OGH 10Ob19/15i

OGH10Ob19/15i24.3.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden und die Hofräte und Hofrätinnen Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, Dr. Schramm, Dr. Fichtenau und Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. A*****, vertreten durch Dr. Georg Uher, Rechtsanwalt in Mistelbach, gegen die beklagte Partei N***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Gernot Hain und andere Rechtsanwälte in Wiener Neustadt, wegen Beseitigung (5.500 EUR), über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 23. Dezember 2014, GZ 21 R 269/14b‑12, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Bezirksgerichts Mistelbach vom 3. Juli 2014, GZ 9 C 426/14a‑7, ersatzlos aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00019.15I.0324.000

 

Spruch:

1. Dem Revisionsrekurs der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen des Klagevertreters die mit 559,15 EUR (darin 93,19 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

2. Der am 5. Februar 2015 eingebrachte Schriftsatz der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Begründung

Der Kläger hat am 21. Mai 2014 gegen die beklagte Netzbetreiberin eine Klage auf Entfernung eines ‑ nach seinen Behauptungen ‑ von der beklagten Partei ohne seine Zustimmung über sein Grundstück verlegten Versorgungskabels eingebracht. Den Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens bildet die Frage, ob der Kläger verpflichtet war, vor Erhebung der Klage ein Streitschlichtungsverfahren vor der Regulierungskommission der E‑Control nach § 12 E‑ControlG einzuleiten, um die Zulässigkeit des Rechtswegs zu erreichen.

Die maßgebliche Bestimmung (§ 22 ElWOG 2010, BGBl I 2010/110) lautet:

„Streitbeilegungsverfahren

§ 22. (1) In Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung des Netzzuganges entscheidet ‑ sofern keine Zuständigkeit des Kartellgerichtes gemäß Kartellgesetz 2005 vorliegt ‑ die Regulierungsbehörde.

(2) In allen übrigen Streitigkeiten zwischen

1. Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die aus diesem Verhältnis entspringenden Verpflichtungen,

2. …

entscheiden die Gerichte. Eine Klage eines Netzzugangsberechtigten gemäß Z 1 sowie eine Klage gemäß Z 2 bis 4 kann erst nach Zustellung des Bescheides der Regulierungsbehörde im Streitschlichtungsverfahren innerhalb der in § 12 Abs. 4 E‑ControlG vorgesehenen Frist eingebracht werden. Falls ein Verfahren gemäß Z 1 bei der Regulierungsbehörde anhängig ist, kann bis zu dessen Abschluss in gleicher Sache kein Gerichtsverfahren anhängig gemacht werden.

(3) ...“

Diese Bestimmung ist die Nachfolgeregelung des mit 2. März 2011 (§ 109 Abs 2 ElWOG 2010) außer Kraft getretenen § 21 Abs 2 ElWOG (BGBl I 1998/143), der folgendermaßen lautete (im Folgenden „§ 21 ElWOG aF“):

„Streitbeilegungsverfahren

§ 21. (unmittelbar anwendbares Bundesrecht)

(1) In Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung des Netzzuganges entscheidet ‑ sofern keine Zuständigkeit des Kartellgerichtes (§ 38 Kartellgesetz 2005, BGBl. I Nr. 61/2005) vorliegt ‑ die Energie‑Control Kommission.

(2) In allen übrigen Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die aus diesem Verhältnis entspringenden Verpflichtungen, insbesondere die anzuwendenden Bedingungen und Systemnutzungstarife, entscheiden die Gerichte. Eine Klage eines Netzzugangsberechtigten kann erst nach Zustellung des Bescheides der Energie‑Control Kommission im Streitschlichtungsverfahren gemäß § 16 Abs. 1 Z 5 E-RBG oder innerhalb der in § 16 Abs. 3a E-RBG vorgesehenen Frist eingebracht werden.“

Das Erstgericht wies die Klage zurück. Da unter den Begriff „aller übrigen Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die aus diesem Verhältnis entspringenden Verpflichtungen“ gemäß § 22 Abs 2 Z 1 ElWOG 2010 auch eine auf Beseitigung eines Kabels gerichtete Eigentumsfreiheitsklage gemäß § 523 ABGB falle, sei dem Kläger der ordentliche Rechtsweg bis zur Beendigung des vorgesehenen Streitbeilegungsverfahrens versperrt.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers dahin Folge, dass es den erstgerichtlichen Zurückweisungsbeschluss ersatzlos aufhob und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auftrug. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteigend und ließ den Revisionsrekurs zu.

Der Kläger stütze den geltend gemachten Beseitigungsanspruch auf sein Eigentumsrecht. Ein solches absolutes Recht sei aber gegenüber jedem Dritten durchsetzbar, unabhängig von einem allfälligen (Vertrags‑)Verhältnis. Ein Streitschlichtungsverfahren gemäß § 22 Abs 2 Z 1 ElWOG 2010 sei nur für jene „übrigen Streitigkeiten“ zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern vorgesehen, welche Verpflichtungen zum Inhalt haben, die aus diesem Verhältnis ‑ sei es nun unmittelbar oder mittelbar ‑ entspringen. Der Beseitigungsanspruch des Klägers entspringe aber nicht dem Netzzugang, weshalb der Rechtsweg zulässig sei.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil es an höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage fehle, ob der konkrete Sachverhalt unter § 22 Abs 2 Z 1 ElWOG 2010 zu subsumieren sei und daher ein Schlichtungsverfahren nach § 12 Abs 1 Z 2 E‑ControlG vor Einbringung der Klage notwendig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der beklagten Partei aus dem Revisionsrekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.

