OGH 4Ob63/15s

OGH4Ob63/15s11.8.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Markensache der Antragstellerin P***** GmbH, *****, vertreten durch Saxinger, Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen die Antragsgegnerin b***** GmbH, *****, vertreten durch CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen teilweiser Löschung der Marke AT 108725, über die außerordentliche Revision der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. Dezember 2014, GZ 34 R 70/14k‑19, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0040OB00063.15S.0811.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Die Urkundenvorlage der Antragsgegnerin samt „Beilagenergänzung“ vom 13. 3. 2015 wird zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Die Antragsgegnerin macht geltend, das Berufungsgericht wäre an die vom Obersten Patent‑ und Markensenat in seiner EuGH‑Vorlageentscheidung ausgedrückte Rechtsansicht gebunden gewesen, wonach im fortgesetzten Verfahren allenfalls eine unabhängige Verbraucherbefragung über das Verständnis der Endverbraucher einzuholen sein werde. Diese Bindung ergebe sich daraus, dass das Berufungsgericht auch an seine in einem Aufhebungsbeschluss geäußerte Rechtsansicht gebunden wäre.

Im vorliegenden Fall stellt sich jedoch keine derartige Bindungsproblematik, weil es sich nicht um einen Aufhebungsbeschluss, sondern um eine bloße Verfahrensunterbrechung zur Vorlage an den EuGH handelte, deren Begründung keine Bindungswirkung entfaltet (vgl Majchrzak/Graf , Möglicher Verfall der Marke Kornspitz, ÖBl 2014/28).

2. Eine Aktenwidrigkeit liegt nur dann vor, wenn für die bekämpfte Tatsachenfeststellung überhaupt keine beweismäßige Grundlage besteht. Eine Schlussfolgerung kann nicht den Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit bilden (RIS‑Justiz RS0043256 [T11]). Wenn daher das Berufungsgericht aufgrund der Feststellungen der Nichtigkeitsabteilung, wonach die Antragsgegnerin Bäcker bzw Lebensmittelhändler, die die Backware Kornspitz an den Endverbraucher verkaufen, nicht dazu anhält, das ® bei der Präsentation der Waren zu verwenden und wonach die Bäcker ihren Kunden gegenüber keinen Hinweis auf die Herkunft der Backmischung verwenden und eine Zuordnung von der Antragsgegnerin nicht gewollt ist, zu dem Ergebnis kommt, dass die Antragsgegnerin Kornspitz beim Endverbraucher nicht als Marke positioniert hat, so liegt darin keine Aktenwidrigkeit.

3. Die Frage des Eindrucks der beteiligten Verkehrskreise ist nach ständiger Rechtsprechung eine Rechtsfrage, wenn zu ihrer Beurteilung die Erfahrungen des täglichen Lebens ausreichen; sie ist eine Tatfrage, wenn dies nicht der Fall ist (RIS‑Justiz RS0039926 [insb T26, T28]). Eine Beweisaufnahme ist aber nur dann geboten, wenn im konkreten Fall Zweifel bestehen, dass die strittige Frage allein aufgrund der Lebenserfahrung der zur Entscheidung berufenen Organe beantwortet werden kann. Dabei sind die von den Gerichten heranzuziehenden Erfahrungssätze wie Rechtssätze zu behandeln; sie unterliegen daher ‑ soweit eine erhebliche Rechtsfrage begründet ist ‑ der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof. Hält dieser sie für unrichtig, kann er die Sache selbst anders beurteilen; bei Zweifeln kann er die Aufnahme von Beweisen über die Verkehrsauffassung anordnen (17 Ob 27/11mRed Bull/Run Cool mwN).

Im vorliegenden Fall ist das Berufungsgericht (implizit) von dem Erfahrungssatz (zu dessen Beurteilung die Erfahrungen des täglichen Lebens ausreichen) ausgegangen, dass die gegenständliche Marke im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern zur gebräuchlichen Bezeichnung für das in Rede stehende Gebäck geworden ist. Diese Beurteilung ist vertretbar.

Da somit die Frage des Verbraucher‑ verständnisses als Rechtsfrage zu beurteilen war, stößt auch die Zurückweisung der von der Antragsgegnerin im Berufungsverfahren zu diesem Thema vorgelegten Urkunden durch das Berufungsgericht auf keine Bedenken. Erwägungen zum Neuerungsverbot können diesbezüglich auf sich beruhen.

4. Aufgrund der oben zu Pkt 2. zitierten Feststellungen und unter Zugrundelegung der Entscheidung des EuGH zu C‑409/12, dass es als Untätigkeit iSd RL 2008/95 angesehen werden kann, dass es der Inhaber einer Marke unterlässt, die Verkäufer dazu zu bewegen, die Marke für den Vertrieb einer Ware, für die die Marke eingetragen ist, mehr zu benutzen, ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die partielle Umwandlung der Marke in eine verkehrsübliche Bezeichnung auf die Untätigkeit der Antragsgegnerin zurückzuführen ist, ebenfalls vertretbar.

5. Die Antragsgegnerin erachtet die teilweise Löschung der Marke Kornspitz (für an Endverbraucher gerichtete Endprodukte , nämlich für Backwaren, feine Backwaren, auch zum Aufbacken vorbereitet) als mit dem grundrechtlich gewährleisteten Schutz des geistigen Eigentums unvereinbar, wenn dies zu einer massiven Entwertung der verbleibenden Marke führen würde, die weiterhin für Roh‑ und Zwischenprodukte, die mit den Endprodukten ähnlich seien ( Mehle und Getreidepräparate, Backmittel, Teiglinge, auch tiefgefroren, für die Herstellung von feinen Backwaren ), registriert sei. Dem ist mit dem EuGH (C‑409/12) entgegen zu halten, dass eine Marke für eine Ware, für die sie eingetragen ist, für verfallen erklärt werden kann, wenn die Marke infolge des Verhaltens oder der Untätigkeit ihres Inhabers aus der Sicht allein der Endverbraucher dieser Ware zur gebräuchlichen Bezeichnung dieser Ware geworden ist. Dies wurde hier vertretbar bejaht. Die Berücksichtigung einer dadurch allenfalls eintretenden Entwertung der verbleibenden Marke mit dem Ergebnis, dass die teilweise Löschung der Marke zu unterbleiben hätte, liefe der zitierten EuGH-Rechtsprechung zuwider, weil dann die Sicht allein der Endverbraucher letztlich unmaßgeblich wäre.

6. Der gemäß § 176b Abs 4 PatG für Berufungen gegen Entscheidungen der Nichtigkeitsabteilung, die vor Ablauf des 31. 12. 2013 eingebracht wurden, normierte Ausschluss der Anwendung des § 482 ZPO (Neuerungsverbot) gilt nicht für das Revisionsverfahren. Die von der Antragsgegnerin im Revisionsverfahren vorgelegten Urkunden waren daher zurückzuweisen. Im Übrigen sind der Rechtsmittel‑ bzw ‑ beantwortungsschrift nachfolgende Eingaben der Streitteile im Hinblick auf den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels (vgl RIS‑Justiz RS0041666) unzulässig.

Stichworte