OGH 12Os30/16b

OGH12Os30/16b12.5.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Mai 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinksi und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fritsche als Schriftführerin in der Strafsache gegen Christian F***** wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 24. November 2015, GZ 38 Hv 102/15i‑46, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0120OS00030.16B.0512.000

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch III./, demzufolge auch im Strafausspruch sowie in der Vorhaftanrechnung und im Konfiskations‑ sowie im Einziehungserkenntnis aufgehoben. In diesem Umfang wird eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Aufhebung des Strafausspruchs verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Christian F***** (richtig:) mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I./) sowie jeweils mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (II./) und der pornografischen Darstellung Minderjähriger nach (richtig:) § 207a Abs 3 erster Fall StGB idF vor BGBl I 2015/112 (III./) schuldig erkannt.

Danach hat er (zu ergänzen [US 4]) in G*****

I./ zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten zwischen Juli 2014 und Ende April 2015 in wiederholten Angriffen an der am 26. September 2006 geborenen, somit unmündigen Lorena‑Elissa B***** außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung vorgenommen, indem er ihren entblößten Vaginalbereich mit den Fingern intensiv betastete, streichelte und mit der Zunge ableckte;

II./ zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten zwischen Juli 2014 und Ende April 2015 in wiederholten Angriffen mit einer minderjährigen Person, die seiner Aufsicht unterstand, nämlich der am 26. September 2006 geborenen Lorena‑Elissa B***** durch die zu I./ beschriebenen Taten unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen;

III./ sich in der Zeit von 27. Oktober 2008 bis 14. Mai 2015 pornografische Darstellungen mündiger minderjähriger Personen (§ 207a Abs 4 Z 3 lit a und b StGB) verschafft und solche besessen, indem er das Video mit dem Titel „Anal Porn ‑ Rape ‑ Teen Blonde Begs For Mercy“ bezog, dieses Video mehrfach umkopierte und auf externe Medien abspeicherte und besaß.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, 5a „9“ und 11 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist teilweise berechtigt.

Zutreffend zeigt der Nichtigkeitswerber zu Schuldspruch III./ mit Verfahrensrüge (Z 3) eine Abweichung des Erkenntnisses zwar nicht in Hinsicht auf entscheidende Tatsachen, wohl aber mit Bezug auf das Individualisierungsmerkmal des Namens der Videodatei auf (vgl RIS‑Justiz RS0117435 [T9]; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 277). Nach dem Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) hat sich der Angeklagte pornografische Darstellungen mündiger minderjähriger Personen (§ 207a Abs 4 Z 3 lit a und b StGB) dadurch verschafft und besessen, dass er das (in Ansehung seines Inhalts nicht näher beschriebene) Video mit dem Titel „Anal Porn ‑ Rape ‑ Teen Blonde Begs For Mercy“ bezog, dieses Video mehrfach umkopierte und auf externe Medien abspeicherte und besaß (US 2). Davon abweichend stellten die Tatrichter in den Entscheidungsgründen fest, dass es sich bei den im Zuge der Hausdurchsuchung aufgefundenen, auch inhaltlich dargestellten, pornografischen Darstellungen mündiger Minderjähriger um eine Videodatei mit dem Titel „total anal destruction, painful firts time sex xxx porn“, handelte (US 6 f). Solcherart wird die nicht der Konkretisierung, sondern der Individualisierung dienende Beschreibung der Tat im Spruch ihrer Aufgabe, den urteilsgegenständlichen Lebenssachverhalt abzugrenzen, um Mehrfachverurteilungen hintanzuhalten (vgl Lendl , WK‑StPO § 260 Rz 9 f), nicht gerecht.

Demgemäß war ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ die Aufhebung des Schuldspruchs III./ und daraus folgend des Strafausspruchs (einschließlich der Vorhaftanrechnung) schon in nichtöffentlicher Beratung (§ 285e StPO) unvermeidlich, weshalb sich ein Eingehen auf das weitere gegen den Schuldspruch III./ gerichtete Rechtsmittelvorbringen sowie die Sanktionsrüge (Z 11) erübrigte.

