OGH 9ObA135/14i

OGH9ObA135/14i29.1.2015

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00135.14I.0129.000

 

Spruch:

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin verbrauchte im ersten Arbeitsjahr 2010/2011 21 Arbeitstage Urlaub, im zweiten Arbeitsjahr 2011/2012 35 Arbeitstage Urlaub und im dritten (begonnenen) Arbeitsjahr (vom 8. 3. 2012 bis 31. 8. 2012) keinen Urlaub. Der Beklagte rechnete die Urlaubstage nach dem Kalenderjahr ab. Die Klägerin erhielt jeweils jährliche auf das Kalenderjahr bezogene Urlaubsaufzeichnungen. Beiden Parteien war während des Dienstverhältnisses nicht bekannt, dass das Urlaubsgesetz als Urlaubsjahr grundsätzlich das Arbeitsjahr vorsieht. Bei der Vereinbarung des Urlaubs für 2. 1. 2012 und 3. 1. 2012, 30. 1. 2012 bis 3. 2. 2012 und 27. 2. 2012 bis 2. 3. 2012 (insgesamt 12 Arbeitstage) war den Parteien nicht bewusst, dass sie damit einen „Urlaubsvorgriff“ auf das nächste Urlaubsjahr machen würden. Eine Vereinbarung über den Urlaubsvorgriff wurde nicht getroffen. Hätte die Klägerin gewusst, dass es sich bei dem vereinbarten Urlaub für das Jahr 2012 teilweise um einen Urlaubsvorgriff handelt, der auf den Urlaubsanspruch des nächsten Urlaubsjahres angerechnet werden würde, hätte sie den letzten (Lern-)Urlaub nicht genommen.

Während ihres Krankenstands vom 5. 4. 2012 bis 16. 7. 2012 wurde die Klägerin vom Beklagten gekündigt und von Beendigung des Krankenstands bis zum Ende der Kündigungsfrist (31. 8. 2012) dienstfrei gestellt. Die Parteien trafen keine Vereinbarung, wonach die Klägerin ihre Sonderzahlungen im vollen Ausmaß auch für Zeiten erhalten sollte, in denen sie den halben oder keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankenstand hat.

Klägerin

Beklagte

Erstgericht

Berufungsgericht

Revision

Revisionsbeantwortung

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig; sie ist auch teilweise berechtigt, weil die Vorinstanzen die Frage des Urlaubsvorgriffs unrichtig beurteilt haben.

1. Zur Urlaubsersatzleistung:

Nach herrschender Rechtsprechung und Lehre ist ein Urlaubsvorgriff zulässig, bedarf aber einer Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien (9 ObA 235/00z = SZ 73/178 = DRdA 2001/43 [Cerny]; Reissner in ZellKomm² § 4 UrlG Rz 31; Cerny, UrlG10 § 4 Erl 6; Vogt in Mazal/Risak,Das Arbeitsrecht, System und Praxiskommentar Kap XII Rz 140; vgl RIS‑Justiz RS0077520; RS0077513). Durch den Urlaubsvorgriff soll der Arbeitnehmer die Gelegenheit erhalten, einen Teil des ihm erst im folgenden Jahr gebührenden Urlaubs bereits vorweg zu verbrauchen. Er soll damit im Endergebnis nicht mehr an Urlaub erhalten, als ihm von Gesetzes wegen zusteht; die zeitliche Verteilung soll aber zu seinen Gunsten verändert werden (vgl § 12 UrlG). Ein Arbeitgeber, der vereinbarungsgemäß einen Urlaubsvorgriff gewährt, leistet damit einen Vorschuss auf eine erst künftig entstehende Verpflichtung (9 ObA 235/00z).

Eine „automatische“ Anrechnung eines „vorgezogenen“ Urlaubs auf den erst im nächsten Urlaubsjahr entstehenden Urlaubsanspruch findet ohne entsprechende Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien nicht statt. Das Urlaubsgesetz sieht zwar die Möglichkeit der Übertragung eines nicht verbrauchten Urlaubsanspruchs auf das nächste Urlaubsjahr vor (vgl § 4 Abs 5 UrlG; 9 ObA 77/01s; 9 ObA 117/08h; Kuderna, UrlG² § 4 Rz 34; Cerny, UrlG10 § 4 Erl 28), nicht aber den einseitigen „Übertrag“ von zu viel verbrauchten Urlaubstagen. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus den Regelungen über die Urlaubsersatzleistung nach § 10 UrlG. Der Urlaubsverbrauch wird erst durch die besondere Vereinbarung der Parteien zum Urlaubsvorgriff. Im zu beurteilenden Sachverhalt fänden sich allerdings weder Anhaltspunkte für eine ausdrückliche noch schlüssige Vereinbarung eines Urlaubsvorgriffs. Beide Parteien wussten bei Abschluss der Urlaubsvereinbarung im Jahr 2011 für weitere 12 Arbeitstage (die Parteien gehen übereinstimmend von einer Urlaubsberechnung nach Arbeitstagen aus) im Urlaubsjahr 2011/2012 gerade nicht, dass die Klägerin in diesem Urlaubsjahr 2011/2012 nur mehr einen offenen Urlaubsrest von 6 Arbeitstagen hatte. Da es dem Beklagten nicht gelungen ist, die Vereinbarung eines Urlaubsvorgriffs nachzuweisen und ihn diesbezüglich die Beweislast trifft, muss daher davon ausgegangen werden, dass der Beklagte der Klägerin im Urlaubsjahr 2011 einen über den Mindestanspruch des § 2 Abs 1 UrlG hinausgehenden zusätzlichen Urlaub ohne Vorgriff und Anrechnung auf den der Klägerin im nächsten Urlaubsjahr gebührenden Urlaub gewährt hat. Davon, dass der Beklagte der Klägerin, wenn auch in anderem Zusammenhang, zusätzlichen Urlaub gewährte, geht im Übrigen auch der Beklagte aus. Der Klägerin steht somit gemäß § 10 Abs 1 UrlG für den im dritten (Rumpf‑)Arbeitsjahr (8. 3. 2012 bis 31. 8. 2012) neu entstandenen, aber zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht verbrauchten Urlaub von rund 12 Arbeitstagen eine Urlaubsersatzleistung von 2.195,44 EUR zu. Unter Berücksichtigung der vom Beklagten geleisteten Urlaubsersatzleistung von 1.125,18 EUR steht der Klägerin noch ein restlicher Betrag an Urlaubsersatzleistung von 1.070,26 EUR zu.

