OGH 1Ob94/67

OGH1Ob94/676.7.1967

SZ 40/98

Normen

AnerbG §1
AnerbG §11
AnerbG §17
ZPO §190
ZPO §192 (2)
AnerbG §1
AnerbG §11
AnerbG §17
ZPO §190
ZPO §192 (2)

 

Spruch:

Die Feststellung der Erbhofeigenschaft hat im Verlassenschaftsverfahren zu erfolgen, ebenso die Festsetzung des Übernahmspreises. Ein Prozeß auf Pflichtteilsauszahlung bzw. Pflichtteilsergänzung muß bis zur Klärung der Erbhofeigenschaft und Festsetzung des Übernahmspreises durch das Verlassenschaftsgericht unterbrochen werden. Das Rekursverbot des § 192 (2) ZPO. gilt hier nicht.

Entscheidung vom 6. Juli 1967, 1 Ob 94/67.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Die Kläger begehren in ihren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen von den Beklagten die Ergänzung ihres Pflichtteils nach ihrer verstorbenen Mutter.

Die Beklagten wenden ein, daß die der erblasserischen Tochter, der Zweitbeklagten, letztwillig zugewendete Gärtnerei Erbhof im Sinn des § 1 AnerbenG sei; in dem beim Bezirksgericht Favoriten anhängigen Verlassenschaftsverfahren sei daher gemäß § 10 AnerbenG. Der Antrag gestellt worden, das Vorliegen eines Erbhofes festzustellen und diesen der Zweitbeklagten zuzuweisen.

Mit Beschluß vom 22. Oktober 1963 wurde vom Erstgericht das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Bezirksgerichtes Favoriten über den Antrag der Zweitbeklagten auf Feststellung, daß ein Erbhof vorliege, gemäß § 190 ZPO. unterbrochen. Der Beschluß blieb unangefochten. Mit Schriftsatz vom 3. November 1966 beantragten die Erst- und Zweitbeklagte, das unterbrochene Verfahren fortzusetzen. Das Erstgericht wies diesen Antrag mit Beschluß vom 5. Jänner 1967 ab.

Das Rekursgericht änderte diesen Beschluß dahin ab, daß die Unterbrechung des Verfahrens aufgehoben werde.

Das Rekursgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß ein anhängiges Verlassenschaftsverfahren weder unter den Begriff eines Rechtsstreites noch eines Verwaltungsverfahrens eingereiht werden könne; außerdem seien Gründe, die die Aufrechterhaltung der Unterbrechung rechtfertigen, nicht vorhanden; der § 17 AnerbenG. stelle nur eine materielle Änderung des Pflichtteilsrechtes insofern dar, als bei Vorliegen eines Erbhofes der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs der Übernahmspreis zugrunde zulegen sei und für die Auszahlung, Verzinsung und Sicherstellung die Bestimmung des § 12 gelte; diesen Bestimmungen sei aber nicht zu entnehmen, daß die Pflichtteilsansprüche nicht im Rechtsweg geltend gemacht werden könnten; zumindest bei wörtlicher Auslegung des § 11 AnerbenG. könne überdies der Übernahmspreis von den Miterben unter Ausschluß der Noterben im Vergleichsweg bestimmt werden, sodaß sich die Noterben an dem Verfahren nach dem Anerbengesetz nicht zu beteiligen brauchen und ihnen das Recht, den Pflichtteil bzw. dessen Ergänzung im Prozeßweg zu begehren und die gerichtliche Bestimmung des Übernahmspreises gemäß den im § 11 AnerbenG. aufgestellten Grundsätzen zu verlangen, nicht abgesprochen werden könne; aus diesem Gründe sei die Rechtsauffassung des Erstgerichtes verfehlt, daß zur Entscheidung über die Frage, ob der zur Verlassenschaft gehörige landwirtschaftliche Betrieb ein Erbhof im Sinn des Anerbengesetzes sei, allein das Verlassenschaftsgericht berufen sei; auch prozeßökonomische Erwägungen sprächen für die Aufhebung der Unterbrechung des Verfahrens.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Kläger Folge und stellte den Beschluß des Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Entscheidung, ob ein Verfahren gemäß § 190 ZPO. zu unterbrechen ist, stellt im allgemeinen eine Ermessensentscheidung des Gerichtes dar. Diesem ist dabei anheimgestellt, auch über Vorfragen, über die sonst andere Behörden zu entscheiden haben, im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits selbst zu entscheiden (Fasching, Komm. II. Bd. S. 901 ff.). Dies ist jedoch dort nicht möglich, wo Grundprinzipien der Kompetenzverteilung der Lösung der Vorfragen durch das angerufene Gericht entgegenstehen. Dies gilt vor allem dort, wo das Gesetz selbst die Unterbrechung eines Verfahrens aufträgt, wie z. B. im Art. 89 (2) B-VG. oder § 11 AHG. In einem solchen Fall bleibt für das Ermessen des Gerichtes kein Raum, die Frage der Aufhebung der Unterbrechung ist hier nicht in das Ermessen des Gerichtes gestellt (Fasching, a. a. O., S. 936, JBl. 1950 S. 16).

