European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0020OB00035.16K.0525.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens hat das Erstgericht zu entscheiden.
Entscheidungsgründe:
Die beklagte Aktiengesellschaft ist Wohnungseigentümerin zahlreicher Mindestanteile an einer im ersten Wiener Gemeindebezirk gelegenen Liegenschaft. Diese Mindestanteile sind Bestandteil der so genannten „Ringstraßengalerien“ mit einer Nutzfläche von ca 13.628 m²; Bestandteil der Liegenschaft sind auch 350 vermietete Garagenplätze.
Auf den Liegenschaftsanteilen B-LNr ***** bis B‑LNr ***** und B-LNr ***** war von 24. 5. 2007 bis 27. 1. 2014 zu C-LNr ***** ein Höchstbetragspfandrecht von 60.000.000 EUR zugunsten der E***** einverleibt. Auf dem Liegenschaftsanteil B-LNr ***** war von 27. 10. 2010 bis 14. 11. 2013 zu C-LNr ***** zugunsten derselben Gläubigerin ein Höchstbetragspfandrecht von 1.929.600 EUR einverleibt.
Zu einem nicht mehr exakt feststellbaren Zeitpunkt vor dem 14. 3. 2011 fanden zwischen der zweitklagenden (einer GmbH) und der beklagten Partei Gespräche über einen Verkauf der oben genannten Wohnungseigentumsanteile statt. Die zweitklagende Partei wusste über die auf der Liegenschaft befindlichen Belastungen Bescheid. Eine allenfalls erforderliche Zustimmung der E***** zum Verkauf dieser Anteile wurde im Rahmen der Verkaufsgespräche nicht thematisiert.
Die zweitklagende Partei erstattete am 14. 3. 2011 der beklagten Partei ein Kaufanbot für die genannten Wohnungseigentumsobjekte. Das Anbot der zweitklagenden Partei lautete auszugsweise wie folgt:
„Die Käuferin bietet der Verkäuferin hiemit rechtsverbindlich und unwiderruflich an, die oben genannten Wohnungseigentumsobjekte (Liegenschaftsanteile untrennbar verbunden mit den genannten Top-Nummern) zu erwerben, wobei sie sich das Recht vorbehält, den Eigentumserwerb durch von ihr neu zu gründende Projektgesellschaften durchführen zu lassen. Diese Projektgesellschaften müssen im 'wirtschaftlichen Eigentum' der beiden Käufer (oder zumindest eines Käufers) stehen.
...
Der Kaufpreis (ohne Nebenkosten) für die oben genannten Liegenschaftsanteile beträgt:
EUR 80.500.000,--
...
Die Liegenschaft muss geldlastenfrei und frei von Servituten sein bzw. im Zuge der Kaufvertragserrichtung lastenfrei gemacht werden.
...
Die Annahme dieses Kaufanbotes ist befristet bis 28. 3. 2011.
Wien, am 14. 3. 2011“
Dieses Kaufanbot wurde von der zweitklagenden Partei firmenmäßig gefertigt. Am 15. 3. 2011 wurde dieses Anbot von K***** J*****, einzelvertretungsbefugtes Vorstandsmitglied der beklagten Partei, unterfertigt, wobei handschriftlich der Zusatz „vorbehaltlich Genehmigung des Aufsichtsrates“ beigefügt wurde. Weitere Bedingungen wurden weder schriftlich niedergelegt noch mündlich besprochen.
Der Aufsichtsrat der beklagten Partei setzte sich am 15. 3. 2011 aus nachstehenden Personen zusammen: 1. K***** E*****, 2. Dr. J***** H***** (Stellvertreter des Vorsitzenden), 3. M***** J***** (Vorsitzender), 4. Dr. H***** W*****, 5. A***** K*****, 6. B***** J*****, die Tochter des Vorsitzenden des Aufsichtsrats.
In weiterer Folge wurde die erstklagende Partei, eine GmbH, die eine hundertprozentige Tochter der zweitklagenden Partei ist, errichtet und am 6. 5. 2011 in das Firmenbuch eingetragen. Die erstklagende Partei wurde entsprechend dem Vorbehalt der zweitklagenden Partei im Kaufanbot zum Erwerb der Liegenschaftsanteile der beklagten Partei als so genannte Projektgesellschaft gegründet.
