OGH 13Os139/15p

OGH13Os139/15p18.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Dezember 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Jukic als Schriftführerin in der Finanzstrafsache gegen den belangten Verband P***** GmbH wegen Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG und weiterer strafbarer Handlungen je iVm § 3 Abs 1 Z 1 und 2, Abs 2 VbVG über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des belangten Verbandes sowie dessen Masseverwalters gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 26. August 2014, GZ 123 Hv 13/14d‑55, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0130OS00139.15P.1218.000

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerden sowie die Berufung des Masseverwalters des belangten Verbandes werden zurückgewiesen.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im gemäß § 3 Abs 1 Z 1 und 2, Abs 2 VbVG ergangenen Ausspruch der Verantwortlichkeit des belangten Verbandes für die zu B/I/I/A/2 und B/I/II angeführten, §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 und 13 FinStrG, und für die zu B/I/III angeführten, §§ 33 Abs 2 lit a, 38 Abs 1 lit a FinStrG unterstellten Taten des Mustafa D***** und des Semsettin S***** sowie demzufolge im Ausspruch über die Verbandsgeldbuße aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der belangte Verband auf die Aufhebung des Ausspruchs über die Verbandsgeldbuße verwiesen.

Dem belangten Verband fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem der Bestimmung des § 22 Abs 2 VbVG entsprechend gesondert verkündeten (ON 54 S 21 ff), aber ‑ da die Urteilsausfertigung die Urschrift des mündlich verkündeten Urteils darstellt (vgl Danek, WK‑StPO § 270 Rz 1) ‑ verfehlt gemeinsam mit dem Urteil gegen die natürlichen Personen (ON 54 S 14 ff; § 22 Abs 1 VbVG) ausgefertigten angefochtenen Urteil sprach das Erstgericht (zu B) aus, dass die P***** GmbH als belangter Verband für die nachangeführten, jeweils (nicht rechtskräftig) als Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG (I und II, wobei es zu II/7 und II/8 beim Versuch [§ 13 FinStrG] geblieben ist) und nach §§ 33 Abs 2 lit a, 38 Abs 1 lit a FinStrG (III) beurteilten Taten des Mustafa D***** und des Semsettin S***** mit einem strafbestimmenden Wertbetrag von 721.153,15 Euro im Sinn des § 3 Abs 1 Z 1 und 2, Abs 2 VbVG (US 15) verantwortlich ist, weil Mustafa D***** als im Firmenbuch eingetragener Geschäftsführer und Semsettin S***** als weiterer Machthaber, der maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung des Verbandes ausübte, mithin beide als Entscheidungsträger (§ 2 Abs 1 Z 1 und 3 VbVG), die Finanzvergehen rechtswidrig und schuldhaft zu Gunsten des Verbandes und unter Verletzung von Verbandspflichten begangen haben.

Dabei ging das Erstgericht davon aus, dass im Bereich des ehemaligen Finanzamts für den 1. und 23. Bezirk Wien Mustafa D***** als im Firmenbuch eingetragener Geschäftsführer im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Semsettin S***** als weiterem Machthaber, beide als für die P***** GmbH Verantwortliche, vorsätzlich in mehrfachen Tathandlungen nachgenannte Verkürzungen von Abgaben bewirkt und zu bewirken versucht haben, wobei es ihnen darauf ankam, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, nämlich

I/ unter Verletzung abgabenrechtlicher Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten hinsichtlich nachstehender bescheidmäßig festzusetzender Abgaben bewirkt haben, und zwar

A/ an Umsatzsteuer

1/ durch die Abgabe unrichtiger Steuererklärungen

a/ am 25. Jänner 2006 für das Veranlagungsjahr 2004 um 18.470,86 Euro

b/ am 2. Oktober 2006 für das Veranlagungsjahr 2005 um 28.765,55 Euro

c/ am 11. September 2007 für das Veranlagungsjahr 2006 um 29.263,76 Euro

d/ am 20. Oktober 2008 für das Veranlagungsjahr 2007 um 45.517,88 Euro

e/ am 29. April 2008 (richtig: 2009; vgl A/I/B/e US 4) für das Veranlagungsjahr 2008 um 44.576,18 Euro

f/ am 29. Dezember 2010 für das Veranlagungsjahr 2009 um 48.949,13 Euro

g/ am 7. April 2011 für das Veranlagungsjahr 2010 um 46.240,98 Euro

2/ durch die Nichtabgabe einer Steuererklärung im Jahr 2012 für das Veranlagungsjahr 2011 um 52.383,64 Euro

