OGH 10ObS96/15p

OGH10ObS96/15p15.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Brigitte Augustin (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Harald Kohlruss (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ü*****, vertreten durch Mag. Harald Papesch, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 10. Juni 2015, GZ 12 Rs 54/15w‑19, womit das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 11. März 2015, GZ 10 Cgs 72/14g‑14, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:010OBS00096.15P.1215.000

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 373,68 EUR (darin enthalten 62,28 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Der 1979 geborene Kläger ist aufgrund seiner psychischen Situation derzeit am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht einsetzbar. Es sind bei ihm fast keine körperlichen oder psychischen Aktivitäten erkennbar. Trotz Wachheit reagiert er kaum auf Kommunikationsversuche (beinahe mutistisch). Er wirkt starr und ausdruckslos bei extremer innerer Gespanntheit. Der Kläger leidet unter Zwängen, paranoiden Gedanken, sozialen Ängsten, seelischem Rückzug und Widerstand gegen andere und unter einer ausgeprägten negativ-depressiven Stimmungslage. Er wirkt kindlich, retadiert, nicht zugänglich, beinahe mutistisch, stuporös. Antworten werden kaum gegeben, wenn dann nur sehr knapp. Insgesamt ist vorherrschend das nahezu typische Bild einer schweren schizoaffektiven Störung gegeben, derzeit erheblich depressiv‑stuporös gefärbt mit anamnestischen Zwangsstörungen und Zwangsgedanken. Die psychische Erkrankung des Klägers dürfte im Jahr 2007 begonnen haben. Eine Besserung seines Gesundheitszustands ist nicht absehbar und äußerst unwahrscheinlich; sie kann jedoch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit ausgeschlossen werden.

Mit Bescheid vom 12. März 2014 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Klägers vom 12. Dezember 2013 auf Weitergewährung der mit 31. März 2014 befristeten Invaliditätspension ab. Zugleich wurde ausgesprochen, dass ab 1. April 2014 weiterhin vorübergehende Invalidität vorliege und daher als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der Verlauf weiterer Therapien abzuwarten sei; Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation seien nicht zweckmäßig. Ab dem 1. April 2014 bestehe für die weitere Dauer der vorübergehenden Invalidität Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung.

Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei, dem Kläger die Invaliditätspension über den 31. März 2014 hinaus im gesetzlichen Ausmaß weiter zu gewähren. Es könne zwar nicht mit hundertprozentiger Sicherheit ausgeschlossen werden, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers noch bessere; eine Besserung sei jedoch nicht absehbar und äußerst unwahrscheinlich. Es sei daher von voraussichtlich dauerhafter Invalidität des Klägers iSd § 254 Abs 1 Z 1 ASVG auszugehen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und bestätigte das Urteil des Erstgerichts mit einer Maßgabe. Es sprach aus, dass das auf Weitergewährung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß über den 31. März 2014 hinaus gerichtete Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe und verpflichtete die beklagte Partei zu einer vorläufigen Zahlung von 500 EUR monatlich ab 1. April 2014.

Auf das in § 254 Abs 1 Z 1 ASVG genannte voraussichtlich dauerhafte Vorliegen von Invalidität sei das Regelbeweismaß der hohen Wahrscheinlichkeit anzuwenden, Auch wenn eine Besserung nicht mit hundertprozentiger Sicherheit ausgeschlossen werden könne, sei eine kalkülsrelevante Besserung des Gesundheitszustands äußerst unwahrscheinlich, weshalb Invalidität voraussichtlich dauerhaft vorliege.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung des Begriffs der „voraussichtlich dauerhaft vorliegenden Invalidität“ (§ 254 Abs 1 Z 1 ASVG) und zum anzuwendenden Beweismaß fehle.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen diesem Zulässigkeitsausspruch ist die Revision der beklagten Partei nicht zulässig.

Für die Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO vorliegen, ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs maßgebend (RIS‑Justiz RS0112921, RS0112769).

1. Der Oberste Gerichtshof hat zwischenzeitig in der Entscheidung vom 30. Juli 2015, 10 ObS 40/15b (= RIS‑Justiz RS0130217), mit ausführlicher Begründung dargelegt, dass der Versicherte in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal des „voraussichtlich dauerhaften Vorliegens“ von Invalidität (§ 254 Abs 1 Z 1 ASVG) nicht beweisen muss, dass eine Besserung des Gesundheitszustands (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) ausgeschlossen ist, also eine Besserung unmöglich oder an Gewissheit grenzend unwahrscheinlich ist, sondern nur, dass sie nicht sehr wahrscheinlich ist (ebenso 10 ObS 89/15h, 10 ObS 100/15a und 10 ObS 102/15w). Mit anderen Worten liegt Invalidität bzw Berufsunfähigkeit voraussichtlich dauerhaft vor, wenn eine die Invalidität bzw Berufsunfähigkeit beseitigende Besserung des Gesundheitszustands der versicherten Person mit hoher Wahrscheinlichkeit (im Sinn des Regelbeweismaßes der ZPO) nicht zu erwarten ist; diesen Beweis einer anspruchsbegründenden Tatsache hat die versicherte Person zu erbringen (RIS‑Justiz RS0130217 [T3]).

2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger dieser Beweis gelungen ist, weil nach den Feststellungen der Vorinstanzen eine kalkülsrelevante Besserung seines Gesundheitszustands mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist, steht im Einklang mit der zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.

3. Da das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen für die Weitergewährung der Invaliditätspension an den Kläger zwischen den Parteien nicht strittig ist, war die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a iVm Abs 2 ASGG.

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