Obwohl die Frist zur Einholung der Zustimmung aller Aufsichtsratsmitglieder der beklagten Partei einvernehmlich bis 26. 4. 2011 verlängert wurde, war die zweitklagende Partei bereit, den Aufsichtsratsbeschluss auch nach dem 26. 4. 2011 zu akzeptieren, was der beklagten Partei auch bekannt war.
Bis zum 27. 4. 2011 unterzeichneten alle Aufsichtsratsmitglieder außer der Tochter des Vorsitzenden des Aufsichtsrats den Aufsichtsratsbeschluss. Ob die Tochter des Vorsitzenden des Aufsichtsrats von dem Beschluss oder von dessen Fassung im Umlaufweg wusste, kann nicht festgestellt werden.
Bei einem Treffen am 27. 4. 2011 brachte A***** K***** einen Laptop mit, auf dem der Aufsichtsratsbeschluss gespeichert war und den Teilnehmern der Besprechung, darunter die Geschäftsführerin der klagenden Parteien und L***** S*****, gezeigt wurde. Der Aufsichtsratsbeschluss wies die Unterschriften aller Aufsichtsratsmitglieder der beklagten Partei mit Ausnahme der Unterschrift der Tochter des Vorsitzenden des Aufsichtsrats auf. Da das Hauptaugenmerk der Geschäftsführerin der klagenden Parteien und L***** S***** auf der Unterschrift des Vorsitzenden des Aufsichtsrats lag und sie nur dieser Unterschrift Bedeutung beimaßen, wurde die fehlende Unterschrift der Tochter des Vorsitzenden des Aufsichtsrats weder von ihnen noch von den sonst Anwesenden angesprochen. Vielmehr gingen die Geschäftsführerin der klagenden Parteien und L***** S***** davon aus, dass die Aufsichtsratszustimmung aufgrund der vorhandenen Unterschrift des Vorsitzenden des Aufsichtsrats „kein Problem darstelle“. Diese Annahme wurde von keinem der anwesenden Beteiligten der beklagten Partei widerlegt, sodass bei den anwesenden Beteiligten der zweitklagenden Partei der Eindruck entstand, die „Bedingung sei nun eingetreten“. Eine ausdrückliche Zusage des Bedingungseintritts erfolgte nicht, der Stellvertreter des Vorsitzenden des Aufsichtsrats führte jedoch aus, dass man jetzt „weiter macht“. Sein Hintergedanke dabei war, dass die Unterschrift des Vorsitzenden des Aufsichtsrats den „Knackpunkt“ für das Zustandekommen des Kaufvertrags darstelle und aufgrund deren Vorhandenseins man nun mit der Vorbereitung der Treuhandvereinbarung beginnen könne.
In der Folge wurde im Einvernehmen zwischen dem Stellvertreter des Vorsitzenden des Aufsichtsrats der beklagten Partei und der Geschäftsführerin der klagenden Parteien ein Entwurf der Treuhandvereinbarung erstellt, der vom einzelvertretungsbefugten Vorstandsmitglied der beklagten Partei unterschrieben und von der Geschäftsführerin der klagenden Parteien paraphiert wurde.
Am 13. 5. 2011 richtete die die Pfandgläubigerin E***** vertretende Rechtsanwaltskanzlei ein Schreiben an die Rechtsanwaltskanzlei, die damals Vertreterin der beklagten Partei war, an den Stellvertreter des Vorsitzenden des Aufsichtsrats der beklagten Partei, an das einzelvertretungsbefugte Vorstandsmitglied der beklagten Partei und an die Geschäftsführerin der klagenden Parteien. Dieses Schreiben brachte klar zum Ausdruck, dass die E***** mit dem Inhalt des Entwurfs der Treuhandvereinbarung nicht einverstanden war, wobei darauf Bezug genommen wurde, dass die Textierung Besprechungen zwischen der beklagten Partei und ihrer Pfandgläubigerin hinsichtlich einer Zustimmung zum beabsichtigten Verkauf zuwiderlaufe. Der beklagten Partei wurden weiters die vertraglichen Vereinbarungen mit der Pfandgläubigerin in Erinnerung gerufen, wobei insbesondere darauf hingewiesen wurde, dass ein Verkauf der Liegenschaft ohne vorherige Zustimmung der E***** als Pfandnehmerin und Kreditgeberin eine Vertragswidrigkeit darstellen würde, bei deren Zuwiderhandeln sämtliche erforderlichen rechtlichen Schritte angedroht wurden.