In ihrem Rechtsmittel wiederholt die beklagte Partei ihren Standpunkt, dass der vorherigen Schlichtung (vor der Klageeinbringung) alle Streitigkeiten über sämtliche wechselseitige Leistungen und Verpflichtungen zwischen den beiden Marktteilnehmern unterlägen, unabhängig davon, ob sie sich direkt aus dem Netzzugangsvertrag ergeben oder ‑ wie bei der Eigentumsfreiheitsklage ‑ aus dem Gesetz oder anderen generellen Normen abgeleitet werden oder nur mittelbar mit der Netznutzung in Zusammenhang stünden. Auf dieser Grundlage hätte auch die klagende Partei vor Anrufung des ordentlichen Gerichts ein Streitbeilegungsverfahren vor der Regulierungskommission der E‑Control absolvieren müssen.

Rechtliche Beurteilung

Dazu wurde erwogen:

1. Die nunmehr maßgebliche Bestimmung des § 22 Abs 2 Z 1 ElWOG 2010 verlangt in inhaltlich gleicher Weise wie die Vorgängerregelung in § 21 Abs 2 ElWOG aF vom Netzzugangsberechtigten die Einleitung eines Streitbeilegungsverfahrens vor Einbringung einer Klage beim ordentlichen Gericht, und zwar sinngemäß in allen Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern „über die aus diesem Verhältnis entspringenden Verpflichtungen“.

1.1. Zur bescheidmäßigen Erledigung dieser Streitigkeiten ist gemäß § 12 Abs 1 Z 2 E‑ControlG die Regulierungskommission der E‑Control zuständig. Die Regulierungskommission hat innerhalb von zwei Monaten ab Antragstellung (unter gewissen Umständen ist eine Fristverlängerung möglich) einen Bescheid zu erlassen (§ 12 Abs 3 E‑ControlG). Diejenige Partei, die sich mit der Entscheidung der Regulierungskommission nicht zufrieden gibt, kann die Sache innerhalb von vier Wochen nach Zustellung des Bescheids beim zuständigen ordentlichen Gericht anhängig machen (§ 12 Abs 4 E‑ControlG).

1.2. Damit wird eine sukzessive Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte normiert (RIS‑Justiz RS0118326 [T1], RS0119839). Die Zulässigkeit des Rechtswegs (vor den ordentlichen Gerichten) setzt zwingend ein vorheriges Schlichtungsverfahren vor der Regulierungskommission voraus (vgl 9 Ob 3/14b). Wird das ordentliche Gericht schon vor Einleitung oder Abschluss des Streitbeilegungsverfahrens angerufen, ist ein dennoch gestellter Antrag auf Entscheidung durch die ordentlichen Gerichte wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0122665; 6 Ob 60/07b, 4 Ob 111/14y ua).

1.3. Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs ist maßgeblich, ob nach dem Inhalt der Klage ein Anspruch erhoben wird, über den die ordentlichen Gerichte zu entscheiden haben (vgl etwa RIS‑Justiz RS0045985 zu § 26 Abs 2 WRG).

Der Kläger macht einen aus seinem Eigentumsrecht abgeleiteten Beseitigungsanspruch geltend: Die beklagte Partei habe ohne seine Zustimmung über sein Grundstück ein Versorgungskabel verlegt.

2. Wie unter 1. angeführt, ist das der Klage vorgelagerte Streitbeilegungsverfahren in allen Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern „über die aus diesem Verhältnis entspringenden Verpflichtungen“ vorgesehen. Es ist die Frage zu beantworten, ob der vom Kläger geltend gemachte Anspruch darunter zu subsumieren ist.

2.1. Der Kläger selbst stellt in Bezug auf den geltend gemachten Anspruch keinen Zusammenhang zwischen einer Netzzugangsberechtigung seiner Person und der beklagten Partei als Netzbetreiberin her. Allerdings ist die rechtliche Beurteilung durch den Kläger für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtswegs nicht relevant (1 Ob 33/99f = SZ 72/130 = RIS‑Justiz RS0045584 [T27]).

2.2. In der Literatur hat K. Oberndorfer (in Hauer/Oberndorfer [Hrsg], Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz [2007] § 21 ElWOG Rz 3) unter Berufung auf den zu 4 Ob 287/04s ergangenen Beschluss des Obersten Gerichtshofs einen „formellen“ Zusammenhang mit dem Netzzugangsvertrag gefordert.

In diesem Beschluss 4 Ob 287/04s hat der Oberste Gerichtshof zu einem bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch eines Stromabnehmers darauf hingewiesen, dass § 21 Abs 2 ElWOG aF nicht ausdrücklich von einem „Vertragsverhältnis“, sondern von einem „Verhältnis“ von Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern zueinander spricht; auf dieser Grundlage handle es sich bei dem Rückforderungsanspruch um einen der vorherigen Streitbeilegung unterliegenden Anspruch.

