OGH 12Os36/15h

OGH12Os36/15h9.7.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Juli 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Leisser als Schriftführerin in der Strafsache gegen Andreas S***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Andreas S***** und Michael C***** sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 11. Dezember 2014, GZ 26 Hv 48/14k‑51, und über die Beschwerden des Angeklagten Andreas S***** sowie der Staatsanwaltschaft gegen den unter einem gefassten Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2, Abs 6 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0120OS00036.15H.0709.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Beiden Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Andreas S***** und Michael C***** je des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach haben sie am 27. Mai 2014 in D***** mit Gewalt gegen eine Person und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben unter Verwendung einer Waffe Sengör K***** eine fremde bewegliche Sache, nämlich Bargeld in der Höhe von 1.100 Euro, mit dem Vorsatz weggenommen bzw abgenötigt, durch deren Zueignung sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, indem Andreas S***** mit einem Klappmesser, das er geöffnet in seiner rechten Hand hielt, vor Sengör K***** herumfuchtelte, ihm damit in die rechte Hand stach und gleichzeitig mit seiner linken Hand mehrfach auf ihn einschlug, während Michael C***** ihn von hinten festhielt, ihn in weiterer Folge zu Boden warf und gemeinsam mit Andreas S***** auf ihn eintrat und ‑schlug, wobei Andreas S***** ihn sinngemäß aufforderte, ihm alles zu geben, was er habe, dabei das geöffnete Klappmesser weiterhin in Richtung des Sengör K***** hielt und sodann das von ihm mitgeführte Bargeld in der Höhe von 1.100 Euro aus dessen Jackentasche nahm.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich je auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Andreas S***** und Michael C*****, denen keine Berechtigung zukommt.

Die Verfahrensrügen (Z 4) kritisieren die Abweisung (ON 46 S 62; ON 50 S 6) des Antrags auf Einholung eines gerichtsmedizinischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass die vorgefundenen Blutspuren sich nicht mit einem Kampfgeschehen in Einklang bringen lassen, wodurch sich ergeben würde, dass die Darstellungen und Behauptungen des Opfers nicht den Tatsachen entsprechen bzw unrichtig sind, und der vom Opfer behauptete Kampf „so gar nicht stattgefunden hat“, zumal bei einem wie vom Zeugen Sengör K***** geschilderten Kampfgeschehen Blutspritzer und nicht nur vereinzelte Bluttropfen vorhanden und das Verletzungsbild dieses Zeugen anders sein müsste (ON 46 S 61; ON 50 S 3 f).

Der Beweisantrag verfiel jedoch zu Recht der Abweisung, weil das genaue Kampfgeschehen für die Lösung der Schuld- oder Subsumtionsfrage (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 319, 321) ohne Relevanz ist.

Der Antrag auf Einvernahme der Polizeibeamten Sandro L***** und Markus St***** zum Beweis dafür, dass die Handys des Angeklagten Andreas S***** „zum Zeitpunkt des erstmaligen Betretens der Wohnung durch die Beamten in der Wohnung waren und der Erstangeklagte die Handys gar nicht dabei hatte“, wobei auf die Beilage ./13 des Abschlussberichts (ON 15 S 185 ff) verwiesen wurde (ON 50 S 4 f), wurde bereits deshalb zu Recht abgewiesen (ON 50 S 6), weil aus dem im Abschlussbericht zitierten Amtsvermerk vom 28. Mai 2014 (Beilage ./13) weder eine eingehende Durchsuchung der Wohnung durch die genannten Beamten noch ein Hinweis auf in der Wohnung der Zeugin Ulrike F***** vorgefundene Mobiltelefone hervorgeht. Der Antrag hätte daher darlegen müssen, warum die beantragte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erwarten lasse (RIS‑Justiz RS0118123, RS0107398; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 330). Im Übrigen lässt der Beweisantrag nicht erkennen, welche relevanten Beweisergebnisse aus dem Umstand, dass - im Übrigen bei bloßer Betrachtung ohne Kenntnis der eingelegten SIM‑Karten ohnehin einer Person nicht zuordenbare ‑ Handys nach dem Tatzeitpunkt in der Wohnung gewesen seien, hätten gewonnen werden können, zumal die Täter diese ‑ wie das Erstgericht in seiner zutreffenden abweisenden Begründung darlegt (ON 50 S 6) ‑ nach der Tat durchaus in die Wohnung hätten zurückbringen können (§ 55 Abs 2 Z 2 StPO).

