European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:008OBA00076.14F.1125.000
Spruch:
Der Antrag, der Oberste Gerichtshof möge feststellen, dass die vom Geltungsbereich des Kollektivvertrags für Angestellte der Banken und Bankiers erfassten teilzeitbeschäftigten Angestellten das Recht haben, die Kinderzulage im Fall des Vorliegens der in § 22 Abs 1 bis Abs 4 des Kollektivvertrags angeführten Voraussetzungen nicht lediglich nach Maßgabe des Ausmaßes ihrer Teilzeitbeschäftigung aliquotiert berechnet ausbezahlt zu erhalten, sondern ungekürzt in der in Anlage II zu § 22 des Kollektivvertrags vorgesehenen Höhe, wird abgewiesen.
Begründung
Der Antragsteller ist eine kollektivvertragsfähige freiwillige Berufsvereinigung der Arbeitnehmer nach § 4 Abs 2 ArbVG und für die in Rede stehenden Arbeitsverhältnisse zuständig (RIS‑Justiz RS0051126). Der Antragsgegner ist eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitgeber nach § 4 Abs 1 ArbVG.
Die relevanten Bestimmungen des zugrunde liegenden Kollektivvertrags für Angestellte der Banken und Bankiers lauten:
„ Abschnitt III Sozialzulagen
Als Sozialzulage werden Familien und Kinderzulagen gewährt.
§ 21 Familienzulage
(1) Familienzulagen erhalten über Antrag folgende Arbeitnehmer:
…
(2) Die Familienzulagen für stundenweise Beschäftigte oder im Stundenlohn stehende Arbeitnehmer sowie Teilzeitbeschäftigte werden errechnet, indem die entsprechenden Zulagen für Vollzeitbeschäftigte (siehe Anlage) durch die kollektivvertragliche wöchentliche Normalarbeitszeit (38,5 Stunden) dividiert und mit der Anzahl der vereinbarten Wochenarbeitsstunden multipliziert werden.
(3) … .
§ 22 Kinderzulage
(1) Kinderzulagen erhalten Arbeitnehmer für jedes Kind, für das sie Anspruch auf gesetzliche Familienbeihilfe haben und diese nachweislich beziehen. Die Kinderzulage gebührt erstmals/letztmals für jenen Kalendermonat, in dem die Voraussetzung für die Bezugsberechtigung eintritt/entfällt. Die Kinderzulage laut Anlage 2 gelangt 14 Mal jährlich zur Auszahlung und gebührt seitens des Kreditinstituts für jedes Kind nur einmal. Sie wird letztmalig für den Monat gezahlt, in welchem das Kind in das Erwerbsleben tritt.
(2) Geschiedene Arbeitnehmer, die keinen Anspruch auf Kinderzulage(n) nach Abs 1 haben, erhalten über Antrag die kollektivvertragliche(n) Kinderzulage(n), solange für das (die) Kind(er) aus der geschiedenen Ehe Anspruch auf gesetzliche Familienbeihilfe besteht und solange sie Unterhaltsleistung(en) in der Höhe zumindest der im Kollektivertrag vorgesehenen Kinderzulage für das erste Kind nachweislich erbringen und der andere Elternteil keine Kinderzulage(n) von einem anderen, diesem Kollektivvertrag unterliegenden Kreditinstitut für das (die) jeweilige(n) Kind(er) bezieht. Der Nachweis über die Unterhaltsleistung und den Nichtbezug einer Kinderzulage durch den anderen Elternteil ist anlässlich der Antragstellung und in weiterer Folge einmal jährlich zu erbringen, ebenso wie der Nachweis, dass ein Anspruch auf Familienbeihilfe für das (die) Kind(er) besteht. In begründeten Ausnahmefällen kann von diesen Nachweisen seitens des Kreditinstitutes Abstand genommen werden. Im Übrigen ist Abs 1 sinngemäß anzuwenden.
(3) Der Anspruch auf kollektivvertragliche Kinderzulage besteht für volljährige Kinder, für die für Juni 2011 die Kinderzulage vom Arbeitgeber geleistet wird und nach dem 30. 6. 2011 kein Anspruch auf Familienbeihilfe aufgrund der Vollendung des 24. Lebensjahres mehr besteht, für längstens zwei Jahre, maximal bis zur Vollendung des 26. Lebensjahres, auf gesonderten Antrag des Arbeitnehmers. Dies gilt auch sinngemäß für vor dem 1. 7. 1988 geborene Kinder. Es sind jene aktuellen Nachweise weiterhin zu erbringen (zB aktuelle Inskriptionsbestätigungen), die am 30. 6. 2011 für den Bezug der Familienbeihilfe maßgeblich waren. Weiters darf das Kind kein eigenes Einkommen über der im FLAG [Familienlastenausgleichsgesetz] enthaltenen Grenze beziehen. Bei Auslaufen dieser Regelung wird eine Evaluierung erfolgen.