B/ an Körperschaftsteuer durch die Abgabe unrichtiger Steuererklärungen

a/ am 25. Jänner 2006 für das Veranlagungsjahr 2004 um 5.915,67 Euro

b/ am 3. Oktober 2006 für das Veranlagungsjahr 2005 um 17.663,63 Euro

c/ am 20. Oktober 2008 für das Veranlagungsjahr 2007 um 4.564,04 Euro

d/ am 29. April 2009 für das Veranlagungsjahr 2008 um 14.797,15 Euro

e/ am 29. Dezember 2010 für das Veranlagungsjahr 2009 um 1.406,82 Euro

f/ am 7. April 2011 für das Veranlagungsjahr 2010 um 15.048,83 Euro

II/ hinsichtlich der selbst zu berechnenden Kapitalertragsteuer, indem sie ihre Einbehaltung, Anmeldung und Abfuhr unterließen, und zwar

a/ bewirkt haben

1/ für den Zeitraum Jänner 2006 bis Juni 2006 um 26.302,33 Euro

2/ für den Zeitraum Juli 2006 bis Juni 2007 um 39.794,25 Euro

3/ für den Zeitraum Juli 2007 bis Juni 2008 um 39.155,82 Euro

4/ für den Zeitraum Juli 2008 bis Juni 2009 um 42.891,52 Euro

5/ für den Zeitraum Juli 2009 bis Juni 2010 um 42.678,96 Euro

6/ für den Zeitraum Juli 2010 bis Juni 2011 um 53.752,87 Euro

b/ zu bewirken versucht haben

7/ für den Zeitraum Juli 2011 bis Juni 2012 um 47.162,20 Euro

8/ für den Zeitraum Juli 2012 bis Dezember 2012 um 3.090,52 Euro

III/ vom 15. September 2011 bis zum 15. Mai 2012 unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von § 21 UStG entsprechenden Voranmeldungen wissentlich (US 12) bewirkt haben, und zwar um 52.760,52 Euro an Umsatzsteuer, indem sie für die Monate Juli 2011 bis März 2012 zu geringe Umsatzsteuervorauszahlungen entrichteten.

 

Rechtliche Beurteilung

Den Ausspruch der Verantwortlichkeit des belangten Verbandes bekämpfen sowohl dieser als auch dessen Masseverwalter mit identen, auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gestützten und in einem Schriftsatz gemeinsam ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden. Außerdem erhoben sie Berufungen.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde und zur Berufung des Masseverwalters:

Nach § 58 Z 2 IO können Geldstrafen wegen strafbarer Handlungen jeder Art als ausgeschlossene Ansprüche nicht als Insolvenzforderungen geltend gemacht werden. Folglich werden Forderungen auf Zahlung von Geldstrafen wegen strafbarer Handlungen von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (§§ 1 ff IO) nicht berührt (RIS‑Justiz RS0122028) und hat eine solche auf gerichtliche Strafverfahren gegen den Schuldner keine Auswirkung (Feuchtinger/Lesigang, Praxisleitfaden Insolvenzrecht4, 21).

Gemäß § 83 Abs 1 IO ist der Insolvenzverwalter (Masseverwalter; zur Terminologie vgl § 180 IO, Feuchtinger/Lesigang, Praxisleitfaden Insolvenzrecht4, 21) mit hier nicht interessierenden Ausnahmen im Verhältnis zu Dritten kraft seiner Bestellung befugt, alle Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen vorzunehmen, welche die Erfüllung der Obliegenheiten seines Amts mit sich bringt. Aus dem zuvor dargelegten Ausschluss von Geldstrafen wegen strafbarer Handlungen aus einer Insolvenzverfangenheit (§ 58 Z 2 IO) folgt aber, dass er zur Vertretung des Schuldners in einem gegen diesen geführten Strafverfahren nicht legitimiert ist (vgl VwGH 2089/60 VwSlg 5661 A zur fehlenden Legitimation des Masseverwalters, in einem Verwaltungsstrafverfahren gegen ein den Gemeinschuldner betreffendes Straferkenntnis zu berufen).

