Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Michaela R***** und aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in Ansehung aller Angeklagter in der nach § 28a Abs 2 Z 3 SMG gebildeten Subsumtionseinheit und in den Strafaussprüchen einschließlich des Ausspruchs über die Vorhaftanrechnung aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Im Übrigen werden die Nichtigkeitsbeschwerden zurückgewiesen.
Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Den Angeklagten Michaela R***** und Catalin B***** fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Michaela R***** (I./ und II./), Catalin B***** (I./) und Roman S***** (III./) je des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG schuldig erkannt.
Danach haben Michaela R*****, Catalin B***** und Roman S***** in Wien und anderen Orten vorschriftswidrig Suchtgift in einer insgesamt das 15-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge durch Verkauf anderen überlassen, und zwar
I./ Michaela R***** und Catalin B***** von Mitte 2007 bis 11. Februar 2009 im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) „zumindest 2 kg Speed und zumindest 2 kg Cannabiskraut“ an unbekannte Abnehmer;
II./ Michaela R***** von Mitte 2007 bis 11. Februar 2009 „mit dem diesbezüglich bereits rechtskräftig verurteilten Catalin B***** zumindest 3.000 Stück Ecstasy“ an unbekannte Abnehmer;
III./ Roman S***** von Mitte 2007 bis 11. Februar 2009 „zumindest 2 kg Speed, zumindest 2 kg Cannabiskraut“, „eine nicht mehr feststellbare Menge Kokain und zumindest 3.000 Stück Ecstasy“ an Michaela R***** und Catalin B*****.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen wenden sich die Angeklagten Michaela R***** mit auf Z 5, 5a und 11 sowie Catalin B***** mit auf Z 4, 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden, von denen die erste zum Teil im Recht ist, während sie im Übrigen ihr Ziel verfehlen.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Michaela R*****
Entgegen der Mängelrüge (Z 5) ist der Schluss von einem gezeigten Verhalten auf ein zugrunde liegendes Wollen oder Wissen - hier im Sinn kontinuierlichen Verkaufs von Suchtgift und den damit verbundenen Additionseffekt (US 7 f, 9) - rechtsstaatlich vertretbar und bei leugnenden Angeklagten in aller Regel methodisch auch gar nicht zu ersetzen (RIS-Justiz RS0116882, RS0098671).
Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen.
Mit den vorgebrachten Hinweisen auf die Aussage des Drittangeklagten werden keine erheblichen Bedenken im Sinn des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes geweckt.
Zutreffend zeigt allerdings die Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) auf, dass die im Urteil vorgenommene Wertung eines qualifikationsbegründenden Zusammentreffens verschiedener Suchtgifte als erschwerend nicht dem Gesetz entspricht (RIS-Justiz RS0116750).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Catalin B*****
Die Verfahrensrüge (Z 4) bezieht sich auf einen Beweisantrag zu einem Thema, dessen Erheblichkeit nicht dargetan wurde (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 321, 327 f; § 55 Abs 2 Z 1 StPO): Durch Vernehmung der Zeugin Nadine Sch***** sollte belegt werden, dass „der Zweitangeklagte und die Erstangeklagte“ gemeinsam mit der Genannten „keine Verkäufe mit dem Drittangeklagten in diversen Diskotheken durchgeführt haben“ (ON 47 S 28). Von einem dem Beweisziel entsprechenden Sachverhalt ging das Erstgericht übrigens ohnedies aus (US 8; § 55 Abs 2 Z 3 StPO). Verteidigungsrechte wurden daher nicht geschmälert.
Indem die Mängelrüge (Z 5) die Feststellungen des Erstgerichts zum Reinsubstanzgehalt des Suchtgifts als „rein spekulativ“ bezeichnet (Z 5 vierter Fall), übergeht sie die Erwägungen der Tatrichter zur Gerichtsnotorietät (US 9). Davon überrascht worden zu sein, wird nicht eingewendet (RIS-Justiz RS0119094).
