OGH 4Ob153/15a

OGH4Ob153/15a15.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** AG, *****, vertreten durch Ebert Huber Swoboda Oswald & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. A***** KG, *****, 2. T*****, beide vertreten durch Dr. Patrick Ruth, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterlassung (Streitwert 34.900 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 100 EUR), über die außerordentlichen Revisionen beider Streitteile gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Juli 2015, GZ 4 R 33/15z‑27, womit das Urteil des Landesgerichts Krems vom 21. Jänner 2015, GZ 6 Cg 17/14f‑23, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0040OB00153.15A.1215.000

 

Spruch:

Den außerordentlichen Revisionen beider Parteien wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Die Klägerin verfügt über eine Bewilligung der niederösterreichischen Landesregierung zur Durchführung von Glücksspielen in Form der „Landesausspielung“ mit Automaten. Sie betreibt solche Geräte an mehreren Standorten in Oberösterreich.

Die Erstbeklagte, deren persönlich haftende geschäftsführende Gesellschafterin die Zweitbeklagte ist, betreibt ein Kaffee‑Pub in Krems. Im Verkaufsraum befindet sich ein Spielautomat, bei dem die Entscheidung über Gewinn oder Verlust nicht von der Geschicklichkeit der Spieler abhängt. Der Mindesteinsatz beträgt 30 Cent, der Höchsteinsatz 50 Cent. Die Erstbeklagte verfügt über keine Bewilligung für die Durchführung von Ausspielungen und kann keine Rechte von einer erteilten Bewilligung oder Konzession ableiten.

Das Unternehmen, das den bei den Beklagten aufgestellten Glücksspielautomat betreibt, hat seinen Sitz in der tschechischen Republik. Weder dort noch in einem anderen Staat besitzt es eine Bewilligung oder eine Befugnis zum Betrieb solcher Glücksspielautomaten.

Die Klägerin begehrt, den Beklagten zur ungeteilten Hand zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr Geräte für die Durchführung von Glücksspielen in Form der Ausspielung zu betreiben oder den Betrieb von Geräten für die Durchführung von Glücksspielen in Form der Ausspielung zu ermöglichen, insbesondere durch Aufstellung und/oder Zugänglichmachung solcher Geräte, insbesondere in ihrem Café, solange sie nicht über die dafür erforderliche behördliche Bewilligung verfügen. Weiters stellt die Klägerin ein Urteilsveröffentlichungsbegehren. Eine Ausspielung mit Glücksspielautomaten dürfe nur mit behördlicher Bewilligung erfolgen. Da die Erstbeklagte über keine solche Bewilligung verfüge, betreibe sie ein illegales Glücksspiel und verstoße dadurch gegen § 1 Abs 1 Z 1 UWG (Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch).

