OGH 5Ob174/15x

OGH5Ob174/15x23.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Höllwerth, die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi als weitere Richter in der außerstreitigen Wohnrechtssache der Antragstellerin Ulrike R*****, vertreten durch Mag. Valerie Gröschl, Mietervereinigung Österreichs, 1010 Wien, Reichsratsstraße 15, gegen die Antragsgegnerin A***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Günter Petzelbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen § 37 Abs 1 Z 8 iVm § 16 MRG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 27. Mai 2015, GZ 39 R 136/15m‑17, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 30. Dezember 2014, GZ 5 Msch 15/14g‑12, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0050OB00174.15X.1123.000

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Die Antragsgegnerin ist Eigentümerin einer Liegenschaft in Wien. Straßenseitig befindet sich ein Haupthaus, dessen Einfahrt in den Hof führt. Im Hof befand sich seit der Erbauung 1898 bis zum Jahr 2006 eine Fabrikshalle, die bis zum Jahr 2009 in ein Wohngebäude mit Büros und Garagen umgewandelt wurde. Im Erdgeschoss wurden Zwischenwände in geringem Ausmaß entfernt. Neue Zwischenwände wurden teils in Ziegelbauweise, teils mit leichten Bauteilen errichtet. Es entstanden die Einheiten Top 16 und 17, acht Kfz‑Abstellplätze, ein Lager, ein Müllraum sowie sieben etwa 1,5 m 2 große Kellerabteile.

Im Oberstock der Fabrikshalle wurden geringe Mauerteile im Inneren entfernt und fünf Wohnungen durch Aufstellen einer Vielzahl von Leichtbauwänden hergestellt. In sämtlichen Wohnungen wurden WCs, Bäder und Küchen errichtet.

Am 15. 2. 2010 mietete die Antragstellerin die Wohnung Top 22 im Obergeschoss. Der vereinbarte Hauptmietzins betrug 404 EUR netto monatlich. Der Zugang zu dieser Wohnung erfolgte über einen Laubengang. Die 48,78 m 2 große Wohnung besteht aus einem kleinen Vorraum, einem großen Zimmer mit Kochnische und einem kleinen Gang, der zu einem WC, einem Bad und einem weiteren Zimmer führt. Sie ist mit sämtlichen Versorgungs‑ und Entsorgungseinrichtungen ausgestattet. Der Fußboden besteht aus Parkett und Fliesen. Die Fenster sind mit Kunststoffisolierglas ausgestattet. Die Wohnung wird über eine Gasetagenheizung mit Heizkörpern in sämtlichen Räumen beheizt. Gegensprechanlage, Telekabelanschluss, Telefonanschluss und Waschmaschinenanschluss sind vorhanden. Die Badegelegenheit entspricht dem zeitgemäßen Standard. Das Bad befindet sich in einem eigenen Raum.

Der Richtwertmietzins für die Wohnung betrug zum 15. 2. 2010 260,49 EUR.

Die Antragstellerin begehrte die Feststellung der Unwirksamkeit der Mietzinsvereinbarung sowie der Überschreitung des gesetzlichen Zinsausmaßes von Februar 2010 bis November 2013. Sie brachte insbesondere vor, dass der vereinbarte und vorgeschriebene Hauptmietzins nicht dem nach § 16 Abs 2 MRG zulässigen Richtwertmietzins entspreche. Nach dem Einreichplan vom 1. 6. 2006 handle es sich lediglich um eine Neuerrichtung des Bestandobjekts und nicht des gesamten Gebäudes. Im gegenständlichen Gebäude seien die bereits bestehenden Mauern und Decken sowie das Fundament der Fabrikshalle weiter verwendet worden. Die Fabrikshalle sei vor den durchgeführten Umbaumaßnahmen jedenfalls vermietbar gewesen. Bereits vor dem Umbau sei umbauter Raum vorgelegen, der aufgrund der Natur der Sache über keine Zwischenwände bzw Raumaufteilungen verfügt habe. Es seien lediglich Wände eingezogen worden und die charakteristischen Eigenschaften der Fabrikshalle erhalten geblieben.

Die Antragsgegnerin vertrat den Standpunkt, dass ein freier Mietzins zulässig sei. Das Haus sei aufgrund einer Baubewilligung von 6. 10. 2006 neu errichtet und im Jahr 2009 fertiggestellt worden. Vormals sei der Hintertrakt des Hauses ein selbstständiges Fabriksgebäude gewesen, das komplett ausgehöhlt und neu errichtet worden sei. Die Fabrik sei niemals als Wohn‑ oder Geschäftsraum genutzt worden. Die Fertigstellungsanzeige betreffe den Hintertrakt. Die streitgegenständliche Wohnung befinde sich im neu errichteten Zubau. Sollte das Gericht im gegenständlichen Verfahren zu der Ansicht gelangen, dass kein freier Mietzins zulässig sei, dürfe ein angemessener Mietzins vorgeschrieben werden.