Richtig ist, daß das Anerbengesetz einen solchen ausdrücklichen Befehl nicht enthält, gleichwohl überträgt es aber die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Frage, ob ein in die Verlassenschaft gehöriges Vermögen als Erbhof anzusehen und darnach zu verfahren ist, in allen Fällen dem Verlassenschaftsgericht, verweist also zwingend die Entscheidung hierüber in das Verfahren außer Streitsachen (vgl. dazu Edlbacher, Das Anerbengesetz, S. 16). Es wäre mit dem Zweck des Gesetzes auch unvereinbar, wenn der Verlassenschaftsrichter die Erbhofeigenschaft bejahen, der Streitrichter sie dessenungeachtet verneinen könnte (vgl. dazu auch Edlbacher, S. 8) oder letzterer zunächst zur Ansicht käme, ein Erbhof liege nicht vor, der Verlassenschaftsrichter dann aber doch zur Annahme der Erbhofeigenschaft käme. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß streitige Pflichtteilsansprüche, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, im Prozeßweg durchzusetzen sind. Die Vorfrage zu prüfen, ob überhaupt ein Erbhof vorliegt, ist aber nur das Abhandlungsgericht berufen, sodaß auch hier für ein Ermessen des Gerichts, ob die Unterbrechung erfolgen bzw. die erfolgte Unterbrechung wieder aufgehoben werden soll, kein Raum bleibt. Ein solcher Fall ist dem eines förmlichen Gesetzesbefehles auf Unterbrechung gleichzuhalten. Diese vom Abhandlungsgericht zu treffende Feststellung bildet eine der Grundvoraussetzungen für den geltend gemachten Leistungsanspruch, über die abzusprechen dem Prozeßgericht aus zwingenden Zuständigkeitsgrunden versagt ist.

Das gleiche gilt bezüglich der Höhe des Übemahmspreises, der gemäß § 11 AnerbenG. grundsätzlich ebenfalls vom Verlassenschaftsgericht zu bestimmen ist. Aus der Vorschrift des § 17 AnerbenG., der Berechnung der Pflichtteilsansprüche sei ebenfalls der Übernahmspreis zugrundezulegen, folgt, daß es auch in diesem Belang auf die Ergebnisse des Verlassenschaftsverfahrens ankommt. Da gemäß § 11 die Bestimmung des Übernahmspreises entfallen kann, wenn die "Miterben" zu einer vergleichsweisen Bestimmung desselben kommen, ist aus dem Zusammenhalt dieser Regelung mit der Vorschrift des § 17 die Frage entstanden, ob unter "Miterben" nicht doch auch die Noterben verstanden werden müssen (vgl. dazu die Darstellung Edlbachers, Anm. 1 zu § 11; s. auch Anm. 2 zu § 17), Edlbacher selbst nimmt in diesem Belang eine unechte Gesetzeslücke an, die durch Analogie (§ 7 ABGB.) zu schließen wäre, was zum Erfordernis der Zustimmung auch der Noterben führt. Regenspursky (NotZ. 1961, S. 130) kommt - wenn auch mit anderer Begründung - zum gleichen Ergebnis. Der Oberste Gerichtshof hat dieses Problem bereits in seiner Entscheidung SZ. XXXIX 96 gestreift. Sie bezog sich auf den im § 8 (5) AnerbenG. geregelten Fall der Einigung eingesetzten Miterben, daß einer von ihnen den Erbhof als Anerbe übernehme. In diesem Belang erkannte der Oberste Gerichtshof, daß eine Mitwirkung der Noterben nicht in Betracht komme, weil im § 8 (5) nur von "Miterben" die Rede sei. Er fügte dem aber - unter Hinweis auf die bei Edlbacher zitierten Autoren und Edlbachers Rechtsansicht - ausdrücklich bei, daß den Noterben ja bei der Festsetzung des Übernahmspreises ein Mitspracherecht gesichert sein solle. Er hat sich also praktisch bereits damals auf den Standpunkt gestellt, bei einer vergleichsweisen Bestimmung des Übemahmspreises im Sinne des § 11 AnerbenG. müßten auch die Noterben mitwirken. Davon abzugehen, besteht kein Anlaß. Da es im vorliegenden Fall zu einem solchen Vergleich nach der Aktenlage nicht gekommen ist, ist - bei Bejahung der Erbhofeigenschaft - die Bestimmung des Übernahmspreises, der gemäß § 17 AnerbenG. wiederum auch für die Berechnung der Pflichtteilsansprüche maßgebend ist, zwingend Sache des Verlassenschaftsgerichtes, sodaß für eine Behandlung dieses Fragenkomplexes im Prozeß, daher aber auch für eine Ermessensentscheidung auf Prozeßunterbrechung, kein Raum ist. Die Unterbrechung gab sich vielmehr zwingend aus den Bestimmungen des Anerbengesetzes.

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