OGH 12Os161/15s

OGH12Os161/15s3.3.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. März 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kühlmayer als Schriftführer in der Strafsache gegen Rene R***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15 Abs 1, 201 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 29. Oktober 2015, GZ 34 Hv 97/15k‑41, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0120OS00161.15S.0303.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch enthaltenden Urteil wurde Rene R***** der Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 202 Abs 1 StGB (1./) und der Vergewaltigung nach §§ 15 Abs 1, 201 Abs 1 StGB (2./) schuldig erkannt.

Danach hat er in B***** Andrea K*****

1. im Herbst 2013 außer den Fällen des § 201 StGB mit Gewalt zur Vornahme oder Duldung einer geschlechtlichen Handlung zu nötigen versucht, indem er sie am Arm packte, gewaltsam zu sich heranzog und festhielt, während er mit der anderen Hand seinen nackten Penis umfasste, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil sie sich von ihm losreißen und flüchten konnte;

2. am 4. November 2014 mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs zu nötigen versucht, indem er sie zu Boden riss, seinen Penis aus der Hose holte und sich auf sie legte, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil sie sich befreien konnte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 5, 9 lit a und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Zu Punkt 1./ des Schuldspruchs behauptet die Mängelrüge Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall), weil aus den Feststellungen nicht erkennbar wäre, „ob überhaupt und welche geschlechtliche Handlung konkret festgestellt wurde und auf welche geschlechtliche Handlung sich die subjektive Tatseite des Angeklagten bezogen hat“.

Undeutlichkeit läge vor, wenn den Feststellungen des Urteils nicht klar zu entnehmen wäre, welche entscheidenden Tatsachen das Gericht sowohl auf der objektiven als auch auf der subjektiven Tatseite als erwiesen angenommen hat und aus welchen Gründen dies geschah (RIS‑Justiz RS0089983).

Fallaktuell stellte das Erstgericht die Tathandlungen wie im Spruch beschrieben fest und konstatierte weiters: „Während des gegenständlichen Übergriffs hielt es der Angeklagte zumindest ernstlich für möglich und fand sich auch billigend damit ab, Andrea K***** durch den Einsatz nicht unerheblicher psychischer [gemeint: physischer] Kraft zur Überwindung eines wirklichen oder vermuteten Widerstands, somit durch Gewalt, namentlich dadurch, dass er sie ‑ wie dargestellt ‑ während des Übergriffs am Arm packte, gewaltsam zu sich heranzog und festhielt und mit der anderen Hand seinen nackten Penis umfasste, gegen ihren Willen zur Vornahme oder Duldung einer nicht näher bekannten geschlechtlichen Handlung, nämlich zumindest zu einem nicht bloß flüchtigen sexualbezogenen Berühren der zu unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörigen, somit dem männlichen oder weiblichen Körpers spezifisch eigentümlichen Körperpartien seiner selbst oder der Andrea K***** mit dem Körper der jeweils anderen Person zu nötigen“ (US 4 f).

Entgegen dem Vorbringen des Angeklagten sind diese Feststellungen nicht undeutlich, die Tatrichter haben sich bloß zur Konkretisierung der Tathandlung wahldeutiger Feststellungen bedient. Solche sind zulässig, wenn jede der wahlweise getroffenen Annahmen zu dem gleichen rechtlichen Schluss führt ( Lendl , WK‑StPO § 260 Rz 23). § 202 Abs 1 StGB ist ein alternatives Mischdelikt in Bezug auf die Nötigungsziele (Vornahme oder Duldung einer geschlechtlichen Handlung; vgl 13 Os 92/09t). Wahldeutige Feststellungen sind bei alternativen Mischdelikten unbedenklich (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 398 f, 573 f; RIS‑Justiz RS0098710 [T10]; vgl 12 Os 4/14a).