Die Beklagten wendeten im Wesentlichen ein, sie stellten lediglich die Aufstellungsfläche zur Verfügung. Veranstalter sei ein Unternehmen mit Sitz in Tschechien. Die Erstbeklagte könne sich für ihre Unterstützungstätigkeit unmittelbar auf die unionsrechtlichen Grundfreiheiten berufen. Das österreichische Glücksspielmonopol greife unverhältnismäßig in die Dienstleistungsfreiheit ein und sei unionsrechtswidrig. Die diesbezügliche Rechtsansicht der Beklagten sei jedenfalls vertretbar. Nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C‑390/12, Pfleger, stehe Art 56 AEUV einer nationalen Beschränkung des Glücksspiels entgegen, sofern diese nicht wirklich das Ziel des Spielerschutzes oder der Kriminalitätsbekämpfung verfolge und nicht tatsächlich dem Anliegen entspreche, in kohärenter und systematischer Weise die Gelegenheit zum Spiel zu verringern oder die mit diesen Spielen verbundene Kriminalität zu bekämpfen. Diese Voraussetzungen seien in Österreich nicht erfüllt, worauf sich die Beklagten selbst dann, wenn man von einem bloßen Inlandssachverhalt ausgehe, wegen der verfassungsrechtlich unzulässigen Inländerdiskriminierung berufen könnten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im zweiten Rechtsgang statt. Die Betreiberin des gegenständlichen Glücksspielautomaten besitze keine Befugnis zum Betreiben eines solchen Automaten. Sie könne sich demnach nicht auf die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit berufen. Nach dem unstrittigen Sachverhalt liege daher ein Wettbewerbsverstoß vor.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, dass es die Unterlassungsverpflichtung der Beklagten ‑ unter Ausschaltung der vom Erstgericht noch gebilligten Solidarhaftung ‑ darauf beschränkte, den Betrieb von Geräten für die Durchführung von Glücksspielen in Form der Ausspielung zu ermöglichen, insbesondere durch Aufstellung und/oder Zugänglichmachung solcher Geräte, insbesondere in ihrem Lokal, solange sie nicht über die dafür erforderliche behördliche Bewilligung verfügen. Die vom Erstgericht noch antragsgemäß erteilte Urteilsveröffentlichungsermächtigung reduzierte das Berufungsgericht auf eine Regionalzeitung. Das Mehrbegehren auf Unterlassung des Betriebs von Geräten für die Durchführung von Glücksspielen in Form der Ausspielung sowie das Veröffentlichungsmehrbegehren wies das Berufungsgericht ab. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entschieden habe. Im Übrigen verwies das Berufungsgericht auf die Rechtsprechung, wonach sich Unternehmen auf die Dienstleistungsfreiheit nur berufen könnten, wenn sie im Staat ihrer Niederlassung rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringen. Da die Betreiberin des Glücksspielautomaten ihren Sitz in der tschechischen Republik habe und weder dort noch in einem anderen Staat eine Bewilligung oder eine Befugnis zum Betrieb solcher Glücksspielautomaten besitze, könnten sich auch die Beklagten für ihre Supporttätigkeit für die tschechische Betreiberin nicht darauf berufen, dass innerstaatliche Vorschriften gegen Unionsrecht verstoßen. Sie seien nicht vom Schutzbereich der unionsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit erfasst. Die in der Berufung relevierten sekundären Feststellungsmängel lägen nicht vor. Dass und aus welchen Gründen die Vorschriften des tschechischen Glücksspielrechts gegen Unionsrecht verstießen oder die tschechische Betreiberin mangels jeglicher Beschränkung in ihrem Niederlassungsstaat zum Betrieb ihres Automaten befugt sei, hätten die Beklagten nicht behauptet. Das Unterlassungsgebot sei aber auf den tatsächlich begangenen Wettbewerbsverstoß (Ermöglichung der Automatenaufstellung) zu beschränken. Das Urteilsveröffentlichungsbegehren sei als überschießend zu beurteilen und entsprechend seinem Zweck (Aufklärung des Publikums) zu reduzieren.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Klägerin, mit der sie (abgesehen von der vom Berufungsgericht eliminierten Solidarverpflichtung) die gänzliche Stattgebung ihres Unterlassungsbegehrens anstrebt, ist zulässig, weil das Berufungsgericht bei Beschränkung des Unterlassungsbegehrens von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen ist. Aus diesem Grund ist die Revision der Klägerin auch teilweise berechtigt.

Die Revision der Beklagten ist zulässig und berechtigt, weil die Vorinstanzen bei Prüfung der Unionsrechtswidrigkeit von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen sind.

Zur Revision der Beklagten:

1. Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass sich nach ständiger Rechtsprechung des EuGH nur Unternehmen auf die Dienstleistungsfreiheit berufen können, die im Staat ihrer Niederlassung rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringen (4 Ob 55/15i; 4 Ob 251/14m, je mwN). Das Argument der Beklagten, die der bisherigen Rechtsprechung folgende Rechtsansicht des Berufungsgerichts führe zur Annahme einer Betriebspflicht des ausländischen Glücksspielbetreibers in seinem Sitzstaat, ist nicht nachvollziehbar. Ihn trifft keine Betriebspflicht, wohl aber ist Voraussetzung für die erfolgreiche Berufung auf die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit, dass die von ihm im Inland angestrebte Erwerbstätigkeit schon in seinem Heimatstaat zulässig wäre.