Ebenso aufzuheben waren das mit dem genannten Schuldspruch in untrennbarem Zusammenhang stehende Konfiskations‑ und das Einziehungserkenntnis.

Bestehen bleiben konnte hingegen der Beschluss auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsicht. Voraussetzung für eine Entscheidung über einen Widerruf bedingter Strafnachsicht nach § 53 StGB, § 494a StPO ist eine Verurteilung, somit (bloß) ein Schuldspruch (vgl Jerabek in WK 2 StGB § 53 Rz 3), nicht aber der Ausspruch einer Strafe. Die Aufhebung lediglich eines Teils des Schuldspruchs und des Strafausspruchs eines Urteils musste daher nicht zwingend die Kassation der (hier: in einem weiteren Rechtsgang infolge des Verbots der reformatio in peius nicht anders zu treffenden) Entscheidung auf Absehen vom Widerruf aus Anlass der neuen Verurteilung zur Folge haben (RIS‑Justiz RS0100194 [T15, T18, T23]).

Im Übrigen kommt der Nichtigkeitsbeschwerde keine Berechtigung zu.

Mit der Behauptung, es könne „nicht bedenkenlos, von einer Zeugnisfähigkeit der Belastungszeugin ausgegangen werden“, geht die Verfahrensrüge (Z 3) daran vorbei, dass die Frage, ob ein Zeuge zu verlässlichen Wahrnehmungen imstande war, sowie ob und in welchem Umfang er nunmehr zu deren richtiger Wiedergabe im Einzelfall willens und in der Lage ist, nicht die Zeugnisfähigkeit, sondern den (zwecks Urteilsfindung allein von den Tatrichtern zu beurteilenden) Beweiswert seiner Aussage betrifft (vgl Kirchbacher, WK‑StPO § 155 Rz 31 mwN). Die Zeugnisunfähigkeit ist eine Ermessensfrage, deren Lösung mangels aktenkundiger Unterlagen im Nichtigkeitsverfahren unüberprüfbar ist (RIS-Justiz RS0097935).

Dem Beschwerdevorbringen (Z 4) zuwider wurde der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Aussagefähigkeit und Aussagetüchtigkeit der Lorena‑Elissa B***** (ON 45 S 26) zu Recht abgewiesen (ON 45 S 27 f). Hatte doch die gesetzliche Vertreterin der unmündigen Zeugin vor der kritisierten Beschlussfassung in der Hauptverhandlung ausdrücklich und unmissverständlich erklärt, ihre für die Begutachtung erforderliche Zustimmung nicht zu erteilen (ON 45 S 27, RIS‑Justiz RS0118956 [insbes T4]).

Ein Ausnützen der Stellung im Sinn des § 212 Abs 1 Z 2 StGB liegt vor, wenn der Täter seine Autorität einsetzt, damit die geschützte Person die Unzuchtshandlung setzt oder an sich geschehen lässt, also bewirkt, dass das Schutzobjekt gerade wegen seiner Abhängigkeit vom Täter in seinem Willen beeinflusst wird (RIS‑Justiz RS0095266). Der Einsatz von Gewalt oder Drohung ist hingegen kein Tatbestandsmerkmal des § 212 Abs 1 Z 2 StGB (vgl Philipp in WK 2 StGB § 212 Rz 9 und 15). Solcherart stehen der Beschwerdeauffassung zuwider die Aussagen des Opfers, wonach der Angeklagte immer dann aufgehört habe, wenn es dies wollte (ON 27 S 29), der Feststellung, wonach der Angeklagte seine Stellung gegenüber der seiner Aufsicht unterstehenden Lorena‑Elissa B***** wissentlich ausnützte, um an der Genannten eine geschlechtliche Handlung vorzunehmen (US 6), nicht gesondert erörterungsbedürftig gegenüber (Z 5 zweiter Fall).

