Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.470,24 EUR (darin enthalten 245,04 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen.
Text
Begründung
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von 24.823,11 EUR sA. Sie habe als Energielieferantin mit der Beklagten als Netzbetreiberin für die Verrechnung und Einhebung der von den Endkunden zu leistenden Netznutzungsentgelte das „Vorleistungsmodell" im Sinne einer Mustervereinbarung der Energie-Control GmbH über die umsatzsteuerliche Abwicklung aus Stromlieferungsverträgen und Netzanschluss- und Netznutzungsverträgen vereinbart. Danach übermittle die Beklagte der Klägerin eine Rechnung für die Netznutzungsentgelte. Die Klägerin verrechne diese Entgelte zusammen mit jenen für die Stromlieferung den Endkunden weiter, sodass diese nur eine einzige Rechnung erhielten. Dieses Modell diene nur umsatzsteuerlichen Zwecken und lasse die zivilrechtlichen Rechtsverhältnisse unberührt. Es bewirke insbesondere keine Zession der Forderung, keine Vertragsübernahme und keine Einlösung. Auch die Beklagte gehe davon aus, dass sie auch nach der Entrichtung der Netznutzungsentgelte durch die Klägerin für die Eintreibung der Forderung zuständig sei und die Forderung nicht auf die Klägerin übergegangen sei. Insofern bestehe zwischen den Streitteilen ein Auftrags- und Vollmachtsverhältnis, das den Endkunden gegenüber offen gelegt werde. Die Klägerin trete aufgrund dieser Vereinbarung gegenüber der Beklagten mit den Nutzungsentgelten in Vorleistung. Das führe aber zu keiner Verlagerung des Insolvenzrisikos. Vielmehr habe die Klägerin aufgrund des Auftragsverhältnisses einen Rückforderungsanspruch gegen die Beklagte, soweit Kunden die Nutzungsentgelte nicht zahlten. Die Klägerin begehre den Ersatz der uneinbringlichen Beträge anteilig für die letzten vier Monate vor Lieferende, ohne Zinsen und Inkassospesen.
Die Beklagte wendete die Unzulässigkeit des Rechtswegs ein und beantragte im Übrigen, das Klagebegehren abzuweisen. Das Verfahren und der ihm zugrunde liegende Sachverhalt resultierten aus dem Verhältnis zwischen einem Netzzugangsberechtigten und einem Netzbetreiber. Demgemäß sei vor Beschreitung des Zivilrechtswegs ein Streitschlichtungsverfahren vor der Energie-Control-Kommission zu führen. Dieses Verfahren sei nicht durchgeführt worden, weshalb der Rechtsweg unzulässig sei.
Die Klägerin bestritt, dass der Rechtsstreit dem § 21 Abs 2 ElWOG unterliege. Ihre Ansprüche resultierten nicht aus einem Netzzugangsvertrag, sondern aus dem vom Netzzugangsvertrag zwischen Netzbetreiber und Endverbraucher unabhängigen Rechtsverhältnis zwischen den Streitparteien.
Das Erstgericht wies die Klage zurück und erklärte das bis dahin durchgeführte Verfahren für nichtig. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:
Die Klägerin ist Energielieferantin, die Beklagte Netzbetreiberin. Die Klägerin liefert den Strom an die Endkunden und benutzt dabei das Netz der Beklagten. Die Beklagte übermittelt der Klägerin eine Rechnung über das dem Endkunden zu verrechnende Netznutzungsentgelt. Diese Rechnung wird dem Endkunden zusammen mit der Rechnung über die Stromlieferung weiter verrechnet. Der Endkunde erhält auf diese Weise nur eine Rechnung. Die Klägerin zahlt somit zuerst die Netznutzungsentgelte an die Beklagte, bevor sie diese Beträge von den Endkunden erhält. Das damit praktizierte „Vorleistungsmodell" wurde aber nicht in einem schriftlichen Vertrag vereinbart. Zahlungserinnerungen wegen bei der Beklagten nicht eingehender Netznutzungsentgelte werden an die Klägerin gerichtet. Der Endkunde wird über die nicht eingegangene Zahlung und darüber informiert, dass im Fall der Nichtzahlung durch den Energielieferanten die Forderung direkt gegen ihn geltend gemacht werde.