Entgegen dem weiteren Vorbringen der Mängelrüge (Z 5 dritter Fall) steht die Feststellung, wonach der Angeklagte „anlässlich“ des Übergriffs bemerkte, dass Andrea K***** es nicht wollte, dass er sie am Arm packte, sie gewaltsam zu sich herzog und festhielt, und dass sie an keiner Vornahme oder Duldung geschlechtlicher Handlungen interessiert war, nicht in Widerspruch zu der weiteren Konstatierung, wonach er es „während“ des Übergriffs ernsthaft für möglich hielt und sich billigend damit abfand, sie durch Gewalt gegen ihren Willen zur Vornahme oder Duldung einer nicht näher bekannten geschlechtlichen Handlung zu nötigen (US 4).

Die gesetzmäßige Darstellung eines materiell‑rechtlichen Nichtigkeitsgrundes erfordert striktes Festhalten an den zum Tatsächlichen getroffenen Urteilsfeststellungen in ihrer Gesamtheit und die auf dieser Grundlage zu führende Darlegung, dass dem Gericht bei der Beurteilung des Urteilssachverhalts ein Rechtsirrtum unterlaufen sei (RIS‑Justiz RS0099810).

Ein Feststellungsmangel wird geltend gemacht, indem unter Hinweis auf einen nicht durch Feststellungen geklärten, jedoch durch Vorkommen in der Hauptverhandlung indizierten Sachverhalt eine vom Erstgericht nicht gezogene Konsequenz angestrebt wird, weil dieses ein Tatbestandsmerkmal, einen Ausnahmesatz (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a bis c StPO) oder eine andere rechtliche Unterstellung (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) bei der rechtlichen Beurteilung nicht in Anschlag gebracht hat (RIS‑Justiz RS0118580).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zu Punkt 1./ des Schuldspruchs verfehlt prozessordnungskonforme Darstellung materieller Nichtigkeit, indem sie nicht von den erstgerichtlichen Feststellungen ausgeht und im Gegensatz zum Urteil (US 4 f) behauptet, der Angeklagte wäre vom Einverständnis des Opfers zu einer geschlechtlichen Handlung ausgegangen.

Indem der Rechtsmittelwerber ausführt, das Opfer hätte bei seiner Vernehmung bestätigt, sich in der Vergangenheit „bei Flirtversuchen des Angeklagten“ „nicht unwohl gefühlt“ zu haben, bekämpft er nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung, ohne einen materiellen Nichtigkeitsgrund aufzuzeigen.

Soweit der Angeklagte zu Punkt 2./ des Schuldspruchs freiwilligen Rücktritt vom Versuch (§ 16 Abs 1 StGB) reklamiert (Z 9 lit b) und behauptet, er habe vom Opfer weder aufgrund seiner Gegenwehr oder des schlaff gebliebenen Penis abgelassen, sondern ausschließlich aufgrund einer inneren Umkehr, orientiert er sich nicht an den Feststellungen, wonach eben die angeführten Umstände Ursache dafür waren, dass es nicht zum Geschlechtsverkehr kam (US 6). Damit verfehlt die Nichtigkeitsbeschwerde den gesetzlichen Bezugspunkt.

Auch zu Punkt 1./ des Schuldspruchs beansprucht die Nichtigkeitsbeschwerde den Strafaufhebungsgrund des Rücktritts vom Versuch nach § 16 Abs 1 StGB (Z 9 lit b), orientiert sich aber ebenso wenig an den dargestellten Anfechtungskriterien. Sie stellt nämlich lediglich durch eigene Beweiswerterwägungen die erstgerichtliche Konstatierung in Frage, wonach es nur deshalb beim Versuch blieb, weil Andrea K***** sich vom Angeklagten losreißen und flüchten konnte (US 5).

Indem der Angeklagte auf die Angaben der Zeugin K***** vor der Polizei und bei der kontradiktorischen Vernehmung verweist, zeigt er (abgesehen davon, dass kein ungeklärter Sachverhalt vorliegt) keineswegs Indizien auf, die für ein freiwilliges Ablassen sprechen, gab sie doch an, dass sie sich mit „viel Kraft“ losreißen konnte (ON 2 S 35, ON 23 S 8). Entgegen dem Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde (inhaltlich Z 5 zweiter Fall) hat sie hingegen nicht ausgesagt, dass sie nicht weg konnte, weil der Angeklagte sie so fest gehalten habe.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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