OGH 2Ob37/15b

OGH2Ob37/15b17.3.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** K*****, vertreten durch Dr. Walter Geißelmann und andere Rechtsanwälte in Bregenz, gegen die beklagte Partei K*****‑AG, *****, vertreten durch Dr. Rolf Philipp und Dr. Frank Philipp, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen 26.374,44 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 11. Dezember 2014, GZ 2 R 146/14h‑39, womit infolge Berufungen beider Parteien das Endurteil des Landesgerichts Feldkirch vom 23. Juni 2014, GZ 57 Cg 26/12d‑33, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0020OB00037.15B.0317.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.540,44 EUR (darin 256,74 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Am 1. 2. 2009 ereignete sich in Deutschland ein Verkehrsunfall, bei dem der Ehemann der Klägerin, der einen in Österreich zugelassenen Pkw lenkte, tödlich verunglückte. Das Alleinverschulden traf den Lenker eines in Deutschland zugelassenen, bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten Lkws. Mit (rechtskräftigem) Teilurteil des Berufungsgerichts vom 16. 5. 2013 wurde festgestellt, dass die beklagte Partei der Klägerin ‑ beschränkt auf die Versicherungssumme des zum Unfallszeitpunkt für den Lkw geltenden Haftpflichtversicherungsvertrags ‑ für sämtliche künftige, derzeit nicht bekannte Schäden aus besagtem Verkehrsunfall zu haften habe.

Die Klägerin begehrte den Ersatz ihres Unterhaltsentgangs für den Zeitraum Dezember 2009 bis Jänner 2013, den sie zuletzt mit 26.851,84 EUR sA bezifferte.

Die beklagte Partei wandte ein, der der Klägerin durch den Unfalltod ihres Ehemanns entstandene Schaden sei durch die ihr zufließenden Leistungen der Sozialversicherungsträger (Witwenrente der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt; Witwenpension der Sozial-versicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft) zur Gänze gedeckt. Infolge des gesetzlichen Forderungsübergangs fehle es der Klägerin an der Aktivlegitimation.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im zweiten Rechtsgang mit 5.285,33 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren von 21.566,51 EUR sA ab.

Das von beiden Parteien angerufene Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es der Klägerin 26.374,44 EUR sA zuerkannte. Das Mehrbegehren von 477,44 EUR sA wies es (rechtskräftig) ab. Zur Begründung seines Ausspruchs über die Zulässigkeit der ordentlichen Revision führte das Berufungsgericht aus, es fehle an Rechtsprechung, „inwieweit der durch den Tod des Unterhaltspflichtigen verursachte Wegfall der Erwerbsmöglichkeit des Unterhaltsberechtigten (wegen Auflösung des Unternehmens) bei der Berechnung des Unterhaltsschadens Berücksichtigung findet, und ob bei der Berechnung des vom verstorbenen Ehegatten der Witwe geschuldeten Unterhalts die bisher einvernehmliche Gestaltung der Lebensverhältnisse (§ 94 ABGB) ‑ Angemessenheit vorausgesetzt ‑ zugrunde zu legen ist“.

Rechtliche Beurteilung

Die von der beklagten Partei gegen das Berufungsurteil erhobene Revision ist jedoch entgegen diesem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Weder in der zweitinstanzlichen Zulassungsbegründung noch im Rechtsmittel wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dargetan:

1. In dritter Instanz ist nicht strittig, dass sich der Ersatzanspruch der Klägerin zufolge Art 3 HStVÜ nach § 844 Abs 2 BGB richtet. Nach dieser Bestimmung hat bei Tötung eines gesetzlich zum Unterhalt Verpflichteten die unterhaltsberechtigte Person Anspruch auf Ersatz des Schadens, der ihr durch Entzug des Unterhaltsrechts entsteht. Dabei ist im Rahmen einer Prognose zu prüfen, wie sich die Unterhaltsbeziehungen zwischen dem Unterhaltsberechtigten und dem Unterhaltsverpflichteten bei Unterstellung seines Fortlebens nach dem Unfall entwickelt hätten (BGH 5. 6. 2012, VI ZR 122/11, NJW 2012, 2887; Münkel in Geigel, Haftpflichtprozess27 [2015]Kap 8 Rn 33 f). Der Umfang der gesetzlichen Unterhaltspflicht bestimmt sich nicht nach § 844 Abs 2 BGB, sondern nach den unterhaltsrechtlichen Vorschriften. Den nach diesen Normen geschuldeten Unterhalt setzt § 844 Abs 2 BGB voraus (BGH 5. 6. 2012, VI ZR 122/11, NJW 2012, 2887). Unbestritten bleibt auch, dass die Unterhaltsberechtigung der Klägerin nach österreichischem Recht zu beurteilen ist (zum maßgeblichen Unterhaltsstatut vgl nunmehr Art 3 des Haager Protokolls vom 23. 11. 2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht [HUP]), somit nach § 94 ABGB.

