European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0060OB00209.15A.1126.000
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§§ 402, 78 EO, § 526 Abs 2 ZPO) ‑ Ausspruch des Rekursgerichts ist der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig:
Das Rekursgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob beziehungsweise unter welchen Voraussetzungen das Schweigen zu einer Aufrechnungserklärung als konkludenter Verzicht auf die Einwendung eines Aufrechnungsverbots aufzufassen ist.
Aufgrund der Ergebnisse des zu AZ 50 Cg 10/05h des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz geführten Verfahrens sind die hier klagenden Parteien gegenüber der Beklagten zur Zahlung von 1,1 Mio EUR samt Zinsen und Kosten verpflichtet. Inhaltlich ging es dabei um ein von der Beklagten und ihrem Bruder an die „P*****“ im Jahr 2002 gewährtes Darlehen, für deren Rückzahlung die Kläger garantierten. Am 23. 7. 2007 erklärte die Zweitklägerin der Beklagten gegenüber diesbezüglich die Aufrechnung mit einer Gegenforderung von 1,37 Mio EUR. Bei dieser Gegenforderung handelt es sich um eine Forderung der W***** AG gegen die Beklagte, die die W***** AG der Zweitklägerin abgetreten hat. Inhaltlich geht es dabei um die noch nicht gültig erbrachte Leistung einer Bareinlage durch die Beklagte aus einer Kapitalerhöhung, die die W***** AG durchgeführt hatte; die Höhe dieser Forderung beträgt nach dem Vorbringen der Kläger insgesamt an die 12,3 Mio EUR.
Am 19. 6. 2015 erklärte die Beklagte, die im Jahr 2007 von den Klägern ausgesprochene Aufrechnung „nicht zu genehmigen“, wobei sie sich unter anderem auf ein Aufrechnungsverbot berief. Sie forderte die Kläger zur Zahlung ihrer Forderung von 1,1 Mio EUR samt Zinsen und Kosten auf, wobei der Gesamtbetrag aufgrund der zwischenzeitig aufgelaufenen Zinsen mehr als 1,7 Mio EUR beträgt.
Die Vorinstanzen wiesen den Provisorialantrag der Kläger, der Beklagten werde jede Exekutionsführung aufgrund der im Verfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz erwirkten Exekutionstitel verboten, ab. Die Kläger hatten dies damit begründet, die Beklagte habe bereits angekündigt, zur Hereinbringung dieser Forderungen Exekution führen zu wollen; eine solche wäre jedoch rechtsmissbräuchlich, weil die Beklagte wisse, dass ihre Forderungen durch die im Jahr 2007 erklärte Aufrechnung mit der Bareinlageforderung der W***** AG erloschen seien; die Gefährdung der Kläger liege vor allem in der durch eine Exekutionsführung drohenden Beeinträchtigung des guten Rufes der Kläger und der drohenden Lähmung ihres Geschäftsbetriebs.
Rechtliche Beurteilung
1. Nach in Österreich bestehender Ansicht könnte sich ein materiell‑rechtlicher Anspruch auf Unterlassung von Verfahrenshandlungen grundsätzlich nur aus Rechtsmissbrauch oder einer (hier nicht behaupteten) privatrechtlichen Vereinbarung ergeben (dazu ausführlich König, Einstweilige Verfügungen im Zivilverfahren4 [2012] Rz 3/54 mit weiteren Nachweisen aus der Literatur; vgl auch 3 Ob 48/59; diese Möglichkeit überhaupt ablehnend G. Kodek in Burgstaller/Deixler‑Hübner, EO § 387 Rz 25).
1.1. Die Kläger bestreiten das Vorliegen eines Aufrechnungsverbots zwischen den Parteien; vor allem seien die Kläger lediglich Garanten gewesen. Allerdings ist die Auslegung des Darlehensvertrags aus dem Jahr 2002 durch das Rekursgericht dahin, dass dieses ein Aufrechnungsverbot (auch) zu Lasten der Kläger enthält, dass unter der „Partei P*****“ (als Darlehensnehmer) auch die beiden Kläger gemeint sind und dass ‑ dies zugunsten (unter anderem) der Beklagten als Darlehensgeberin ‑ keinerlei Einreden oder Einwendungen gegen die Inanspruchnahme aus der Garantieerklärung möglich sein sollten, und zwar auch nicht von Garanten, wobei dieses Aufrechnungsverbot auch später entstehende Forderungen erfassen soll, durchaus vertretbar, entspricht sie doch auch den Ergebnissen des vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz geführten Verfahrens. Dazu kommt, dass die W***** AG in einem gegen die Beklagte geführten Verfahren, in welchem der Restbetrag der noch offenen Bareinlage gefordert wurde, selbst das Aufrechnungsverbot berücksichtigte, während nunmehr die Kläger als Zessionare eines Teils dieser Bareinlageforderung der Beklagten gegenüber dieses Aufrechnungsverbot bestreiten.
