OGH 9ObA146/14g

OGH9ObA146/14g18.12.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und ADir. Angelika Neuhauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache des Antragstellers Österreichischer Gewerkschaftsbund, *****, vertreten durch Dr. Josef Milchram ua, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Antragsgegner Österreichischer Sparkassenverband, *****, vertreten durch CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, über den gemäß § 54 Abs 2 ASGG gestellten Antrag auf Feststellung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:009OBA00146.14G.1218.000

 

Spruch:

Der Antrag, der Oberste Gerichtshof möge feststellen, dass die vom Geltungsbereich des Kollektivvertrags für die Angestellten der Sparkassen erfassten teilzeitbeschäftigten Angestellten das Recht haben, die Kinderzulage im Fall des Vorliegens der in § 57 Abs 1 bis Abs 6 des Kollektivvertrags angeführten Voraussetzungen nicht lediglich gemäß § 57 Abs 3 zweiter Satz des Kollektivvertrags nach Maßgabe des Ausmaßes ihrer Teilzeitbeschäftigung aliquotiert berechnet ausbezahlt zu erhalten, sondern ungekürzt in der in Anlage I zum KV vorgesehenen Höhe, wird abgewiesen.

Text

Begründung

Der Antragsteller ist eine kollektivvertragsfähige freiwillige Berufsvereinigung der Arbeitnehmer nach § 4 Abs 2 ArbVG, der Antragsgegner ist eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitgeber nach § 4 Abs 1 ArbVG.

Antragsgegenständlich ist die Bestimmung des § 57 des Kollektivvertrags für die Angestellten der Sparkassen, die in der geltenden Fassung lautet:

§ 57 Kinderzulage

(1) Kinderzulage erhalten Angestellte auf Antrag für jedes Kind, für das sie ‑ unter Berücksichtigung von Abs 5 ‑ Anspruch auf gesetzliche Familienbeihilfe haben und diese nachweislich beziehen

a) bis zum Ende des Kalendermonats, vor dem das Kind das 10. Lebensjahr vollendet, in der im jeweiligen Schemablatt (Anlage 1) angeführten Höhe;

b) ab Beginn des Kalendermonats, in dem das Kind das 10. Lebensjahr vollendet, in der im jeweiligen Schemablatt (Anlage 1) angeführten Höhe.

(1a) Kinderzulage im Ausmaß des Abs 1 lit a) oder b) erhalten auf Antrag auch Angestellte für jedes Kind, für das nachweislich Anspruch auf gesetzliche Familienbeihilfe besteht und diese vom anderen Elternteil/Kind tatsächlich bezogen wird, solange sie nach einer Trennung aufgrund eines gerichtlichen Urteils oder gerichtlichen Vergleichs oder einer notariell beglaubigten Vereinbarung für diese(s) Kind(er) Unterhalt (Alimente) in Höhe zumindest der Kinderzulage nachweislich leisten. Sind beide Elternteile in der Sparkasse beschäftigt, gebührt die Kinderzulage nur einmal gemäß Abs 1.

(2) Kinderzulage gemäß Abs 1 oder 1a in doppeltem Ausmaß erhalten Angestellte für jedes erheblich behinderte Kind im Sinne der Bestimmungen des Familienlastenausgleichsgesetzes, für das sie Anspruch auf erhöhte gesetzliche Familienbeihilfe haben und diese nachweislich beziehen.

(3) Die Kinderzulage wird mit dem Monatsgehalt und anteilsmäßig auch mit den Sonderzahlungen ausgezahlt. Die Höhe der Kinderzulage für Teilzeitbeschäftigte wird entsprechend der vereinbarten Arbeitszeit aliquot berechnet.

(4) Die Kinderzulage gebührt erstmals für jenen Kalendermonat, in dem das Ereignis eintritt, das die Bezugsberechtigung begründet, und letztmals für jenen Kalendermonat, in dem die Voraussetzung für die Bezugsberechtigung entfällt.

Wird die Familienbeihilfe rückwirkend zuerkannt oder gestrichen, ist die entsprechende Nachzahlung durch die Sparkasse oder Rückzahlung durch den Dienstnehmer vorzunehmen.

(5) Übergangsregel: ...

