OGH 6Ob19/15k

OGH6Ob19/15k19.2.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. G. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Oliver Simoncic, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen die beklagten Parteien 1. Mag. G***** E*****, vertreten durch Dr. Erich Hirt, Rechtsanwalt in Wien, sowie 2. W***** P*****, vertreten durch Dr. Friedrich Schwank, Rechtsanwalt in Wien, wegen 39.542,07 EUR sA, über die außerordentlichen Revisionen der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 23. September 2014, GZ 1 R 69/14w‑117, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0060OB00019.15K.0219.000

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Die klagende Partei wurde am 20. 7. 2004 von der mittlerweile in Konkurs befindlichen B***** Handelsgesellschaft mbH (vormals V***** GmbH) im Rahmen von geplanten Sanierungsmaßnahmen mit Umbauarbeiten im Bereich der Elektroinstallationen in der „V*****“‑Filiale in der M***** Straße beauftragt. Die Klägerin macht gegen die beiden Beklagten als seinerzeitige selbstständig vertretungsbefugte Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin Schadenersatzansprüche gemäß § 69 KO iVm § 1311 ABGB geltend.

Nach den Feststellungen des Erstgerichts trat die Zahlungsunfähigkeit spätestens Anfang Juli 2004 ein; die insolvenzrechtlich relevante Überschuldung trat bereits am 30. 4. 2004 ein und war spätestens mit 15. 5. 2004 erkennbar.

Davon ausgehend gab das Erstgericht im zweiten Rechtsgang dem Klagebegehren mit Zwischenurteil dem Grunde nach statt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Finanzierung des Sanierungskonzepts sei am 30. 4. 2004 ‑ mangels Bereitschaftserklärung der A***** zur für die Besicherung des Investitionskredits der Bank A***** unbedingt notwendigen Kreditgarantie (Förderung) ‑ noch nicht mit überwiegender, also 50 % übersteigender Wahrscheinlichkeit gesichert gewesen. Die Bereitschaftserklärung sei ‑ unter der Bedingung der verbindlichen Zusage eines Finanzierungsrahmens von 800.000 EUR durch die Bank A***** ‑ nach den Feststellungen des Erstgerichts „einige Tage vor dem 21. 7. 2004“ erfolgt, wodurch allerdings ebenfalls noch keine mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gesicherte Zahlungs‑ und Lebensfähigkeit der Gemeinschuldnerin erreicht worden sei. Die 60-Tagefrist des § 69 Abs 2 KO sei am 14. 7. 2004 abgelaufen, sodass die Beklagten seit dem 15. 7. 2004 einen Insolvenzantrag zu stellen gehabt hätten.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung erhobenen Revisionen sind nicht zulässig.

1. Dass der Erstbeklagte vom Vorwurf nach § 159 StGB freigesprochen wurde, entfaltet im Zivilverfahren keine Bindungswirkung (RIS‑Justiz RS0106015).

2. Ein vom Berufungsgericht verneinter Verfahrensmangel kann mit Revision nicht mehr geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0042963).

3.1. Der Erstbeklagte bekämpft die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der klagenden Partei kein Mitverschulden anzulasten sei. Die Verneinung der Anwendung des § 1304 ABGB sei unbillig und rechtswidrig.

3.2. Die Beurteilung des Verschuldensgrades und das Ausmaß eines Mitverschuldens des Geschädigten stellen jedoch wegen ihrer Einzelfallbezogenheit regelmäßig keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS‑Justiz RS0087606). Dies gilt auch für die Frage, ob geringes Verschulden noch vernachlässigt werden kann (RIS‑Justiz RS0087606 [T7]). Auch die Frage, ob das Unterlassen an sich gebotener Vorgänge eine Sorglosigkeit in eigener Sache iSd § 1304 ABGB begründet, ist von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig und bildet daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0087606 [T10]). Dies gilt nicht nur für die Frage der Verschuldensteilung als solche, sondern jede Beurteilung des Ausmaßes oder überhaupt des Vorliegens eines Verschuldens.

4.1. Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung ist bei einer Kapitalgesellschaft die rein rechnerische Überschuldungsprüfung durch eine Fortbestehensprognose zu ergänzen, in deren Rahmen mit Hilfe sorgfältiger Analysen von Verlustursachen, eines Finanzierungsplans sowie der Zukunftsaussichten der Gesellschaft die Wahrscheinlichkeit der künftigen Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft zu prüfen ist. Geplante Sanierungsmaßnahmen sind in diese Überlegungen einzubeziehen (RIS‑Justiz RS0064962). Der Überschuldungstatbestand ist auf jene Fälle zu reduzieren, in denen die Lebensfähigkeit der Gesellschaft unter Bedachtnahme auf eingeleitete Sanierungsmaßnahmen nicht hinreichend, dass heißt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit, gesichert ist, eine rechnerische Unterbilanz daher nicht durch eine geschätzte zukünftige positive Entwicklung ausgeglichen werden kann (RIS‑Justiz RS0064962).

4.2. Der Fortbestehensprognose ist eine realistische Einschätzung der künftigen Erträge und Aufwendungen zu Grunde zu legen; aufgrund einer solchen realistischen Zukunftserwartung muss für eine positive Fortbestandsprognose die Zahlungsfähigkeit und Lebensfähigkeit des Unternehmens mit zumindest überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein (SZ 2002/26).