Ein Streitbeilegungsverfahren gemäß § 21 Abs 2 ElWOG wurde nicht abgeführt.
In seiner rechtlichen Beurteilung ging das Erstgericht davon aus, dass unter den „übrigen Streitigkeiten" iSd § 21 Abs 2 ElWOG die Streitigkeiten über sämtliche wechselseitigen Leistungen und Verpflichtungen zwischen Netzbetreiber und Netzzugangsberechtigten zu verstehen seien, und zwar unabhängig davon, ob sie sich direkt aus dem Netzzugangsvertrag ableiten lassen oder nur mittelbar mit der Netznutzung in Zusammenhang stehen. Auch wenn sich die Energie-Control GmbH bisher nur für rein vertragsrechtliche Streitigkeiten aus dem Netznutzungsvertrag zuständig gesehen habe, verlange der Oberste Gerichtshof im Widerspruch zu dieser Spruchpraxis beinahe zu allen zivilrechtlichen Streitigkeiten zwischen Netzbetreibern und Netzbenutzern die Vorschaltung der Energie-Control-Kommission. Auch hier handle es sich um eine Streitigkeit über wechselseitige Leistungen und Verpflichtungen zwischen Netzbetreibern und Netzzugangsberechtigten. Auch wenn sie sich nicht direkt aus dem Netzzugangsvertrag ableiten ließen, stünden sie mit der Netznutzung in Zusammenhang. Es gehe ja gerade um das Entgelt für die Netznutzung, das von der Klägerin vorab an die Beklagte gezahlt worden sei. Die gesamte Vorgangsweise der Beteiligten zeige, dass der Netzzugangsvertrag mit den Endkunden sehr wohl in einem Zusammenhang mit dem Vertrag zwischen den Streitteilen stehe. Vor Einbringung der Klage hätte daher das Streitbeilegungsverfahren vor der Energie-Control-Kommission durchgeführt werden müssen. Da dies nicht erfolgt sei, sei der Rechtsweg unzulässig.
Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss im Sinne der Verwerfung der Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs ab und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.
Das Verfahren betreffe einen Rechtsstreit zwischen einem Netzzugangsberechtigten (§ 7 Z 31 ElWOG; § 2 Z 35 OÖ ElWOG 2006) und einem Netzbetreiber (§ 7 Z 28 ElWOG; § 2 Z 32 OÖ ElWOG 2006). Der Endverbraucher habe den Kaufpreis für den von der Klägerin gelieferten elektrischen Strom und das der Beklagten zustehende Entgelt für die Nutzung des Übertragungs- und Verteilernetzes zu zahlen. Die Klägerin habe in ihrem - für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtswegs maßgebenden - Klagevorbringen die Vereinbarung des sogenannten „Vorleistungsmodells" behauptet. Bei der Vereinbarung dieses Modells handle es sich um keine Vereinbarung über die Modalitäten des Netzzugangs, über die aus diesem Verhältnis (also dem Netzzugang) entspringenden Verpflichtungen, über die für den Netzzugang anzuwendenden Bedingungen und die Systemnutzungstarife.
Diese Rechtsansicht decke sich mit der Spruchpraxis der Energie-Control-Kommission, die bereits judiziert habe, dass mit dem „Verhältnis" iSd § 21 Abs 2 ElWOG ausschließlich auf das vertragliche Verhältnis Netzbetreiber - Netzzugangsberechtigter abgestellt werde. Zudem habe die Kommission bereits judiziert, dass sich die Klägerin, wenn sie in ihrer Eigenschaft als Lieferant Beträge von der Netzbetreiberin zurückfordern wolle, auf ihr eigenes, mit der Netzbetreiberin bestehendes Rechtsverhältnis stützen müsse. Ferner habe die Kommission die Rechtsauffassung vertreten, dass auch solche Ansprüche in das Streitschlichtungsverfahren gehörten, die zwar ihre Wurzel nicht unmittelbar in einem Vertrag zwischen Netzbetreiber und Netzzugangsberechtigten habe; sie müssten aber doch eine Frage aus dem Verhältnis zwischen Netzbetreiber und Netzzugangsberechtigten zueinander betreffen. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs stimme mit dieser Rechtsauffassung überein.
