OGH 9ObA147/14d

OGH9ObA147/14d29.1.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden und durch den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Dehn, sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Harald Kohlruss als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache des Antragstellers Österreichischer Gewerkschaftsbund, 1020 Wien, Johann‑Böhm‑Platz 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Antragsgegner Österreichischer Raiffeisenverband, 1020 Wien, Friedrich‑Wilhelm‑Raiffeisen‑Platz 1, vertreten durch CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung nach § 54 Abs 2 ASGG, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00147.14D.0129.000

 

Spruch:

Der Antrag, der Oberste Gerichtshof möge feststellen, dass die vom Geltungsbereich des Kollektivvertrags für die Angestellten der Raiffeisen Bankengruppe und Raiffeisen‑Revisionsverbände erfassten teilzeitbeschäftigten Angestellten das Recht haben, im Fall des Vorliegens der in § 10a („Gehaltsregelung alt“), III („Sozialzulagen“) Abs 2 des Kollektivvertrags oder aber im Fall des Vorliegens der in § 10b („Gehaltsregelung neu“) III („Sozialzulagen“) Abs 2 des Kollektivvertrags („Kinderzulagen“) angeführten Voraussetzungen die (in § 10a und § 10b als „Sozialzulage“ bezeichnete) Kinderzulage nicht lediglich nach Maßgabe des Ausmaßes ihrer Teilzeitbeschäftigung aliquotiert berechnet ausbezahlt zu erhalten, sondern ungekürzt in der in Anlage 2a zum Kollektivvertrag vorgesehenen Höhe, wird abgewiesen.

Text

Begründung

Der Antragsteller begehrt die aus dem Spruch ersichtliche (sich ungeachtet eines offensichtlichen Schreibfehlers im Begehren unzweifelhaft auf den im Spruch genannten Kollektivvertrag beziehende) Feststellung. Er bringt dazu zusammengefasst vor, dass die vom Geltungsbereich des Kollektivvertrags erfassten Teilzeitbeschäftigten gegenüber den Vollzeitbeschäftigten im Zusammenhang mit der Berechnung und Auszahlung der Kinderzulage insbesondere auch vor dem Hintergrund des Art 4 der zwischen den europäischen Sozialpartnern geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit vom 6. 6. 1997 im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. 12. 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit in der durch die Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 7. April 1998 geänderten Fassung diskriminiert würden. In der Aliquotierung der Zulage liege ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz, gegen das spezielle Diskriminierungsverbot wegen Teilzeitbeschäftigung gemäß § 19d Abs 6 AZG sowie gegen das Verbot der mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts.

Der Antragsgegner bestritt in seiner Stellungnahme die Rechtsansicht des Antragstellers und führte aus, dass es sich bei der fraglichen Kinderzulage um Entgelt im Sinn des weiten arbeitsrechtlichen Entgeltbegriffs handle und nicht um bloßen Aufwandersatz für Kinderbetreuung. Bei Teilzeitbeschäftigung sei der Entgeltanspruch aufgrund der Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung geringer als bei Vollzeitbeschäftigung. Außerdem sei die Aliquotierung von Zulagen bei Teilzeitbeschäftigten aufgrund der geringeren Arbeitsleistung sachlich gerechtfertigt. Auch sei der finanzielle Aufwand für die Organisation der Kinderbetreuung bei Vollzeitbeschäftigten höher als bei Teilzeitbeschäftigten. Die in § 2 Z 3 lit a des Kollektivvertrags vorgesehene Aliquotierung der Kinderzulage für Teilzeitbeschäftigte sei daher sachlich gerechtfertigt und stelle weder eine Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten noch eine Diskriminierung wegen des Geschlechts dar.

Das ebenfalls gemäß § 54 Abs 2 ASGG geführte Verfahren zu 8 ObA 20/12t betraf eine vergleichbare Fragestellung zu § 22 (iVm § 21 Abs 2) des Kollektivvertrags für Angestellte der Banken und Bankiers. Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluss vom 13. 9. 2012 zu 8 ObA 20/12t dem Europäischen Gerichtshof mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Da die Beantwortung dieser Fragen auch für den hier zu entscheidenden Feststellungsantrag maßgeblich war, hat der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 24. 9. 2012 (noch unter 9 ObA 38/12x) auch dieses Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union

unterbrochen.

Nunmehr liegt die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 5. 11. 2014, Rs C‑476/12, vor und war das Verfahren von Amts wegen fortzusetzen.

Der Oberste Gerichtshof hat in der Sache erwogen:

Rechtliche Beurteilung

1. Es handelt sich hier um Rechtsfragen des materiellen Rechts auf dem Gebiet der Arbeitsrechtssachen nach § 50 ASGG, die für mindestens drei Arbeitgeber oder Arbeitnehmer von Bedeutung sind. Der Antragsteller ist eine kollektivvertragsfähige freiwillige Berufsvereinigung der Arbeitnehmer nach § 4 Abs 2 ArbVG und für die in Rede stehenden Arbeitsverhältnisse zuständig (RIS‑Justiz RS0051126). Die allgemeinen Voraussetzungen für den Feststellungsantrag nach § 54 Abs 2 ASGG sind daher gegeben.

