OGH 8ObA58/15k

OGH8ObA58/15k25.8.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Robert Hauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G***** Z*****, Kolumbien, vertreten durch Mairhofer Gradl, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei T***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Burgstaller, Rechtsanwalt in Linz, wegen 106.458,67 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei, gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 24. Juni 2015, GZ 12 Ra 27/15z‑28, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:008OBA00058.15K.0825.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Der Kläger macht in der außerordentlichen Revision diverse Verfahrensmängel geltend und wirft dem Berufungsgericht in diesem Zusammenhang ein unzulässiges Abweichen vom festgestellten Sachverhalt bzw das Übergehen widersprüchlicher Feststellungen des Erstgerichts vor. Dies betreffe den Zeitpunkt der Kenntnis der Beklagten von der Übermittlung der Datei „gastro.ingrid“ an seine private E‑Mail‑Adresse (die Sichtung der Daten sei bereits Ende Juni/Anfang Juli 2013 erfolgt), weiters seine loyale Einstellung zur Beklagten zum Zeitpunkt der Entlassung (Loyalität sei das Gegenteil von Vertrauensunwürdigkeit), den angeblichen Entzug der Budgetdaten (der Kläger habe berechtigten Zugang zu den Daten gehabt), die Negativfeststellung zur Absicht des Klägers, die sich übermittelten Daten für sein Konkurrenzunternehmen zu verwerten (es habe sich nur um theoretische Berechnungen gehandelt), das Vorliegen zulässiger Vorbereitungshandlungen für seine künftige selbstständige Tätigkeit und schließlich das angebliche Abwerben von Mitarbeitern.

Die geltend gemachten Verfahrensmängel liegen ‑ wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat ‑ nicht vor.

Der genaue Zeitpunkt, zu dem die Übermittlung und Bearbeitung der Budgetdaten samt Erstellung eines Businessplans den Vertretern der Beklagten bekannt wurde, ergibt sich aus den Feststellungen des Erstgerichts nicht. Nach dem vom Erstgericht festgestellten Zeitablauf ist davon auszugehen, dass dies zwischen Anfang Juli 2013 und 18. 7. 2013 der Fall war. Am 18. 7. 2013 lag das Ergebnis der KMG‑Prüfung vor. Das Berufungsgericht geht ‑ so wie auch das Erstgericht ‑ davon aus, dass die Beklagte am 18. 7. 2013 in Kenntnis der Entlassungsvorwürfe war. Es bezieht den 18. 7. 2013 somit nicht ausschließlich auf die Sichtung der Datei „gastro.ingrid“, sondern darauf, dass „alles auf dem Tisch gelegen ist“ (vgl im Ersturteil S 19).

Das Erstgericht hat festgestellt, dass sich der Kläger zum Zeitpunkt der Entlassung emotional noch an die Beklagte gebunden fühlte. In der Beweiswürdigung erklärt es dazu, dass sich seine Bindung an das Unternehmen aus seiner E‑Mail ergebe, wonach er noch Überlegungen angestellt habe, für die VCol weiter tätig zu sein. Bei der Überlegung des Erstgerichts in der rechtlichen Beurteilung, wonach der Kläger zum Zeitpunkt der Entlassung immer noch ein „loyaler Mitarbeiter“ gewesen sei, handelt es sich nicht um ein zusätzliches Tatsachensubstrat, sondern um eine Schlussfolgerung aus der Feststellung zur emotionalen Bindung des Klägers. Soweit das Erstgericht aus dem Begriff der „Loyalität“ die weitere Schlussfolgerung ableitet, dass „somit“ nicht feststehe (gemeint: davon auszugehen sei), dass sich der Kläger das Datenmaterial nach Hause geschickt habe, um es tatsächlich für ein Konkurrenzunternehmen zu verwerten, und soweit dies als Tatsachenelement verstanden werden kann, weicht das Erstgericht (und nicht das Berufungsgericht) von seinen eigenen Feststellungen ab. Diese Schlussfolgerungen des Erstgerichts haben daher außer Betracht zu bleiben. Der Verwendung des Wortes „loyal“ durch das Erstgericht kommt demnach keine eigenständige Bedeutung auf Tatsachenebene zu. Insbesondere kann der Kläger nicht zu seinen Gunsten den Begriff der „Loyalität“ in einen Gegensatz zur Vertrauenswürdigkeit setzen. Die Frage, ob ein Entlassungsgrund verwirklicht ist, ist ausschließlich anhand der festgestellten Handlungen des Klägers zu messen.