Auch den Antrag auf Einholung einer Rufdatenrückerfassung samt Standortermittlung des Mobiltelefons der Zeugin Ulrike F***** (ON 50 S 5) wies das Erstgericht ohne Verletzung von Verteidigungsrechten ab, weil dieser die gebotene Begründung vermissen lässt, weshalb die auszuforschenden Daten mehr als ein halbes Jahr gespeichert bleiben sollten, zumal selbst die Bestimmung des § 102a TKG, die im Übrigen dem Rechtsbestand seit 30. Juni 2014 (BGBl I 2014/44) und somit im Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr angehört, eine Verpflichtung zur Speicherung der in Rede stehenden Daten von lediglich maximal sechs Monaten vorsah. § 90 Abs 8 TKG verpflichtet Anbieter von Mobilfunknetzen zwar nach wie vor, Aufzeichnungen über den geographischen Standort der zum Betrieb ihres Dienstes eingesetzten Funkzellen zu führen (eine kommunikationsunabhängige Speicherung von Standortdaten ist hingegen nach § 102 Abs 3 letzter Satz TKG 2003 ausdrücklich verboten), dies jedoch ebenfalls nur für einen sechs Monate zurückliegenden Zeitraum (im Einzelnen vgl 12 Os 93/14i, 94/14m). Darüber hinaus kann aus der behaupteten Anwesenheit der Zeugin Ulrike F***** bei Wilfried Kö***** zur Tatzeit nicht zwingend abgeleitet werden, dass sich der Angeklagte zum Tatzeitpunkt ebenfalls bei diesem und demzufolge nicht am Tatort befunden hat (§ 55 Abs 2 dritter Fall und Z 1 StPO).

In ihren Mängelrügen (Z 5 fünfter Fall) bezeichnen die Beschwerdeführer die im Urteil genannten Angaben des Zeugen Andreas E***** als aktenwidrig, weil dieser „nicht aus eigenem“ die technische Unmöglichkeit der Anwesenheit eines Mobiltelefons am Tattag um 21:49 Uhr am Wohnort des Wilfried Kö***** ausschließen habe können, sondern sich auf eine Rücksprache mit dem Mobilfunkbetreiber T‑***** bezog (ON 46 S 58). Ein Urteil ist jedoch nur dann aktenwidrig, wenn es den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (RIS‑Justiz RS0099431; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 467). Vorliegend hat sich das Gericht in seiner Urteilsbegründung auf die Aussage des Zeugen Andreas E***** gestützt; dass dieser die behaupteten Schlussfolgerungen aus eigenem getroffen hätte, behauptet das Urteil nicht (vgl US 7).

Entgegen der Kritik des Beschwerdeführers Michael C*****, der eine Begründung für seine Mittäterschaft vermisst, hat das Erstgericht seine diesbezüglichen Urteilsannahmen auf die für glaubwürdig erachteten Angaben des Tatopfers Sengör K***** gestützt (US 14).

