OGH 9ObA35/16m

OGH9ObA35/16m25.5.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner und die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und Mag. Robert Brunner in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei D***** F*****, vertreten durch Dr. Gottfried Kassin, Rechtsanwalt in St. Veit/Glan, gegen die beklagte Partei Ö***** GmbH, *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Feststellung eines aufrechten Dienstverhältnisses (Streitwert: 40.000 EUR), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Dezember 2015, GZ 7 Ra 57/15d‑37, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 21. April 2015, GZ 43 Cga 87/14g‑32, Folge gegeben und das Ersturteil aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00035.16M.0525.000

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.839,26 EUR (darin 306,66 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung zu ersetzen.

Begründung

Der Kläger wurde am 24. 4. 1989 als Schrankenbediener bei den Ö***** aufgenommen, am 1. 5. 1993 nach den Bestimmungen des § 2 der B*****-Besoldungsordnung 1963 angestellt und mit 1. 10. 1993 definitiv (unkündbar) gestellt. Mit Wirksamkeit zum 1. 1. 2005 ging sein Dienstverhältnis im Weg eines Betriebsübergangs auf die Beklagte über, bei der er zuletzt als Omnibuslenker beschäftigt war. Am 6. 9. 2013 leitete die Beklagte gegen ihn wegen des Verdachts von Dienstpflichtverletzungen ein Disziplinarverfahren ein. Nach sechs über Ersuchen des Klägers vorgenommenen Vertagungen wurde die Disziplinarverhandlung über seinen Wunsch für den 24. 3. 2014 anberaumt und sodann in Abwesenheit des Klägers und seines Verteidigers, jedoch unter Beiziehung eines Pflichtverteidigers (Betriebsratsvorsitzender) durchgeführt. Nachdem die Disziplinarkommission in ihrem Disziplinarerkenntnis festgestellt hatte, dass der Kläger einen Entlassungsgrund gesetzt hatte, wurde ihm mit Schreiben vom 25. 3. 2014 die Entlassung ausgesprochen, die er im vorliegenden Verfahren im Wege der Klage auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses über den 26. 3. 2014 hinaus bekämpft.

Das Erstgericht erachtete das Nichterscheinen des Klägers und seines gewählten Vertreters bei der Disziplinarverhandlung vom 24. 3. 2014 nach den zahllosen Vertagungsbitten als bewussten Versuch, die Entscheidung der Disziplinarkommission so lange wie möglich hinauszuzögern. Dass er krankheitsbedingt an dieser Verhandlung nicht teilnehmen habe können, sei nicht feststellbar. Das Verhalten des Klägers im Krankenstand (trotz Wirbelsäulenbeschwerden – neben diversen anderen Aktivitäten privater Natur – Hantieren mit einem mehrere hundert Kilo schweren Anhänger) sei krass genesungswidrig gewesen. Seine Entlassung sei daher gerechtfertigt; die Feststellungsklage sei abzuweisen.

Das Berufungsgericht hob mit dem angefochtenen Beschluss das Ersturteil auf, ließ jedoch den Rekurs zur Frage zu, ob im Rahmen des Disziplinarverfahrens das rechtliche Gehör des Klägers verletzt worden sei, weil es trotz seiner Entschuldigung und des Nichterscheinens des Verteidigers durchgeführt worden sei.

Dagegen richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag auf Abänderung durch Stattgebung des Klagebegehrens; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 526 Abs 2 ZPO) – Zulassungsausspruch liegt keine Rechtsfrage von der Bedeutung des § 528 Abs 1 ZPO vor. Die Zurückweisung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§§ 528a, 510 Abs 3 ZPO).

1. Der Kläger sieht zunächst eine Gehörverletzung darin, dass die Disziplinarverhandlung trotz ärztlicher Bestätigung seiner Verhandlungsunfähigkeit in seiner Abwesenheit mit einem uninformierten Pflichtverteidiger durchgeführt worden sei.