2. Zur inhaltlichen Beurteilung des Antrags kann auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 25. 11. 2014 zu 8 ObA 76/14f verwiesen werden, in der ausgeführt wurde wie folgt:

2. Die vom Geltungsbereich des zugrunde liegenden Kollektivvertrags erfassten Angestellten erhalten gestützt auf § 22 leg cit bei Vorliegen der Voraussetzungen eine 'Kinderzulage' ausbezahlt. Teilzeitbeschäftigte Angestellte erhalten die Kinderzulage nicht im vollen Ausmaß, sondern lediglich aliquotiert im Verhältnis des Ausmaßes ihrer Arbeitszeit. Die Aliquotierungsregelung des § 22 Abs 4 iVm § 21 Abs 2 leg cit knüpft die Minderung des Anspruchs von Teilzeitbeschäftigten auf die Kinderzulage somit an das Ausmaß der Arbeitszeit. Damit normiert der Kollektivvertrag die Maßgeblichkeit des Pro‑rata-temporis‑Grundsatzes im Sinn des § 4 Nr 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG in der durch die Richtlinie 98/23/EG geänderten Fassung.

3.1 Aufgrund der unionsrechtlichen Implikation hat der Oberste Gerichtshof dem Europäischen Gerichtshof (unter anderem) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist der Pro‑rata‑temporis‑Grundsatz nach § 4 Nr 2 der Rahmenvereinbarung im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. 12. 1997 zur Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl L 14/1998 S 9, berichtigt durch ABl L 128/1998 S 71, in der durch die Richtlinie 98/23/EG , ABl L 131/1998 S 10, geänderten Fassung) auf eine in einem Kollektivvertrag (Tarifvertrag) normierte Kinderzulage, bei der es sich um eine Sozialleistung des Arbeitgebers zum teilweisen Ausgleich der finanziellen Unterhaltslasten der Eltern gegenüber dem Kind, für das die Zulage bezogen wird, handelt, aufgrund der Art dieser Leistung (als angemessen) anzuwenden?

3.2 Mit seinem Urteil vom 5. November 2014 zu C‑476/12, ÖGB, antwortete der Europäische Gerichtshof auf diese Frage wie folgt:

' Paragraf 4 Nr 2 der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit in der durch die Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 7. April 1998 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass der Pro‑rata‑temporis‑Grundsatz auf die Berechnung der Höhe einer Kinderzulage anzuwenden ist, die der Arbeitgeber eines Teilzeitbeschäftigten aufgrund eines Kollektivvertrags wie des für Angestellte der österreichischen Banken und Bankiers geltenden zahlt. '

In der Begründung führte der Europäische Gerichtshof aus, dass die Kinderzulage nach dem zugrunde liegenden Kollektivvertrag keine gesetzlich vorgesehene staatliche Leistung und daher keine Leistung der sozialen Sicherheit im Sinn der Verordnung 883/2004 /EG zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sei, auch wenn mit ihr (soziale) Ziele verfolgt würden, die den Zielen bestimmter in der genannten Verordnung vorgesehener Leistungen entsprechen würden. Vielmehr werde die Kinderzulage vom Arbeitgeber auf Basis des Kollektivvertrags gezahlt und sei daher Entgelt, weshalb sie sich nach den zwischen dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber vereinbarten Bedingungen des Arbeitsverhältnisses richte. Sei der Arbeitnehmer teilzeitbeschäftigt, so sei die Berechnung der Kinderzulage ‑ so wie beim Ruhegehalt und beim Jahresurlaub ‑ nach dem Pro‑rata‑temporis‑Grundsatz sachlich gerechtfertigt und angemessen.

3.3 Nach der im Anlassfall eingeholten Vorabentscheidung erachtet der Europäische Gerichtshof die Anwendung des Pro‑rata‑temporis‑Grundsatzes somit auf sämtliche vom Arbeitgeber bezahlten Entgeltbestandteile (im weiteren Sinn) als gerechtfertigt. Auf die (allenfalls sozialpolitische) Zweckbestimmung und die Rechtsnatur der Entgeltleistung kommt es nicht an. Der Begriff des „Entgelts“ umfasst alle gegenwärtigen oder künftigen Vergütungen, die der Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Beschäftigung dem Arbeitnehmer gewährt. In der Berücksichtigung einer im Verhältnis zum vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer reduzierten Arbeitszeit erblickt der Europäische Gerichtshof ein objektives Kriterium, das eine proportionale Kürzung aller Entgeltansprüche der betroffenen Arbeitnehmer erlaubt.

3.4 Nach diesen unionsrechtlichen Grundsätzen kann sich der Antragsteller hinsichtlich der Aliquotierung der Kinderzulage bei Teilzeitbeschäftigung nach dem zugrunde liegenden Kollektivvertrag nicht auf das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten berufen.

4. Auch eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts liegt nicht vor. Beim Pro‑rata‑temporis‑Grundsatz handelt es sich in Bezug auf Entgeltbestandteile von Teilzeitbeschäftigten um einen sachlichen arbeitszeitbezogenen Grund. Die Aliquotierungsregelung des anzuwendenden Kollektivvertrags ist daher im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs durch nicht auf das Geschlecht bezogene sachliche Gründe gerechtfertigt.“

3. Dies ist auch hier maßgeblich. Es war daher auch im vorliegenden Verfahren der Feststellungsantrag abzuweisen (vgl auch die weiteren Parallelverfahren 9 ObA 145/14k, 9 ObA 146/14g; 9 ObA 148/14a).

Stichworte