In der Folge kam es nie zu einer Unterfertigung der Treuhandvereinbarung.
Die Satzung der beklagten Partei enthält unter anderem folgende Bestimmungen:
„IV. Aufsichtsrat
...
§ 13
…
(3) … Der Vorsitzende, im Falle seiner Verhinderung ein Stellvertreter, leitet die Sitzung. ...
(4) Beschlüsse werden mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst. Im Falle der Stimmengleichheit entscheidet – auch bei Wahlen ‑ die Stimme des Leiters der Sitzung.
…
(7) Beschlüsse können auch auf schriftlichem Wege gefasst werden, wenn der Vorsitzende oder im Falle seiner Verhinderung ein Stellvertreter aus besonderen Gründen eine solche Beschlussfassung anordnet und kein Mitglied des Aufsichtsrates diesem Verfahren widerspricht.
(8) Für die schriftliche Stimmabgabe gelten die Bestimmungen des Abs 4. entsprechend. ...“
Der Stellvertreter des Vorsitzenden des Aufsichtsrats der beklagten Partei war nie Mitglied von deren Vorstand.
Die klagenden Parteien begehrten (Hauptbegehren), die beklagte Partei dazu zu verurteilen, in die Einverleibung des Eigentumsrechts zugunsten der erstklagenden Partei hinsichtlich der (im Einzelnen bezeichneten) eingangs dargestellten Wohnungseigentumsanteile einzuwilligen, dies gegen die treuhändig abzuwickelnde Zahlung des Kaufpreises von 80.500.000 EUR, in eventu gegen gerichtliche Hinterlegung des Kaufpreises, in eventu Zug um Zug gegen die Zahlung des Kaufpreises, in eventu der erstklagenden Partei 200.000 EUR samt 4 % Zinsen seit Klagstag zu zahlen.
Als Eventualbegehren begehrten die klagenden Parteien dasselbe wie im Hauptbegehren, aber zugunsten der zweitklagenden Partei.
Die klagenden Parteien brachten vor, die zweitklagende Partei habe sich ausbedungen, den Ankauf durch eine eigens zu gründende Projektgesellschaft, nämlich die erstklagende Partei, durchführen zu lassen. Am 27. 4. 2011 sei den klagenden Parteien der bereits rechtsgültig zustandegekommene Aufsichtsratsbeschluss über die Genehmigung des Kaufvertrags gezeigt worden. Die Bedingung in der Annahmeerklärung des Kaufanbots sei daher eingetreten und somit sei der Kaufvertrag rechtswirksam zustandegekommen. Die beklagte Partei sei aber nicht bereit, sich an diesen Kaufvertrag zu halten.
Die beklagte Partei wendete ein, die Parteien hätten sich über zahlreiche erörterte Punkte nicht geeinigt, es sei weder die Treuhandvereinbarung zustandegekommen noch habe die Pfandgläubigerin E***** zugestimmt. Es liege daher kein rechtsverbindlicher Kaufvertrag vor. Das Geschäft sei auch nicht vom Aufsichtsrat der beklagten Partei genehmigt worden, weil der entsprechende Umlaufbeschluss nicht von allen Aufsichtsratsmitgliedern unterfertigt worden sei. Die Tochter des Vorsitzenden des Aufsichtsrats sei über den Umlaufbeschluss nicht informiert worden. Dass die Tochter des Vorsitzenden des Aufsichtsrats gegen die Beschlussfassung im schriftlichen Verfahren Widerspruch erhoben habe, brachte die beklagte Partei hingegen nicht vor.