Im außerstreitigen Verfahren vor dem Gericht legte die Antragsgegnerin in der Tagsatzung vom 30. 9. 2014 den Einreichplan vom 1. 6. 2006 vor. Die Antragstellerin wies darauf hin, dass es sich nach diesem Einreichplan nur um die Neuerrichtung eines Bestandobjekts handle, nicht aber um die Neuerrichtung eines Gebäudes.

Das Erstgericht stellte die Rechtswirksamkeit der Mietzinsvereinbarung sowie die Überschreitung des gesetzlichen Zinsausmaßes von Februar 2002 bis November 2013 ziffernmäßig bestimmt fest. Gemäß § 16 Abs 2 MRG komme für das gegenständliche Gebäude der Richtwertmietzins zur Anwendung. Der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 4 Z 1 MRG setze unter anderem ein nach 1953 neu errichtetes Gebäude voraus. Aus dem Sachverhalt gehe hervor, dass das Gebäude bereits Ende des 19. Jahrhunderts errichtet und in den Jahren 2006 bis 2009 lediglich umgestaltet worden sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsgegnerin nicht Folge. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 10.000 EUR übersteigend und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu. In der rechtlichen Beurteilung teilte es die Auffassung des Erstgerichts zu den fehlenden Voraussetzungen für eine Neuerrichtung iSd § 1 Abs 4 Z 1 MRG. Jede Weiterverwendung bestehen gebliebener vermietbarer Räume, selbst wenn sie wegen Denkmalschutzes erfolge, schließe eine Neuerrichtung aus. Erst recht falle ein noch so aufwendiger Umbau nicht darunter. Blieben hingegen nur Außenmauern erhalten, sei in „vergleichender Wertung“ zu entscheiden, ob eine Neuerrichtung vorliege, ebenso bei Erneuerung aller Geschossdecken. Hier seien jedoch keineswegs nur die Außenmauern erhalten geblieben. Auf eine Neuschaffung iSd § 16 Abs 1 Z 2 MRG könne sich die Antragsgegnerin nicht mit Erfolg berufen, weil sie im erstgerichtlichen Verfahren nicht einmal die erforderlichen Tatsachenbehauptungen aufgestellt habe. Ihr Versuch, dies im Rahmen ihrer Rechtsrüge nachzuholen, verstoße gegen das Neuerungsverbot.

Rechtliche Beurteilung

Der ‑ nach Freistellung durch den Obersten Gerichtshof beantwortete ‑ außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist zulässig und im Sinne einer Aufhebung berechtigt.

1. Es ist ausschließlich Thema des außerordentlichen Revisionsrekurses, ob die Vereinbarung eines angemessenen Hauptmietzinses nach § 16 Abs 1 Z 2 zweiter Fall MRG zulässig war. Die Antragsgegnerin bekämpft jedoch nicht die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die Voraussetzungen für den Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 4 Z 1 MRG nicht erfüllt sind.

2. Nach § 16 Abs 1 Z 2 zweiter Fall MRG darf ein angemessener Hauptmietzins vereinbart werden, wenn der Mietgegenstand aufgrund einer nach dem 8. 5. 1945 erteilten Baubewilligung durch Um‑/Auf‑, Ein‑ oder Zubau neu geschaffen worden ist. Die erste Voraussetzung ist verwirklicht: Die Baubewilligung wurde ‑ unstrittig ‑ im Oktober 2006 erteilt. Umstritten ist die Neuschaffung des Mietobjekts.

3. Während der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 4 Z 1 MRG die Neuerrichtung eines Gebäudes voraussetzt und es nicht darauf ankommt, wieviele Bestandobjekte in diesem neuen Gebäude vorhanden sind, zielt § 16 Abs 1 Z 2 zweiter Fall MRG nur auf die Neuerrichtung oder Neuschaffung eines Mietgegenstands durch Umbau, Einbau oder Zubau als Erweiterung eines schon bestehenden Gebäudes ab (RIS‑Justiz RS0117872).