Ein unmittelbarer oder bloß mittelbarer Zusammenhang mit den Verpflichtungen aus dem Netzzugang, mit den diesbezüglich anzuwendenden Bedingungen und mit den Systemnutzungstarifen bestehe nicht, wenn zwischen dem Netzzugangsberechtigten und dem Netzbetreiber in einer zusätzlichen, gesonderten Vereinbarung das „Vorleistungsmodell" vereinbart und aus dessen Abwicklung heraus ein auf die §§ 1009, 1014 ABGB gestützter Rückforderungsanspruch geltend gemacht werde. Das vorliegende Verfahren falle daher nicht in den Anwendungsbereich der sukzessiven Kompetenz iSd § 21 Abs 2 ElWOG, weshalb für den geltend gemachten Anspruch der Rechtsweg zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
Der von der Beklagten gegen diese Entscheidung erhobene Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.
I. § 21 Abs 1 Elektrizitätswirtschafts- und Organisationsgesetz (BGBl I 1998/143 idF BGBl I 2008/112 - ElWOG) ordnet an, dass in Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung des Netzzugangs die Energie-Control-Kommission entscheidet, sofern keine Zuständigkeit des Kartellgerichts vorliegt. Nach Abs 2 entscheiden die Gerichte in allen „übrigen Streitigkeiten" zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die aus diesem Verhältnis entspringenden Verpflichtungen, insbesondere die anzuwendenden Bedingungen und Systemnutzungstarife. Eine Klage kann aber erst nach Zustellung des Bescheids der Energie-Control-Kommission im Streitschlichtungsverfahren gemäß § 16 Abs 1 Z 5 Energie-RegulierungsbehördenG (E-RBG) oder innerhalb der in § 16 Abs 3a E-RBG vorgesehenen Frist eingebracht werden. Nach § 16 Abs 3 E-RBG hat die Energie-Control-Kommission bescheidmäßig zu entscheiden. Die Partei, die sich mit der Entscheidung nach (ua) § 16 Abs 1 Z 5 (Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Marktteilnehmern; § 21 ElWOG) nicht zufrieden gibt, kann die Sache innerhalb von vier Wochen nach Zustellung des Bescheids bei Gericht anhängig machen. Mit der rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts tritt die Entscheidung der Energie-Control-Kommission außer Kraft (§ 16 Abs 3a E-RBG).
II. Die „übrigen Streitigkeiten" iSd § 21 Abs 2 ElWOG sind zivilrechtliche Streitigkeiten insbesondere aus dem Vertragsverhältnis zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern etwa über die Höhe oder die Rückforderung überhöhter Systemnutzungstarife, die Auslegung der Allgemeinen Bedingungen oder wenn ein Netzzugang vom Netzbetreiber weiter verweigert wird, obwohl die Energie-Control-Kommission im Feststellungsverfahren bereits ausgesprochen hat, dass der Netzzugang zu Unrecht verweigert wird (4 Ob 287/04s mwN). III. Nach dem für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtswegs maßgebenden Klagevorbringen (RIS-Justiz RS0005896) haben die Parteien die Anwendung des sogenannten „Vorleistungsmodells" vereinbart. Diese Vereinbarung steht zwar im Zusammenhang mit dem Netzzugangsverhältnis zwischen dem Endkunden und dem Netzbetreiber, weil sie - wie die Revisionsrekurswerberin geltend macht - die aus diesem Netzzugangsverhältnis resultierenden Netznutzungsentgelte betrifft; sie begründet aber ein eigenständiges Rechtsverhältnis zwischen dem Netzbetreiber und dem Lieferanten (der nach der Vereinbarung nicht Schuldner des Netznutzungsentgelts wird), das mit dem Netzzugangsverhältnis zwischen dem Endkunden und der Netzbetreiberin, aus dem der Anspruch auf Netznutzungsentgelt entspringt, und auch mit einem allenfalls zwischen Erzeuger und Netzbetreiber bestehenden Netzzugangsverhältnis als solchem nicht ident ist. Die Klägerin stützt aber ihr Begehren ausschließlich auf dieses mit der Vereinbarung des Vorleistungsmodells begründete Rechtsverhältnis zwischen ihr und der Beklagten, nicht aber auf das Verhältnis zwischen den Endkunden und der Beklagten und auch nicht auf ein zwischen ihr und der Beklagten bestehendes Netzzugangsverhältnis. Das Rekursgericht hat daher das Vorliegen einer „übrigen Streitigkeit" iSd § 21 Abs 2 ElWOG zu Recht verneint.