Das Erstgericht wies sowohl das Haupt- als auch die Eventualbegehren ab. Es stellte unter anderem den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht zu § 92 Abs 3 AktG über die Beschlussfassung des Aufsichtsrats durch schriftliche Stimmabgabe zusammengefasst aus, eine solche erfordere weder nach dem Gesetz noch nach § 13 Abs 4 und 8 der Satzung der Beklagten erhöhte Quoren, sodass die Unterschriften von fünf Aufsichtsratsmitgliedern sowohl für die Beschlussfähigkeit als für die erforderliche einfache Mehrheit ausreichten. Allerdings sei eine solche Beschlussfassung durch schriftliche Stimmabgabe nur zulässig, wenn kein Mitglied diesem Verfahren widerspreche. Die übrigen Aufsichtsratsmitglieder seien zwar nicht gesondert zur Zustimmung oder zum Widerspruch zur Beschlussfassung im Umlaufweg aufgefordert worden, ihre Beschlussunterfertigung sei aber dahin zu verstehen, dass sie dessen Fassung im schriftlichen Weg nicht widersprächen. Hingegen habe das sechste Aufsichtsratsmitglied den Beschluss nicht unterfertigt, die diesbezügliche Kenntnis dieses Aufsichtsratsmitglieds stehe nicht fest. Das Zustandekommen des Aufsichtsratsbeschlusses sei eine anspruchsbegründende Tatsache, sodass die klagenden Parteien die Beweislast für die Einhaltung des § 92 Abs 3 AktG treffe. Diesen Beweis hätten die klagenden Parteien nicht erbracht, sodass mangels gültigen Aufsichtsratsbeschlusses die Bedingung für das Zustandekommen des Kaufvertrags nicht eingetreten sei.
Das Berufungsgericht änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, dass es dem Hauptbegehren stattgab. Es sprach aus, die beklagte Partei sei schuldig, in die Einverleibung des Eigentumsrechts zugunsten der erstklagenden Partei hinsichtlich der (im Einzelnen bezeichneten) eingangs dargestellten Wohnungseigentumsanteile einzuwilligen, dies gegen die treuhändig abzuwickelnde Zahlung des Kaufpreises von 80.500.000 EUR, wobei der Treuhänder vom Präsidenten der österreichischen Notariatskammer zu bestimmen sei.
In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, nach dem unmissverständlichen Text sowohl des Gesetzes als auch der Satzung sei Einstimmigkeit bei einer Beschlussfassung im schriftlichen Weg nicht erforderlich. Es dürfe nur kein Widerspruch gegen die Beschlussfassung im schriftlichen Weg vorliegen. Der aus sechs Personen bestehende Aufsichtsrat der Beklagten habe mit fünf Unterschriften dem Kaufvertragsabschluss mit der erforderlichen Mehrheit zugestimmt. Dass dieser an sich ausreichende Mehrheitsbeschluss doch unwirksam sei, weil eines der sechs Aufsichtsratsmitglieder Widerspruch gegen diese Art der Beschlussfassung erhoben hätte, sei eine anspruchsvernichtende Tatsache, für die somit die Beklagte die Behauptungs- und Beweislast treffe. Sie habe solches nicht einmal vorgebracht und anhand der getroffenen Negativfeststellung auch nicht bewiesen. Es stelle sich die Frage, ob die Kenntnis eines jeden Aufsichtsratsmitglieds von der beabsichtigten Abstimmung auf schriftlichem Weg, also die Voraussetzung für den allfälligen Widerspruch, als anspruchsbegründend (im Sinne der erstgerichtlichen Rechtsauffassung) von den Klägerinnen oder gleichermaßen als anspruchsvernichtend von der Beklagten zu beweisen sei. Diese Differenzierung könne aber dahingestellt bleiben: Nach nunmehr herrschender höchstgerichtlicher Rechtsprechung habe grundsätzlich jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu beweisen. Eine davon abweichende Beweislastverschiebung sei auf Ausnahmefälle beschränkt, in denen die „Nähe zum Beweis“ ‑ im Einzelfall ‑ den Ausschlag für die Zuteilung der Beweislast gebe; etwa dann, wenn Tatfragen zu klären seien, die „tief in die Sphäre einer Partei hineinführen“. Derjenige, den die Beweislast nach der allgemeinen Regel treffe, müsse seiner Beweispflicht in dem ihm zumutbaren Ausmaß nachkommen. Zu einer Verschiebung der Beweislast komme es ‑ in der dargelegten Situation ‑ (nur) dann, wenn für die eine Partei mangels genauer Kenntnis der Tatumstände ganz besondere, unverhältnismäßige Beweisschwierigkeiten bestünden, während der anderen Partei diese Kenntnisse zur Verfügung stünden und es ihr daher nicht nur leicht möglich, sondern nach Treu und Glauben auch ohne weiteres zumutbar sei, die erforderlichen Aufklärungen zu geben (vgl 10 Ob 21/08y mwN).