(6) Der Anspruch auf Kinderzulage ist vom Angestellten entsprechend nachzuweisen. Den Wegfall der Voraussetzungen hat der Angestellte der Sparkasse unverzüglich mitzuteilen. Zu Unrecht bezogene Kinderzulagen können von der Sparkasse zurück gefordert werden.“

Der Antragsteller begehrte die aus dem Spruch ersichtliche Feststellung gemäß § 54 Abs 2 ASGG. Die dem Antrag zugrunde liegende Rechtsfrage des materiellen Rechts sei für mindestens drei Arbeitnehmer von Bedeutung. Der Feststellungsantrag beziehe sich auf den Anspruch von teilzeitbeschäftigten Angestellten auf Auszahlung der ungekürzten, also nicht aliquotierten Kinderzulage nach § 57 des Kollektivvertrags. Durch die Aliquotierung der Kinderzulage würden die vom Geltungsbereich des Kollektivvertrags erfassten Teilzeitbeschäftigten gegenüber den Vollzeitbeschäftigten benachteiligt. Die Bestimmung des § 57 Abs 3 zweiter Satz des KV verstoße gegen den verfassungsrechtlich verankerten Gleichheitssatz, gegen das in § 19d Abs 6 AZG und gegen das in Art 4 der EU‑Richtlinie über Teilzeitarbeit verankerte Diskriminierungsverbot. Angesprochen sei ferner das Diskriminierungsverbot nach § 3 Z 2 und § 11 GlBG. Sachliche Gründe für die Benachteiligung der Teilzeitbeschäftigten bestünden nicht. Der Zweck der Kinderzulage bestehe in der Erleichterung der Lasten aus dem Familienstand bzw aus der Kindererziehung. Diese Lasten seien für Teilzeitbeschäftigte ebenso hoch wie für Vollzeitbeschäftigte. Die Kinderzulage hänge nicht mit dem zeitlichen Ausmaß der Tätigkeit zusammen. Die aliquotierte Auszahlung der Kinderzulage bei Teilzeitbeschäftigung treffe gerade Frauen, weil diese die Hauptlast der Kinderbetreuung tragen würden.

Der Antragsgegner bestritt die Rechtsansicht des Antragstellers und beantragte die Abweisung des Antrags. Bei der Kinderzulage handle es sich um Entgelt im Sinn des weiten arbeitsrechtlichen Entgeltbegriffs. Aufgrund der Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung liege bereits in der geringeren Arbeitsleistung des Teilzeitbeschäftigten die sachliche Rechtfertigung für die geringere Entgeltleistung. Zudem sei der Organisations- und Finanzierungsaufwand für die Kinderbetreuung beim Teilzeitbeschäftigten gerade wegen der Teilzeitbeschäftigung geringer als beim Vollzeitbeschäftigten, weil sie ihm die eigene Kinderbetreuung ermögliche. Die in § 57 Abs 1 KV vorgesehene Anknüpfung an den Bezug der gesetzlichen Familienbeihilfe mache aus der Kinderzulage keine Pro‑Kopf‑Prämie, sondern diene nur der Verwaltungsvereinfachung. Auch der EuGH judiziere zur Teilzeit das Pro‑rata‑temporis‑Prinzip. Ein Aliquotierungsverbot würde auch zu sozial‑ und beschäftigungspolitisch unerwünschten Effekten (uU Überschreiten der für den Kinderbetreuungsgeldbezug maßgeblichen Zuverdienstgrenze oder Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze) führen.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:

1. Gemäß § 54 Abs 2 ASGG können kollektivvertragsfähige Körperschaften der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer im Rahmen ihres Wirkungsbereichs gegen eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitnehmer bzw der Arbeitgeber beim Obersten Gerichtshof einen Antrag auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen anbringen, die einen von namentlich bestimmten Personen unabhängigen Sachverhalt betreffen. Der Antrag muss eine Rechtsfrage des materiellen Rechts auf dem Gebiet der Arbeitsrechtssachen nach § 50 ASGG zum Gegenstand haben, die für mindestens drei Arbeitgeber oder Arbeitnehmer von Bedeutung ist. Gemäß § 54 Abs 4 ASGG hat der Oberste Gerichtshof über den Feststellungsantrag auf der Grundlage des darin angegebenen Sachverhalts zu entscheiden. Diese allgemeinen Voraussetzungen für den Feststellungsantrag sind im Anlassfall gegeben.