Nach dem VbVG im Fall der Verantwortlichkeit eines Verbandes für eine Straftat zu verhängenden Verbandsgeldbußen (§ 4 VbVG) kommt zwar im Unterschied zur Strafe des Individualstrafrechts keine individualethische, wohl aber eine mit intendierten general‑ und spezialpräventiven Effekten verbundene sozialethische Tadelswirkung zu (ErläutRV 994 BlgNR 22. GP  24; Hilf/Zeder in WK² VbVG § 4 Rz 1). Die der Sanktionierung einer Verantwortlichkeit des Verbandes dienende Verbandsgeldbuße (vgl Hilf/Zeder in WK² VbVG § 3 Rz 3 und § 4 Rz 1) stellt somit eine Sanktion im Rahmen des Kriminalstrafrechts dar. Unter solcherart gleichartigen materiellen Gesichtspunkten ist die Verbandsgeldbuße (§ 4 VbVG) dem Begriff der Geldstrafe wegen einer strafbaren Handlung nach § 58 Z 2 IO zu subsumieren. Dieses Ergebnis korrespondiert auch mit der Beurteilung von Haftungsbeträgen nach § 9 Abs 7 VStG (vgl 3 Ob 235/99a [= Mohr, IO11 § 58 E 5]) und nach § 28 aF FinStrG (14 Os 175/98) als Geldstrafen wegen strafbarer Handlung im Sinn des § 58 Z 2 KO (nunmehr IO).

Der Masseverwalter des belangten Verbandes ist daher zur Ergreifung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung nicht legitimiert (§§ 282 Abs 1, 283 Abs 2 StPO iVm § 195 Abs 1 und 3 FinStrG, § 14 Abs 1 VbVG), sodass schon in nichtöffentlicher Beratung dessen Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285d Abs 1 Z 1 StPO (§ 285a Z 1 StPO) und dessen Berufung gemäß §§ 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO (RIS‑Justiz RS0100042) zurückzuweisen waren.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des belangten Verbandes:

Der Behauptung der Mängelrüge (Z 5) zuwider haben die Tatrichter das Ergebnis der Außenprüfung gemäß § 150 BAO (ON 35) zur Begründung der Feststellung, wonach die beiden Angeklagten die Abgabenhinterziehungen zu Gunsten der P***** GmbH begingen, die sich letztlich zumindest vorübergehend die Abfuhr der inkriminierten Abgaben ersparte (US 12), nicht wiedergegeben. Unter dem Aspekt der Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) kann jedoch nur ein den Tatrichtern unterlaufenes Fehlzitat im Rahmen der Beweiswürdigung beanstandet, nicht aber geltend gemacht werden, dass aus den Beweisergebnissen andere als die im Urteil gezogenen Schlüsse abzuleiten gewesen wären (RIS‑Justiz RS0099431 [T13]).

Im Übrigen betrifft die bekämpfte Urteilskonstatierung keine entscheidende Tatsache, weil der nach den Feststellungen (US 12, 15 f) auch verwirklichte Alternativtatbestand (hiezu Hilf/Zeder in WK2 VbVG § 3 Rz 7) der Verantwortlichkeit des belangten Verbandes zufolge Verletzung von den Verband treffenden Pflichten durch die Tat des Entscheidungsträgers (§ 3 Abs 1 Z 2 VbVG) davon unberührt bleibt.

Soweit die Beschwerde unter Behauptung von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) aus einer Passage des Abschlussberichts (ON 54 S 14 iVm [richtig] ON 35 S 219) in „Zusammenschau“ mit eigenen Beweiswerterwägungen und darauf gegründeten Schlussfolgerungen eine für den belangten Verband günstige Sachverhaltsvariante ableitet, wendet sie sich nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung (§ 283 Abs 1 StPO) in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

