OGH 2Ob226/15x

OGH2Ob226/15x16.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** K*****, vertreten durch die Eltern *****, diese vertreten durch Mag. Priska Seeber, Rechtsanwältin in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. G***** F*****, 2. R***** AG, *****, beide vertreten durch Greiter ‑ Pegger ‑ Kofler & Partner, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 10.593,28 EUR sA und Feststellung (Streitwert 3.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 17. September 2015, GZ 2 R 191/15z‑22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 22. Mai 2015, GZ 30 C 778/13p‑18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0020OB00226.15X.1216.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 999,29 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 166,55 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Der zum Unfallzeitpunkt fast achtjährige Kläger wurde bei einem Zusammenstoß mit einem vom Erstbeklagten gelenkten und gehaltenen und bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten Pkw verletzt. Der Unfall ereignete sich in der Nähe einer Schule. Im Unfallbereich war eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h verordnet, und es war ein Gefahrenzeichen „Kinder“ angebracht. Der Kläger war zusammen mit drei anderen Kindern spielend von einem Gehweg auf die Straße gelaufen. Der ortskundige Erstbeklagte hatte sich der Unfallstelle mit etwa 20 km/h genähert. Da die Sicht auf den Gehweg durch einen Holzzaun verstellt war, nahm er die Kinder erst wahr, als er den Unfall trotz Vollbremsung nicht mehr verhindern konnte. Auch bei einer Geschwindigkeit von nur 5 km/h wäre die Kollision nicht vermeidbar gewesen, da sie stets innerhalb der Reaktionszeit erfolgt wäre; eine Bremswirkung wäre daher in keinem Fall erzielbar gewesen.

Der Kläger begehrt Schadenersatz von 10.593,28 EUR sA und die Festellung der Haftung der Beklagten für zukünftige Schäden.

Die Vorinstanzen verneinten eine Haftung. Den Erstbeklagten treffe kein Verschulden; es habe sich um ein unabwendbares Ereignis iSv § 9 EKHG gehandelt.

Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, der Oberste Gerichtshof habe in 2 Ob 19/04i und 2 Ob 99/15w nicht zur Frage Stellung genommen, inwieweit die Kenntnis einer nahe gelegenen Schule und das Vorhandensein eines auf Kinder hinweisenden Gefahrenzeichens eine andere Beurteilung notwendig mache.

Die Revision des Klägers ist ungeachtet dieses den Obersten Gerichtshofs nicht bindenden Ausspruchs (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. An die „gebotene Sorgfalt“ iSv § 9 Abs 2 EKHG sind zwar strengste Anforderungen zu stellen; diese Anforderungen dürfen aber auch nicht überspannt werden, da sonst eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Erfolgshaftung einträte (2 Ob 99/15w mwN). Maßgebend sind regelmäßig die Umstände des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0111708).

2. Im konkreten Fall bedarf die Entscheidung des Berufungsgerichts keiner Korrektur: Es besteht keine Verpflichtung, sich Kindern, die am Straßenrand stehen, nur mit Schrittgeschwindigkeit zu nähern (2 Ob 230/82 ZVR 1983/347; 2 Ob 157/06m); die bloße ‑ wenngleich aufgrund der örtlichen Verhältnisse (Schule, Gefahren-zeichen) nicht ganz unwahrscheinliche ‑ Möglichkeit, dass zuvor nicht sichtbare Kinder auf die Straße laufen, kann keine strengeren Anforderungen begründen. Daher hat der Senat in einem vergleichbaren Fall (Herauslaufen aus einer Einfahrt) erst jüngst die Auffassung als vertretbar angesehen, dass das Fahren mit einer Geschwindigkeit von 25 km/h trotz eines auf spielende Kinder hinweisenden Schildes die gebotene Sorgfalt nicht verletzt habe (2 Ob 99/15w). Dass es sich bei diesem Schild ‑ anders als hier ‑ um kein Gefahrenzeichen „Kinder“ iSd § 50 Z 12 StVO gehandelt hatte, begründet keinen tragenden Unterschied, weil auch das nicht der StVO entsprechende Schild faktisch vor jener Gefahr gewarnt hatte, die sich später verwirklichte.

3. Diese Erwägungen führen zur Zurückweisung der Revision. Da die Beklagten auf die Unzulässigkeit hingewiesen haben, hat ihnen der Kläger die Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen (RIS‑Justiz RS0035979; RS0035962).

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