OGH 8ObA73/15s

OGH8ObA73/15s24.5.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Dr. Weixelbraun‑Mohr (Senat gemäß § 11a Abs 3 ASGG) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Österreichischer Gewerkschaftsbund, *****, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Post AG, *****, vertreten durch CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Abschluss eines Kollektivvertrags, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 3. August 2015, GZ 7 Ra 59/15w‑22, mit dem der Beschluss des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 18. Juni 2014, GZ 1 Cga 82/13d‑13 abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:008OBA00073.15S.0524.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.329,84 EUR (darin 221,64 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung

Zwischen den Parteien wurde bisher kein Kollektivvertrag über eine betriebliche Pensionskassenzusage für die der Beklagten zur Dienstleistung (nach § 17 Abs 1a PTSG) zugewiesenen Bundesbediensteten abgeschlossen.

Der Kläger begehrt von der Beklagten den Abschluss eines solchen Kollektivvertrags nach § 22a GehG.

Die Beklagte erhob (neben anderen Einwänden) die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs.

Das Erstgericht wies die Klage (mit einem als Urteil bezeichneten Beschluss) „ab“, wobei es in seiner Begründung die Zulässigkeit des Rechtswegs verneinte, im Übrigen aber auch das Klagebegehren als nicht berechtigt erachtete.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Klägers Folge, änderte den Beschluss des Erstgerichts dahin ab, dass es die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs verwarf, und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf.

Im Zweifel müssten gemäß § 1 JN über bürgerliche Rechtssachen die Gerichte entscheiden. Für die Frage, ob eine bürgerliche Rechtssache vorliegt, sei in erster Linie der Wortlaut des Klagebegehrens und darüber hinaus der Klagssachverhalt maßgebend. Es komme darauf an, ob nach dem Inhalt der Klage ein privatrechtlicher Anspruch erhoben werde, über den die ordentlichen Gerichte zu entscheiden haben. Das Begehren des Klägers auf Abschluss eines Kollektivvertrags sei als bürgerliche Rechtssache zu qualifizieren, weil es sich dabei um einen (behaupteten) Anspruch auf Abschluss eines privatrechtlichen Vertrags zwischen gleichberechtigten Rechtssubjekten handle. Die von der Beklagten zitierte Entscheidung 9 ObA 66/11p, in der die Zulässigkeit des Rechtswegs verneint wurde, sei hier nicht einschlägig, weil im dort entschiedenen Fall ein Beamter gegen den Bund auf der Grundlage des Kollektivvertrags einen Anspruch auf Erteilung einer Pensionskassenzusage erhoben habe. Auf die Frage, ob das hier erhobene Klagebegehren berechtigt sei, müsse im derzeitigen Verfahrensstand nicht eingegangen werden.

Den Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Rekursgericht mit der Begründung zu, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob für ein Begehren von kollektivvertragsfähigen Parteien auf Abschluss eines Kollektivvertrags nach § 22a GehG die Zulässigkeit des Rechtswegs gegeben sei.

Die Beklagte wendet sich mit ihrem Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Rekursgerichts und beantragt dessen Abänderung dahin, dass die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückgewiesen werde.

Der Kläger beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise, ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.

1.  § 22 GehG („Pensionskassenvorsorge“) hat – soweit hier von Interesse – folgenden Wortlaut:

„(1) Der Bund hat allen nach dem 31. Dezember 1954 geborenen Beamten eine betriebliche Pensionskassenzusage im Sinne des § 2 Z 1 des Betriebspensionsgesetzes (BPG), BGBl. Nr. 282/1990, und des § 3 Abs. 1 des Pensionskassengesetzes (PKG), BGBl. Nr. 281/1990, zu erteilen. Zu diesem Zweck kann der Bund einen Kollektivvertrag nach Abs. 2 in Verbindung mit § 3 BPG mit dem Österreichischen Gewerkschaftsbund – Gewerkschaft Öffentlicher Dienst sowie einen Pensionskassenvertrag nach § 15 PKG abschließen. …

(2) Soweit dies zur Regelung der Pensionskassenvorsorge der Beamten erforderlich ist, ist abweichend von § 1 Abs. 2 Z 3 des Arbeitsverfassungsgesetzes (ArbVG), BGBl. Nr. 22/1974, und von § 3 Abs. 1a Z 1 BPG ein Kollektivvertrag abzuschließen. Der Kollektivvertrag hat insbesondere Regelungen über das Beitrags- und Leistungsrecht entsprechend dem BPG und PKG zu enthalten. Im Übrigen finden auf diesen Kollektivvertrag die Bestimmungen des 1. Hauptstückes des I. Teiles des ArbVG Anwendung. …

(3) Der Bund wird beim Abschluss des Kollektivvertrages und des Pensionskassenvertrages durch den Bundeskanzler vertreten.