Die Rechtsrüge wendet ein, in der Hauptverhandlung seien Verfahrensergebnisse vorgekommen, die indizieren würden, dass der belangte Verband „selbst Opfer der den Angeklagten zur Last gelegten Taten wurde“ (was Literaturmeinungen zufolge zum Ausschluss diesbezüglicher Verbandsverantwortlichkeit führen soll; vgl Hilf/Zeder in WK2 VbVG § 3 Rz 19 f). Das dazu Vorgetragene ist jedoch keineswegs auf die festgestellten, den Schuldsprüchen zu Grunde liegenden Taten bezogen (vgl aber RIS‑Justiz RS0099730), nämlich ‑ soweit angesichts der teilweisen Urteilsaufhebung (siehe dazu die folgenden Ausführungen zur amtswegigen Maßnahme) noch relevant ‑ Abgabe unrichtiger Steuererklärungen betreffend Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer jeweils für die Jahre 2003 bis 2010, sondern auf eine in der Beschwerde angedeutete „Vorgehensweise der Angeklagten“, die, wie behauptet wird, „den Verdacht der Untreue nach § 153 StGB nahe“ legt.

Auch die Nichtigkeitsbeschwerde des belangten Verbandes war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

 

Zum amtswegigen Vorgehen:

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch, dass in der angefochtenen Entscheidung das Strafgesetz mehrfach zum Nachteil des belangten Verbandes unrichtig angewendet worden ist (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

Voranzustellen ist, dass nur die Begehung einer nach einem Bundes‑ oder Landesgesetz mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlung (zum Begriff vgl Fuchs AT I 8 6/3; 13 Os 63/05x mwN; zur Einschränkung bei Finanzvergehen siehe § 1 Abs 1 letzter Halbsatz VbVG) durch bestimmte natürliche Personen unter Erfüllung weiterer spezifischer Voraussetzungen (siehe dazu §§ 2 und 3 VbVG) die Verantwortlichkeit des Verbandes auszulösen vermag (§ 1 Abs 1 VbVG; Hilf/Zeder in WK² VbVG § 1 Rz 3 f). Diese straftat‑ und deliktsspezifische Akzessorietät der Haftung des belangten Verbandes (vgl Steininger VbVG § 3 Rz 36 und 48) stellt materiell-rechtlich einen untrennbaren Zusammenhang zwischen dem Handeln des Entscheidungsträgers oder Mitarbeiters und der Verbandsverantwortlichkeit her.

Solcherart ist mangels eines auch gegenüber dem belangten Verband materiell rechtskräftigen Schuldspruchs (vgl RIS‑Justiz RS0112232) einer natürlichen Person gemäß § 22 Abs 1 VbVG fallbezogen auch die rechtswidrige und schuldhafte Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung durch den Entscheidungsträger (§§ 2 Abs 1 Z 1 und 3, 3 Abs 2 VbVG) Gegenstand der amtswegigen Prüfung des gegen den belangten Verband ergangenen Urteils (§ 22 Abs 2 VbVG).

1. Der Vorgang der Subsumtion besteht im Herstellen einer Verknüpfung zwischen der Tat und einer strafbaren oder (sofern in Sonderfällen nicht alle Voraussetzungen der Strafbarkeit verlangt werden) mit Strafe bedrohten Handlung. Dabei wird der festgestellte Lebenssachverhalt (Tat) dahin beurteilt, ob er unter die gesetzliche Kategorie einer strafbaren Handlung, also eines tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens, das auch allfälligen zusätzlichen Voraussetzungen für die Strafbarkeit genügt, fällt (Ratz in WK² StGB Vor §§ 28 bis 31 Rz 1 f; Lässig in WK² FinStrG Vorbem Rz 7).

Hinsichtlich zu veranlagender Abgaben wird nach ständiger Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0086590 und RS0124712) ‑ bezogen auf ein Steuersubjekt ‑ mit Abgabe einer unrichtigen Jahressteuererklärung je Steuerart (unabhängig von der Höhe des Hinterziehungsbetrags) ein Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG begründet. Solcherart bildet insoweit die Jahressteuererklärung ‑ allenfalls als Bündel mehrerer steuerlich trennbarer Einzelaspekte ‑ das kleinste (nicht mehr teilbare) Element des Sachverhalts, also eine selbständige Tat im materiellen Sinn (13 Os 142/08v, JBl 2010, 318).

Entsprechendes gilt für das Unterlassen der Abgabe einer Jahressteuererklärung, in welchem Fall die Nichtabgabe bis zum gesetzlich vorgesehenen Endzeitpunkt (§ 33 Abs 3 lit a zweiter Fall FinStrG) selbständige Tat ist (13 Os 58/13y, Lässig in WK² FinStrG Vorbem Rz 9).

