OGH 2Ob54/13z

OGH2Ob54/13z19.9.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Sol, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*****genossenschaft *****, vertreten durch Dr. Klaus Rinner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei W***** GmbH, *****, vertreten durch Rechtsanwälte Mandl & Mitterbauer GmbH in Altheim, wegen 79.941,07 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 11. Februar 2013, GZ 6 R 171/12b-20, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO abgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Der Oberste Gerichtshof wäre mangels einer Leitfunktion in Fragen des deutschen Sozialversicherungsrechts nur dann zur Lösung der im vorliegenden Rechtsfall strittigen Frage, ob § 106 Abs 3 Alt.3 SGB VII nur für nach deutschem SGB Versicherte gilt und sich daher ein in eine ausländische Sozialversicherung Einbezogener nicht auf das daraus resultierende Haftungsprivileg berufen könne, berufen, wenn die Vorinstanzen eine in Deutschland in Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht hintangesetzt hätten (RIS-Justiz RS0042948 [T1, T3, T7, T21] ua).

2. Das Berufungsgericht hat der von der Rechtsmittelwerberin vertretenen Auslegungsvariante, dass das Haftungsprivileg nur nach deutschem SGB Versicherten zu Gute käme, entgegengehalten, dass diese Auslegung im Widerspruch zu europarechtlichen Vorgaben, nämlich Art 85 der VO (EG) 883/2004 und der dort verankerten gegenseitigen Anerkennung von Legalzession, Direktansprüchen der Versicherungsträger und Haftungsfreistellungsnormen, sowie den im AEUV allgemein verankerten Grundfreiheiten der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Dienstleistungsfreiheit stünde.

3. Die Revision verweist auf ein Urteil des Landgerichts Ellwangen, die EuGH-Urteile DAK und Kordel sowie die Rechtsprechung des BGH und BSG zu den unversicherten Selbständigen, Hausfrauen und den im getrennten System versicherten Soldaten und weiters darauf, dass Art 4 der VO (EG) 883/2004 das Leistungsrecht betreffe. Schließlich wird der Kommentar Lang, juris PK-SGB I zu Art 85 (EG) 883/2004 zitiert, wonach die genannte Verordnung unter anderem für Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten gelte, die §§ 104 bis 106 SGB VII aber keine Leistungsnormen seien und daher Art 4 der genannten Verordnung von vornherein nicht anwendbar sei.

4. Letzteren Argumenten kann bereits aus systematischen Überlegungen nicht gefolgt werden. Die VO (EG) 883/2004 beinhaltet im ersten Titel unter der Überschrift „Allgemeine Bestimmungen“ unter anderem Art 4 mit der Überschrift „Gleichbehandlung“, wonach Personen, für die die Verordnung gilt, sofern die Verordnung selbst nichts anderes bestimmt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates haben.

In ihrem dritten Titel enthält die Verordnung dann besondere Bestimmungen über die verschiedenen Arten von Leistungen und im fünften Titel mit der Überschrift „Verschiedene Bestimmungen“ findet sich Art 85, der die Ansprüche der Träger, insbesondere auch grenzüberschreitende Regressfälle, regelt.

Eine Auslegung dahingehend, dass die Gleichbehandlungsnorm des Art 4 lediglich für die Leistungsnormen des dritten Titels, nicht aber für Regressfälle des fünften Titels gelte, widerspricht daher dem System der Verordnung.

5. Die Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen DAK und Kordel, C-428/92 sowie C-397/96 betreffen Fragen des anzuwendenden Rechts bei grenzüberschreitenden Regressfällen (Deliktsstatut, Zessionsstatut) und nicht die hier strittige Frage der Auslegung des § 106 SGB VII und können daher mangels Einschlägigkeit ebenfalls keine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts begründen.

6. Lediglich die Entscheidung des Landgerichts Ellwangen beschäftigt sich konkret mit der hier zu lösenden Rechtsfrage und gelangt zu der von der klagenden Partei vertretenen Auslegung. Die Begründung beschränkt sich allerdings auf die Aussage, dass die systematische und teleologische Auslegung der Vorschrift zu diesem Ergebnis führe, weil Ausgangspunkt und Rechtfertigung des Haftungsprivilegs die unfallversicherungs- und haftungsrechtliche Gefahrengemeinschaft sei: Nur wer als Geschädigter in den Schutz der deutschen Unfallversicherung einbezogen sei, werde haftungsrechtlich besser gestellt, wenn er sich in der Schädigerrolle befinde.

Die dazu zitierte Entscheidung des BGH VI ZR 257/06 betrifft aber den Fall eines geschädigten versicherten Unternehmers, der freiwillig oder kraft Satzung versichert war, und keinen grenzüberschreitenden Sachverhalt, und stützt daher die vertretene Meinung nicht. Im Übrigen beschäftigt sich das Landgericht Ellwangen in seiner Entscheidung nicht mit den oben genannten europarechtlichen Vorgaben, insbesondere Art 4 der VO (EG) 883/2004 und dem dort verankerten Gleichbehandlungsgebot, und ebensowenig mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art 18 AEUV.

7. Eine Abweichung von einer in Deutschland herrschenden Ansicht und damit eine Berufung des Obersten Gerichtshofs zur Lösung der Rechtsfrage des deutschen Sozialversicherungsrechts wird somit insgesamt nicht aufgezeigt. Die im Rechtsmittel „beantragte“ Befassung des EuGH mit dieser Rechtsfrage kommt nicht in Betracht.

Im Übrigen ist auf die jüngst zur selben Rechtsfrage ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 9 ObA 31/13v zu verweisen (vgl RIS-Justiz RS0112921).

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