2. Die erste Zulassungsfrage bezieht sich auf die Berechnung des Ersatzanspruchs, für die deutsches Recht zur Anwendung gelangt. Entgegen der Zulassungsbegründung des Berufungsgerichts liegt nicht schon deshalb eine erhebliche Rechtsfrage vor, weil sich der österreichische Oberste Gerichtshof zu einer bestimmten deutschen Rechtslage noch nicht geäußert hat. Mangels Leitfunktion in Fragen des deutschen Haftpflichtrechts wäre er nur dann zur Lösung der gestellten Rechtsfrage berufen, wenn das Berufungsgericht eine in Deutschland in Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht hintangestellt hätte (vgl 2 Ob 27/07w; 2 Ob 54/13z; 1 Ob 224/14v; RIS‑Justiz RS0042940, RS0042948).

3. Die beklagte Partei behauptet zwar, das Berufungsgericht sei von einer ständigen Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofs abgewichen, ohne aber auch nur eine einzige Entscheidung oder Literaturstelle als Beleg für diese Behauptung anzuführen. Statt dessen unterstellt sie tatsachenwidrig, die Klägerin sei nur aufgrund der notwendig gewordenen Pflege ihrer Mutter nicht mehr in der Lage, einer Erwerbsarbeit nachzugehen, was ihr (der Beklagten) nicht zur Last fallen dürfe.

Nach den erstinstanzlichen Feststellungen hat die (1959 geborene) Klägerin aber schon zu Lebzeiten ihres Ehemanns neben ihrer Berufstätigkeit ‑ sie war im Einzelunternehmen ihres Mannes beschäftigt ‑ und ihrer Tätigkeit im Haushalt auch ihre Mutter gepflegt. Nach dem Unfalltod ihres Ehemanns und der dadurch bedingten Auflösung des Unternehmens hat sie sich um eine Arbeitsstelle bemüht, auf ihre Bewerbungsschreiben jedoch regelmäßig Absagen erhalten. Sie ging daher nur geringfügig einer Tätigkeit als Masseurin nach. Das Berufungsgericht verneinte unter diesen Umständen die ‑ von der beklagten Partei in erster Instanz relevierte ‑ Verletzung einer Schadensminderungspflicht, wobei es sich auf deutsche Rechtsprechung und eine Kommentarstelle bezog (zu den relevanten Kriterien vgl auch BGH 6. 4. 1976, VI ZR 240/74, NJW 1976, 1501; Münkel in Geigel, Haftpflichtprozess27 [2015]Kap 8 Rn 59). Auf diese rechtlichen Erwägungen des Berufungsgerichts geht die beklagte Partei jedoch mit keinem Wort ein.

4. Die weitere Revisionsbehauptung der beklagten Partei, das Berufungsgericht habe ihre gegen die erwähnten Feststellungen gerichteten Berufungsausführungen nicht behandelt, ist schlicht aktenwidrig. Das Berufungsgericht hat sowohl den gerügten Begründungsmangel verneint (BU 25), als auch zur Beweisrüge festgehalten, dass an der Richtigkeit der Feststellungen kein Zweifel bestehe (BU 26). Tatsachenfragen können aber in dritter Instanz nicht mehr aufgerollt werden.

5. Sonstige allenfalls argumentierbare Aspekte zur ersten Zulassungsfrage enthält die Revision nicht. Somit gelingt es der beklagten Partei aber auch nicht, insoweit eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht aufzuzeigen.

6. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, dh eindeutige Regelung trifft (RIS‑Justiz RS0042656). Eine solche klare gesetzliche Regelung besteht zur zweiten Zulassungsfrage, wird doch die Beitragspflicht der Ehegatten nach dem maßgeblichen § 94 Abs 1 ABGB gerade durch die einvernehmliche Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft bestimmt (dazu näher Kolmasch, Unterhaltsrecht7 [2014] 198; Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, EuPR [2011] § 91 ABGB Rz 5 ff; nichts anderes gilt im Übrigen nach deutschem Recht: vgl Ch. Huber, Das Ausmaß des Ersatzes bei Tötung des Unterhaltsschuldners im Spannungsfeld zwischen tatsächlich Entgangenem und gesetzlich Geschuldetem [§ 1327 ABGB; § 12 Abs 2 EKHG], in FS Reischauer [2010] 153 [163]; Münkel in Geigel, Haftpflichtprozess27 [2015]Kap 8 Rn 45).

Dies verkennt die beklagte Partei, wenn sie ausführt, es komme nach § 844 Abs 2 BGB nur auf die rechtliche Verpflichtung zur Unterhaltsleistung an, nicht aber auf die tatsächliche Gestaltung der Lebensverhältnisse zwischen Unterhaltsberechtigter und Unterhalts-verpflichtetem. Aufgrund ihrer rechtsirrigen Annahme, dass die schadenersatzrechtliche Norm auch den Umfang des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs regelt, unterlässt sie jegliche Auseinandersetzung mit der relevanten Unterhaltsnorm. Insbesondere vermag sie nicht zu darzulegen, weshalb die Grenzen der autonomen Gestaltungsbefugnis der Ehepartner allein dadurch überschritten worden sein sollten, dass die Klägerin nebenbei auch ihre Mutter pflegte und ihr Ehemann deshalb vermehrt Aufgaben im Haushalt und bei der Betreuung des Gartens übernahm. Eine iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzugreifende Fehlbeurteilung dieser Rechtsfrage ist dem Berufungsgericht nicht vorwerfbar. Eine Unterhaltspflicht des Getöteten gegenüber seiner Schwiegermutter haben die Vorinstanzen ihrer Begründung ohnedies nicht zugrunde gelegt.