Eine taugliche Feststellungsbasis für die Beurteilung der Taten der Entscheidungsträger Mustafa D***** und Semsettin S***** als Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG in Ansehung der Umsatzsteuer für das Veranlagungsjahr 2011 (B/I/I/A/2) ist den Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen. Diese enthalten ‑ durch entsprechenden Verweis auf den Urteilstenor ‑ nämlich nur Konstatierungen zu Verkürzungen der genannten Steuer für die Veranlagungsjahre 2003 bis 2010 (US 11).

2. Hinsichtlich der Verkürzung von Kapitalertragsteuer (B/I/II) sieht das Erstgericht offenbar verdeckte Gewinnausschüttungen als Grundlage der Abgabepflicht an (vgl US 11). Verdeckte Ausschüttungen sind alle außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung gelegenen Zuwendungen einer Körperschaft an Anteilsinhaber, die das Einkommen der Körperschaft vermindern und ihre Wurzel in der Anteilsinhaberschaft haben. Offene wie verdeckte Gewinnausschüttungen setzen definitionsgemäß eine Vorteilszuwendung einer Körperschaft an eine Person mit Gesellschafterstellung voraus, bloße „Machthaber“ (wie etwa an der Gesellschaft nicht beteiligte faktische Geschäftsführer) können nicht Empfänger von Gewinnausschüttungen sein (vgl 13 Os 125/11y mwN). Die Zuwendung eines Vorteils an einen Anteilsinhaber kann allerdings auch darin gelegen sein, dass eine dem Anteilsinhaber nahestehende Person begünstigt wird. Eine verdeckte Ausschüttung ist daher auch dann anzunehmen, wenn Dritte aufgrund ihres Naheverhältnisses zum Anteilsinhaber eine in der Anteilsinhaberschaft wurzelnde Zuwendung erhalten (VwGH 14. 12. 2005, 2002/13/0022 mwN; VwGH 1. 3. 2007, 2004/15/0096 mwN; Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn in Doralt/Kirchmayr/Mayr/ Zorn, EStG § 94 Rz 22).

Nach den bezughabenden Bestimmungen des EStG in sämtlichen im Tatzeitraum geltenden Fassungen unterliegen Gewinnanteile aus Gesellschaften mit beschränkter Haftung gemäß § 93 Abs 2 Z 1 EStG der Kapitalertragsteuer, die binnen einer Woche nach Zufließen der Kapitalerträge in Verbindung mit einer entsprechenden Anmeldung unter der Bezeichnung „Kapitalertragsteuer“ abzuführen ist (§ 96 Abs 1 Z 1, Abs 3 EStG; 13 Os 104/10h; RIS‑Justiz RS0124712).

Selbständige Tat in diesem Bereich ist das Unterlassen der auf einen bestimmten Ertragszufluss bezogenen Kapitalertragsteuerabfuhr (§ 96 Abs 1 EStG) unter Verletzung der korrespondierenden (§ 96 Abs 3 EStG) Anmeldungspflicht (13 Os 8/15y mwN).

Der Entscheidung sind jedoch keine Feststellungen dahingehend zu entnehmen, dass die beiden Angeklagten Gesellschafter der P***** GmbH und die „verdeckten Ausschüttungen“ (US 11) Gewinnausschüttungen im oben dargestellten Sinn waren. Zudem enthält sie hinsichtlich der Kapitalertragsteuer (B/I/II) bloß jeweils auf den Zeitraum Juli eines Jahres bis Juni des Folgejahres bezogene, zusammengefasste Gesamtbeträge (US 4f; US 8).

3. Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG (B/I/III) werden durch dort pönalisiertes Verhalten in Bezug auf Voranmeldungszeiträume (siehe § 21 Abs 1 UStG) begangen, sodass sachverhaltsmäßig hinsichtlich jedes solchen Zeitraums (unabhängig von der Höhe des Hinterziehungsbetrags) eine selbständige Tat vorliegt (13 Os 142/08v; RIS‑Justiz RS0118311, RS0124712).

Eine im dargelegten Sinn taugliche Feststellungsbasis für die Subsumtion der Taten der Entscheidungsträger als Finanzvergehen nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG enthält die Entscheidung nicht.