Im vorliegenden Fall gehe es einerseits um eine Kaufvertragspartei, die keinerlei Einblick in die Interna ihres Vertragspartners bzw dessen organschaftliche Willensbildung habe. Eine seriöse Beweisführung, dass auch das sechste Aufsichtsratsmitglied von der beabsichtigten Abstimmung im Umlauf positiv informiert worden sei, wäre ihr schlicht unmöglich, da sie keinerlei Kenntnis etwa darüber haben könne, wie der Vertragspartner im Vorfeld derartiger Abstimmungen den Informationsfluss zur Sicherstellung seiner Entscheidungsfähigkeit üblicherweise gestalte, und welche atypische Besonderheit die Kenntnisnahme allenfalls verhindert hätte. Jedes Beweisanbot mit der schlichten Behauptung der Kenntnisnahme, jedoch ohne Möglichkeit der konkreten Darlegung, wie die Information faktisch verbreitet worden sei, käme in Wahrheit einem unzulässigen Erkundungsbeweis gleich. Andererseits lägen all diese Vorgänge gerade in der unmittelbaren Sphäre jener anderen Kaufvertragspartei, deren interne Willensbildung in Rede stehe. Ihr sei das Wissen ihrer Organwalter darüber zuzurechnen, wie sie ihren Informationsfluss zwecks Fassens ordnungsgemäßer Beschlüsse üblicherweise gestalte und welches Problem im konkreten Streitfall gegebenenfalls aufgetreten sei. Es sei daher der Beklagten die Beweislast dafür zuzuweisen, dass die sowohl vom Aufsichtsratsvorsitzenden als auch seinem Stellvertreter und dreier weiterer Aufsichtsratsmitglieder durch ihre Unterschrift dokumentierte Absicht zur Genehmigung des gegenständlichen Kaufvertrags mittels Umlaufbeschlusses dem verbleibenden sechsten Aufsichtsratsmitglied verborgen geblieben sei. Dieser Umstand gehe aus der erstgerichtlichen Negativfeststellung nicht hervor, biete das non liquet doch Raum sowohl für das Unterbleiben als auch für das Stattfinden der in Rede stehenden Information. Wenn im Sinne dieser Beweislastverteilung das sechste Aufsichtsratsmitglied über die beabsichtigte Beschlussfassung im schriftlichen Weg informiert gewesen sei und sei ihr Widerspruch dagegen gerade nicht festgestellt, hafte der Willensbildung der beklagten Verkäuferin kein Fehler an.
Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, wen die Beweislast für die ausreichende Information aller Aufsichtsratsmitglieder von der beabsichtigten Beschlussfassung im schriftlichen Wege (als Wirksamkeitsvoraussetzung eines Aufsichtsrats-Umlaufbeschlusses) treffe.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die klagenden Parteien beantragen in der Revisionsbeantwortung, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
Folgendes wurde erwogen:
1. Im vorliegenden Fall geht es zwar zunächst um die Auslegung einer Bestimmung der Satzung der beklagten Aktiengesellschaft (§ 13) und um die damit im Zusammenhang stehende Beweislastfrage. Insofern handelt es sich um eine ‑ grundsätzlich nicht revisible ‑ Auslegung im Einzelfall. Da die angeführte Satzungsbestimmung, insbesondere § 13 Abs 7, inhaltlich im Wesentlichen § 92 Abs 3 Satz 1 AktG ( „Beschlussfassungen durch schriftliche Stimmabgabe sind nur zulässig, wenn kein Mitglied diesem Verfahren widerspricht“. ) entspricht, betreffen die angeführten Rechtsfragen mittelbar auch die Auslegung eines Gesetzes, weshalb diese bisher vom Obersten Gerichtshof noch nicht beantworteten Rechtsfragen über den Einzelfall hinaus Bedeutung haben.
