OGH 10ObS150/14b

OGH10ObS150/14b24.2.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten Dr. Fellinger und den Hofrat Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Angelika Neuhauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Dr. Christian Fuchs Rechtsanwalt GmbH in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 30. September 2014, GZ 25 Rs 80/14x‑79, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 17. Juli 2014, GZ 42 Cgs 109/11p‑72, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:010OBS00150.14B.0224.000

 

Spruch:

Die Revision und die am 10. 11. 2014 erhobene (weitere) Revision werden zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Begründung

Zur Vorgeschichte wird auf den im zweiten Rechtsgang gefassten Aufhebungsbeschluss des Obersten Gerichtshofs vom 28. 5. 2013, 10 ObS 47/13d, SSV‑NF 27/35, verwiesen.

Das Erstgericht wies auch im dritten Rechtsgang das auf Weitergewährung der Berufungsunfähigkeitspension in gesetzlicher Höhe über den 31. 3. 2011 hinaus gerichtete Klagebegehren ab. Der Klägerin stehe ein ausreichender regionaler Arbeitsmarkt zur Verfügung. Sie könne von ihrem Wohnort aus bei Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels die örtlichen Bereiche von Kufstein, Wörgl, Jenbach und Söll innerhalb einer Stunde erreichen. In diesem örtlichen Bereich gebe es in den für die Klägerin noch in Betracht kommenden Verweisungstätigkeiten als Garderobiere, Kassierin, Museumsaufseherin, Platzanweiserin und Portierin insgesamt ca 41 ‑ offene oder besetzte ‑ Halbtagesstellen mit einem der Klägerin noch zumutbaren Arbeitszeitausmaß von vier Stunden pro Tag an fünf Tagen pro Woche. Dabei handle es sich um ca neun Arbeitsstellen als Portierin, ca acht Stellen als Platzanweiserin, ca vier Stellen als Garderobiere, ca zwei Stellen als Museumsaufseherin und ca 18 Stellen als Kassierin. Bei diesen Stellen in den fünf genannten Verweisungstätigkeiten handle es sich nicht um Saisonarbeitsplätze, sondern um Ganzjahresstellen. Da der Klägerin somit am regionalen Arbeitsmarkt bei Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ca 41 Arbeitsstellen und bei Verwendung des bei der Klägerin vorhandenen eigenen Kraftfahrzeugs sogar ca 70 Arbeitsstellen mit der festgestellten Aufteilung auf die einzelnen Verweisungsberufe zur Verfügung stehen, sei vom Vorliegen eines ausreichenden regionalen Arbeitsmarkts für die Klägerin auszugehen. Ihr Begehren auf Weitergewährung der Berufunfähigkeitspension sei daher nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es verneinte eine Verpflichtung der Klägerin, den Weg zum Arbeitsplatz mit dem eigenen Kraftfahrzeug zurückzulegen. Es verwies weiters auf die Ausführungen des Obersten Gerichtshofs in seinem Aufhebungsbeschluss vom 28. 5. 2013, 10 ObS 47/13d, SSV‑NF 27/35, wonach für die Prüfung der Frage, ob vom Bestehen eines für eine Verweisung ausreichenden regionalen Arbeitsmarkts auszugehen sei, grundsätzlich die Gesamtzahl der in allen in Betracht kommenden Verweisungsberufen bestehenden Arbeitsplätze zu Grunde zu legen sei. Dabei seien allerdings Tätigkeiten auszuscheiden, die der Versicherte zwar noch ausüben könnte, in denen die Anzahl der Arbeitsplätze aber so gering sei, dass sie praktisch die Arbeitsmöglichkeiten für den Versicherten nicht vermehren. Stehen einem Versicherten in zwei Verweisungsberufen je zumindest 15 Arbeitsplätze, insgesamt somit 30 Arbeitsplätze, zur Verfügung, die mit Tagespendeln erreichbar seien, sei vom Bestehen eines für eine Verweisung ausreichenden regionalen Arbeitsmarkts auszugehen.

