OGH 13Os125/06s

OGH13Os125/06s20.12.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Dezember 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz und Hon. Prof. Dr. Schroll, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kikinger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Branko J***** wegen des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 2, 129 Z 1 StGB, AZ 221 Ur 380/03h des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Branko J***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 11. Oktober 2006, AZ 18 Bs 281/06i, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Branko J***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluss wurde die am 13. September 2006 über Branko J***** verhängte Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit a und b StPO fortgesetzt.

Danach richtet sich gegen den Beschuldigten der dringende Verdacht, in der Nacht zum 27. Mai 2003 in Wien mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz durch „Einbruch" in die Büroräumlichkeiten der Fa. A*****gesesellschaft mbH Uhren, Schmuck und Bargeld im Gesamtwert von rund 700.000 Euro weggenommen zu haben.

Rechtliche Beurteilung

Seiner Grundrechtsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu.

§ 2 Abs 1 GRBG bezeichnet nur unrichtige Gesetzesanwendung als Grundrechtsverletzung und führt dabei „insbesondere" einzelne gravierende Fälle namentlich an. Ermessensausübung innerhalb der gesetzlichen Grenzen hingegen kann zwar durch eigenes Ermessen des Rechtsmittelgerichts ersetzt, nicht aber als unrichtig charakterisiert werden.

Der Oberste Gerichtshof ist demnach nicht dazu aufgerufen, als weitere Haftbeschwerdeinstanz eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen der angefochtenen Entscheidung zu setzen, vielmehr Rechtsfehler wahrzunehmen (vgl auch §§ 3 Abs 1 erster Satz, 7 Abs 1, 11 GRBG).

Da zudem - anders als bei einer Haftbeschwerde an das Oberlandesgericht - nicht die Haft, vielmehr die Entscheidung über die Haft den Gegenstand des Erkenntnisses über eine Grundrechtsbeschwerde bildet, und § 3 Abs 1 GRBG hinsichtlich der dort angeordneten Begründungspflicht des Beschwerdeführers nichts anderes vorsieht, kann im Verfahren über eine Grundrechtsbeschwerde nach seit Langem einhelliger, ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes die Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachts nur - aber immerhin - nach Maßgabe der Mängel- und Tatsachenrüge der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO in Frage gestellt werden (vgl RIS-Justiz RS0120817, RS0114488, RS0112012, RS0110146). Formal mangelhaft im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 StPO sind die Entscheidungsgründe, soweit undeutlich bleibt, was in Hinsicht auf entscheidende Tatsachen überhaupt angenommen werden sollte oder unklar ist, aus welchen Gründen eine solche Sachverhaltsannahme getroffen wurde. Neben einer solchen Undeutlichkeit, die - wie gesagt - Sachverhaltsannahmen und deren Begründung betreffen kann, kommt als zweiter Fall des § 281 Abs 1 Z 5 StPO die sog Unvollständigkeit ins Spiel. Dieser zweite Fall der Mängelrüge soll verhindern, dass ein erheblicher Beweis bei der Beweiswürdigung unberücksichtigt bleibt. Der dritte Fall der Z 5 betrifft im Wesentlichen Widersprüche innerhalb von Sachverhaltsannahmen in Betreff entscheidender Tatsachen oder beweiswürdigenden Erwägungen und stellt nur einen besonderen Fall von Undeutlichkeit, also des ersten Falles der Z 5, dar. Der vierte sanktioniert eine gänzlich fehlende oder offenbar unzureichende Begründung für die (Verdachts-)Annahme einer entscheidenden Tatsache. Er wird immer wieder als Möglichkeit zur Bekämpfung der Beweiswürdigung verkannt, soll aber nur geradezu willkürliche Sachverhaltsannahmen zu entscheidenden Tatsachen hintanhalten und entspricht solcherart dem allgemein geltenden Willkürverbot. Aktenwidrigkeit nach Z 5 letzter Fall liegt schließlich vor, wenn der Inhalt einer gerichtlichen Aussage oder Urkunde in der Begründung der angefochtenen Entscheidung in erheblicher Weise unrichtig wiedergegeben wurde. Über die formalen Grenzen der Beweiswürdigung hinaus kann zwar auch das Beweiswürdigungsermessen einer letztinstanzlichen Entscheidung zum Gegenstand einer Grundrechtsbeschwerde gemacht werden, jedoch nur nach Maßgabe deutlich und bestimmt bezeichneter Aktenteile und der in der Z 5a des § 281 Abs 1 StPO genannten Erheblichkeitsschwelle. Die rechtliche Annahme einer der von § 180 Abs 2 StPO genannten Gefahren hinwieder wird vom Obersten Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens - vorbehaltlich der in § 180 Abs 3 StPO genannten Tatumstände, welche jedenfalls in Rechnung zu stellen sind - dahin überprüft, ob sie aus den angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich angesehen werden müsste. Denn § 180 Abs 2 StPO verlangt nur, dass die angezogenen Haftgründe auf bestimmten Tatsachen ruhen, kennt als Vergleichsbasis des Willkürverbots mithin nur die in Anschlag gebrachten bestimmten Tatsachen. Ein Haftbeschluss, der gegen die rechtliche Annahme eines Haftgrundes sprechende Tatumstände nicht berücksichtigt, ist demnach, außer den Fällen des § 180 Abs 3 StPO, nicht rechtsfehlerhaft (vgl RIS-Justiz RS0120458, RS0117806; zum Ganzen: Ratz, Zur Bedeutung von Nichtigkeitsgründen im Grundrechtsbeschwerdeverfahren, ÖJZ 2005, 415).