Angesichts eines bestehenden Vertragsver-hältnisses musste sich der Oberste Gerichtshof allerdings nicht mit der Frage auseinandersetzen, ob auch Streitigkeiten, die nicht in einem gewissen Zusammenhang mit dem Netznutzungsverhältnis stehen, unter § 21 Abs 2 ElWOG aF fallen.

2.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem auch von den Vorinstanzen zitierten Erkenntnis 2010/05/0121 ausgesprochen, dass es bei der Anwendung des § 21 Abs 2 ElWOG BGBl I 1998/143 gleichgültig ist, ob sich die Streitfragen auf den Inhalt des Netzzugangsvertrags beziehen oder sonstige, außerhalb des Netzzugangsvertrags liegende Punkte betreffen, die im Zusammenhang mit dem Netzzugangsvertrag stehen; betroffen sind damit Streitigkeiten über sämtliche wechselseitige Leistungen und Verpflichtungen zwischen den beiden Marktteilnehmern unabhängig davon, ob sie sich direkt aus dem Netzzugangsvertrag ableiten lassen, aus dem Gesetz oder anderen generellen Normen abgeleitet werden oder nur mittelbar mit der Netznutzung im Zusammenhang stehen.

In diesem Sinn forderte der Verwaltungsgerichtshof zumindest einen mittelbaren Zusammenhang zum Verhältnis zwischen Netzzugangsberechtigtem und Netzbetreiber.

2.4. In der Entscheidung 9 Ob 58/09h, der ein Streit zwischen einer Energielieferantin und einer Netzbetreiberin über ein vereinbartes „Vorleistungsmodell“ zugrunde lag, wiederholte der Oberste Gerichtshof die bereits in 4 Ob 287/04s zu findende Umschreibung der „übrigen Streitigkeiten“ iSd § 21 Abs 2 ElWOG aF (RIS‑Justiz RS0125513), verneinte aber das Vorliegen einer „übrigen Streitigkeit“ iSd § 21 Abs 2 ElWOG aF, weil die Vereinbarung nicht unmittelbar das Netzzugangsverhältnis zwischen dem Endkunden und dem Netzbetreiber betreffe.

2.5. In seinem Beschluss 4 Ob 131/09g, der zu einer auf Entfernung einer Transformatorstation gerichteten Eigentumsfreiheitsklage erging, hielt der Oberste Gerichtshof zu § 21 Abs 2 ElWOG aF fest, dass dann, wenn der Kläger nach dem für die Zulässigkeit des Rechtswegs allein maßgeblichen Inhalt der Klage einen vom Vertragsverhältnis zwischen den Streitteilen unabhängigen privatrechtlichen Anspruch (Eigentumsfreiheit) geltend macht, für dessen Bestehen ein Vertragsverhältnis zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern nicht denknotwendige Voraussetzung ist, die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs nicht darauf gestützt werden kann, dass eine Streitigkeit zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die aus diesem Verhältnis entspringende Verpflichtung iSd § 21 Abs 2 ElWOG aF vorliege (RIS‑Justiz RS0045584 [T60] = RS0045718 [T29] = RS0005896 [T31]).

2.6. Entgegen der Ansicht der beklagten Partei hielt der Oberste Gerichtshof diesen Standpunkt auch in der ‑ bereits zu § 22 Abs 2 Z 1 ElWOG 2010 ergangenen ‑ Entscheidung 4 Ob 111/14y aufrecht. In diesem Fall ging es um ein von der dortigen Zweitklägerin (auch) auf ihr Eigentumsrecht gestütztes Begehren auf Herausgabe von Strom- und Gaszähler sowie auf Gewährung des Zutritts zur Anlage zum Zweck der Demontage. Auch in diesem Fall hielt der Oberste Gerichtshof ‑ mit der zusätzlichen Begründung, dass nur für Netzzugangsberechtigte die zwingende Vorschaltung der Regulierungsbehörde angeordnet wird ‑ die vorherige Befassung der Streitbeilegungseinrichtung für nicht geboten.

3. Die Argumentation der beklagten Partei in ihrem Revisionsrekurs bietet keinen Anlass, für den Fall einer Eigentumsfreiheitsklage von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung (4 Ob 131/09g und 4 Ob 111/14y) abzugehen. Zu Recht hat das Rekursgericht daher den Zurückweisungsbeschluss des Erstgerichts ersatzlos behoben und ihm die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50 und 41 ZPO. Der ERV‑Zuschlag für die Revisionsrekursbeantwortung als ERV‑Folgeeingabe beträgt nur 1,80 EUR (RIS‑Justiz RS0126594, zuletzt etwa 1 Ob 111/14a).

5. Die Eingabe der beklagten Partei vom 5. Februar 2015, die sich inhaltlich als Ergänzung des Revisionsrekurses darstellt, ist zurückzuweisen, weil sie gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels verstößt (RIS‑Justiz RS0041666 ua).

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