OGH 12Os28/15g

OGH12Os28/15g7.5.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. Mai 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Ableidinger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Daniela L***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Mario L***** sowie die Berufung der Daniela L***** gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 30. Oktober 2014, GZ 22 Hv 77/14v‑104, und über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft betreffend die Angeklagten Daniela L***** und Mario L***** gegen den unter einem gefassten Beschluss gemäß § 443 Abs 2 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0120OS00028.15G.0507.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Mario L***** wird ebenso zurückgewiesen wie die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft.

Zur Entscheidung über die Berufungen beider Angeklagter werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten Mario L***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch einen rechtskräftigen Schuldspruch einer Mitangeklagten enthaltenden Urteil wurde Mario L***** des Verbrechens der Geldwäscherei nach § 165 Abs 2 und 4 erster Fall StGB schuldig erkannt (II./).

Danach hat er von 13. Februar 2012 bis 6. Juni 2013 in Z***** wissentlich Vermögensbestandteile in einem 50.000 Euro übersteigenden Wert an sich gebracht „und angelegt“, die aus dem im Urteil zu I./A./ näher beschriebenen Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB der Daniela L*****, die mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung schweren Betrugs eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, in zahlreichen Angriffen andere durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen verleitete, die diese um einen 50.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigten, stammen, indem er in mehrfachen Angriffen insgesamt 94.200 Euro von einem Sparbuch der Volksbank L***** eG behob.

Gemäß § 443 Abs 2 StPO wurde die Entscheidung über den von der Staatsanwaltschaft beantragten Verfall der von beiden Angeklagten durch die Begehung der mit Strafe bedrohten Handlungen erlangten Vermögenswerte gemäß § 20 Abs 1, 2 und 3 StGB (ON 90 S 14) einer gesonderten Entscheidung vorbehalten.

Rechtliche Beurteilung

Gegen das Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 sowie 9 lit a und b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Mario L*****, gegen den Vorbehalt der Entscheidung über den Verfall eine (auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gestützte) „Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung“ der Staatsanwaltschaft.

Die Mängelrüge des Angeklagten Mario L***** (Z 5 erster [nominell auch zweiter und dritter] Fall) verkennt, dass die behauptete Undeutlichkeit der Feststellungen, auf „welche konkreten rechtswidrig erlangten Mittel [der Beschwerdeführer] zugegriffen habe“, nur dann gegeben wäre, wenn aus objektiver Sicht nicht für sämtliche unter dem Gesichtspunkt der Nichtigkeitsgründe relevanten Urteilsadressaten unzweifelhaft erkennbar ist, ob eine entscheidende Tatsache in den Entscheidungsgründen festgestellt wurde, wobei dazu stets die Gesamtheit der Entscheidungsgründe und das Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) in den Blick zu nehmen sind (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 419). Nach den hier wesentlichen, vom Beschwerdeführer außer Acht gelassenen Konstatierungen der Tatrichter hat der Angeklagte von 13. Februar 2012 bis 6. Juni 2013 insgesamt 18 Behebungen mit einem Gesamtbetrag von 94.200 Euro vom Sparbuch der Volksbank L***** eG mit der Nummer ***** durchgeführt, auf welches von 29. März 2011 bis 31. Jänner 2014 ausschließlich von Daniela L***** betrügerisch veranlasste Zahlungen des Finanzamts L***** geflossen sind (US 43 zweiter und dritter Absatz), wobei diese Zahlungen aus den zu I./A./1./a./34./ bis 47./ und 50./ bis 55./, b./, c./10./ und 14./, d./1./ bis 3./, 5./ und 11./ bis 15./, e./4./, 5./, 7./, 8./ und 11./, h./1./, i./1./ und 2./, j./3./, k./1./ und 2./ sowie o./ inkriminierten Betrugshandlungen (US 25 bis 33 iVm US 43 letzter Absatz) stammen.

Da nach den (unangefochtenen) tatrichterlichen Annahmen alle in dem genannten Sparbuch verbrieften Forderungen (iSd § 165 Abs 1 StGB) kontaminierte Werte darstellen, betrifft die Frage, welche Behebung durch den Beschwerdeführer sich auf welche der genannten Taten der Mitangeklagten bezieht, keine entscheidende Tatsache, weil damit jede Behebung auch kontaminierte Werte enthalten muss (Kirchbacher in WK2 StGB § 165 Rz 10).