Das Erstgericht hat in seinen Feststellungen im Verein mit der Beweiswürdigung dargelegt, was es unter „Zugang“ des Klägers zu den inkriminierten Budgetdaten meint. Danach konnte der Kläger auf das Datenmaterial nicht selbst per Computer (das MAS‑System) zugreifen, sondern musste dieses von den einzelnen Fachabteilungen anfordern. Dementsprechend hat der Kläger nicht auf das MAS‑System direkt zugegriffen, sondern sich die Daten aus den Fachabteilungen übermitteln lassen. Damit im Einklang geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Kläger auf seinem Arbeitsplatz berechtigten Zugriff auf die Budgetdaten hatte. Durch die Erstellung des Businessplans anhand dieser Daten habe er diese dem geschützten Bereich der Konzernfirma der Beklagten entzogen und diese Daten für Zwecke seiner bereits gegründeten Konkurrenzfirma nutzbar gemacht. Für diesen Zweck waren die Budgetdaten tatsächlich widerrechtlich erlangt.

Wie bereits erwähnt, hat die Schlussfolgerung des Erstgerichts, wonach nicht feststehe, dass sich der Kläger das Datenmaterial nach Hause geschickt habe, um es tatsächlich für ein Konkurrenzunternehmen zu verwerten, außer Betracht zu bleiben. Im gegebenen Zusammenhang führt das Erstgericht in der Beweiswürdigung weiters aus, es fehlten Beweisergebnisse dafür, dass der Kläger bis zur Entlassung das Zahlenmaterial in irgendeiner Art und Weise tatsächlich „verwendet“ habe. Was das Erstgericht unter dem Begriff „verwenden“ versteht, wird nicht erklärt. Im Verein mit den weiteren Ausführungen in der Beweiswürdigung und den zugrunde liegenden Feststellungen ergibt sich jedoch, dass es davon zum einen die Weiterleitung der Daten an dritte Personen unterscheidet. Zum anderen versteht es das Übermitteln und Bearbeiten der Budgetdaten samt Erstellen eines Businessplans für das gegründete Konkurrenzunternehmen nicht als „verwenden“. Daraus folgt, dass das Erstgericht eine „Verwendung“ der Daten (nur) nach außen, also im geschäftlichen Verhältnis zu Dritten, meint. Dies wird in der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts auch explizit ausgedrückt (vgl im Ersturteil S 21: „Dritten gegenüber verwendet“).

Die Qualifikation als „zulässige“ Vorbereitungshandlung betrifft nicht die Tatsachenebene, sondern die rechtliche Beurteilung.

Schließlich geht das Berufungsgericht nicht davon aus, dass der Kläger Mitarbeiter des kolumbianischen Konzernunternehmens der Beklagten abgeworben habe. Vielmehr legt es dar, dass aufgrund der von der Beklagten geprüften Daten ein mögliches Abwerben von Mitarbeitern im Raum gestanden sei. Da im Businessplan auch Personalkosten unter Anführung des Namens damaliger Mitarbeiter des Konzernunternehmens der Beklagten berücksichtigt waren, konnte aus Sicht der Beklagten tatsächlich dieser Eindruck bestehen.

Insgesamt ist das Berufungsgericht nicht von den relevanten Tatsachenfeststellungen abgewichen.