Das Schöffengericht ist nach § 270 Abs 2 Z 5 StPO von vornherein nur zu einer gedrängten Darstellung der Urteilsgründe, jedoch nicht dazu verhalten, den vollständigen Inhalt sämtlicher Zeugenaussagen und sonstiger Beweise zu erörtern (RIS-Justiz RS0106642). Daher wird das Vorbringen, das Schöffengericht habe sich, soweit es die Angaben des Angeklagten B***** als Schutzbehauptungen bewertete, „nicht mit allen Für und Wider“ ihn sprechenden Umständen auseinandergesetzt, dem Einwand unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) nicht gerecht.
Soweit in der Mängelrüge ausgeführt wird, ein „Mangel an Gegenbeweisen“ reiche für den Schuldspruch des Beschwerdeführers nicht aus, geht sie erneut nicht von der Gesamtheit der Entscheidungsgründe aus (US 6 ff; RIS-Justiz RS0119370).
Die Tatsachenrüge (Z 5a) weckt weder mit dem Verweis auf das aus Z 5 Vorgebrachte noch mit dem Einwand, dass bei Catalin B***** „das anklagegegenständliche Suchtgift“ nicht sichergestellt worden sei und keine Hinweise auf die Abnehmer bestünden, erhebliche Bedenken im Sinn des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes. Ohne direkten Bezug zu aktenkundigem Beweismaterial bloß aus Erwägungen der Tatrichter Bedenken abzuleiten, ermöglicht die Tatsachenrüge zudem nicht (RIS-Justiz RS0119424).
Welche Feststellungen zur subjektiven Tatseite der Beschwerdeführer vermisst, sagt die Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht. Auch soweit sie auf eine eigenständige Betrachtung von Beweisergebnissen statt auf die Konstatierungen im Urteil abstellt, ist sie nicht an der Prozessordnung orientiert (RIS-Justiz RS0099810).
Zur amtswegigen Maßnahme
Den Feststellungen zufolge überließ Roman S***** den anderen Angeklagten von etwa Mitte 2007 bis zum 11. Februar 2009 insgesamt zumindest 200 g Speed netto, zumindest 40 g Cannabis netto, eine nicht mehr feststellbare Menge Kokain und 75 g Ecstasy netto, was „der 20-fachen Grenzmenge betreffend Speed, der 2-fachen Grenzmenge für Cannabis sowie der 2,5-fachen Grenzmenge für Ecstasy“ entspreche. Michaela R***** überließ, wie die Tatrichter zusammenfassend konstatierten, „dieselbe Menge an Suchtgift mit Ausnahme des Kokain“ an unbekannte Abnehmer, Catalin B***** lediglich die 20-fache Grenzmenge betreffend Speed und die 2-fache Grenzmenge betreffend Cannabis (US 5, 10).
Somit geht aus den Feststellungen nur in Ansehung von Cannabis eine die Grenzmenge übersteigende Menge an Suchtgift - nämlich THC (RIS-Justiz RS0087895 ua) - hervor (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19).
In Ansehung der vom Schöffengericht bloß mit Handelsnamen („Speed“, „Ecstasy“) bezeichneten Waren ist dagegen den Entscheidungsgründen nichts über Wirkstoffart (und -menge) der jeweils tatverfangenen Substanzen zu entnehmen (vgl RIS-Justiz RS0119257). Welche Menge an Kokain der Angeklagte S***** anderen überlassen hat, blieb im Urteil gleichfalls offen.
Demnach vermögen die Konstatierungen die Subsumtion der Taten nach § 28a Abs 2 Z 3 SMG nicht zu tragen. Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen begründet hinsichtlich aller drei Angeklagten - von ihnen nicht geltend gemachte, gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO von Amts wegen wahrzunehmende - Nichtigkeit des Urteils nach Z 10 des § 281 Abs 1 StPO.
Aufgrund der aufgezeigten Rechtsfehler war in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Michaela R***** (Z 11) und aus Anlass der beiden Nichtigkeitsbeschwerden (Z 10) wie aus dem Spruch ersichtlich mit teilweiser Aufhebung des Urteils vorzugehen (§ 285e StPO).
Im Übrigen waren die Nichtigkeitsbeschwerden bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.
Die Kostenersatzpflicht der Angeklagten Michaela R***** und Catalin B***** beruht auf § 390a Abs 1 StPO. Sie erstreckt sich nicht auf die amtswegige Maßnahme.
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