Da nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs die Frage, ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, nur dann eine solche im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO darstellt, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RIS‑Justiz RS0042936, vgl auch RS0042776), ein solcher Fehler dem Rekursgericht hier aber nicht unterlaufen ist, liegt insoweit keine erhebliche Rechtsfrage vor.
1.2. Gegen die Maßgeblichkeit des Aufrechnungsverbots wenden die Kläger außerdem ein, das Schweigen der Beklagten zur ihrer Aufrechnungserklärung über einen Zeitraum von acht Jahren sei als Verzicht auf das Aufrechnungsverbot zu interpretieren; die Beklagte hätte den Klägern nach Treu und Glauben frühzeitig bekanntgeben müssen, dass sie die ihr zugesprochenen Beträge einfordert, um so das Auflaufen beträchtlicher Zinsen zu vermeiden.
Dem ist allerdings die ständige Rechtsprechung entgegenzuhalten, wonach Stillschweigen nur unter besonderen Umständen als Annahme gesehen werden kann; eine Verkehrssitte, welche dem Schweigen allgemein die Bedeutung der Zustimmung beilegen würde, besteht weder im bürgerlichen noch im Handelsrecht (RIS‑Justiz RS0013991). Dies gilt insbesondere dann, wenn ein bereits abgeschlossener Vertrag abgeändert werden soll (RIS‑Justiz RS0013991 [T9]). Besonders strenge Anforderungen an die rechtsgeschäftliche Bedeutung eines als Stillschweigen zu qualifizierenden Verhaltens sind dann zu stellen, wenn die vorgeschlagene Änderung des Rechtsverhältnisses die Interessen des Vertragspartners spürbar beeinträchtigt (RIS‑Justiz RS0013991 [T13]). Vor allem bei der Annahme eines stillschweigenden Verzichts ist besondere Vorsicht geboten (RIS‑Justiz RS0014146 [T2], vgl auch RS0014190). Das Schweigen muss den eindeutigen, zweifelsfreien, zwingenden Schluss zulassen, der Schweigende habe ernstlich verzichten wollen (RIS‑Justiz RS0014146 [T5]; RS0014190 [T5]). Ein Schluss auf einen Verzicht darf in aller Regel nur gezogen werden, wenn der Stillschweigende nach Treu und Glauben, nach der Verkehrssitte und nach dem Gesetz hätte reden müssen (RIS‑Justiz RS0014190 [T27]). Dass auch aus einer Untätigkeit über einen längeren Zeitraum nicht auf einen Verzicht geschlossen werden kann, zeigt insbesondere die Entscheidung 1 Ob 202/07y, in der bei der Nichteinforderung des erhöhten Mietzinses über einen Zeitraum von 20 Jahren kein schlüssiger Verzicht auf künftige Erhöhungsbegehren angenommen wurde.
Den Klägern gelingt es in ihrem Revisionsrekurs nicht, Umstände aufzuzeigen, aufgrund deren sich die Beklagte hier ‑ obwohl noch verschiedene Verfahren anhängig waren ‑ bereits früher gegen die Aufrechnungserklärung hätte aussprechen müssen. Sie verweisen lediglich darauf, dass durch das Verhalten der Beklagten Zinsen aufgelaufen seien, was aber Folge einer jeden nicht beglichenen Zahlungsverpflichtung ist.
Da auch die Beurteilung von konkludenten Willenserklärungen regelmäßig einzelfallbezogen erfolgt und regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage darstellt (RIS‑Justiz RS0109021 [T5, T6], RS0014158 [T8]), ist auch insoweit keine im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO qualifizierte Frage zu beurteilen.
2. Die Beklagte verfügt über Exekutionstitel, mit denen sie offensichtlich nunmehr beabsichtigt, gegen die Kläger exekutiv vorzugehen. Es mag zwar sein, dass Kläger und Beklagte unterschiedlicher Auffassung betreffend die Reichweite des im Darlehensvertrag von 2002 vereinbarten Aufrechnungsverbots und in der Beurteilung des Schweigens der Beklagten zur Aufrechnungserklärung der Kläger sind. Im vorliegenden Verfahren geht es aber darum, ob die Beklagte von ihren Exekutionstiteln in rechtsmissbräuchlicher Weise Gebrauch machen will. Jedenfalls die Bescheinigung des Rechtsmissbrauchs ist den Klägern nicht gelungen.
3. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat zwar in der Revisionsrekursbeantwortung formell auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen; eine inhaltliche Begründung hiefür enthält diese jedoch nicht. Der Schriftsatz ist daher nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen.
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