OGH 8ObA61/15a

OGH8ObA61/15a15.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Dr. Weixelbraun‑Mohr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhold Hohengartner und ADir. Angelika Neuhauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei T*****, vertreten durch Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Landeshauptstadt *****, vertreten durch Beck & Dörnhöfer Rechtsanwälte OG in Eisenstadt, wegen 14.692,71 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 22. Dezember 2014, GZ 8 Ra 74/14g‑20, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. Jänner 2014, GZ 17 Cga 119/12h‑14, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:008OBA00061.15A.1215.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Der Kläger war ab 3. März 2008 als Diplomsozialarbeiter in der Jugendwohlfahrt bei der Beklagten beschäftigt. Mit Schreiben vom 29. Oktober 2009 wurde er gemäß § 32 Abs 4 VBG 1948 wegen Organisationsänderung zum 30. November 2009 gekündigt. Der Kläger bekämpfte diese Kündigung erfolgreich und im April 2012 wurde die Entscheidung darüber, dass das Dienstverhältnis zwischen den Parteien weiterhin aufrecht ist, rechtskräftig.

Von 1. Dezember 2009 bis 3. Jänner 2010 war der Kläger arbeitslos, von 4. Jänner 2010 bis zum 22. April 2012 arbeitete er als Diplomsozialarbeiter beim Land ***** für den Bereich O*****, seit 23. April 2012 ist er wieder als Diplomsozialarbeiter bei der Beklagten beschäftigt.

Die Beklagte ersetzte dem Kläger die Differenz zum Arbeitslosengeld und dem vom Land ***** erhaltenen Entgelt. Weder im Dienstverhältnis zur Beklagten noch während des zum Land ***** bestehenden Dienstverhältnisses hatte der Kläger einen vertraglichen oder gesetzlichen Anspruch auf Zahlung von Kilometergeld für Anfahrtskosten von seinem Wohnort zu seinem Arbeitsort und zurück.

Der Kläger begehrte von der Beklagten 14.692,71 EUR sA. Dieser Betrag errechne sich aus dem amtlichen Kilometergeld für die an den (beim Land *****) geleisteten Arbeitstagen zusätzlich gefahrenen Strecken (die Fahrtstrecke von seinem früheren bzw derzeitigen Wohnort nach O***** und zurück sei um insgesamt 102,4 km bzw 92,6 km länger als die Fahrtstrecke zu seinem Arbeitsort bei der Beklagten gewesen); den während seiner Tätigkeit in O***** erhaltenen Fahrtkostenzuschuss (insgesamt 1.661,29 EUR) habe er bereits in Abzug gebracht. Bei diesem Begehren handle es sich nicht um Aufwandsentschädigung, sondern um Schadenersatz. Das amtliche Kilometergeld diene im Schadenersatzrecht als pauschalierter Ersatz für die vermehrten Aufwendungen und Kosten, die durch die Verwendung des privaten Fahrzeugs anfallen. Eine Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei nicht möglich gewesen, weil der Kläger sonst jeden Tag zu spät gekommen wäre; außerdem sei ein eigener Pkw ein Anstellungserfordernis gewesen, weil auch Außendienste (etwa bei akuten Erfordernissen in Schulen) zu verrichten gewesen seien.

Die Beklagte wendete ein, die vom Kläger geforderte Aufwandsentschädigung sei kein fortzuzahlendes Entgelt und die Voraussetzungen für einen Schadenersatzanspruch seien nicht erfüllt. Selbst wenn ein Begehren auf Schadenersatz berechtigt sei, müsse die Beklagte nur die Kosten für öffentliche Verkehrsmittel ersetzen, die wesentlich geringer seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger habe weder aus einem vertraglichen noch aus einem gesetzlichen „oder anderweitigen rechtlichen Verhältnis“ einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung der Anfahrtskosten. Bei dem Mehraufwand handle es sich um einen mittelbaren Schaden, der außerhalb der von der Beklagten vertraglich übernommenen Pflichten liege; er dürfe daher nicht auf die Beklagte überwälzt werden. Eine Obliegenheit des Klägers, nach der Kündigung ein neues Dienstverhältnis einzugehen, habe nicht bestanden.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Klägers Folge und hob das angefochtene Urteil auf. Eine unberechtigte Kündigung eines Vertragsbediensteten beende das Dienstverhältnis nicht. Wenn eine Klage auf Feststellung des Fortbestands des Dienstverhältnisses erfolgreich sei, müsse sich der Dienstnehmer alle erzielten Ersatzeinkünfte anrechnen lassen. Eine Kündigung ohne Vorliegen eines dem VBG entsprechenden Grundes sei jedenfalls eine rechtswidrige Handlung des Dienstgebers. Der hier geltend gemachte Schaden sei daher auf ein rechtswidriges Verhalten der Beklagten zurückzuführen. Auch der Rechtswidrigkeitszusammenhang liege vor; der Kündigungsschutz des VBG habe auch den Zweck, den Dienstnehmer umfassend vor den nachteiligen Folgen einer gesetzwidrigen Kündigung zu schützen. Der Anspruch des Klägers bestehe daher dem Grunde nach zu Recht. Eine abschließende Beurteilung sei auf der Grundlage der nur mangelhaft begründeten Feststellungen des Erstgerichts jedoch nicht möglich.

Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht mit der Begründung zu, dass keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob und inwieweit die Kündigung eines besonders kündigungsgeschützten Arbeitnehmers auch allgemeine Schadenersatzansprüche zur Folge haben könne.