4.3. Die Frage, ob die Voraussetzungen für eine positive Fortbestehensprognose erfüllt sind, kann regelmäßig nur aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls beantwortet werden und stellt daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage dar.

4.4. Mit Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ist der insolvenzrechtlich relevante Sachverhalt jedenfalls verwirklicht, ohne dass es dann noch auf die Fortbestehensprognose ankäme (RIS‑Justiz RS0064962 [T7]).

5.1. Der Zweitbeklagte steht auf dem Standpunkt, das Berufungsgericht habe seine Beurteilung der Überschuldung rein darauf gestützt, dass zum 15. 5. 2004 noch keine fixe Finanzierungszusage des A***** vorgelegen sei. Richtigerweise hätte die Finanzierung auch durch andere zur Auswahl stehende interessierte Unternehmen erfolgen können. Diesbezüglich entfernt sich die Revision jedoch von den Feststellungen der Vorinstanzen, wonach es erst nach Scheitern der Gespräche mit der A***** im August 2004 zu Gesprächen mit einem anderen Unternehmen kam, das seine Zusage jedoch Ende Oktober 2004 zurückzog. Das weitere Vorbringen, erst Mitte August 2004 sei für die Beklagten mit der endgültigen Absage der Bank A***** erkennbar gewesen, dass das eigentlich erfolgversprechende Sanierungskonzept nicht mehr mit überwiegender Wahrscheinlichkeit umgesetzt werden könne, widerspricht den Feststellungen der Vorinstanzen.

5.2. Auf die vom Zweitbeklagten als erheblich bezeichnete Rechtsfrage, ob für eine Fortbestehensprognose eine bindende Finanzierungszusage vorliegen müsse, kommt es im vorliegenden Fall nicht an, weil am 30. 4. 2004 noch überhaupt keine Zusage seitens der A***** vorlag; eine grundsätzliche mündliche Bereitschaftserklärung der A*****, eine Kreditgarantie abzugeben, erfolgte nach den Feststellungen der Vorinstanzen erst einige Tage vor dem 21. 7. 2004 und nur unter der Bedingung einer verbindlichen Zusage eines Finanzierungsrahmens von 800.000 EUR durch die Bank. Damit durften aber zum Zeitpunkt des Eintritts der rechnerischen Überschuldung am 30. 4. 2004 die Beklagten mangels jeglicher bisheriger positiver Signale der A***** keinesfalls davon ausgehen, dass das von ihnen beabsichtigte Sanierungskonzept mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 % verwirklicht werden würde. Die Fortbestehensprognose erfordert realistische Annahmen; bloßer Optimismus vermag eine entsprechend sorgfältige Analyse nicht zu ersetzen.

5.3. Damit bestand weder am 30. 4. 2004 noch am 15. 5. 2004 als festgestellter Zeitpunkt der Erkennbarkeit der Überschuldung für die Gemeinschuldnerin eine Grundlage für eine positive Fortbestehensprognose, zumal für die weitere Lebensfähigkeit der Gemeinschuldnerin die Umsetzung der im Sanierungskonzept vorgesehenen Umbauarbeiten unbedingt erforderlich war. Mangels positiver Fortbestehensprognose traf die Beklagten aber grundsätzlich die Insolvenzantragspflicht im Rahmen des § 69 Abs 2 KO.

5.4. Zum damaligen Zeitpunkt bestand allerdings noch die Aussicht, dass die A***** die Kreditgarantie innerhalb von 60 Tagen zusagen könnte. Die 60-tägige Frist des § 69 Abs 2 KO darf nämlich nach herrschender Ansicht auch zur Fortsetzung eines bereits im Rahmen der Fortbestehensprognose berücksichtigten Sanierungsversuchs ausgenützt werden ( Dellinger in Konecny/Schubert , KO § 69 Rz 12 ff). Diese Frist ist jedoch eine absolute Höchstfrist, die nicht überschritten werden kann. Daher ist auch ein allenfalls sanierbarer Schuldner nach Ablauf dieser Frist verpflichtet, den nicht erfolgreich abgeschlossenen Sanierungsversuch abzubrechen und einen Insolvenzantrag zu stellen ( Dellinger aaO Rz 20).

5.5. Dadurch, dass die A***** in weiterer Folge knapp vor der Auftragserteilung an die Klägerin mündlich eine Bereitschaft zur Übernahme der Kreditgarantie erklärte, dies aber nur unter der Bedingung der verbindlichen Zusage eines Finanzierungsrahmens von 800.000 EUR durch die Bank A*****, wurde im Übrigen auch keine mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gesicherte Zahlungs‑ und Lebensfähigkeit der Gemeinschuldnerin erreicht, zumal auch im Zeitpunkt dieser Zusage keine tragfähigen Anhaltspunkte bestanden, ob überhaupt und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen die Bank A***** überhaupt bereit gewesen wäre, der Gemeinschuldnerin eine solche weitere Kreditierung zu gewähren. Damit ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass auch im Zeitraum bis zum 21. 7. 2004 weiterhin nicht von der Herstellung einer positiven Fortbestehensprognose im Sinne der Rechtsprechung auszugehen gewesen sei, nicht zu beanstanden.

6. Zusammenfassend zeigen die Beklagten somit keine Rechtsfrage der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität auf, sodass die Revision spruchgemäß zurückzuweisen war.

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