OGH 13Os59/15y

OGH13Os59/15y17.6.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Juni 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel in Gegenwart des Richteramtsanwärter Mag. Zonsics als Schriftführer in der Strafsache gegen Chawarz A***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen, AZ 61 E Hv 57/15w des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten Chawarz A***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 22. April 2015, AZ 19 Bs 101/15i (ON 50 der Hv‑Akten), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0130OS00059.15Y.0617.000

 

Spruch:

Die Grundrechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

Das Landesgericht für Strafsachen Wien verhängte mit Beschluss vom 19. März 2015 (ON 24) über den am 16. März 2015 festgenommenen (ON 19 S 5) Chawarz A***** die Untersuchungshaft aus den Gründen der Verdunkelungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 2 StPO sowie der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a, b und d StPO und setzte diese nach Durchführung einer Haftverhandlung (ON 34) mit Beschluss vom 2. April 2015 (ON 35) aus den selben Haftgründen fort.

Mit der angefochtenen Entscheidung gab das Oberlandesgericht Wien der gegen den letztgenannten Beschluss erhobenen Beschwerde des Chawarz A***** (ON 34 S 2) nicht Folge und ordnete die Haftfortsetzung aus den Gründen der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a, b und d StPO an.

Dabei ging das Beschwerdegericht (insoweit in Übereinstimmung mit dem mittlerweile erhobenen Strafantrag der Staatsanwaltschaft Wien [ON 44]) vom dringenden Verdacht (§ 173 Abs 1 erster Satz StPO) aus, Chawarz A***** habe vom 12. Februar 2015 bis zum 14. März 2015 mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz den Lokalinhaber Ramiz S***** jedenfalls durch gefährliche Drohung (zur Abgrenzung dieses Tatbestandsmerkmals von jenem der Gewalt siehe Eder‑Rieder in WK² StGB § 144 Rz 7) zu monatlichen Schutzgeldzahlungen von 1.000 Euro zu nötigen versucht, indem er ihm wiederholt physische Repressalien gegen seine Person sowie sein Lokal androhte und dies letztlich durch mehrere Schüsse gegen die Fensterscheibe des Lokals unterstrich.

In rechtlicher Hinsicht bejahte das Oberlandesgericht den dringenden Verdacht des Verbrechens der Erpressung §§ 15, 144 Abs 1 StGB.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Grundrechtsbeschwerde des Chawarz A*****, welche die Annahme des dringenden Tatverdachts nicht bekämpft, orientiert sich nicht am Gesetz:

Da die in der Haftverhandlung erhobene Beschwerde an das Oberlandesgericht zunächst unbegründet blieb und die Grundrechtsbeschwerde (demzufolge) ausschließlich auf Argumente Bezug nimmt, die in einem außerhalb der dreitägigen Frist des § 176 Abs 5 StPO eingebrachten Schriftsatz (unjournalisiertes Nachhangstück) vorgetragen wurden, ist das Zulässigkeitserfordernis der horizontalen Erschöpfung des Instanzenzugs insgesamt nicht erfüllt (13 Os 55/09a, SSt 2009/35; RIS‑Justiz RS0114487 [insbesondere T19 T21], Kier in WK² GRBG § 1 Rz 42).

Hinzu kommt, dass die Beschwerdeargumente auch per se den gesetzlichen Bezugspunkt verfehlen (vgl § 1 Abs 1 GRBG).

Gegenstand des Erkenntnisses über eine Grundrechtsbeschwerde ist ‑ anders als bei einer Haftbeschwerde an das Oberlandesgericht ‑ nicht die Haft, sondern die Entscheidung über diese (13 Os 125/06s, EvBl 2007/47, 252; RIS‑Justiz RS0061004 [T5], RS0112012 [T5] und RS0121605 [T3]).

Demzufolge prüft der Oberste Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahr (Prognoseentscheidung) darauf, ob sich diese angesichts der zugrunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, also nicht oder nur offenbar unzureichend begründet, darstellt (14 Os 138/03, SSt 2003/81; RIS‑Justiz RS0117806). Vergleichsbasis des Willkürverbots sind ‑ mit Blick auf § 173 Abs 2 StPO, der nur verlangt, dass die angenommenen Haftgründe auf bestimmten Tatsachen beruhen ‑ ausschließlich die der Prognoseentscheidung zugrunde gelegten Tatsachen. Ein Haftbeschluss, der gegen die rechtliche Annahme eines Haftgundes sprechende Umstände nicht berücksichtigt, ist demnach ‑ außer den Fällen des § 173 Abs 3 StPO ‑ nicht willkürlich, also nicht rechtsfehlerhaft (RIS‑Justiz RS0120458 [insbesondere T3], jüngst 13 Os 39/15g).

Das Vorbringen, vom Beschwerdegericht nicht erörterte Umstände würden gegen die Annahme von Tatbegehungsgefahr sprechen, orientiert sich somit nicht an den Anfechtungskriterien des GRBG (13 Os 118/03; 15 Os 165/10v, SSt 2010/79; RIS‑Justiz RS0117806 [T1]).

Gleiches gilt für den Einwand der Substituierbarkeit der Untersuchungshaft durch gelindere Mittel (§ 173 Abs 5 StPO), weil die Beschwerde nicht erkennen lässt, worin dem Oberlandesgericht insoweit ein Beurteilungsfehler unterlaufen sein soll (RIS‑Justiz RS0116422, jüngst 12 Os 8/15s).

Beim elektronisch überwachten Hausarrest (§ 173a StPO) handelt es sich um eine besondere Form des Vollzugs der Untersuchungshaft, somit nicht um eine Alternative zu jener. Da die Bedingungen des Vollzugs der Untersuchungshaft nicht in den Schutzbereich des GRBG fallen (RIS‑Justiz RS0122737 [T16] und RS0123350 [T3], Kier in WK² GRBG § 1 Rz 54), kann die Ablehnung des Begehrens, die Untersuchungshaft in Form des Hausarrests fortzusetzen, somit nicht mit Grundrechtsbeschwerde bekämpft werden (15 Os 165/10v, SSt 2010/79; RIS‑Justiz RS0126401).

Entsprechendes gilt für das (teils unter nomineller Bezugnahme auf Art 3 und 9 MRK vorgetragene) Vorbringen zu den Haftbedingungen in der Justizanstalt Wien‑Josefstadt.

Hinzugefügt sei, dass der in diesem Zusammenhang erhobene Einwand fehlenden Rechtsschutzes mit Blick auf die Pflichten des Anstaltsleiters (§ 189 Abs 3 erster Satz StPO sowie § 11 Abs 2 StVG iVm § 182 Abs 4 StPO) und das darauf bezogene Recht des Beschuldigten, Beschwerde an das Vollzugsgericht zu erheben (§ 16 Abs 3 StVG iVm § 182 Abs 4 StPO), unverständlich ist.

Mit dem Begehren, eine „mündliche Verhandlung zur Erörterung der Tatsachen und Rechtslage“ durchzuführen, wird übersehen, dass der Oberste Gerichtshof gemäß § 6 GRBG über Grundrechtsbeschwerden in nichtöffentlicher Sitzung entscheidet.

Die Beschwerde war somit ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) zurückzuweisen.

Stichworte