OGH 2Ob157/06m

OGH2Ob157/06m21.9.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Grohmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj Markus S*****, vertreten durch Dr. Helmar Feigl, Rechtsanwalt in Amstetten, gegen die beklagte Partei W***** Versicherungs AG, *****, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 16.555,45 sA (Revisionsinteresse EUR 15.780,08 sA), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 5. April 2006, GZ 12 R 251/05b-24, mit dem das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 25. Juli 2005, GZ 11 Cg 154/04d-20, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen vierzehn Tagen die mit EUR 875,34 (darin enthalten EUR 145,89 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung

Der zum Unfallszeitpunkt fünfeinhalbjährige minderjährige Kläger wurde als Fußgänger durch den Kontakt mit einem Pkw verletzt, der sich auf der 5 m breiten, trockenen Fahrbahn bei guten Sichtverhältnissen einer sich in dieselbe Richtung wie der Pkw auf einem Gehsteig bewegenden Fußgängergruppe mit einer Geschwindigkeit von 20 km/h und (wegen Gegenverkehrs) einem Seitenabstand von ca 40 cm zum Gehsteigrand näherte. An die Asphaltfahrbahn schlossen beidseitig ca 30 cm breite Entwässerungsrigolen aus Kopfsteinpflaster an. Der Kläger ging an der Hand eines Erwachsenen auf der linken Seite des an der Unfallstelle 140 cm breiten Gehsteiges; dahinter gingen auf der rechten Seite des Gehsteiges ein Kind und links daneben ein Erwachsener, der einen Hund an der Leine führte. In der dritten Reihe folgten die Eltern des minderjährigen Klägers mit ihrem jüngeren Sohn in der Mitte. Im Zug einer Drehbewegung des Klägers nach links, auf welche die Pkw-Lenkerin sofort mit einer Notbremsung reagierte, schwenkte das linke Bein des Kindes 40 bis 50 cm in die Fahrbahn und kontaktierte mit dem Pkw.

Die Vorinstanzen sahen den Entlastungsbeweis iSd § 9 Abs 2 EKHG im Wesentlichen deshalb als erbracht an, weil ein Kraftfahrer nicht damit rechnen müsse, dass sich ein an der Hand gehaltenes Kind von der Aufsichtsperson losreiße und auf die Fahrbahn gelange. Das Berufungsgericht änderte über Antrag des Klägers den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision dahin ab, dass es die Revision für zulässig erklärte, und begründete dies mit fehlender neuerer Judikatur des Obersten Gerichtshofes zur Frage, mit welchem Seitenabstand an einem auf dem Gehweg gehenden Kind zulässigerweise vorbeizufahren sei.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem nicht bindenden (RIS-Justiz RS0042392) Ausspruch des Berufungsgerichtes ist die Revision nicht zulässig. Die Beurteilung, welcher Seitenabstand nach § 7 StVO nach rechts einzuhalten ist, hängt ebenso von den Umständen des Einzelfalles ab (RIS-Justiz RS0065515) wie jene des Umfanges der gemäß § 9 Abs 2 EKHG gebotenen Sorgfalt (RIS-Justiz RS0111708). Eine krasse, vom Obersten Gerichtshof wahrzunehmende Fehlbeurteilung ist hier noch nicht anzunehmen, muss doch ein Kraftfahrer ungeachtet der iSd § 9 Abs 2 EKHG einzuhaltenden äußerst möglichen Sorgfalt (RIS-Justiz RS0058317; Apathy, EKHG § 9 Rz 16; Schauer in Schwimann, ABGB³ VII § 9 EKHG Rz 21; vgl Danzl, EKHG7 § 9 E 62) nicht damit rechnen, dass Kinder völlig unerwartet die Fahrbahn betreten (vgl RIS-Justiz RS0027556; 2

Ob 253/75 = ZVR 1976/295; vgl Schauer aaO Rz 27), insbesondere sich

zuvor von der Aufsichtsperson losreißen (8 Ob 12/83 = ZVR 1984/150).

Es besteht auch keine zwingende Verpflichtung, sich Kindern, die am Straßenrand stehen und ein anderes Kind, das sich in der Folge losreißt und auf die Fahrbahn läuft, an der Hand halten, mit Schrittgeschwindigkeit zu nähern (2 Ob 230/82 = ZVR 1983/347). Dass sich der Kläger im vorliegenden Fall nicht losgerissen, sondern eine überraschende Körperdrehung in die Fahrbahn vorgenommen hat, zwingt zu keiner gegenteiligen Beurteilung. Jene zu RIS-Justiz RS0074187 dokumentierte und von der Revision angezogene Judikaturlinie, welche beim Vorbeifahren an entweder knapp neben der Fahrbahn oder am Fahrbahnrand befindlichen Fußgängern einen Sicherheitsabstand von zumindest einem Meter fordert, bezog sich auf Verstöße gegen die Bestimmung des § 17 StVO. Der Grundsatz, wonach auf das Vorbeibewegen von Fahrzeugen an in gleicher Richtung gehenden Fußgängern die allgemeinen Grundsätze des Überholens anzuwenden sind (RIS-Justiz RS0073726) und damit die Anwendbarkeit des § 17 StVO basierte auf der Prämisse, dass sich der Fußgänger entweder auf der Fahrbahn befand

(z.B. 2 Ob 140, 141/80 = ZVR 1981/207; vgl 2 Ob 65/94) oder in deren

unmittelbarer Nähe (Bankett: vgl 2 Ob 214/81 = ZVR 1982/289). Eine

unmittelbare Nähe des auf dem Gehsteig (§ 2 Abs 1 Z 10 StVO) gehenden Kindes kann hier aber wegen des zwischen Fahrbahn und Gehsteig befindlichen Rigoles in vertretbarer Weise verneint werden. Die hier gegebene Konstellation, in der ein Kind im Vorschulalter in einer Gruppe von Fußgängern mit Erwachsenen und Kindern an der Hand eines Erwachsenen auf einem Gehsteig geführt wird, ist auch nicht jenen Fällen gleichzusetzen, in denen ein Kraftfahrer sich unbeaufsichtigt in der Nähe der Fahrbahn aufhaltenden Kindern nähert und ein unvorsichtiges Verhalten der Kinder, insbesondere das unbedachte Laufen in die Fahrbahn einkalkulieren muss (RIS-Justiz RS0058425 [T10]; weitere Nachweise bei Schauer aaO Rz 27 FN 135, 137; vgl Geigel, Haftpflichtprozess24, Kapitel 25 Rz 187). Trotz der in § 9 Abs 2 EKHG verlangten äußersten Sorgfalt ist nämlich zu bedenken, dass die Sorgfaltspflicht weder überspannt werden noch in eine Erfolgshaftung umschlagen soll (RIS-Justiz RS0058425 [T3]; RS0058278 [T5]; Apathy aaO Rz 18; Schauer aaO Rz 22).

Aus diesen Erwägungen war die Revision als unzulässig zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

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