Die gerichtliche Überprüfbarkeit eines Disziplinarerkenntnisses und des vorgeschalteten Disziplinarverfahrens besteht nicht nur in Bezug auf die angelasteten Disziplinarvergehen, sondern auch im Hinblick auf schwerwiegende Mängel des Disziplinarverfahrens, bei deren Vermeidung die Disziplinarkommission zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre (s RIS-Justiz RS0050930; zuletzt 9 ObA 133/15x mwN). Darunter sind vor allem schwerwiegende Verletzungen unabdingbarer fundamentaler Grundsätze eines fairen Verfahrens zu verstehen, die unabhängig davon, ob die Entscheidung sachlich richtig ist, dem Gewicht von Nichtigkeitsgründen entsprechen. Andere Verfahrensmängel, die Auswirkung auf die Sachentscheidung haben, denen Relevanz im Hinblick auf diese zukommt und damit den Tatbestand der Dienstverfehlung betreffen, werden ohnehin bei der Überprüfung des Disziplinarerkenntnisses berücksichtigt (9 ObA 1/99h mwN).

Der Grundsatz des Parteiengehörs fordert nur, dass der Partei ein Weg eröffnet wird, auf dem sie ihre Argumente für ihren Standpunkt sowie überhaupt alles vorbringen kann, was der Abwehr eines gegen sie erhobenen Anspruchs dienlich ist. Rechtliches Gehör ist der Partei auch dann gegeben, wenn sie sich nur schriftlich äußern konnte oder geäußert hat (s RIS-Justiz RS0006048). In der Nichtvernehmung einer Prozesspartei als Partei zu Beweiszwecken kann schon begrifflich keine Verletzung des rechtlichen Gehörs gelegen sein (RIS-Justiz RS0042237).

Die Argumentation des Rekurses übergeht, dass ein krankheitsbedingtes Fernbleiben des Klägers von der Disziplinarverhandlung von den Tatsacheninstanzen gerade nicht feststellbar war. Da auch keine anderen sachlichen Gründe für sein Nichterscheinen hervorgekommen sind, gingen die Vorinstanzen zu Recht von einem unentschuldigten Fernbleiben des Klägers von der Disziplinarverhandlung aus. Der Kläger bezweifelt auch nicht, dass die Disziplinarverhandlung vor dem 24. 3. 2014 bereits sechs Mal anberaumt und über seine Ersuchen wieder abberaumt worden war, dass sowohl er als auch der von ihm gewählte Verteidiger ordnungsgemäß zu dem sodann für den 24. 3. 2014 anberaumten Verhandlungstermin geladen worden waren, dass er auch diese Verhandlung wieder verlegt haben wollte, weil er erkrankt und sein Verteidiger „beruflich unabkömmlich“ sei, und dass er – nachdem diesem Vertagungsersuchen nicht mehr stattgegeben und die Beiziehung eines Pflichtverteidigers angekündigt wurde – seinem Verteidiger unmittelbar vor der Disziplinarverhandlung die Vollmacht aufkündigte. Die Bestellung des Pflichtverteidigers durch die Disziplinarkommission entsprach § 18 Abs 1 der Disziplinarordnung 2004 idF 2009. Aus diesem Verlauf gehen keine Umstände hervor, die darauf schließen ließen, dass der Kläger zu den ihm vorgeworfenen Entlassungsgründen nicht ausreichend Stellung nehmen hätte können. Wenn die Vorinstanzen hier keine Gehörverletzung im Sinn der dargestellten Rechtsprechung erkennen konnten, ist dies nicht weiter korrekturbedürftig.

2. Dass die Disziplinarverhandlung im Hinblick auf die Bestimmung des § 14 Abs 5 Disziplinarordnung 2004 idF 2009 nicht stattfinden hätte dürfen, ist unzutreffend: Die Bestimmung sieht zwar vor, dass dann, wenn der ausgewiesene Verteidiger zur mündlichen Verhandlung nicht erscheint, die Verhandlung nicht durchzuführen ist. Zu jenem Zeitpunkt war der Kläger nach Aufkündigung der seinem Verteidiger erteilten Vollmacht allerdings als unvertreten anzusehen.