2. Nach zahlreichen jeweils im Hauptverfahren ergangenen Entscheidungen (4 Ob 200/14m; 4 Ob 231/14w; 4 Ob 244/14g; 4 Ob 32/15g; 4 Ob 68/15a ua) wurde ausgesprochen, dass wegen der dann drohenden Inländerdiskriminierung Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Glücksspielmonopols bestehen, wenn sich die Regelungen des Glücksspielrechts aufgrund von deren tatsächlichen Auswirkungen als unionsrechtswidrig erweisen. Entsprechend der sie treffenden Behauptungslast haben die Beklagten auch hier Vorbringen zu den tatsächlichen Umständen erstattet, welche zur Beurteilung führen könnten, dass die glücksspielrechtlichen Regelungen entgegen der erklärten Zielsetzung des Gesetzgebers zu einem anderen Ergebnis führen, sodass Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht zu folgern wäre. Da die Geltung oder Anwendbarkeit eines Gesetzes letztlich nicht von Behauptungen oder Beweisanboten einer Partei abhängen kann, wird das Erstgericht dann, wenn es aufgrund konkreter Anhaltspunkte Zweifel an der Unionsrechtskonformität des Glücksspielrechts haben sollte, auch von Amts wegen entsprechende Beweise aufnehmen und Feststellungen treffen müssen. Verbleiben letztendlich Zweifel über die zu prüfenden Tatsachen, liegt also ein non liquet vor, geht das zu Lasten der damit beweisbelasteten Beklagten (RIS‑Justiz RS0037797).

In diesem Fall haben die Vorinstanzen keine Feststellungen zur relevanten Frage der tatsächlichen Auswirkungen der Regelungen des Glücksspielrechts getroffen. Durch dieses Unterbleiben jeglicher (auch negativer) Feststellungen liegt damit ‑ auch unter Berücksichtigung des bisher zur Unionsrechtswidrigkeit bzw Inländerdiskriminierung von den Beklagten erstatteten Vorbringens ‑ ein Feststellungsmangel aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung vor.

Auch die Argumente in der Revisionsbeantwortung der Klägerin bieten keinen Anlass, von der Spruchreife des Hauptverfahrens auszugehen. Die Klägerin argumentiert, den Beklagten stehe der Einwand der Inländerdiskriminierung nur dann offen, wenn sie sich selbst oder die tatsächliche Betreiberin auf eine glücksspielrechtliche Bewilligung berufen könnten. Dieser Forderung liegt aber ein Zirkelschluss zugrunde, weil die Inländerdiskriminierung gerade auf den Ausschluss einer glücksspielrechtlichen Bewilligung gestützt wird (4 Ob 68/15a).

Der Revision der beklagten Parteien ist somit Folge zu geben, der von ihr angefochtene Teil der Entscheidungen aufzuheben und die Rechtssache insofern zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Zur Revision der Klägerin:

Ein mit dem hier zu prüfenden Unterlassungsbegehren geradezu identes Begehren lag bereits zahlreichen Parallelverfahren zugrunde, bei denen die hier klagende Partei ebenfalls als Klägerin aufgetreten ist. Die entsprechende Formulierung des Unterlassungsbegehrens führte jeweils nicht dazu, dass die Begehren deshalb (zum Teil) abgewiesen wurden (4 Ob 68/15a mwN).

Der Senat setzte sich in der Entscheidung 4 Ob 169/14b ausdrücklich mit einer (weiten) Fassung des Begehrens auseinander. Demnach trägt ein derartiges Begehren auch dann einen entsprechenden Unterlassungstitel, wenn unklar bleibt, ob die beklagten Parteien Spielautomaten selbst aufstellen und betreiben oder nur einem Dritten die Betreibung ermöglichen. Es macht keinen Unterschied, ob die Beklagten die nicht genehmigten Spielautomaten selbst aufstellen und betreiben oder zu diesem Zweck den entsprechenden Raum in ihrem Geschäftslokal vermieten. Auch das entsprechend weit gefasste Unterlassungsbegehren ist daher nicht zu beanstanden, zumal bei entsprechend eingeschränkter Fassung mit sofortigen Umgehungshandlungen zu rechnen wäre (Rückgängigmachung der Zwischenschaltung, Änderung oder zusätzliche Verschleierungsmaßnahmen). Nach der Rechtsprechung ist bei Unterlassungsansprüchen generell eine gewisse allgemeine Fassung des Begehrens in Verbindung mit Einzelverboten meist schon deshalb erforderlich, um nicht die Umgehung des erwähnten Verbots allzu leicht zu machen (RIS‑Justiz RS0037607).

Die Revision der Klägerin ist daher insoweit berechtigt, als das Berufungsgericht das Unterlassungsbegehren teilweise abgewiesen hat. Mangels Spruchreife in der Hauptsache (siehe zur Revision der Beklagten) sind die Urteile der Vorinstanzen aber aufzuheben und die Rechtssache insofern zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen, das je nach Berechtigung oder Nichtberechtigung des Unterlassungsbegehrens auch neuerlich über das Veröffentlichungsbegehren zu entscheiden hat.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

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