2. Der Oberste Gerichtshof erachtet die Begründung des Berufungsgerichts für zutreffend und verweist die Revisionswerberin darauf (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).
3. In Erwiderung der Argumente der Revisionswerberin wird Folgendes ausgeführt:
3.1.1. Die Revisionswerberin sieht eine Nichtigkeit des Berufungsurteils infolge Verletzung des rechtlichen Gehörs dadurch verwirklicht, dass das Berufungsgericht keine Berufungsverhandlung durchgeführt habe und sich die beklagte Partei zu der vom Berufungsgericht zu Ungunsten der beklagten Partei verteilten Beweislast nicht habe äußern können.
3.1.2. Dem ist zu entgegnen: Die durch das Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl I 2009/52, herbeigeführte Änderung des § 480 ZPO, mit der die Möglichkeit eines Antrags auf Abhaltung einer Berufungsverhandlung aufgehoben und wonach eine mündliche Berufungsverhandlung nur noch erforderlichenfalls ‑ etwa aufgrund der Komplexität der zu entscheidenden Rechtssache ‑ von Amts wegen anzuberaumen ist, verstößt nicht gegen Art 6 MRK und den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (RIS-Justiz RS0126298).
Im Übrigen handelt es sich bei der Frage der Beweislast um eine Rechtsfrage (RIS‑Justiz RS0022549; 6 Ob 83/05g; 2 Ob 109/07g), zu der sich die Rechtsmittelvertreterin sohin auch noch im Revisionsverfahren äußern konnte, wovon sie in ihrem Rechtsmittel auch Gebrauch gemacht hat.
3.2. Die gerügten Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit und der Aktenwidrigkeit wurden vom Obersten Gerichtshof geprüft; sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
3.3.1. Zur Rechtsrüge ist die Revisionswerberin nochmals auf die zutreffenden Gründe des Berufungsurteils zu verweisen (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).
Diese Ausführungen werden folgendermaßen ergänzt:
3.3.2. Die Revisionswerberin will die schon mehrfach angesprochene Negativfeststellung (es kann nicht festgestellt werden, ob die Tochter des Vorsitzenden des Aufsichtsrats von dem Beschluss oder von dessen Fassung im Umlaufweg wusste) dahin in eine Positivfeststellung umdeuten, nicht alle Mitglieder des Aufsichtsrats seien über die Beschlussfassung im Umlaufweg informiert gewesen. Insoweit geht die Rechtsrüge nicht vom festgestellten Sachverhalt aus und ist daher nicht gesetzmäßig ausgeführt.
3.3.3. Die Revisionswerberin meint, auch die klagenden Parteien hätten durch Beantragung der Einvernahme der Aufsichtsratsmitglieder als Zeugen durch deren Aussage klären können, wie der Kenntnisstand der Tochter des Vorsitzenden des Aufsichtsrats bezüglich den Umlaufbeschluss war. Dass die beklagte Partei beweisen müsse, dass sie keine Kenntnis davon gehabt habe, widerspräche dem Grundsatz, dass Negativtatsachen nicht zu beweisen seien („negativa non sunt probanda“).
