OGH 11Os144/15h

OGH11Os144/15h12.1.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Jänner 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Zabl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Armin W***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 25. Juni 2015, GZ 20 Hv 8/15p‑73, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0110OS00144.15H.0112.000

 

Spruch:

Teils in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde, teils aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch sowie in den Anordnungen auf Einziehung und auf Konfiskation aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht St. Pölten verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde ebenso wie die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung wegen des Strafausspruchs und gegen die Konfiskation wird der Angeklagte auf deren Aufhebung verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung wegen der privatrechtlichen Ansprüche wird das Landesgericht St. Pölten dem Oberlandesgericht Wien die erforderlichen Aktenbestandteile zu übermitteln haben.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Armin W***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB, des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 und Z 2 StGB, der Blutschande nach §§ 15, 211 Abs 2 StGB, der pornografischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1 StGB und nach § 207a Abs 3 erster und zweiter Fall schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Unter einem wurden Datenträger eingezogen sowie ein Notebook samt Zubehör und ein Stand‑PC konfisziert.

Soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Relevanz hat Armin W***** in der Zeit von 1999 bis 2000 in V***** an der am 9. Oktober 1992 geborenen Renee T***** in zumindest zwei Fällen geschlechtliche Handlungen vorgenommen, indem er sie oberhalb der Kleidung im Brustbereich und an der Vagina betastete.

Rechtliche Beurteilung

Nur gegen diesen Schuldspruch richtet sich die (nominell) auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 10 StPO, gegen den Strafausspruch und die Konfiskation die auf Z 11 leg cit gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell‑rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei der Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS‑Justiz RS0099810). Der Beschwerdeführer muss von diesem Gesamtzusammenhang ausgehend zur Geltendmachung eines aus Z 9 oder Z 10 gerügten Fehlers klarstellen, aus welchen ausdrücklich zu bezeichnenden Tatsachen (einschließlich der Nichtfeststellung von Tatsachen) welche rechtliche Konsequenz (§ 259, § 260 Abs 1 Z 2 StPO) hätte abgeleitet werden sollen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 584).

Diesen Erfordernissen wird die Rechtsrüge (dSn nur Z 9 lit a) nicht gerecht, indem sie bloß die ‑ in der Beschwerdeschrift nur teilweise referierten ‑ Feststellungen des Erstgerichts (US 6, 7) mit der Behauptung, es hätte sich jeweils lediglich um flüchtige Berührungen gehandelt, bestreitet.

Soweit im Übrigen die Judikatur „flüchtige Berührungen“ zur Tatbestandsverwirklichung nicht genügen lässt, wird damit lediglich in verschiedenen Lebensbereichen anzutreffenden, ungewollten Berührungskontakten zwischen Menschen Rechnung getragen, welche von so geringer Intensität und Dauer sind, dass darin eine Beziehung zum Geschlechtsleben oder doch eine einem geschlechtlichen Missbrauch entsprechende Betätigung zum Nachteil der geschützten Sexualsphäre einer Person nicht zum Ausdruck kommt (RIS‑Justiz RS0102141). Bei Berührung spezifisch weiblicher Körperpartien kommt es jedoch nicht nur auf die zeitliche Dauer, sondern auch auf Intensität, Präzision und Zielsicherheit an, wobei einige Sekunden der Berührung durchaus genügen können (RIS‑Justiz RS0102142; zum Pubertätsbeginn RIS‑Justiz RS0090077; vgl auch 14 Os 1/05m).

In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde ‑ die trotz Antrags auf Totalaufhebung des Urteils kein Sachvorbringen zu den Schuldsprüchen I./ sowie III. bis VI./ und aus Z 5 enthält (§§ 285 Abs 1, 285a Z 2 StPO) ‑ daher ebenso wie die (angemeldete; ON 72 S 9) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1; 283 Abs 1, 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO).

Zu Recht kritisiert jedoch die Sanktionsrüge, dass das Erstgericht den Umstand, dass der Angeklagte sich nicht geständig verantwortete und sich „völlig uneinsichtig“ zeigte, bei der Strafbemessung in Anschlag brachte (US 27). Dies stellt eine unrichtige Gesetzesanwendung dar (§ 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO; RIS‑Justiz RS0090897).

Ebenso zutreffend zeigt der Beschwerdeführer auf, dass der Ausspruch über die Konfiskation mit Nichtigkeit (Z 11 erster und dritter Fall) behaftet ist, weil es dem Urteil an Feststellungen zur Verwendung der konfiszierten Gegenstände zur Tatbegehung und zum Eigentum des Angeklagten an ihnen mangelt und auch die gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung hinsichtlich der elektronischen Geräte unterblieb (RIS‑Justiz RS0088035 [T7]).

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof überdies davon, dass auch das Einziehungserkenntnis nichtig ist.

Die Anwendung von § 26 Abs 1 StGB setzt voraus, dass diese vorbeugende Maßnahme nach der besonderen Beschaffenheit des betroffenen Gegenstands geboten erscheint, um der Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen durch den Täter selbst oder durch andere Personen entgegenzuwirken. Dabei spricht das Wort „geboten“ die Deliktstauglichkeit des Gegenstands an. Eine solche ist in Ansehung der gegenständlichen Datenträger grundsätzlich zu bejahen. Selbst in einem solchen Fall ist aber gemäß § 26 Abs 2 StGB dem Berechtigten angemessen Gelegenheit zu geben, diese besondere Beschaffenheit auf welche Weise immer (vorliegend etwa durch Löschen relevanter Daten) zu beseitigen (RIS‑Justiz RS0121299, RS0121298; Ratz in WK² StGB § 26 Rz 15).

Dass dem Beschwerdeführer diese Möglichkeit eingeräumt wurde oder eine (unwiederbringliche) Beseitigung im konkreten Fall unmöglich wäre, ist den Feststellungen nicht zu entnehmen.

Demgemäß war das angefochtene Urteil in Stattgebung und aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten im Strafausspruch und in den Aussprüchen über die Konfiskation und die Einziehung aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht St. Pölten zu verweisen.

Mit seiner Berufung gegen den Strafausspruch und die Konfiskation war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Zur Entscheidung über die Berufung wegen der privatrechtlichen Ansprüche wird das Landesgericht St. Pölten dem Oberlandesgericht die erforderlichen Aktenbestandteile zu übermitteln haben (§ 9 Abs 1, Abs 2 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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