OGH 2Ob108/16w

OGH2Ob108/16w28.6.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** B*****, vertreten durch Dr. Ekkehard Erlacher und Dr. Renate Erlacher‑Philadelphy, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei R***** B*****, vertreten durch Dr. Wilfried Plattner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 210.000 EUR (Revisionsinteresse: 38.085,69 EUR) sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 31. März 2016, GZ 1 R 21/16x‑44, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0020OB00108.16W.0628.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Zwar hat die Feststellung der Erbhofeigenschaft und die Festsetzung des Übernahmspreises nach ständiger Rechtsprechung im Abhandlungsverfahren zu erfolgen; ein Pflichtteilprozess ist daher zu unterbrechen, bis diese Fragen durch das Verlassenschaftsgericht geklärt sind (1 Ob 94/67, SZ 40/98; RIS-Justiz RS0036902).

Das gilt jedoch nicht, wenn das Verlassenschaftsverfahren ohne solche Entscheidung beendet wurde; dann sind diese Fragen nach allgemeinen Grundsätzen als Vorfrage im Prozess zu beantworten (6 Ob 622/90; 6 Ob 14/91; RIS-Justiz RS0050217). Das trifft hier zu, hat doch das Verlassenschaftsgericht den Nachlass ohne Festsetzung des Übernahmewertes eingeantwortet und einen auf eine solche Entscheidung gerichteten Antrag des Klägers rechtskräftig abgewiesen (ON 32 des Verlassaktes). Ob dieser Beschluss auch inhaltlich richtig war, ist zufolge dessen Rechtskraft nicht zu prüfen.

2. Für die Ermittlung des Pflichtteils ist jener Wert maßgebend, den die Verlassenschaft ohne die pflichtteilswidrige Verfügung gehabt hätte (RIS‑Justiz RS0012973; 6 Ob 154/06z, SZ 2006/134; zuletzt etwa 1 Ob 136/11y). Daher sind Belastungen, die durch diese Verfügung wegfallen, bei der Bewertung der belasteten Sache noch zu berücksichtigen (1 Ob 136/11y: Geschenknehmer als Mieter der geschenkten Sache). Das stimmt mit der Rechtsprechung überein, wonach der Pflichtteilsberechtigte durch den Geldanspruch nicht besser gestellt werden dürfe, als wenn ihm der Erblasser den Pflichtteil in Sachwerten hinterlassen hätte (6 Ob 12/76, SZ 49/118). Denn in diesem Fall wäre die Belastung, anders als durch die pflichtteilswidrige Verfügung, nicht erloschen; der Wert wäre entsprechend geringer.

Im konkreten Fall ist der Hälfteanteil der Erblasserin an einer Liegenschaft durch deren pflichtteilswidrige Verfügung (Erbeinsetzung) der Beklagten als anderer Hälfteeigentümerin zugefallen. Die zitierte Rechtsprechung deckt die Auffassung des Berufungsgerichts, dass bei der Bewertung dieses Hälfteanteils – wie auch sonst bei der Bewertung von Liegenschaftsanteilen – ein „Miteigentumsabschlag“ vorzunehmen sei. Denn die „Belastung“ des in den Nachlass fallenden Vermögenswertes durch das Miteigentumsverhältnis ist in weiterer Folge ausschließlich durch die Durchführung der pflichtteilswidrigen Verfügung (Einantwortung) weggefallen.

Aus der Rechtsprechung zu § 786 ABGB, wonach Pflichtteilsberechtigte bis zur „wirklichen Zuteilung“ an Gewinn und Verlust des Nachlasses teilnehmen (RIS-Justiz RS0012905, RS0012933), lässt sich nichts Gegenteiliges ableiten. Denn diese Rechtsprechung beruht auf der Ansicht des historischen Gesetzgebers, dass Pflichtteilsberechtigte als „Noterben“ ebenfalls Erben seien, sodass am ruhenden Nachlass eine Rechtsgemeinschaft bestehe ( Welser in Rummel 4 § 786 Rz 2; Apathy in KBB 4 § 786 Rz 2). Diese fingierte Rechtsgemeinschaft schließt es aber aus, das Erlöschen von Belastungen aufgrund der Durchführung der pflichtteilswidrigen Verfügung – die gerade als Beendigung dieser Rechtsgemeinschaft zu werten wäre – zu berücksichtigen. Es kann im konkreten Fall nicht auf den Zufall ankommen, ob die Einantwortung vor oder nach Schluss der Verhandlung im Pflichtteilsprozess – als Zeitpunkt der „wirklichen Zuteilung“ (RIS-Justiz RS0012933)  – vorgenommen wurde.

3. Eine Pflicht zur Mitteilung nach § 473a ZPO bestand nicht. Die Beklagte hat sich in ihrer (erfolgreichen) Berufung ohnehin ausdrücklich auf die Feststellungen des Erstgerichts zum Übernahmewert gestützt. Damit wäre der Kläger schon nach § 468 Abs 2 Satz 2 ZPO verhalten gewesen, diese Feststellungen in der Berufungsbeantwortung zu rügen (RIS‑Justiz RS0113473 [insb T6]).

Stichworte