(5) Die Abs. 1 bis 3 sind auf nach § 17 Abs. 1a des Poststrukturgesetzes (PTSG), BGBl. Nr. 201/1996, zur Dienstleistung zugewiesene Beamte mit den Maßgaben anzuwenden, dass

           1. vom jeweiligen Unternehmen auch eine überbetriebliche Pensionskassenzusage erteilt werden kann,

           2. an die Stelle des in Abs. 3 angeführten Bundeskanzlers der Vorstandsvorsitzende des jeweiligen Unternehmens tritt und der Kollektivvertrag nach den Abs. 1 und 2 mit dem Österreichischen Gewerkschaftsbund – Gewerkschaft der Post‑ und Fernmeldebediensteten abzuschließen ist, und

           3. die Regelungen des Kollektivvertrages des Bundes über die Einbeziehung von Beamten in die Pensionskasse, über das Beitragsrecht und über das Leistungsrecht auch für die nach § 17 Abs. 1a PTSG zur Dienstleistung zugewiesenen Beamten gelten.“

2.  Gegenstand der hier zu treffenden Entscheidung ist nicht, ob der geltend gemachte Anspruch überhaupt besteht bzw ob er – falls dies zu bejahen sein sollte – gegenüber der hier beklagten Partei besteht. Zu beurteilen ist vielmehr ausschließlich die Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs, für die nach der vom Rekursgericht zutreffend wiedergegebenen Rechtsprechung in erster Linie der Wortlaut des Klagebegehrens und darüber hinaus der Klagssachverhalt (die Klagsbehauptungen) maßgebend sind. Maßgeblich ist die Natur, das Wesen des geltend gemachten Anspruchs, wofür wiederum der geltend gemachte Rechtsgrund von ausschlaggebender Bedeutung ist. Ohne Einfluss ist es hingegen, was der Beklagte einwendet oder ob der behauptete Anspruch begründet ist; es kommt nur darauf an, ob nach dem Inhalt der Klage ein privatrechtlicher Anspruch erhoben wird, über den die ordentlichen Gerichte zu entscheiden haben (RIS‑Justiz RS0045584).

3.  Der Kollektivvertrag ist nach nunmehr völlig herrschender Ansicht eine Institution des Privatrechts, auch wenn die Regelungen des ArbVG, die den Kollektivvertragsparteien ihre Fähigkeit zum Abschluss solcher Verträge (§§ 4 ff ArbVG) sowie eine Rechtssetzungsbefugnis (§ 11 ArbVG) einräumen und das Verhältnis zu anderen Rechtsquellen normieren (§ 3 ArbVG), öffentlich‑rechtlicher Natur sind. Die vorhandenen Indizien auf einen öffentlich-rechtlichen Charakter des normativen Teils vermögen das privatrechtliche Gesamtbild nicht entscheidend zu beeinträchtigen ( Strasser in Strasser / Jabornegg / Resch , ArbVG § 2 Rz 5 mwN; Runggaldier in Tomandl , ArbVG § 2 Rz 1 mwN; Reissner in Neumayr / Reissner , ZellKomm 2 § 2 ArbVG Rz 19, 24).

§ 2 Abs 1 ArbVG definiert Kollektivverträge als Vereinbarungen, die zwischen kollektivvertragsfähigen Körperschaften der Arbeitgeber einerseits und der Arbeitnehmer andererseits schriftlich abgeschlossen werden. Das Wesensmerkmal der „Vereinbarung“ impliziert, dass die Parteien zu einer Willensübereinstimmung im Sinn des allgemeinen Zivilrechts kommen müssen (s Reissner in Neumayr / Reissner , ZellKomm 2 § 2 ArbVG Rz 11).

Nach Klagebegehren und Klagevorbringen begehrt somit der Kläger von der Beklagten den Abschluss eines privatrechtlichen (Kollektiv‑)Vertrags. Damit wurde aber vom Rekursgericht die Zulässigkeit des Rechtswegs für den geltend gemachten Anspruch zu Recht bejaht.