Weshalb die Feststellung, der Beschwerdeführer habe bei den Behebungen gewusst, „dass diese Geldmittel aus verbrecherischen Handlungen der Daniela L***** stammten […], wobei es [ihm] darauf ankam, diese Vermögensbestandteile an [sich] zu bringen“ mit sich selbst im Widerspruch stehen sollte, erschließt sich aus dem Vorbringen ‑ das sich im Übrigen auch nicht an den jeweils festgestellten Tatzeiten (US 25 bis 33, 40 f) orientiert ‑ nicht.

Der weitere Einwand der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) nimmt einmal mehr nicht an den bereits angeführten Feststellungen zu den einzelnen Taten der Mitangeklagten Maß und legt unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht dar, aus welchen Gründen die Annahme der Tatrichter, die Behebungen des Angeklagten beträfen Vermögenswerte aus dem von Daniela L***** begangenen Verbrechen, mit der ‑ auf der Kontoauswertung beruhenden ‑ Erwägung, dass auf dem gegenständlichen Sparbuch in der Zeit von 29. März 2011 bis 31. Jänner 2014 ausschließlich kontaminierte Vermögenswerte eingingen (US 43 letzter Absatz), den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen (RIS‑Justiz RS0116732, RS0099413) widersprechen sollten. Die Frage, ob und wer im Zeitraum von Juli 2007 bis Februar 2014 weitere „Zugriffe“ auf das Sparbuch getätigt hat (vgl dazu US 53 f), betrifft wiederum keine entscheidenden Tatsachen.

Die das Fehlen von Feststellungen zur konkreten Herkunft der Vermögenswerte behauptende Rechtsrüge (Z 9 lit a) orientiert sich nicht an den bereits angeführten Feststellungen der Tatrichter (US 23 f, 25 bis 33, 40 f und 43) und verfehlt damit den gesetzlichen Bezugspunkt.

Soweit der Beschwerdeführer Feststellungen zu einem „Anfangsguthaben“ auf dem genannten Sparbuch vermisst, macht er der Sache nach einen Feststellungsmangel dahin geltend, dass auf dem Sparbuch nicht kontaminierte Werte verbrieft waren, auf welche sich seine Behebungen beziehen könnten. Ein solcher Feststellungsmangel kann jedoch nur geltend gemacht werden, indem unter ‑ hier nicht erfolgtem ‑ Hinweis auf einen nicht durch Feststellungen geklärten, jedoch (fallbezogen mit Blick auf das auf dem Sparbuch Anfang 2011 verbriefte Guthaben von 93,98 Euro ‑ ON 49 S 715 und 763 ‑ im Übrigen auch nicht) indizierten Sachverhalt eine vom Erstgericht nicht gezogene rechtliche Konsequenz angestrebt wird, weil dieses ein Tatbestandsmerkmal bei der rechtlichen Beurteilung nicht in Anschlag gebracht hat (RIS‑Justiz RS0118580).

Die Behauptung fehlender Feststellungen zum Anlegen der Vermögenswerte (vgl jedoch US 53) ist nicht relevant, weil die in § 165 Abs 2 StGB genannten Tathandlungen rechtlich gleichwertige Begehungsformen darstellen (vgl Kirchbacher in WK2 StGB § 165 Rz 14 und 18) und bei einem alternativen Mischdelikt die rechtliche Annahme nur einer von mehreren (hier: auch Ansichbringen ‑ US 40 f) als verwirklicht angesehenen Alternativen nicht angefochten werden kann (RIS‑Justiz RS0116655). Dass das festgestellte (zumindest kurzfristige ‑ US 53) Erlangen von faktischer Verfügungsmacht über die Vermögensbestandteile nicht den Tatbestand nach § 165 Abs 2 erster Fall StGB erfüllen sollte (vgl Kirchbacher in WK2 StGB § 165 Rz 18a), stellt eine nicht methodengerecht aus dem Gesetz abgeleitete Rechtsbehauptung dar.

Soweit sich der Beschwerdeführer auf das Vorliegen eines „Rechtsirrtums“ beruft (nominell Z 9 lit b), übergeht er einmal mehr die tatrichterlichen Konstatierungen zur wissentlichen Tatbegehung (US 41 und 44 ff, vgl auch US 53 vorletzter Absatz) und beschränkt sich im Ergebnis darauf, unzulässig die Beweiswürdigung des Schöffengerichts zu bekämpfen. Im Übrigen verkennt er, dass ein Irrtum, der in der rechtlichen Bewertung des wahrgenommenen Tatgeschehens als das Deliktsmerkmal des Ansichbringens (bzw des Anlegens) nach § 165 Abs 2 StGB verwirklichend gelegen ist, einen Irrtum über den sozialen Bedeutungsgehalt eines normativen Tatbestandsmerkmals begründet, der nach § 5 StGB als (sogenannter) Tatbildirrtum und nicht als Rechtsirrtum (§ 9 StGB) zu beurteilen ist (Reindl‑Krauskopf in WK2 StGB § 5 Rz 50; RIS‑Justiz RS0088950, vgl auch RS0125734).