Im Begehren der Klägerin auf Urlaubsersatzleistung kann entgegen der Ansicht des Beklagten keine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen des Beklagten erkannt werden (vgl RIS-Justiz RS0113653; RS0045886). Gegen die guten Sitten verstößt nur, was dem Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft, also aller billig und gerecht denkenden Menschen widerspricht (RIS‑Justiz RS0022920; RS0022866 [T4]). Dies ist in Bezug auf die von der Klägerin beantragte Urlaubsersatzleistung nach dem festgestellten Sachverhalt nicht der Fall.

2. Zur Sonderzahlung:

Dass die Klägerin überhaupt einen Sonderzahlungsanspruch hat, ist zwischen den Parteien nicht weiter strittig. Nach herrschender Rechtsprechung gebühren mangels abweichender Vereinbarung Sonderzahlungen allerdings nicht für Zeiten, für die keine Pflicht zur Entgeltzahlung besteht (RIS‑Justiz RS0030306). Sonderzahlungen als eine Form aperiodischen Entgelts gebühren daher regelmäßig nicht für Zeiten nach Ausschöpfung des Entgeltfortzahlungsanspruchs im Fall der Krankheit gemäß § 8 Abs 1 AngG (§ 2 Abs 1 EFZG), allerdings nur sofern nicht ein Kollektivvertrag oder eine andere, auf das jeweilige Arbeitsverhältnis einwirkende Norm Gegenteiliges anordnet (RIS-Justiz RS0030306 [T15]).

Im gegenständlichen Fall haben die Parteien keine Vereinbarung über die Gewährung von Sonderzahlungen auch während des entgeltfreien Krankenstands abgeschlossen. Unstrittig wirkt im vorliegenden Fall auch keine Norm, die Gegenteiliges vorsieht auf das Arbeitsverhältnis ein. Ein Kollektivvertrag ist wie schon erwähnt nicht anwendbar.

Besteht somit ein Entgeltfortzahlungsanspruch in voller Höhe, hat der Arbeitnehmer auch Anspruch auf die Sonderzahlungen in voller Höhe. Fällt der Entgeltfortzahlungsanspruch zur Gänze weg, gebühren auch keine Sonderzahlungen. Es ist daher nur sachgerecht, wenn der Arbeitnehmer in dem Entgeltfortzahlungszeitraum, in dem er nur mehr Anspruch auf das halbe Entgelt hat (§ 8 Abs 1 letzter Satz und Abs 2 AngG bzw § 2 Abs 1 letzter Satz EFZG), auch nur die halbe Sonderzahlung erhält (Schrank, Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht 147 f; vgl Rabl in Reissner, AngG § 16 Rz 49; Rauch, Sonderzahlungen für entgeltfreie Zeiten, ASoK 2006, 20).

Das Argument der Klägerin, Sonderzahlungen würden bei der Bemessung des Krankengelds keine Rolle spielen, weshalb es bei Aliquotierung der Sonderzahlungen zu einer vom Gesetzgeber nicht gewünschten Einkommensreduktion käme, trifft nicht zu. Gemäß § 125 Abs 3 ASVG sind Sonderzahlungen durch einen entsprechenden Zuschlag zum Krankengeld zu berücksichtigen. Gerade daraus wird gefolgert, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass für die Dauer des Krankengeldbezugs keine Sonderzahlungen zu leisten sind, weil es sonst zu einem sachlich problematischen Doppelbezug käme (9 ObA 2047/96m; 9 ObA 151/09k ua; Schrank, Sonderzahlungen bei entgeltfreien Krankenständen, ecolex 1995, 193 [196]; Marhold in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 16 Rz 38 mwN). Genau dieses Argument spricht aber auch für die Halbierung der Sonderzahlung in dem Entgeltfortzahlungszeitraum, in dem der Arbeitnehmer nur mehr einen Anspruch auf das halbe Entgelt hat.

Der Revision der Klägerin war daher teilweise Folge zu geben und dem Klagebegehren hinsichtlich der Urlaubsersatzleistung mit 1.070,26 EUR sA stattzugeben. Bezüglich der restlichen Sonderzahlung von 303,39 EUR sA bleibt es bei der Abweisung.

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