Dem ist zu entgegnen: Dem Argument der Schwierigkeit des „Negativbeweises“ kommt nach neuerer Auffassung keine entscheidende Bedeutung zu (RIS-Justiz RS0040182 [T6]). Selbst wenn man die von der Revisionswerberin angedachte Beweisführung als zulässig ansähe (vgl RIS-Justiz RS0039973: grundsätzlich unzulässiger Erkundungsbeweis; hingegen wird der Beweis dann nicht als unzulässiger Ausforschungsbeweis anzusehen sein, wenn die antragstellende Partei einen konkreten rechtserheblichen Sachverhalt als Beweisthema vorträgt, selbst wenn sie im Zeitpunkt der Antragstellung von dem Bestand und der Richtigkeit des vorgetragenen Sachverhalts keineswegs überzeugt ist; vgl aber auch RIS-Justiz RS0039881; RS0040023 [T6]), wäre die dadurch erstrebte Information für die klagenden Parteien nicht zu erlangen gewesen: Gemäß § 84 Abs 1 zweiter Satz iVm § 99 AktG haben die Aufsichtsratsmitglieder über vertrauliche Angaben Stillschweigen zu bewahren (Strasser in Jabornegg/Strasser AktG5 [2010] §§ 98, 99 Rz 39). Diese Verpflichtung erfasst auch das Beratungs- und Abstimmungsgeheimnis (Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2 [2012] § 99 Rz 21). Die Aufsichtsratsmitglieder hätten daher die Aussage verweigern dürfen, weil sie sonst eine staatlich anerkannte Pflicht zur Verschwiegenheit verletzt hätten (§ 321 Abs 1 Z 3 ZPO). Da die Aufsichtsratsmitglieder einer objektiv normierten Sorgfaltspflicht (deren Verletzung haftbar macht, vgl nur Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2 [2012] § 99 Rz 37 f) unterliegen (§ 84 Abs 1 erster Satz iVm § 99 AktG; Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2 [2012] § 99 Rz 5), hätten sie ohne Entbindung von ihrer Verschwiegenheitspflicht durch die beklagte Partei die Aussage darüber sogar verweigern müssen.
Die Verschwiegenheitsverpflichtung der Aufsichtsratsmitglieder gilt freilich nicht gegenüber der beklagten Aktiengesellschaft oder gegenüber dem Vorstand derselben (vgl C. Nowotny in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2 [2012] § 84 Rz 14). Im Sinne der erwähnten Sorgfaltspflicht der Aufsichtsratsmitglieder hätten sie gegenüber der beklagten Aktiengesellschaft sogar reden müssen, wäre ihre Aussage doch wesentlich dafür, wie die beklagte Partei bestmöglich den gegenständlichen Prozess führen könne. Für die beklagte Partei war es daher sehr leicht, sich die nötige Information betreffend die in Rede stehende Negativfeststellung zu besorgen. Dieser Befund bestärkt die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass hier kraft der für die beklagte Partei gegebenen „Nähe zum Beweis“ diese beweispflichtig ist: Nach der ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung kommt es zu einer Verschiebung der Beweislast dann, wenn der Kläger mangels genauer Kenntnis der Tatumstände ganz besondere, unverhältnismäßige Beweisschwierigkeiten hat, wogegen dem Beklagten diese Kenntnisse zur Verfügung stehen und es ihm daher nicht nur leicht möglich, sondern nach Treu und Glauben auch ohne weiteres zumutbar ist, die erforderlichen Aufklärungen zu geben (RIS-Justiz RS0037797 [T19, T24]).
3.3.4. Die Revisionswerberin bringt vor, der berufungsgerichtliche Urteilsspruch sei undurchführbar, weil die Hypothekargläubigerin E***** einer Lastenfreistellung der gegenständlichen Liegenschaftsanteile nicht zugestimmt habe. Das Klagebegehren sei unbestimmt.
Schon das Erstgericht hat in seinen Feststellungen diesbezüglich (zutreffend) von einer allfälligen Vertragswidrigkeit gesprochen. Eine solche mag Gewährleistungs- oder Schadenersatzansprüche auslösen, macht aber den Urteilsspruch nicht undurchführbar. Inwiefern das auf Einwilligung gerichtete Klagebegehren unbestimmt (und dadurch allenfalls nicht exequierbar) sein soll, ist nicht ersichtlich und kann von der Revisionswerberin auch nicht plausibel dargestellt werden.
3.3.5. Die Revisionswerberin führt weiter aus, dass nach einem Teil der Lehre und Rechtsprechung bei einer Beschlussfassung außerhalb von Sitzungen Einstimmigkeit vorliegen müsse.
