OGH 9ObA113/15f

OGH9ObA113/15f28.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Mag. Robert Brunner als weitere Richter in den verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Parteien 1. D***** H*****, und 2. R***** K*****, beide vertreten durch Dr. Gerhard Hiebler, Dr. Gerd Grebenjak, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die beklagte Partei A***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch PHH Prochaska Havranek Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung (Streitwert: je 21.800 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Juni 2015, GZ 7 Ra 10/15t‑15, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Leoben als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 16. Oktober 2014, GZ 21 Cga 56/14h‑11, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00113.15F.1028.000

 

Spruch:

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 2.179,15 EUR (darin 363,19 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Die Klägerinnen sind bei der Beklagten, einem Personalbereitstellungsunternehmen, beschäftigt. Sie werden seit Beginn ihrer Arbeitsverhältnisse (1. 1. 2007 bzw 1. 7. 2008) von der Beklagten (Überlasserin) durchgehend an die Stadtgemeinde M***** (Beschäftigerin) als Kindergartenpädagoginnen überlassen. Die Beschäftigerin betreibt drei Kindergärten und einen Hort, in dem sowohl bei ihr angestellte Mitarbeiter, die sogenannten Stammarbeiter, als auch überlassene Arbeitskräfte, unter anderem die beiden Klägerinnen als Kindergartenpädagoginnen tätig sind. Alle Kindergartenpädagoginnen verrichten dieselbe Tätigkeit.

Für das Stammpersonal gilt das steiermärkische Gesetz vom 18. 6. 1985 über das Dienst- und Besoldungsrecht der von den Gemeinden anzustellenden Kindergartenpädagoginnen/Kindergartenpädagogen, Erzieher-innen/Erzieher an Horten und Kinderbetreuerinnen/Kinderbetreuer, LGBl 1985/77, zuletzt geändert durch LGBl 2007/45 (kurz: Stmk KGLG) iVm dem Steiermärkischen Schulzeit-Ausführungsgesetz 1999, LGBl 1999/105. Auf den Urlaub der überlassenen Arbeitskräfte werden von der Beklagten nicht die in § 3 Stmk KGLG unter dem Titel „Ferien und Erholungsurlaub“ enthaltenen Bestimmungen angewendet.

Das Berufungsgericht gab in (teilweiser) Abänderung des klageabweisenden Ersturteils dem Begehren der Klägerinnen statt. Es stellte fest, dass auf die Dienstverhältnisse der Klägerinnen zur Beklagten für die Dauer ihrer Überlassung an die Stadtgemeinde M***** als Kindergartenpädagoginnen die urlaubsrechtlichen Bestimmungen des Stmk KGLG anzuwenden sind.

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat die Revision mit der Begründung zugelassen, dass keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung und Anwendbarkeit des § 10 Abs 3 AÜG vorliege. Die Revision der Beklagten ist ‑ entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) ‑ nicht zulässig. Die Beklagte macht keine erhebliche Rechtsfrage geltend. Gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Dies ist hier nicht der Fall. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

1. Die Beklagte versucht aus den ihrer Ansicht nach auf Urlaubsvorschriften anwendbaren Bestimmungen des § 6 Abs 2 und 3 sowie § 6a AÜG abzuleiten, dass mit der von den Klägerinnen begehrten Feststellung die gewünschte Rechtssicherheit nur mit einem klagestattgebenden Feststellungsurteil gegen Überlasser und Beschäftiger erreicht werden könne. Einen korrekturbedürftigen Fehler in der grundsätzlich einzelfallbezogenen (RIS‑Justiz RS0039177 [T1]) Beurteilung des Berufungsgerichts, das den Klägerinnen ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung, die nur die beklagte Überlasserin bindet, zugesteht, zeigt die Beklagte in ihrer Revision nicht auf. Selbst wenn Bestimmungen über den Urlaub vom persönlichen Arbeitsschutz iSd § 6 Abs 2 AÜG erfasst wären und daher dann ‑ so auch die Revision ‑ sowohl dem Überlasser als auch dem Beschäftiger Fürsorgepflichten im Zusammenhang mit den Urlaubsansprüchen der überlassenen Arbeitskräfte obliegen, müsste jedenfalls die beklagte Überlasserin für die Dauer der Beschäftigung der Klägerinnen im Betrieb des Beschäftigers im Rahmen der sie als Arbeitgeberin der Klägerinnen treffenden Fürsorgepflichten (§ 6 Abs 3 AÜG) die Beschäftigerin über die Anwendbarkeit des § 3 Stmk KGLG auf die Arbeitsverhältnisse der Klägerinnen aufklären und informieren (vgl Schindler in ZellKomm² § 6 AÜG Rz 23). Insoweit trifft den Überlasser auch die Pflicht, die Überlassung unverzüglich zu beenden, sobald er weiß oder wissen muss, dass der Beschäftiger trotz Aufforderung die Arbeitnehmerschutz- oder die Fürsorgepflichten nicht einhält (§ 6 Abs 4 AÜG). Das nur gegen die Beklagte ergangene Feststellungsurteil bewirkt daher im Anlassfall eine abschließende Klärung des zwischen den Streitteilen strittigen Rechtsverhältnisses (vgl RIS‑Justiz RS0038968; RS0039007).