Mit seinen Einwänden gegen die vom Erstgericht aus den Angaben der Zeugen Daniel Fe***** und Fatma U***** gezogene Forderungen, die das Gericht als Alibizeugen ausschloss (US 12 f), und gegen die Urteilserwägungen hinsichtlich der Motivlage der Angeklagten und des Tatopfers kritisiert der Beschwerdeführer ebenso nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung die Beweiswürdigung des Erstgerichts wie mit dem Hinweis auf selektiv herausgegriffene Aussagedetails des Zeugen Sengör K*****, aufgrund derer der Beschwerdeführer mit eigenen hypothetischen Überlegungen zu dem Schluss kommt, dass dieser ihn nicht erkennen hätte können, zumal er ihn „von vorne nie gesehen“ habe. Diesbezüglich vernachlässigt er im Übrigen die Gesamtheit dessen Angaben, wonach er ihn vom Sehen kenne (ON 15 S 91), ihn auf einem Lichtbild identifizieren konnte (ON 15 S 101 ff), er ihn gesehen habe, als er am Boden lag und ihn auch während der Tat wiedererkannte (ON 46 S 27). Dem Gebot zu gedrängter Darstellung in den Entscheidungsgründen gemäß § 270 Abs 2 Z 5 StPO entsprechend, war das Schöffengericht im Übrigen nicht verpflichtet, den vollständigen Inhalt der Aussagen des Zeugen Sengör K***** wiederzugeben und in Richtung aller denkbaren Schlussfolgerungen zu untersuchen (RIS‑Justiz RS0098778, RS0106295, RS0106642).

Dies gilt ebenso für die Angaben des Zeugen Mustafa Se***** (ON 15 S 139 f, ON 50 S 7 ff), dessen Aussage das Gericht ohnedies berücksichtigt hat (US 15) und die den getroffenen Feststellungen zum Tathergang nicht entgegenstehen. Sie weisen der Rüge zuwider auch keinen zu den Angaben des Sengör K***** erörterungsbedürftigen Widerspruch auf (Z 5 zweiter Fall), wonach dieser den Zweitangeklagten namentlich nicht gekannt haben will, zumal Mustafa Se***** seine Aussage dahin präzisierte, das Tatopfer habe ihm den Mittäter des Erstangeklagten beschrieben, sodass er Sengör K***** gefragt habe, ob es der ihm bekannte Michael gewesen sei (ON 50 S 7, 12).

Das Vorbringen der Tatsachenrügen (Z 5a) beider Beschwerdeführer ignoriert den Anfechtungsrahmen dieses Nichtigkeitsgrundes, dessen Wesen und Ziel es ist, anhand aktenkundiger Umstände unter Beachtung sämtlicher Verfahrensergebnisse erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen aufzuzeigen. Solche erheblichen Bedenken liegen nur dann vor, wenn die Tatrichter das ihnen nach § 258 Abs 2 zweiter Satz StPO gesetzlich zustehende Ermessen bei der Beweiswürdigung in geradezu unerträglicher Weise gebraucht haben und damit eine Fehlentscheidung qualifiziert naheliegt (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 391, 470, 490). Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen ‑ wie sie die Berufung wegen Schuld im Einzelrichterverfahren einräumt - wird dadurch nicht eröffnet (RIS‑Justiz RS0119583). Demgegenüber beschränken sich die Rügen auf die Kritik an den als glaubwürdig oder unglaubwürdig erachteten Angaben der Zeugen und die Darstellung eigener Beweiswerterwägungen mit dem Ziel, der leugnenden Verantwortung zum Durchbruch zu verhelfen. Erhebliche Bedenken im aufgezeigten Sinn werden dadurch nicht dargetan.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft sowie die Beschwerden der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten Andreas S***** folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Mit Blick auf § 290 Abs 1 StPO bleibt anzumerken, dass die Wertung der völligen Uneinsichtigkeit der Angeklagten, also im Ergebnis deren leugnende Verantwortung, als für die Verhängung empfindlicher unbedingter Freiheitsstrafen (mit‑)entscheidende Tatsache (US 18) eine iSd § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO unrichtige Gesetzesanwendung darstellt (RIS‑Justiz RS0090897). Diesem von der Beschwerde nicht aufgegriffenen Umstand wird das Oberlandesgericht bei der Berufungsentscheidung Rechnung zu tragen haben (RIS‑Justiz RS0122140).

Auf die handschriftliche, als „Ergänzung der Nichtigkeitsbeschwerde“ bezeichnete Eingabe des Angeklagten Michael C***** war nicht einzugehen, weil die Strafprozessordnung nur eine einzige Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde zulässt (RIS‑Justiz RS0100175).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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