OGH 9ObA50/15s

OGH9ObA50/15s28.5.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn und die fachkundigen Laienrichter Dr. Johanna Biereder und Horst Nurschinger in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei E***** F*****, gegen die beklagte Partei ***** S***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Hans Peter Bauer, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 11.487,04 EUR brutto sA (Revisionsinteresse: 11.181,42 EUR brutto sA), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. Februar 2015, GZ 12 Ra 10/15z‑21, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00050.15S.0528.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Der Kläger war ab dem zweiten Lehrjahr von 1. 8. 2011 bis 13. 11. 2013 bei der Beklagten als Lehrling im Lehrberuf Mechatroniker beschäftigt. Er war der Abteilung „Schaltschrankbau/Verteilerbau“ zugeteilt und wurde für den Schaltschrankbau und für Kabelzieharbeiten eingesetzt. Dreh-, Fräs- oder Schweißarbeiten führte er nicht durch, die entsprechenden Maschinen sind im Betrieb der Beklagten jedoch in Verwendung. Kenntnisse in der Pneumatik erwarb er nur unzureichend. Die CNC‑Programmiermaschine durfte von ihm nicht bedient werden. Er erstellte auch keine SPS‑Steuerungsprogramme. Nach dem Besuch der Berufsschule im 3. Lehrjahr war er nach den Tätigkeitsberichten seiner Berufsschulkollegen überzeugt, dass ihm wesentliche Ausbildungsinhalte fehlen würden. Da weder Gespräche seines Vaters mit dem Geschäftsführer der Beklagten noch Interventionen und Vorschläge der Arbeiterkammer ***** und der Wirtschaftskammer ***** zu einer Ausbildungsänderung führten, der Kläger von der Beklagten aber auch nicht für externe Kurse in einem technischen Ausbildungszentrum freigestellt wurde, löste der Kläger das Lehrverhältnis gemäß § 15 Abs 4 lit b BAG vorzeitig auf.

2. Die Beklagte ist in ihrer außerordentlichen Revision der Ansicht, dass die Vorinstanzen dem Kläger zu Unrecht Kündigungsentschädigung bis 1. 5. 2014 (Antritt zum Zivildienst) zugesprochen hätten.

Ob im Einzelfall die Voraussetzungen für die vorzeitige Auflösung vorliegen, stellt regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS‑Justiz RS0106298 [T5]), sofern dem Berufungsurteil keine grobe Fehlbeurteilung zugrunde liegt. Das ist hier nicht der Fall.

3. Der Lehrling hat einen gesetzlichen Anspruch (auch) auf Ausbildung (s RIS‑Justiz RS0053080). Welche Kenntnisse und Fähigkeiten der Lehrberechtigte während der Ausbildungszeit zu vermitteln hat, ist vor allem nach dem Inhalt des in den jeweiligen Ausbildungsvorschriften enthaltenen Berufsbildes (§ 8 Abs 2 BAG) zu beurteilen (vgl RIS‑Justiz RS0053082).

4. Die hier maßgebliche Mechatronik-Ausbildungsordnung BGBl II 2003/374 legt in § 3 Abs 1 für das Berufsbild des Mechatronikers/der Mechatronikerin 37 Ausbildungspositionen fest, von denen die Beklagte dem Kläger in den vorgenannten Punkten keine Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelte. Die Beklagte will aber aus § 3 Abs 2 der Verordnung ableiten, dass bei der Ausbildung im Betrieb auf die betrieblichen Erfordernisse und Vorgaben Rücksicht zu nehmen sei und „Ausbildungslücken“ von der Berufsschule zu schließen seien.

§ 3 Abs 2 der Verordnung sieht vor, dass bei der Ausbildung in den fachlichen Kenntnissen und Fertigkeiten ‑ unter besonderer Beachtung der betrieblichen Erfordernisse und Vorgaben ‑ auf die Persönlichkeitsbildung des Lehrlings zu achten ist, um ihm die für eine Fachkraft erforderlichen Schlüsselqualifikationen bezüglich Sozial‑, Selbst‑, Methodenkompetenz und Kompetenz für das selbstgesteuerte Lernen zu vermitteln. Eine Einschränkung des Ausbildungsinhalts in dem von der Beklagten gewünschten Sinn (Ausbildung auch nach Auftragslage) geht daraus nicht hervor. Betriebsbedingte Gründe dafür, dass es der Beklagten nicht möglich gewesen wäre, dem Kläger die fehlenden Ausbildungsinhalte zu vermitteln, stehen nicht fest. Die Beklagte meint auch nur, dass der Kläger nicht mit dem Wunsch an sie herangetreten sei, die entsprechenden Arbeiten durchführen zu wollen.

5. Angesichts der ab Mai 2013 erfolgten mehrmaligen Aufforderungen der Vertreter des Klägers, die Beklagte möge ihm die fehlenden Ausbildungsinhalte vermitteln, kann auch dem Einwand eines Mitverschuldens des Klägers, das die Beklagte mit seiner fehlenden Eigeninitiative begründen will, nicht gefolgt werden.

6. Da der Kläger zur Sicherstellung des Ausbildungserfolgs von November 2013 bis Februar 2014 Kurse des Technischen Ausbildungszentrums besuchte und am 1. 5. 2014 den Zivildienst anzutreten hatte, ist es auch nicht weiter zu beanstanden, wenn die Vorinstanzen keine Schädigungsabsicht des Klägers darin erkannten, dass er in diesem Zeitraum keine Ersatzstelle anstrebte, zumal deshalb auch vom AMS keine Vermittlungsbemühungen gesetzt wurden.

7. Der Grundsatz der unverzüglichen Geltendmachung eines Auflösungsgrundes (RIS‑Justiz RS0028687; RS0028677) beruht auf dem Gedanken, dass der Vertragspartner, der eine Verfehlung des anderen Vertragspartners nicht sofort mit einer Auflösungserklärung beantwortet, die Weiterbeschäftigung nicht als unzumutbar ansieht und auf die Ausübung des Auflösungsrechts im konkreten Fall verzichtet (vgl RIS‑Justiz RS0029249 zur Entlassung). Bei einem Dauerverhalten ist auch zu beachten, ob mit der Dauer des Zustands auch das Ausmaß der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung zunimmt (vgl RIS‑Justiz RS0031799 [T17, T18]).

Dass der Kläger die Weiterbeschäftigung samt den gegebenen Ausbildungsumständen akzeptiert und auf das Auflösungsrecht verzichtet hätte, konnte die Beklagte schon aufgrund der mehrfachen Interventionen der Vertreter des Klägers nicht annehmen. Dem Kläger war auch zuzugestehen, zunächst auf die Umsetzung der Zusage des Geschäftsführers, dass ihm die fehlenden Ausbildungsinhalte noch gezeigt würden, zu vertrauen und sodann Gespräche und Bemühungen seiner Vertreter zur Problemlösung abzuwarten. Da aber zugleich die Lehrzeit, die dem Kläger zum Erlernen der fehlenden Kenntnisse und Fähigkeiten zur Verfügung stand, immer knapper wurde (Ende: 7. 2. 2014), stieg auch das Ausmaß der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kontinuierlich an. Wenn die Vorinstanzen hier keine verspätete Geltendmachung des Austrittsgrundes sahen, ist auch das nicht weiter korrekturbedürftig.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.

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