4.  Die Beklagte hält dem entgegen, dass es sich bei einem Kollektivvertrag nach § 22a GehG um keinen Kollektivvertrag im Sinn des ArbVG handelt, zumal ein solcher Abschluss- und Inhaltsfreiheit voraussetze. Dieser Einwand ignoriert, dass § 22a Abs 2 Satz 3 GehG ausdrücklich die Anwendbarkeit des 1. Hauptstücks des 1. Teils des ArbVG anordnet und damit unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass der abzuschließende Kollektivvertrag wie ein solcher nach dem ArbVG zu behandeln ist. Dass das Gesetz den Parteien des Kollektivvertrags keine Freiheit lasse, seinen Inhalt zu bestimmen, trifft nicht zu. Zudem beschränkt § 22a GehG zwar die Regelungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien, er schließt sie aber keineswegs völlig aus. Im Übrigen ist auch im ArbVG die Regelungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien nicht unbeschränkt (§ 2 Abs 2 ArbVG; RIS‑Justiz RS0110067). Der Hinweis des Rekurses auf die mangelnde Abschlussfreiheit der Kollektivvertragsparteien steht im Widerspruch zu den übrigen Rekursausführungen, mit denen wiederholt betont wird, dass § 22a GehG keinen Anspruch auf Abschluss eines Kollektivvertrags vorsieht. Ob ein solcher Anspruch bzw eine entsprechende Verpflichtung überhaupt besteht, ist derzeit nicht zu prüfen, sondern eine Frage der Berechtigung des Klagebegehrens.

5.  In der Entscheidung 9 ObA 66/11p hat der Oberste Gerichtshof die Zulässigkeit des Rechtswegs für ein Klagebegehren verneint, mit der ein Bundesbeamter von der Republik Österreich auf der Grundlage des Kollektivvertrags über die Pensionskassenzusage für Bundesbedienstete begehrte, eine Pensionskassenzusage zu erteilen und entsprechende Pensionskassenbeiträge an die Bundespensionskasse zu leisten. Dies wurde damit begründet, dass § 22a GehG, der den Anspruch auf Erteilung einer betrieblichen Pensionskassenzusage normiert, seine Wurzel in der öffentlich-rechtlichen Stellung der von dieser Bestimmung erfassten Beamten habe. Es handle sich dabei nicht um eine direkt auf § 2 Z 1 BPG beruhende Leistungszusage, sondern um eine das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis von (bestimmten) Beamten betreffende Verpflichtung des Bundes (und zwar, diesen Beamten eine betriebliche Pensionskassenzusage im Sinn des § 2 Abs 1 BPG zu erteilen), die nicht zivilrechtlicher Natur sei. Dass sich der (damalige) Kläger auf den im Sinn des § 22a GehG abgeschlossenen Kollektivvertrag berufe, ändere daran nichts, weil der Abschluss dieses Kollektivvertrags lediglich der Umsetzung dieser gesetzlichen Verpflichtung diene. Möge dieser Kollektivvertrag auch nicht vom Staat als Träger von Hoheitsrechten abgeschlossen worden sein, so begründe er dennoch keine eigene, neben dem Gesetz bestehende Verpflichtung zivilrechtlicher Natur.

Diese Entscheidung ist auf den hier zu beurteilenden Fall nicht übertragbar. Hier stehen einander nicht der Bund und ein Beamter gegenüber, der (wenn auch durch den Kollektivvertrag umgesetzte) Ansprüche aus dem öffentlichen‑rechtlichen Dienstverhältnis geltend macht. Vielmehr begehrt hier der Kläger von der ihm gleichrangig gegenüberstehenden Beklagten den Abschluss eines Kollektivvertrags. Auch wenn dieser Kollektivvertrag der Umsetzung des aus § 22a GehG resultierenden Anspruchs auf Erteilung einer Pensionszusage dient, geht es daher hier inhaltlich um den (behaupteten) Anspruch des Klägers auf Abschluss einer privatrechtlichen Vereinbarung. Für dieses Begehren ist aber der Rechtsweg zulässig.

6.  Die Beklagte ist im Zwischenstreit über die Zulässigkeit des Rechtswegs unterlegen; sie hat der Klägerin daher deren Kosten zu ersetzen (RIS‑Justiz RS0035955).

Stichworte