Es sei daher im Sinne der Ausführungen des Obersten Gerichtshofs zwischen der nennenswerten Zahl an Arbeitsplätzen im gesamten Verweisungsfeld einerseits und in jedem einzelnen Verweisungsberuf andererseits zu unterscheiden. Diese Unterscheidung sei auch sachlich gerechtfertigt, weil bei einer Gesamtschau aller Arbeitsplätze eine höhere Fluktuation und damit eine größere Nachfrage nach Arbeitskräften anzunehmen sei als bei einer isolierten Betrachtung nur eines Verweisungsberufs. Das Berufungsgericht erachte ein Angebot von weniger als 30 Arbeitsplätzen im gesamten Verweisungsfeld sowie von weniger als fünf Arbeitsplätzen im jeweiligen Verweisungsberuf als für das Vorliegen eines Arbeitsmarkts nicht mehr ausreichend, weil bei einer so geringen Anzahl von Arbeitsplätzen das Kriterium, dass eine arbeitswillige und arbeitsfähige Versicherte eine Arbeitsstelle abstrakt erreichen kann, nicht mehr erfüllt sei, zumal sie eine für die Verweisbarkeit ausreichende Nachfrage nach Arbeitskräften nicht mehr gewährleiste, so dass der „Arbeitsmarkt“ in diesem Verweisungsberuf des Versicherten auf Dauer verschlossen sei. Da der Klägerin im konkreten Fall jedoch selbst nach Ausscheiden der zwei Arbeitsstellen als Museumsaufseherin und der vier Arbeitsstellen als Garderobiere auch im eingeschränkten örtlichen Bereich von Wörgl, Kufstein und Söll noch zumindest 30 Arbeitsstellen in insgesamt drei Verweisungsberufen mit jeweils zumindest fünf Arbeitsstellen zur Verfügung stehen, habe das Erstgericht im Ergebnis zu Recht eine Invalidität der Klägerin im Sinn des § 255 Abs 3 ASVG verneint.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil es in Ergänzung der schon vom Obersten Gerichtshof vorgenommenen Festlegung einer Mindestanzahl von Arbeitsplätzen, die für die Bejahung eines ausreichenden regionalen Arbeitsmarkts der eingeschränkt arbeitsfähigen Versicherten insgesamt zur Verfügung stehen müssen, auch eine Mindestanzahl von vorhandenen Arbeitsplätzen in den einzelnen noch in Betracht kommenden Verweisungstätigkeiten festgelegt habe, bei deren Unterschreitung die in diesem Verweisungsberuf vorhandenen Arbeitsstellen aus dem Verweisungsfeld auszuscheiden seien.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 7. 11. 2014 im ERV eingebrachte Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer vollinhaltlichen Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Am 10. 11. 2014 brachte die Klägerin ebenfalls im ERV eine weitere Revision gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts mit dem Hinweis ein, es sei am 7. 11. 2014 „irrtümlich ein unvollständiges Arbeitsexemplar, eine Entwurffassung des nunmehr korrekt eingebrachten Rechtsmittels in der Endversion per ERV“ übermittelt worden.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Vorauszuschicken ist, dass jeder Partei nur eine einzige Rechtsmittelschrift oder Rechtsmittelgegenschrift zusteht. Weitere Rechtsmittelschriften und Rechtsmittelgegenschriften, Nachträge oder Ergänzungen sind auch dann unzulässig, wenn sie innerhalb der gesetzlichen Frist eingebracht werden (RIS‑Justiz RS0041666). Die (erste) Revision der Klägerin ist formal einwandfrei, zur meritorischen Behandlung geeignet und inhaltlich nicht verbesserungsbedürftig. Die von der Klägerin am 10. 11. 2014 eingebrachte weitere Revision verstößt daher gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels und ist daher schon aus diesem Grund zurückzuweisen (vgl Gitschthaler in Rechberger , ZPO 4 §§ 84‑85 Rz 15; Kodek in Fasching/Konecny 2 §§ 84, 85 ZPO Rz 141 f; Zechner in Fasching/Konecny 2 § 505 ZPO Rz 6 jeweils mwN; 1 Ob 48/14m; 3 Ob 78/99p mwN).