Zur Erfüllung des subjektiven Tatbestands des § 212 Abs 1 Z 2 StGB muss nur bei der Tatbegehungsvariante der Verleitung zu geschlechtlichen Handlungen an sich selbst die Absicht (§ 5 Abs 2 StGB) hinzukommen, „sich oder einen Dritten geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen“ (vgl Philipp in WK 2 StGB § 212 Rz 11). Solcherart verfehlt die in Ansehung der Feststellung, wonach der Angeklagte die geschlechtliche Handlung an der seiner Aufsicht unterstehenden Minderjährigen unter Ausnützung seiner Stellung vorgenommen hat, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen (US 6), unterlassene Erörterung (Z 5 zweiter Fall) der vorgelegten unbedenklichen ärztlichen Unterlagen und Krankenaufenthaltsbestätigungen von 1984 bis 2015 behauptende Beschwerde mangels Bekämpfung einer entscheidenden Tatsache ihr Ziel.

Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern (RIS‑Justiz RS0118780). Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen ‑ wie sie die Berufung wegen Schuld im Einzelrichterverfahren einräumt ‑ wird dadurch nicht ermöglicht (RIS‑Justiz RS0119583). Durch den Hinweis auf das Fehlen einschlägiger Vorstrafen des 54‑jährigen Angeklagten, angebliche Widersprüche und Erinnerungslücken des Opfers zum Ablauf der geschlechtlichen Handlungen, dessen Nichterwähnung des Stomabeutels bei der Ansicht des Penis (vgl aber US 9 f) und seine Aussage, bereits eigeninitiativ pornografische Filme angesehen zu haben, gelingt es dem Rechtsmittelwerber nicht, erhebliche Bedenken im Sinn der Z 5a gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen hervorzurufen.

Der im Rahmen der Tatsachenrüge (Z 5a) erhobene Einwand, es seien „Beweise nicht eingeholt“ worden, entzieht sich mangels Konkretisierung einer inhaltlichen Erwiderung.

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell‑rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS‑Justiz RS0099810).

Diesen Anfechtungskriterien wird die mit eigenen beweiswürdigenden Erwägungen die festgestellte Ausnützung der Autoritätsstellung (US 6, 11) bestreitende Rechtsrüge (Z 9 lit a) zu Schuldspruch II./ nicht gerecht.

Gleiches gilt, soweit der Rechtsmittelwerber mit der Behauptung, das Erstgericht habe „keine rechtsrelevanten Feststellungen zur subjektiven Tatseite bei allen Urteilsfakten“ getroffen und sich diesbezüglich lediglich auf Vermutungen beschränkt, die bezughabenden Konstatierungen zu Schuldspruch I./ und II./ (US 5 f, 11) prozessordnungswidrig übergeht.

In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher ‑ erneut in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Der Privatbeteiligtenzuspruch an Lorena‑Elissa B***** (US 3) erfolgte in Zusammenhang mit den solcherart unberührt gebliebenen Schuldsprüchen I./ und II./ sodass dessen Aufhebung nicht geboten war.

Anzumerken bleibt, dass das Einziehungserkenntnis nichtig (§ 281 Abs 1 Z 11 StPO) ist. Die Anwendung von § 26 Abs 1 StGB setzt voraus, dass diese vorbeugende Maßnahme nach der besonderen Beschaffenheit des betroffenen Gegenstands geboten erscheint, um der Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen durch den Täter selbst oder durch andere Personen entgegenzuwirken. Dabei spricht das Wort „geboten“ die Deliktstauglichkeit des Gegenstands an. Eine solche ist in Ansehung der gegenständlichen Datenträger grundsätzlich zu bejahen. Selbst in einem solchen Fall ist aber gemäß § 26 Abs 2 StGB dem Berechtigten angemessen Gelegenheit zu geben, diese besondere Beschaffenheit auf welche Weise auch immer (vorliegend etwa durch Löschen relevanter Daten) zu beseitigen (RIS‑Justiz RS0121299, RS0121298; Ratz in WK 2 StGB § 26 Rz 15). Dass dem Beschwerdeführer, der im Übrigen ausdrücklich erklärt hatte, nicht auf seine Musikdateien zu verzichten (ON 45 S 10 S 29), diese Möglichkeit eingeräumt wurde oder eine (unwiederbringliche) Beseitigung im konkreten Fall unmöglich wäre, ist den Feststellungen nicht zu entnehmen (vgl 11 Os 144/15h).

Im zweiten Rechtsgang werden im Fall des neuerlichen Ausspruchs der Einziehung entsprechende Feststellungen zu treffen sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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