3. Das Vorbringen des Klägers zur Unwirksamkeit der Disziplinarordnung 2004 idF 2009 ist nicht nachvollziehbar, da sie bereits am 25. 2. 2010 mit Wirkung zum 1. 7. 2009 auch mit der Beklagten und nicht „nur für das Unternehmen P***** GmbH *****“ abgeschlossen wurde (Beil ./3) und die Reduzierung der Zahl der Regionalmanagements der Beklagten noch keinen Grund zur Annahme gibt, dass damit die Wirksamkeit der genannten Disziplinarordnung für den Kläger weggefallen sei.

4. Zur Frage, ob der Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds in der Disziplinarkommission ein gültiger Entsendungsbeschluss des Betriebsrats zugrunde lag, ist auf den Grundsatz zu verweisen, dass der Betriebsinhaber weder berechtigt noch verpflichtet ist, Untersuchungen über die interne Willensbildung des Betriebsrats anzustellen, wenn ihm die dabei allenfalls unterlaufene Verletzung der Vorschriften über die Willensbildung des Betriebskollegiums nicht bekannt war und auch nicht auffallen musste (RIS-Justiz RS0051485; RS0051490). Dieser grundlegende Gedanke ist verallgemeinerungsfähig und reicht über die Fälle der Zustimmung nach § 105 ArbVG hinaus (RIS-Justiz RS0051485 [T3]; RS0051490 [T4]; zuletzt etwa 9 ObA 114/15b). Auch hier liegen aber keine Gründe dafür vor, dass die Beklagte wegen der Beiziehung eines Betriebsratsmitglieds zur Disziplinarverhandlung an der Rechtmäßigkeit der Zusammensetzung der Disziplinarkommission zweifeln hätte müssen, zumal sie auch vom anwesenden Betriebsratsvorsitzenden nicht beanstandet wurde.

5. Zum Vorbringen, dass der Schuldspruch entgegen der Bestimmung des § 48 Abs 1 Disziplinarordnung 2004 idF 2009 – der Kläger unterliege nicht der Bestimmung des § 27 AngG – nicht einstimmig gefällt worden sei, wurde im Berufungsverfahren keine Rechtsrüge, auch nicht zu sekundären Feststellungsmängeln, erhoben. Dies kann aber im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr nachgetragen werden (s RIS-Justiz RS0043573). Die Überprüfung der rechtlichen Beurteilung des Berufungsurteils durch den Obersten Gerichtshof beschränkt sich auf jene Umstände, die Gegenstand des Berufungsverfahrens waren (RIS-Justiz RS0043573 [T41]).

6. Der Kläger bringt weiter vor, dass im Disziplinarerkenntnis eine frühere über ihn verhängte Disziplinarstrafe als erschwerend erachtet worden sei, diese aber vom Erstgericht im Verfahren 32 Cga ***** für rechtsunwirksam erklärt worden sei. Bereits das Berufungsgericht wies darauf hin, dass im vorliegenden Verfahren zu beurteilen sei, ob das Disziplinarverfahren den Vorschriften der Disziplinarordnung bzw den Grundsätzen eines fair trial entsprochen habe und ob der Kläger inhaltlich einen Entlassungsgrund verwirklicht habe, wofür die Frage, warum eine frühere Disziplinarstrafe nachträglich für rechtsunwirksam erklärt worden sei, keine Rolle spiele. Eine andere Relevanz zeigt der Kläger auch nun nicht auf.

7. Mit seinen Ausführungen zu vermeintlichen Mängeln des Berufungsverfahrens will der Kläger die Behandlung seiner Beweisrügen durch das Berufungsgericht einem anderen Ergebnis zuführen. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über eine Beweisrüge ist aber mangelfrei, wenn es sich mit dieser überhaupt befasst, die Beweiswürdigung des Erstgerichts überprüft und nachvollziehbare Überlegungen über die Beweiswürdigung angestellt und in seinem Urteil festhält (RIS-Justiz RS0043150). Das ist hier der Fall. Im Übrigen kann die Rechtsmittelbeschränkung nicht dadurch umgangen werden, das ein unerwünschtes Ergebnis der Behandlung der Beweisrüge als Mangel des Berufungsverfahrens releviert wird (s RIS-Justiz RS0043150 [T8]).

8. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 528 Abs 1 ZPO ist der Rekurs daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO (RIS‑Justiz RS0123222); die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen.

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