2. Gleiches gilt im Zusammenhang mit der von der Beklagten ins Treffen geführten Bestimmung des § 6a AÜG. Aus dieser Bestimmung betreffend Gleichbehandlung und Diskriminierungsverbote, aus der sich auch nach Ansicht der Revision ohnedies keine zwingende Inanspruchnahme des Beschäftigers und des Überlassers ableiten lässt, ist ebenfalls nichts für den Rechtsstandpunkt der Beklagten zu gewinnen. Selbst bei Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf den vorliegenden Fall, träfe auch den Überlasser die in § 6a Abs 3 AÜG ausdrückliche Verpflichtung, für angemessene Abhilfe zu sorgen, sobald er weiß oder wissen muss, dass der Beschäftiger während der Dauer der Beschäftigung die Gleichbehandlungsvorschriften oder Diskriminierungsverbote nicht einhält.

3. Die grundsätzliche Anwendbarkeit der Bestimmungen des § 10 Abs 1 und 3 AÜG, die nach dem Willen des Gesetzgebers eine Gleichstellung überlassener Arbeitskräfte mit vergleichbaren Arbeitnehmern des Beschäftigerbetriebs betreffend Entgelt und Regelungen der Arbeitszeit und des Urlaubs vorsehen (RV 1903 BlgNR XXIV. GP 3), wird von der Beklagten in ihrer Revision nicht mehr in Frage gestellt. Sie meint lediglich, dass der in § 3 Stmk KGLG angeordnete „Erholungsurlaub“ nicht dem gesetzlichen Begriff des Erholungsurlaubs bzw dem Urlaubsbegriff des § 10 Abs 3 AÜG entspreche. Zum einen spreche § 3 Stmk KGLG von einer „Beurlaubung“, die nicht mit dem Begriff „Erholungsurlaub“ gleichzusetzen sei, zum anderen sei ‑ mit wenigen Ausnahmen ‑ ein Urlaubsverbrauch nach dem Stmk KGLG während des Betriebsjahres, also außerhalb der Ferien, nicht zulässig.

Dieser Ansicht ist schon das Berufungsgericht zutreffend mit dem Hinweis entgegengetreten, dass auch § 3 Stmk KGLG in seiner Überschrift von Ferien und „Erholungsurlaub“ spricht. Zudem hat auch schon der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 9 ObA 163/92 den in § 3 Stmk KGLG vorgesehenen Erholungsurlaub während der Ferien als Zeit des Urlaubs der „Kinder(‑gärtnerinnen)“ verstanden. Begründete Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber Kindergärten und Schulen von § 10 Abs 3 AÜG ausnehmen wollte, bietet die Revision der Beklagten nicht. Inwiefern die Anwendung des § 3 Stmk KGLG in besonderen Konstellationen zu einer Ungleichbehandlung beim Urlaubsanspruch bzw bei der Urlaubsgewährung der überlassenen Arbeitnehmerinnen im Vergleich zum Stammpersonal führen soll, ist nicht nachvollziehbar. Eine Ungleichbehandlung könnte sich nur daraus ergeben, dass die Beschäftigerin die überlassenen Arbeitskräfte tatsächlich anders als vom anzuwendenden Urlaubsrecht gefordert behandelt, was aber mit der Frage, welches Urlaubsrecht auf die überlassenen Arbeitskräfte anzuwenden ist, nichts zu tun hat. Insbesondere kann sich die Beklagte nicht darauf stützen, dass die gesetzmäßige Behandlung der überlassenen Arbeitskräfte dazu führe, dass diese aufgrund der Anhäufung von Urlaubsguthaben „unvermittelbar“ werden würden. Günstigkeitsüberlegungen des Überlassers rechtferigen keine Unterschreitung des gesetzlichen Mindestschutzes der überlassenen Arbeitskräfte.

Zusammenfassend macht die Beklagte keine Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität geltend, sodass ihre Revision zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerinnen haben auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen.

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