2. In materiell‑rechtlicher Hinsicht bestreitet der Kläger nicht, dass es sich bei dem in Rede stehenden Datenmaterial, konkret bei den Budgetdaten der VCol, um Geschäftsgeheimnisse gehandelt hat, an deren Geheimhaltung der Dienstgeber ein objektiv berechtigtes Interesse hatte (vgl 9 ObA 180/01b). Der Kläger anerkennt auch den Rechtsgrundsatz, dass der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit nicht nur bei (erfolgtem oder versuchtem) Geheimnisverrat, sondern auch bei (anzunehmender oder betätigter) Absicht, seine geschäftsinternen Kenntnisse gegen die Interessen des Dienstgebers unter eigennütziger Bevorzugung eigener Anliegen einzusetzen, zu bejahen ist. Maßgeblich ist, ob die inkriminierte Vorgangsweise beim Dienstgeber objektiv die berechtigte Befürchtung auslösen konnte, dass durch eine nicht autorisierte Verwendung firmeninterner Daten zu eigenen Zwecken oder zu Gunsten Dritter das Gebot der Vertraulichkeit missachtet wird und dadurch die dienstlichen Belange durch den Dienstnehmer gefährdet sind (vgl 8 ObA 37/07k). In diesem Sinn stellt die Handlungsweise des Klägers eine nicht autorisierte Nutzung vertraulicher Daten, die sogar Geschäftsgeheimnisse bildeten, für Zwecke des Konkurrenzunternehmens dar. Entgegen der Ansicht des Klägers handelt es sich nicht nur um theoretische Berechnungen und zulässige Vorbereitungshandlungen. Er hat nicht nur anhand der missbräuchlich verwendeten Daten einen Businessplan für das schon gegründete Konkurrenzunternehmen erstellt und eine Halle für dieses angemietet, sondern gegenüber dem Vertreter der Beklagten auch erklärt, dass er in seinem (Konkurrenz-)Unternehmen Verpackungen und Etiketten herstellen wolle.

Davon ausgehend hält sich die Beurteilung des Berufungsgericht, dass das Absaugen der (zu diesem Zweck widerrechtlich erlangten) Budgetdaten des kolumbianischen Konzernunternehmens der Beklagten zum Zweck der Nutzbarmachung für das Konkurrenzunternehmen den Vertrauensentzug rechtfertigte, weshalb die Entlassung berechtigt erfolgt sei, im Rahmen des dem Berufungsgericht eingeräumten Entscheidungsspielraums und erweist sich daher als nicht korrekturbedürftig.

3. Die Frage, ob der Dienstgeber den Entlassungsgrund unverzüglich geltend gemacht hat, stellt eine Beurteilung im Einzelfall dar, die grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage begründet (RIS‑Justiz RS0031571). Verzögerungen sind insoweit nicht schädlich, als sie in den besonderen Umständen des jeweiligen Falls sachlich begründet sind (vgl RIS‑Justiz RS0029273). Die Anforderungen an die Unverzüglichkeit der Entlassung dürfen allerdings nicht überspannt werden. Vielmehr ist nach den konkreten Umständen auf die Erfordernisse des Wirtschaftslebens und die Betriebsverhältnisse Bedacht zu nehmen (vgl RIS‑Justiz RS0031789). Allgemein ist dem Dienstgeber zuzubilligen, den entlassungsrelevanten Sachverhalt aufzuklären (RIS‑Justiz RS0029297). Bei juristischen Personen und im öffentlichen Bereich ist zudem der aufgrund der internen Organisationsstrukturen umständlichere und langwierigere Willensbildungsprozess zu berücksichtigen (9 ObA 155/09y; 8 ObA 39/13p).

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte am 18. 7. 2013 in Kenntnis der relevanten Umstände für die Entlassungsvorwürfe gewesen sei, erweist sich als gut vertretbar. Die Beklagte konnte zur gebotenen Aufklärung des Sachverhalts noch das Ergebnis der Datenprüfung durch das externe Fachunternehmen abwarten. Ebenso vertretbar ist die Auffassung, dass aufgrund der Komplexität der Vorwürfe und der Wichtigkeit der Geschäftsinteressen der Beklagten die Anreise des Vertreters der Beklagten nach Kolumbien für die Befragung des Klägers und den Ausspruch der Entlassung gerechtfertigt gewesen sei. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls der Ausspruch der Entlassung am 24. 7. 2013 in Kolumbien noch rechtzeitig erfolgt sei, ist damit nicht korrekturbedürftig.

Darauf, ob der Kläger (mangels Information über die Untersuchung) überhaupt ein Vertrauen entwickeln konnte, die Beklagte werde sein Fehlverhalten nicht sanktionieren, kommt es nicht mehr an (vgl dazu 8 ObA 96/03f; 9 ObA 69/07y; auch 9 ObA 71/08v; nur scheinbar einschränkend 9 ObA 50/15s).

4. Insgesamt zeigt der Kläger keine erhebliche Rechtsfrage auf. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.

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