Die (erste) Revision der Klägerin ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits in dem im zweiten Rechtsgang gefassten Aufhebungsbeschluss vom 28. 5. 2013, 10 ObS 47/13d, SSV‑NF 27/35, darauf hingewiesen, dass es sich bei der Frage, ob ein ausreichender regionaler Arbeitsmarkt besteht, um eine im Einzelfall zu beurteilende Rechtsfrage handelt. Das Berufungsgericht hat die für die Beurteilung dieser Rechtsfrage dargelegten Kriterien in einer vom Obersten Gerichtshof im Einzelfall nicht zu korrigierenden Weise auf den vorliegenden Fall angewendet. In der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, für die Klägerin bestehe selbst nach Ausscheiden der zwei Arbeitsstellen als Museumsaufseherin und der vier Arbeitsstellen als Garderobiere noch ein ausreichender regionaler Arbeitsmarkt, weil ihr in dem durch Tagespendeln erreichbaren Umkreis noch zumindest 30 Arbeitsstellen in insgesamt drei Verweisungsberufen mit jeweils zumindest fünf Arbeitsstellen zur Verfügung stehen, kann jedenfalls keine vom Obersten Gerichtshof im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung erblickt werden. Es wurde im Aufhebungsbeschluss ebenfalls bereits darauf hingewiesen, dass sich eine absolute Mindestzahl von vorhandenen Arbeitsplätzen in den einzelnen noch in Betracht kommenden Verweisungstätigkeiten nicht festlegen lässt. Auch aus der von der Klägerin zitierten Entscheidung 10 ObS 51/08h, SSV‑NF 22/55, lässt sich, wie bereits im Aufhebungsbeschluss dargelegt wurde, eine absolute Untergrenze von 15 Arbeitsstellen je Verweisungstätigkeit nicht ableiten.

Soweit die Klägerin weiters geltend macht, es müsse bei der Entscheidung auch die angespannte Arbeitsmarktsituation in Tirol berücksichtigt werden, verweist die Revisionsbeantwortung der beklagten Partei zutreffend auf die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach die Möglichkeit, einen konkreten Arbeitsplatz zu erlangen, nicht zu den Tatbestandsmerkmalen des Versicherungsfalls der geminderten Arbeitsfähigkeit gehört (RIS‑Justiz RS0084934). Die Frage der konkreten Vermittelbarkeit des Versicherten stellt nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers kein Lebensrisiko dar, welches in den Schutzbereich der Pensionsversicherung fällt. Die fehlende Nachfrage nach Arbeit gehört vielmehr zum Risikobereich der Arbeitslosenversicherung (RIS‑Justiz RS0084720 [T8]).

Wenn die Klägerin meint, sie könne eine Tätigkeit als Kassierin im Handel im Hinblick auf damit verbundene schwere Arbeiten nicht verrichten, ist ihr die gegenteilige Feststellung des Erstgerichts entgegenzuhalten, wonach für Kassiertätigkeiten im Handel das gleiche Leistungs‑ und Anforderungsprofil wie für Eintrittskassiere gilt. Der Hinweis der Klägerin, sie könne bei Benützung öffentlicher Verkehrsmittel den Bezirk Schwaz nicht in zumutbarer Zeit erreichen, lässt unberücksichtigt, dass eine Erreichbarkeit dieses Bezirks durch die Klägerin mit öffentlichen Verkehrsmitteln der Entscheidung ohnedies nicht zu Grunde gelegt wurde.

Schließlich kommt auch den weiteren Ausführungen der Klägerin zu Fahrtdauer und Fahrtkosten bei Benützung des eigenen Kraftfahrzeugs für Fahrten zum Arbeitsplatz keine entscheidungsrelevante Bedeutung zu, weil das Berufungsgericht eine Verpflichtung der Klägerin zur Benützung des eigenen Kraftfahrzeugs für die Fahrt zum Arbeitsplatz ohnedies verneint hat.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Besondere rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens, welche einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch an die Klägerin nach Billigkeit rechtfertigen könnten, liegen im Revisionsverfahren nicht mehr vor.

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