In diesem Zusammenhang wird im zweiten Rechtsgang überdies zu beachten sein, dass das Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG dann, wenn in der Folge mit Beziehung auf den gleichen Umsatzsteuerverkürzungsbetrag und den selben Steuerzeitraum auch das Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG zumindest versucht wird (siehe fallbezogen die zeitliche Deckung der Schuldsprüche A/I/A/2 und A/III für die Monate Juli bis Dezember 2011), von Letzterem konsumiert wird (scheinbare Realkonkurrenz; RIS‑Justiz RS0086719; Lässig in WK² FinStrG § 33 Rz 18 mwN).

4. Zudem wird zu berücksichtigen sein, dass gemäß § 4 Abs 2 FinStrG ‑ anders übrigens als nach § 61 StGB ‑ grundsätzlich das Tatzeitrecht zur Anwendung gelangt, sofern das im Urteilszeitpunkt geltende Recht ‑ ausgehend vom Urteilssachverhalt ‑ in seiner konkreten Gesamtauswirkung nicht für den Täter günstiger ist.

Da das Urteilszeitrecht gegenüber dem jeweiligen Tatzeitrecht in Bezug auf § 33 Abs 1 FinStrG und § 33 Abs 2 lit a FinStrG weder die Tatbestände einengt noch die Strafdrohungen reduziert, ist grundsätzlich das zur Tatzeit geltende Recht anzuwenden. In Bezug auf Taten, deren präsumtiver Tatzeitraum vor dem 1. Jänner 2011 liegt, bleibt aber die Änderung des § 33 Abs 5 FinStrG durch die Finanzstrafgesetz‑Novelle 2010 BGBl I 2010/104 zu beachten, wonach der strafbestimmende Wertbetrag (§ 53 FinStrG) nur jene Abgabenbeträge umfasst, deren Verkürzung im Zusammenhang mit den Unrichtigkeiten bewirkt wurde, auf die sich der Vorsatz des Täters bezieht (§ 33 Abs 5 zweiter Satz FinStrG; hiezu Lässig in WK² FinStrG § 33 Rz 47 f). Entsprechende Feststellungen sind der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen und werden im zweiten Rechtsgang anlässlich der Vornahme des Günstigkeitsvergleichs (§ 4 Abs 2 FinStrG) zu treffen sein.

In diesen Vergleich werden auch die Änderungen des § 38 FinStrG und die diesbezügliche Übergangsbestimmung des § 265 Abs 1p zweiter Satz FinStrG einzubeziehen sein, wobei eine Mischung von Rechtslagen unzulässig ist (RIS‑Justiz RS0088953).

5. Auf die in Ansehung der festgestellten Tatzeit von September 2011 bis Mai 2012 verfehlte Anwendung des § 38 Abs 1 „lit a“ FinStrG (solcherart ersichtlich idF vor BGBl I 2010/104) zu A/III (US 5) ist zufolge der gebotenen Aufhebung lediglich zur Klarstellung hinzuweisen.

In diesem Sinn ist auch anzumerken, dass das Zitieren des § 33 Abs 3 lit a und b FinStrG (US 5) im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) verfehlt ist, weil § 33 Abs 3 FinStrG (bloß) Legaldefinitionen des Bewirkens (von Abgabenverkürzungen), also der möglichen Arten und des Zeitpunkts der technischen Vollendung der Finanzvergehen nach § 33 Abs 1 und Abs 2 FinStrG enthält, die finanzstrafrechtlichen Tatbestände der Abgabenhinterziehung hingegen in diesen Normen und in § 33 Abs 4 FinStrG umschrieben sind (RIS‑Justiz RS0087102; Lässig in WK² FinStrG § 33 Rz 29).

 

Zufolge der aufgezeigten Feststellungsdefizite war die angefochtene Entscheidung im dargestellten Umfang schon bei nichtöffentlicher Beratung aufzuheben (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 285e StPO).

Dies hatte die Aufhebung des Ausspruchs über die Verbandsgeldbuße zur Folge. Auf Letzteres war der belangte Verband mit seiner Berufung zu verweisen.

Der Kostenausspruch, der die amtswegigen Maßnahmen nicht umfasst (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO iVm § 14 Abs 1 VbVG.

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