Dazu ist zunächst festzuhalten, dass sich diese Ansicht auf keine gesetzliche Bestimmung gründen kann. Die Revisionswerberin führt auch keine einzige Entscheidung dazu an. Soweit sie auf Kommentierungen zu den §§ 833 bis 835 ABGB verweist, handelt es sich dabei nicht um Normen zur Willensbildung im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft, sondern vielmehr um solche der Miteigentumsgemeinschaft. Im Übrigen wird in der Lehre vertreten, dass (auch bei schriftlicher Beschlussfassung) die einfache Mehrheit ausreicht (Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht [2008] Rz 3/559 iVm 3/563; Strasser in Jabornegg/Strasser AktG5 [2010] §§ 92 ‑ 94 Rz 68). Schließlich ist auf die Satzung der beklagten Partei zu verweisen, die in § 13 Abs 4 und 8 eindeutig auch bei Beschlussfassung im schriftlichen Weg die einfache Mehrheit für einen Aufsichtsratsbeschluss genügen lässt.
3.3.6. Die Revisionswerberin führt aus, da jedem Mitglied des Aufsichtsrats gemäß § 92 Abs 3 AktG das zwingende Recht zustehe, einer beabsichtigten schriftlichen Beschlussfassung im Umlaufweg zu widersprechen, müsse jedem Mitglied des Aufsichtsrats die beabsichtigte Beschlussfassung durch schriftliche Stimmabgabe auch tatsächlich zugegangen sein.
Dies ist richtig, ändert aber nichts daran, dass diesbezüglich eine Negativfeststellung betreffend die Tochter des Vorsitzenden des Aufsichtsrats getroffen wurde und hier die beklagte Partei die Beweislast trifft (vgl 3.3.3.). Daher sind auch alle weiteren Ausführungen der Revisionswerberin irrelevant, die davon ausgehen, es hätten nicht alle Aufsichtsratsmitglieder von der Beschlussfassung im schriftlichen Weg gewusst.
3.3.7. Die Revisionswerberin meint, es sei dem Erfordernis der Schriftlichkeit des Aufsichtsratsbeschlusses nicht genügt worden, weil den Vertretern der Klägerin der Aufsichtsratsbeschluss nur auf einem Laptop gezeigt wurde.
Dies übergeht, dass dem (wohl eingescannten) Aufsichtsratsbeschluss das schriftliche Original zugrundelag.
3.3.8. Da die beklagte Partei einen Widerspruch der Tochter des Vorsitzenden des Aufsichtsrats gegen die Beschlussfassung durch schriftliche Stimmabgabe nicht behauptet hat, muss auf die Frage, welche Partei hier im Fall einer Negativfeststellung die Beweislast trifft, nicht eingegangen werden.
4.1. Als Ergebnis wird festgehalten: Die Beweislast dafür, dass bei einer Beschlussfassung durch schriftliche Stimmabgabe im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft gemäß § 92 Abs 3 AktG nicht alle Aufsichtsratsmitglieder von der Abstimmung im schriftlichen Weg Kenntnis hatten, trifft die Aktiengesellschaft.
4.2. Da die beklagte Aktiengesellschaft diesen Beweis nicht erbracht hat, ist von der Kenntnis der Tochter des Vorsitzenden des Aufsichtsrats über die Beschlussfassung durch schriftliche Stimmabgabe auszugehen, weshalb mangels behaupteten Widerspruchs der Tochter des Vorsitzenden des Aufsichtsrats gegen dieses Verfahren von einem gültigen Aufsichtsratsbeschluss auszugehen ist. Die aufschiebende Bedingung für die Wirksamkeit des Kaufvertrags ist daher eingetreten, was zur Klagsstattgebung führt.
5. Der Ausspruch über die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 bis 3 ZPO. Das Berufungsgericht hat ‑ im Gegensatz zum Erstgericht ‑ die Kostenentscheidung erster und zweiter Instanz wegen der Komplexität der Kostenentscheidung vorbehalten. Daran ist auch der Oberste Gerichtshof gebunden. Nach § 52 Abs 3 ZPO hat das Erstgericht die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu bestimmen (6 Ob 133/13x = SZ 2014/4 = RIS-Justiz RS0129336). Soweit die Revisionswerberin diese Vorgangsweise des Berufungsgerichts kritisiert, ist ihr zu entgegnen, dass gemäß § 52 Abs 1 Satz 2 ZPO der Kostenvorbehalt nicht angefochten werden kann.
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