4. Eine derartige Neuschaffung von Mietgegenständen liegt nur dann vor, wenn durch bauliche Maßnahmen Mietgegenstände gewonnen wurden, die bisher überhaupt nicht zur Verfügung standen, oder zur Verwendung als Wohnräume oder Geschäftsräume nicht geeignet waren (RIS‑Justiz RS0069647; RS0070741; T. Hausmann in Hausmann/Vonkilch , Österreichisches Wohnrecht 3 § 16 MRG Rz 32; Würth/Zingher/Kovanyi , Miet‑ und Wohnrecht 22 § 16 MRG Rz 14). Die Judikatur versteht diese fehlende Eignung restriktiv im Sinn von „völlig unbenützbar“ oder „für den bestimmungsgemäßen Zweck unbrauchbar“ (5 Ob 38/09p; 5 Ob 81/14v je mwN; RIS‑Justiz RS0069647 [T7]). Selbst eine mit beträchtlichen Kosten verbundene, aber bloß bauliche Umgestaltung schon vorhandenen Raums für Wohn-und Geschäftszwecke sowie die Renovierung eines mangels Instandhaltung unbenutzbar gewordenen Mietgegenstands sind keine Neuschaffung; ebenso wenig, wenn im Wesentlichen ein bisheriges Großraumbüro durch das Aufstellen von Zwischenwänden in Wohnungen gegliedert und Versorgungseinrichtungen auf den Stand der Technik gebracht werden (5 Ob 141/08h; 5 Ob 38/09p; RIS‑Justiz RS0069647 [T5, T6]).

5. Die Neuerrichtung eines Gebäudes, die eine Vereinbarung eines freien Hauptmietzinses zulässt, ist „mehr“ als die Neuschaffung eines Mietgegenstands iSd § 16 Abs 1 Z 2 zweiter Fall MRG, weil bereits die Einbeziehung alter Gebäudeteile in der Regel schon dann schadet, wenn sie nicht mehr geringfügig ist (RIS‑Justiz RS0097182). Die gänzliche Aushöhlung und Entfernung eines Gebäudes samt Neuherstellung des Kellers und aller Geschossdecken hält die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs einer Neuerrichtung des gesamten Gebäudes gleich (5 Ob 229/00p = RIS‑Justiz RS0114797).

6. Die Antragsgegnerin berief sich in erster Instanz auf die komplette Aushöhlung eines niemals für Wohn‑ oder Geschäftsräumlichkeiten genutzten Fabriksgebäudes. Sie legte zum Nachweis des Umfangs der Baumaßnahmen den Einreichplan vor, den das Erstgericht seinen Feststellungen zugrunde gelegt hat. Mit ihrem Vorbringen erfüllt sie die qualifizierte Behauptungspflicht (RIS‑Justiz RS0083783; RS0029344; RS0070480) einer Partei im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren. Es schadet nicht, dass sie die gesetzliche Bestimmung des § 16 Abs 1 Z 2 zweiter Fall MRG, die sie in Anspruch nehmen möchte, nicht zitierte. Maßgebend für den Umfang der rechtlichen Prüfung durch die Vorinstanzen war ihr Tatsachenvorbringen, aus dem sich ausreichende Behauptungen zu den Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines angemessenen Hauptmietzinses ergeben. Das Neuerungsverbot des § 37 Abs 3 Z 14 MRG gilt daher nicht.

7. Die Voraussetzungen für die Neuschaffung eines Mietgegenstands iSd § 16 Abs 1 Z 2 zweiter Fall MRG sind erfüllt. Es handelt sich nicht nur um den Umbau einer Geschäftsräumlichkeit in mehrere Wohnungen oder Geschäftslokale durch räumliche Umstrukturierung wie das Aufstellen von Zwischenwänden und den Einbau von zeitgemäßen Sanitärräumlichkeiten. Es wurde eine Fabrikshalle in ein Gebäude mit fünf Wohnungen im Oberstock sowie Geschäftsobjekten, Lagern, Kfz‑Abstellplätze und Kellerräumlichkeiten im Erdgeschoss umgewandelt. Die Umgestaltung einer Fabriks‑ oder Produktionshalle zu Objekten, die unterschiedliche bzw vielfältige Nutzungen zulassen, ist kein Fall einer reinen Adaptierung eines bereits vorhandenen zu Wohn‑ oder Geschäftszwecken geeigneten Mietgegenstands. Die Errichtung der aus zwei Zimmern und Nebenräumen bestehenden 48,78 m 2 großen Wohnung der Antragstellerin sowie der übrigen Räumlichkeiten lässt auch ein loftähnliches, den Charakter einer ursprünglichen Fabrikshalle erhaltendes Erscheinungsbild vermissen.

8. Die Vereinbarung eines angemessenen Hauptmietzinses war aus diesen Erwägungen zulässig. Dessen Höhe wird das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren festzustellen haben.

9. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG. Erst nach Abschluss des Verfahrens kann nach Billigkeit entschieden werden, ob und in welchem Ausmaß einer Partei Kostenersatz gebührt.

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