European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0150OS00007.16T.0627.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Luka B***** des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am 16. April 2015 in W***** Agnieszka Ba***** vorsätzlich zu töten versucht, indem er auf sie einschlug und mit einem Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 13 cm drei Mal im Bereich ihres Kopfes einstach, wobei es beim Versuch blieb, weil der gemeinsame Sohn David Ba***** seiner Mutter zur Hilfe eilte und seinem Vater Messerstiche im Bereich des Rückens versetzte, weshalb dieser kurz von Agnieszka Ba***** ablassen musste und jener die Flucht gelang.
Die Geschworenen hatten die dem Schuldspruch zugrunde liegende anklagekonforme Hauptfrage bejaht und die Zusatzfrage in Richtung Notwehr und Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt verneint.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 3, 4 und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
Die Verfahrensrüge (Z 3) behauptet, das Protokoll über die Aussage der Zeugin Agnieszka Ba***** im Ermittlungsverfahren sei in das Beratungszimmer der Geschworenen geschafft und nicht ausgesondert worden, obwohl die nach § 156 Abs 1 Z 1 StPO von der Pflicht zur Aussage befreite Zeugin nicht ausdrücklich (§ 159 Abs 3 StPO) auf ihr Aussagebefreiungsrecht verzichtet habe, sodass nicht ausgeschlossen werden könne, dass das nichtige Protokoll den Geschworenen bekannt wurde und auf die Beantwortung der Schuldfrage Einfluss hatte. Sie übersieht, dass der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund nur die trotz Widerspruch des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung erfolgte Verlesung – oder das auf andere Weise erfolgte prozessförmige Vorkommen – (unter anderem) eines Protokolls über eine nichtige Beweisaufnahme im Ermittlungsverfahren umfasst, was von der Beschwerde aber gar nicht behauptet wird (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 170).
Entgegen der Verfahrensrüge nach Z 4 liegt ein nichtigkeitsbegründender Verstoß gegen § 228 Abs 1 StPO nicht vor. Die Hauptverhandlung wurde am 28. September 2015 nach einer Unterbrechung um 14:30 Uhr mit der Vorführung des Videos der kontradiktorischen Vernehmung des Zeugen David Ba***** fortgesetzt und danach (um 15.45 Uhr) der Beschluss auf Vertagung der Hauptverhandlung verkündet (ON 59 S 42). Dass dabei ein Teil der Videovorführung und die Verkündung der Vertagung der Verhandlung nach 15:30 Uhr und damit „außerhalb der Amtsstunden und außerhalb der ursprünglich für die Hauptverhandlung anberaumten Zeitspanne“ (bis voraussichtlich 15:00 Uhr; ON 55) stattfanden, stellt – der Beschwerde zuwider – schon deshalb keinen nichtigkeits-begründenden Ausschluss der Öffentlichkeit dar, weil letztere nicht erfordert, dass allen potenziellen Zuhörern während der gesamten Dauer der Hauptverhandlung ein uneingeschränktes Betreten (und Verlassen) des Verhandlungssaals zu ermöglichen ist, sondern schon zwecks Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung im Gerichtssaal (§ 233 Abs 1 StPO) der Zutritt auf Zeitpunkte wie den Aufruf der Hauptverhandlung, Aufrufe von Zeugen und Sachverständigen sowie Unterbrechungen der Verhandlung beschränkt werden kann (RIS‑Justiz RS0128996; Danek/Mann , WK‑StPO § 228 Rz 5, § 233 Rz 2). Ein – wenn auch nur faktischer – Ausschluss der Öffentlichkeit lag daher gegenständlich nicht vor, wurde doch die Vorführung der Videoaufnahme über die Vernehmung des Zeugen David Ba***** bereits nach Fortsetzung der Verhandlung um 14:30 Uhr begonnen, womit einerseits keine Veranlassung bestand, allfälligen weiteren Zuhörern zwischen 15:30 und 15:45 Uhr Zugang zur Hauptverhandlung zu ermöglichen, und andererseits mit Blick auf die Ausschreibung der Hauptverhandlung (nur) „voraussichtlich bis 15:00 Uhr“ kein plausibler Grund bestand, warum Zuhörer erst nach 15:30 Uhr Zugang zur Hauptverhandlung suchen sollten (vgl 15 Os 95/07w).
Einen Verstoß gegen das Umgehungsverbot nach § 252 Abs 4 StPO behauptet die Rüge (Z 4) mit dem Einwand, der Vorsitzende habe entgegen § 322 zweiter Satz StPO die Vernehmungsprotokolle mehrerer namentlich genannter Zeugen, andere amtliche Schriftstücke, in denen Aussagen jener festgehalten wurden, und die gerichtsmedizinischen Sachverständigengutachten in das Beratungszimmer geschafft, obwohl „nach den Hauptverhandlungsprotokollen keine Verlesung von Aktenteilen nach § 252 Abs 1 oder 2 StPO“ erfolgt sei. Sie übersieht, dass Verletzungen des – vom taxativen Katalog der Z 4 nicht erfassten – § 322 zweiter Satz StPO ausschließlich unter dem Aspekt des von § 345 Abs 1 Z 4 intendierten Schutzes des von § 252 (iVm § 302 Abs 1) StPO normierten Unmittelbarkeitsgrundsatzes, also eines Beweisverwendungsverbots, beachtlich sind (RIS-Justiz
RS0118038, RS0100697 [T5]; Ratz , WK‑StPO § 345 Rz 9). Da in der Hauptverhandlung die vom Beschwerdeführer genannten Zeugen Agnieszka Ba***** (ON 59 S 24 ff), Dieter F***** (ON 59 S 13 ff), Halszka G***** (ON 59 S 15 ff), Sonja-Maria S***** (ON 59 S 18), Nicole‑Maria Fl***** (ON 82 S 5 f) und Taner I***** (ON 79 S 4 ff) vernommen wurden, die Aufnahme über die kontradiktorische Vernehmung des Zeugen David Ba***** vorgeführt wurde (ON 59 S 42) und der gerichtsmedizinische Sachverständige sein Gutachten mündlich erstattet hat (ON 59 S 35 ff und ON 82 S 4), somit eine Substituierung der persönlichen Zeugenaussagen oder der unmittelbaren Gutachtenserstattung unter Hintanhaltung von Fragemöglichkeiten der Parteien nicht stattfand, liegt ein Verstoß gegen das Umgehungsverbot nach § 252 Abs 4 StPO nicht vor (vgl RIS‑Justiz RS0112876, RS0109794).
Mit Tatsachenrüge (Z 10a) sind nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) bekämpfbar. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie sie die Schuldberufung im Einzelrichterverfahren einräumt – wird dadurch nicht eröffnet (RIS‑Justiz RS0119583). Beschwerden, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS‑Justiz RS0118780).
Indem der Rechtsmittelwerber unter Hinweis auf behauptete Widersprüche in den Aussagen der Belastungszeugen und unter Hinweis auf die Verletzungen des Angeklagten die Glaubwürdigkeit der Zeugen Agnieszka Ba***** und David Ba***** in Frage zu stellen versucht, weckt er keine erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen.
Weil die Niederschrift der Geschworenen eine kurze Begründung für ihre Beweiswürdigung darstellt, kann sie nicht gleichzeitig deren Gegenstand bilden, weshalb eine Tatsachenrüge – entgegen dem Einwand, die Körperverletzung des Angeklagten sei in der Niederschrift der Geschworenen nicht in die Wahrheitsfindung einbezogen worden – darauf nicht gegründet werden kann (RIS‑Justiz RS0115549).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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