 1 SMG nicht ermöglicht (vgl RIS‑Justiz RS0114428, RS0128204; insbes 12 Os 135/11m).

Der diesen Umstand – ausgehend von der im Urteil zum Ausdruck gebrachten gleichartigen Verbrechensmenge – jedoch an der rechtlichen Beurteilung des dem aufgehobenen Schuldspruch B./ zugrunde liegenden Verhalten, hinsichtlich dessen gemäß § 37 SMG vorzugehen ist, nichts ändert, bestand kein Anlass zu amtswegigem Vorgehen.

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde war der Rechtsmittelwerber auf die Aufhebung zu verweisen.

Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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