Dass Branko J***** in der Nacht zum 27. Mai 2003 kein Telefongespräch geführt hat, „ das in einen Zusammenhang mit dem Einbruchdiebstahl gebracht werden könnte" hat das Oberlandesgericht gar wohl erwogen (S 3 der angefochtenen Entscheidung). Das Fehlen objektiver, auf den Beschwerdeführer als Täter hinweisender Spuren am Tatort einschließlich der Aufnahmen einer in der Nähe des Tatorts befindlichen Videokamera aber bedurfte keiner gesonderten Erwähnung. Als „Fachmann für Einbrüche in Registerkassen und Tresore" hat das Oberlandesgericht den Beschwerdeführer ohnehin nicht angesehen, sodass die darauf bezogene Argumentation schon deshalb ins Leere geht. Dass Ivan P***** den Beschwerdeführer zunächst entlastet hatte, wurde beweiswürdigend in Rechnung gestellt (S 3 f der angefochtenen Entscheidung); ob gegen diesen „ein Strafverfahren in Kroatien anhängig ist und im Zuge der Überprüfung Kokain und eine Schusswaffe bei ihm sichergestellt wurden", aber bedurfte keiner Erörterung (§ 10 GRBG iVm § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO).

In der vom Oberlandesgericht angenommenen Anmietung eines Fahrzeuges, in welchem später dem Diebstahl zuordenbare Gegenstände sichergestellt wurden, durch Branko J*****, liegt keine Aktenwidrigkeit (S 207/I, S 91/II).

Soweit die Beschwerde schließlich den Beweiswert einzelner vom Beschwerdegericht angeführter Indizien (telefonische Kontakte vor und nach der Tat; Aussage der Dragana St*****) bezweifelt, entfernt er sich von den vorstehend dargelegten Anfechtungskategorien. Der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr konnte schon aus der - wenngleich einige Jahre zurückliegenden - einschlägigen Verurteilung und weiteren strafgerichtlichen Verurteilungen in Deutschland vertretbar abgeleitet werden. Als bestimmte, die Annahme dieses Haftgrundes tragende Tatsachen (§ 179 Abs 4 Z 4 StPO) kommen im Übrigen nicht nur rechtskräftige Schuldsprüche durch ein Strafgericht in Betracht. Da das Oberlandesgericht die Gefahrenprognose iSd § 180 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO bloß unabhängig von anderen Faktoren auch auf den Verdacht von Urkundenfälschung und schweren Einbruchdiebstählen, dessentwegen Branko J***** in Kroatien gesucht wird, gestützt hat, bedurfte es keines weiteren Eingehens darauf. Im Übrigen gilt die Unschuldsvermutung des Art 6 Abs 2 MRK hinsichtlich der für die Annahme eines Haftgrundes nach § 180 Abs 2 StPO herangezogenen bestimmten Tatsachen nicht (vgl Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2 § 24 Rz 26, 120). Da bereits die Annahme eines Haftgrundes die Fortsetzung der Untersuchungshaft rechtfertigt, bedarf die gegen denjenigen der Fluchtgefahr gerichtete Argumentation keiner Erörterung.

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