7. Hatten die Eheleute ihre gemeinsame Lebensführung in der Weise geregelt, dass auch der Ehemann Arbeiten im Haushalt zu verrichten hat, so verliert die Witwe mit dem Tod des Mannes auch das, was er ihr an Leistungen im Haushalt geschuldet hat. Insoweit steht ihr ebenfalls ein Anspruch aus § 844 Abs 2 BGB zu (BGH 29. 3. 1988, VI ZR 87/87, NJW 1988, 1783; Münkel in Geigel, Haftpflichtprozess27 [2015]Kap 8 Rn 74; Wagner in MünchKomm BGB6 [2013] § 844 Rn 70).

Die Bejahung der Ersatzpflicht für die der Klägerin entgehenden Haushaltshilfeleistungen ihres Ehemanns durch das Berufungsgericht stimmt mit dieser Rechtslage überein und wirft keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Sofern die beklagte Partei dem entgegen hält, die Klägerin habe ihre Berufstätigkeit „aufgegeben“, weicht sie abermals von der den Obersten Gerichtshof bindenden Tatsachengrundlage ab. Auf ihre darauf aufbauende Überlegung, die Klägerin wäre nun alleinige Haushaltsführerin, sodass „keine rechtliche Leistungsverpflichtung des Unterhaltspflichtigen mehr bestünde“, ist daher nicht weiter einzugehen. Nur am Rande sei auf § 95 ABGB verwiesen, wonach auch der allein Berufstätige nach Maßgabe des § 91 ABGB zur Mithilfe im Haushalt verpflichtet sein kann.

8. Plausible Gründe, geschweige denn Belegstellen für ihre These, wonach im Verlust der Erwerbsmöglichkeit im Unternehmen ihres Ehemanns ein im Wege der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigender Vorteil der Klägerin liege, vermag die beklagte Partei nicht zu nennen. Die Klägerin muss den Haushalt nach dem Tod ihres Ehemanns jedenfalls zur Gänze allein besorgen, ob sie nun berufstätig ist oder nicht. In beiden Varianten ändert sich also nichts daran, dass sie mehr Zeit für den Haushalt benötigt als zuvor (vgl BGH 29. 3. 1988, VI ZR 87/87, NJW 1988, 1783). Ein Vorteil, der allenfalls darin bestehen könnte, dass die Klägerin ihrerseits von der ihrem Ehemann geschuldeten Haushaltsarbeit „befreit“ worden ist (vgl Münkel in Geigel, Haftpflichtprozess27 [2015]Kap 8 Rn 74), wird in der Revision nicht releviert.

Die Meinung des Berufungsgerichts, die angestrebte Vorteilsausgleichung würde zu einer unbilligen Entlastung des Schädigers führen, erweist sich vor diesem Hintergrund zumindest als vertretbar. Ein vom Obersten Gerichtshof zu berücksichtigendes Abweichen von der deutschen Rechtslage wird in der Revision nicht aufgezeigt.

9. Der Provisionsbetrag von 9.338,76 EUR, den die Klägerin nach dem Tod ihres Ehemanns ausbezahlt erhielt, ist nach den Feststellungen das vertraglich vereinbarte Entgelt für Leistungen, die ihr Ehemann zu Lebzeiten für ein anderes Unternehmen erbrachte. Dafür, dass es sich um (anzurechnendes) „Eigeneinkommen“ der Klägerin handeln könnte, wie die beklagte Partei behauptet, fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Im Falle des Fortlebens des Getöteten hätten auch diese Einkünfte zum Familienunterhalt beigetragen. Es bedeutet daher keine Verkennung der Rechtslage, wenn das Berufungsgericht den erst nach dem Tod des Ehemanns der Klägerin ausbezahlten Provisionsbetrag dem hypothetischen Einkommen des Getöteten hinzugerechnet hat.

Ob und inwieweit ein möglicher Übergang des Provisionsanspruchs auf die Klägerin im Erbgang eine den Ersatzanspruch mindernde Anrechnung allenfalls rechtfertigen könnte, wird in der Revision nicht einmal ansatzweise thematisiert.

10. Erstmals in der Revision macht die beklagte Partei geltend, dass die Klägerin aus der Vermietung von Wohnräumen an ihre Söhne eigenes Einkommen lukriert. Diese Behauptung verstößt gegen das Neuerungsverbot des § 504 Abs 2 ZPO und ist daher unbeachtlich.

11. Da es somit der Lösung von Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, ist die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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