Zur „Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung“ der Staatsanwaltschaft ist zunächst festzuhalten, dass die Bezeichnung einer Eingabe als Nichtigkeitsbeschwerde oder Berufung allein deshalb noch nicht deren Behandlung gemäß den Vorschriften der §§ 284 bis 296a StPO erfordert. Was eine Nichtigkeitsbeschwerde ist, bestimmt sich vielmehr ausschließlich nach § 280 StPO, was eine Berufung ist, nach § 283 StPO. Wo kein verkündetes Urteil bekämpft werden soll, kann demgemäß weder von einer Nichtigkeitsbeschwerde noch von einer Berufung die Rede sein (Ratz, WK‑StPO § 280 Rz 5, vgl auch Vor §§ 280‑296a Rz 5 f).

Die (inhaltliche) Entscheidung über den Verfall erfolgt im Strafurteil (§ 443 Abs 1 StPO) und kann gemäß § 443 Abs 3 StPO mit Berufung sowie ‑ unter dem Gesichtspunkt der Lösung von Rechtsfragen (RIS‑Justiz RS0114233) ‑ mit Nichtigkeitsbeschwerde (§ 281 Abs 1 Z 11 StPO) angefochten werden. Das Unterbleiben einer Entscheidung über einen von der Staatsanwaltschaft beantragten Verfall ist Gegenstand einer Anfechtung nach § 281 Abs 1 Z 7 StPO (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 526, 553; Fuchs/Tipold, WK‑StPO § 443 Rz 17).

Fallbezogen ist Gegenstand der Anfechtung durch die Staatsanwaltschaft jedoch die (§ 443 Abs 2 StPO entsprechend: dazu 11 Os 88/12v; Fuchs/Tipold, WK‑StPO § 443 Rz 42; Fabrizy, StPO12 § 443 Rz 4) in Beschlussform ergangene Entscheidung des Erstgerichts, die Sachentscheidung über den Verfall einer gesonderten Entscheidung vorzubehalten. Diese ist damit nicht Gegenstand des Strafurteils und daher nicht mit Nichtigkeitsbeschwerde und/oder Berufung bekämpfbar. Im Übrigen ist der bloß verfahrensleitende Vorbehaltsbeschluss nach der Intention des Gesetzgebers nicht gesondert (gemeint: von der Sachentscheidung) anfechtbar (AB 409 BlgNR 20. GP 15; Fuchs/Tipold, WK‑StPO § 443 Rz 42; Fabrizy, StPO12 § 443 Rz 4).

Die Argumentation der Staatsanwaltschaft zur „Zulässigkeit des Rechtsmittels“ verkennt im Übrigen, dass der ‑ aus verfahrensökonomischen Gründen vorzunehmende ‑ Vorbehaltsbeschluss vor allem bewirkt, dass in der Folge trotz Rechtskraft des Strafurteils über vermögensrechtliche Ansprüche noch entschieden werden kann (§ 443 Abs 2 letzter Halbsatz StPO) und eine Verschweigung analog zum (ebenfalls nicht gesondert anfechtbaren; vgl RIS‑Justiz RS0102875, RS0112163; Lewisch, WK‑StPO § 263 Rz 101 ff) Verfolgungsvorbehalt nach § 263 Abs 2 StPO verhindert wird. Soweit die Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang noch auf die Anfechtbarkeit einer Entscheidung nach § 366 Abs 2 StPO verweist, übersieht sie, dass die Verweisung des Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg Gegenstand des Urteilsausspruchs (§ 260 Abs 1 Z 5 StPO) ist und (anders als die angesprochenen Vorbehaltsentscheidungen) das Begehren des Privatbeteiligten ‑ wenn auch nur formal ‑ erledigt (Spenling, WK‑StPO § 366 Rz 11 mwN).

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Mario L***** war daher ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ ebenso bereits in nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen wie die unzulässige „Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung“ der Staatsanwaltschaft. Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Innsbruck zur Entscheidung über die Berufungen der Angeklagten (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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