Gegen den Beschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag an das Berufungsgericht gestellt.

Der Kläger beantragt, dem Rekurs keine Folge zu geben.

Der Rekurs der Beklagten ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, im Ergebnis jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Für das Dienstverhältnis des Klägers galt im maßgebenden Zeitraum das Burgenländische Gemeindebedienstetengesetz 1971, LGBl Nr 13/1972, dessen § 93 Abs 1 auf das Burgenländische Landesvertragsbedienstetengesetz 1985 verwies. Gemäß § 2 Abs 1 dieses Gesetzes ist ‑ soweit nicht anderes bestimmt wird ‑ auf die Landesvertragsbediensteten das VBG 1948 (mit näher geregelten Ausnahmen) anzuwenden.

2. Für den Fall der unwirksamen Kündigung oder Entlassung eines Vertragsbediensteten enthalten die §§ 17 Abs 3, 30 Abs 4 VBG eine weitgehend dem § 1155 ABGB entsprechende Anrechnungsverpflichtung für anderweitig erworbene Bezüge. Diese Anrechnungsregel hat ‑ wie jene des § 1155 Abs 1 zweiter Halbsatz ABGB ‑ den Zweck, dass der Arbeitnehmer bei Nichtleistung seiner vereinbarten Dienste nicht besser gestellt sein soll als bei ihrer Erbringung (8 ObA 82/14p mwN).

Musste der Dienstnehmer allerdings zusätzliche Aufwendungen tragen, um eine andere Erwerbsquelle nutzen zu können, so würde die uneingeschränkte Anrechnung des aus der anderen Erwerbsquelle bezogenen Entgelts letztlich auf eine von § 1155 Abs 1 ABGB bzw §§ 17 Abs 3, 30 Abs 4 VBG nicht intendierte Schlechterstellung des Dienstnehmers hinauslaufen. Solche Aufwendungen sind daher bei der Anrechnung nach § 1155 Abs 1 zweiter Halbsatz ABGB im Sinne eines Abzugs vom anzurechnenden Entgelt zu berücksichtigen ( Krejci in Rummel , ABGB 3 § 1155 Rz 29; Rebhahn in ZellKomm 2 § 1155 Rz 51; in diesem Sinn bereits 4 Ob 32/64 [RIS‑Justiz RS0025819 = Arb 7946] zu vom Dienstnehmer aufgewendeten Übersiedlungskosten).

3. Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass die Beklagte dem Kläger die Differenz zwischen dem ihm seit der rechtsunwirksamen Kündigung geschuldeten vertragsgemäßen Entgelt und den bis zur Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung vom Kläger bezogenen Einkünften (Arbeitslosengeld bzw aus dem Zwischenarbeitsverhältnis erhaltenes Entgelt) ersetzt hat. Die Beklagte hat somit im Rahmen der von ihr gemäß §§ 17 Abs 3, 30 Abs 3 VBG geschuldeten Nachzahlung des vertragsgemäßen Entgelts dem Kläger die von ihm bezogenen Einkünfte angerechnet; bei dieser Anrechnung sind aber die vom Kläger zur Erlangung des Entgelts aus dem Zwischenarbeitsverhältnis notwendigerweise getragenen Aufwendungen als Abzugspost zu berücksichtigen. Soweit der hier vom Kläger geltend gemachte Aufwand vom Kläger zur Erzielung der Einkünfte aus dem Zwischenarbeitsverhältnis notwendig war, erweist sich sein Begehren daher als berechtigt.

4. Dass der Kläger sein Begehren ausdrücklich auf Schadenersatz gestützt hat, steht diesem Ergebnis nicht entgegen:

Nach der herrschenden, aus § 226 ZPO abgeleiteten zweigliedrigen Streitgegenstandstheorie wird der prozessuale Begriff des Streitgegenstands durch den Entscheidungsantrag (Sachantrag) und die zu seiner Begründung erforderlichen, vorgebrachten Tatsachen (rechtserzeugender Sachverhalt) bestimmt (RIS‑Justiz RS0037522; RS0039255). Klagegrund ist das tatsächliche Vorbringen, nicht die rechtliche Beurteilung dieses Vorbringens (RIS‑Justiz RS0037551; RS0037447). Geht aus dem Klagevorbringen hervor, dass der Sachverhalt vom Kläger offenbar rechtlich unrichtig qualifiziert wurde, so ist dies bedeutungslos (RIS‑Justiz RS0058348; RS0058336). Nur dann, wenn das Klagebegehren ausdrücklich und ausschließlich auf einen bestimmten Rechtsgrund beschränkt wurde, was im Zweifel nicht anzunehmen ist, ist es dem Gericht nach der herrschenden Rechtsprechung verwehrt, dem Begehren aus anderen Gründen stattzugeben (RIS‑Justiz RS0037610 [T36 und T43]; 8 ObA 53/14y).

5. Hier hat der Kläger den zur Begründung des oben beschriebenen Anspruchs erforderlichen Sachverhalt hinreichend vorgebracht. Dass er seinen daraus abgeleiteten Anspruch als Schadenersatzanspruch qualifiziert hat, bindet im Sinne der eben wiedergegebenen Rechtslage das Gericht nicht, zumal seinem Vorbringen eine ausschließliche Beschränkung auf diesen Rechtsgrund nicht entnommen werden kann.

6. Ob bzw in welchem Umfang der vom Kläger geltend gemachte Aufwand tatsächlich notwendig war, wird im fortgesetzten Verfahren zu klären sein.

7. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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