2. Nach § 57 des Kollektivvertrags für die Angestellten der Sparkassen erhalten die Angestellten bei Vorliegen der Voraussetzungen eine „Kinderzulage“ ausbezahlt. Nach § 57 Abs 3 zweiter Satz des Kollektivvertrags wird bei teilzeitbeschäftigten Angestellten die Höhe der Kinderzulage entsprechend der vereinbarten Arbeitszeit aliquot berechnet. Die Aliquotierungsregelung normiert damit die Maßgeblichkeit des Pro‑rata-temporis‑Grundsatzes im Sinn des § 4 Nr 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG in der durch die Richtlinie 98/23/EG geänderten Fassung.

3. Aufgrund der unionsrechtlichen Implikation hat der Oberste Gerichtshof in einem die gleiche Frage betreffenden Parallelverfahren (8 ObA 20/14t) dem Europäischen Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

„Ist der Pro‑rata‑temporis‑Grundsatz nach § 4 Nr 2 der Rahmenvereinbarung im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. 12. 1997 zur Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl L 14/1998 S 9, berichtigt durch ABl L 128/1998 S 71, in der durch die Richtlinie 98/23/EG , ABl L 131/1998 S 10, geänderten Fassung) auf eine in einem Kollektivvertrag (Tarifvertrag) normierte Kinderzulage, bei der es sich um eine Sozialleistung des Arbeitgebers zum teilweisen Ausgleich der finanziellen Unterhaltslasten der Eltern gegenüber dem Kind, für das die Zulage bezogen wird, handelt, aufgrund der Art dieser Leistung (als angemessen) anzuwenden?“

4. Aufgrund dieses Vorabentscheidungsersuchens hat der erkennende Senat das vorliegende Verfahren mit Beschluss vom 24. 9. 2012, 9 ObA 39/12v, bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs unterbrochen.

5. Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 5. 11. 2014, C‑476/12, ÖGB/Verband Österreichischer Banken und Bankiers, geantwortet:

„Paragraf 4 Nr 2 der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit in der durch die Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 7. April 1998 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass der Pro-rata-temporis-Grundsatz auf die Berechnung der Höhe einer Kinderzulage anzuwenden ist, die der Arbeitgeber eines Teilzeitbeschäftigten aufgrund eines Kollektivvertrags wie des für Angestellte der österreichischen Banken und Bankiers geltenden zahlt.“

Die Kinderzulage sei nach dem zugrunde liegenden Kollektivvertrag keine gesetzlich vorgesehene staatliche Leistung und daher keine Leistung der sozialen Sicherheit im Sinn der Verordnung 883/2004 /EG zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, auch wenn mit ihr (soziale) Ziele verfolgt würden, die den Zielen bestimmter in der genannten Verordnung vorgesehener Leistungen entsprächen. Vielmehr werde die Kinderzulage vom Arbeitgeber auf Basis des Kollektivvertrags gezahlt und sei daher Entgelt. Sie richte sich deshalb nach den zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber vereinbarten Bedingungen des Arbeitsverhältnisses. Auch sei bereits entschieden worden, dass das Unionsrecht im Fall einer Teilzeitbeschäftigung einer Berechnung nach dem Pro-rata-temporis-Grundsatz weder für das Ruhegehalt noch für den bezahlten Jahresurlaub entgegenstehe. In diesen Rechtssachen habe die Berücksichtigung einer im Verhältnis zum Vollzeitbeschäftigen Arbeitnehmer reduzierten Arbeitszeit ein objektives Kriterium dargestellt, das eine proportionale Kürzung der Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer erlaubt habe.

6. Aufgrund dieser Entscheidung wies der Oberste Gerichtshof den im Parallelverfahren gestellten Antrag mit Beschluss vom 25. 11. 2014 ab (8 ObA 76/14f). Er hielt fest, dass sich der Antragsteller nach diesen unionsrechtlichen Grundsätzen hinsichtlich der Aliquotierung der Kinderzulage bei Teilzeitbeschäftigung nach dem zugrunde liegenden Kollektivvertrag nicht auf das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten berufen kann. Auch eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts liegt nicht vor. Beim Pro‑rata‑temporis‑Grundsatz handelt es sich in Bezug auf Entgeltbestandteile von Teilzeitbeschäftigten um einen sachlichen arbeitszeitbezogenen Grund. Die Aliquotierungsregelung des anzuwendenden Kollektivvertrags ist daher im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs durch nicht auf das Geschlecht bezogene sachliche Gründe gerechtfertigt.

7. Da auch im vorliegenden Fall nichts anderes gelten kann, war der Feststellungsantrag abzuweisen.

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