IV. Mit dem Einwand, das Verfahren betreffe materiell die gerichtliche Geltendmachung von Systemnutzungstarifen iSd § 25 ElWOG, die ex lege für die Netznutzung zu entrichten sind, lässt die Beklagte außer Acht, dass die in Rede stehenden Entgelte solche sind, die grundsätzlich der Endkunde zu entrichten hat. Dass sie von der Klägerin vorgeleistet wurden, hat seine Ursache ausschließlich in der Vereinbarung über die Praktizierung des Vorleistungsmodells, das demgemäß auch als Grundlage für die Rückforderung der hier geforderten Beträge geltend gemacht wird.
V. Die Entscheidung 4 Ob 287/04s ist mit dem hier zu beurteilenden Fall nicht vergleichbar. Sie betraf einen Fall, in dem es - anders als hier - um die Rückforderung von Beträgen ging, die die Beklagte als Netzbetreiberin ihrem Vertragspartner als Netzzugangsberechtigtem vorgeschrieben und von ihm eingehoben hat. Sie erlaubt daher auf den vorliegenden Fall keine Rückschlüsse.
VI. Dass die Rechtsauffassung der zweiten Instanz der Absicht des § 21 Abs 2 ElWOG widerspreche, trifft nicht zu. Der hier zu beurteilende Sachverhalt wird entscheidend durch die von der Netzzugangsberechtigung unabhängige Vereinbarung der Streitteile geprägt und unterscheidet sich daher aus den dargelegten Gründen deutlich von jenen Fällen, die für die Regelung des § 21 Abs 2 ElWOG maßgebend waren.
VII. Ebenso wenig trifft es zu, dass von einer Einlösung der dem Netzzugangsverhältnis entspringenden Forderung durch die Klägerin auszugehen sei. Nach dem Klagevorbringen - dieses ist die Grundlage für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtswegs - soll die Vereinbarung des Vorleistungsmodells die zivilrechtlichen Rechtsverhältnisse der Beteiligten gerade nicht berühren; es ist daher weder von einer Zession der Forderung, noch von einer Vertragsübernahme oder einer Einlösung auszugehen (S 3). Dem im Revisionsrekurs konstruierten Beispiel für eine mögliche Umgehung des § 21 ElWOG liegt aber gerade die Annahme einer Zession zugrunde. Eine solche Zession würde aber die Rechtsnatur der Forderung unverändert lassen (Neumayr in KBB² § 1394 Rz 1).
VIII. Aus welchen Überlegungen der Revisionsrekurswerber ableitet, dass die Entscheidung des Rekursgerichts gegen die in Art 23 Abs 5 der RL 2003/54/EG enthaltene Anordnung verstößt, dass Betroffene mit Beschwerden gegen einen Übertragungs- oder Verteilernetzbetreiber die Regulierungsbehörden befassen können, führt er in seinem Rechtsmittel nicht näher aus.
IX. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.
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