(4) § 21 Abs 2 und 3 gilt sinngemäß für den Bezug von Kinderzulagen.“ (Abs 4 idF ab 1. 4. 2011)
Der Antragsteller begehrte die aus dem Spruch ersichtliche Feststellung gemäß § 54 Abs 2 ASGG. Antragsteller und Antragsgegner seien kollektivvertragsfähige Körperschaften und im vorliegenden besonderen Feststellungsverfahren legitimiert. Die dem Antrag zugrunde liegende Rechtsfrage des materiellen Rechts sei für mindestens drei Arbeitnehmer von Bedeutung. Der Feststellungsantrag beziehe sich auf den Anspruch von teilzeitbeschäftigten Angestellten auf Auszahlung der ungekürzten, also nicht aliquotierten Kinderzulage nach § 22 des anzuwendenden Kollektivvertrags. In rechtlicher Hinsicht führte der Antragsteller aus, dass durch die Aliquotierung der Kinderzulage die vom Geltungsbereich des Kollektivvertrags erfassten Teilzeitbeschäftigten gegenüber den Vollzeitbeschäftigten benachteiligt würden. Es liege damit ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlich verankerten Gleichheitssatz sowie gegen das Diskriminierungsverbot nach Art 4 der EU‑Richtlinie über Teilzeitarbeit bzw gegen § 19d Abs 6 AZG vor. Sachliche Gründe für die Benachteiligung der Teilzeitbeschäftigten bestünden nicht. Der Zweck der Kinderzulage bestehe in der Erleichterung der Lasten aus dem Familienstand bzw aus der Kindererziehung. Diese Lasten seien für Teilzeitbeschäftigte ebenso hoch wie für Vollzeitbeschäftigte. Die Kinderzulage hänge nicht mit dem zeitlichen Ausmaß der Tätigkeit zusammen. Die aliquotierte Auszahlung der Kinderzulage bei Teilzeitbeschäftigung treffe gerade die Frauen, weil diese die Hauptlast der Kinderbetreuung tragen würden.
Der Antragsgegner bestritt in seiner Stellungnahme die Rechtsansicht des Antragstellers und führte aus, dass es sich bei der fraglichen Kinderzulage um Entgelt im Sinn des weiten arbeitsrechtlichen Entgeltbegriffs handle. Bei Teilzeitbeschäftigung sei der Entgeltanspruch aufgrund der Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung geringer als bei Vollzeitbeschäftigung. Davon abgesehen sei die Aliquotierung von Zulagen bei Teilzeitbeschäftigten aufgrund der geringeren Arbeitsleistung sachlich gerechtfertigt. Selbst unter der Annahme, dass die Kinderzulage die Kinderbetreuungslasten ausgleichen solle, sei die Aliquotierung sachlich gerechtfertigt, weil der finanzielle Aufwand für die Organisation der Kinderbetreuung bei Vollzeitbeschäftigten ungleich höher als bei Teilzeitbeschäftigten sei.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:
1. Gemäß § 54 Abs 2 ASGG können kollektivvertragsfähige Körperschaften der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer im Rahmen ihres Wirkungsbereichs gegen eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitnehmer bzw der Arbeitgeber beim Obersten Gerichtshof einen Antrag auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen anbringen, die einen von namentlich bestimmten Personen unabhängigen Sachverhalt betreffen. Der Antrag muss eine Rechtsfrage des materiellen Rechts auf dem Gebiet der Arbeitsrechtssachen nach § 50 ASGG zum Gegenstand haben, die für mindestens drei Arbeitgeber oder Arbeitnehmer von Bedeutung ist. Gemäß § 54 Abs 4 ASGG hat der Oberste Gerichtshof über den Feststellungsantrag auf der Grundlage des darin angegebenen Sachverhalts zu entscheiden.
Diese allgemeinen Voraussetzungen für den Feststellungsantrag sind im Anlassfall gegeben.
2. Die vom Geltungsbereich des zugrunde liegenden Kollektivvertrags erfassten Angestellten erhalten gestützt auf § 22 leg cit bei Vorliegen der Voraussetzungen eine „Kinderzulage“ ausbezahlt. Teilzeitbeschäftigte Angestellte erhalten die Kinderzulage nicht im vollen Ausmaß, sondern lediglich aliquotiert im Verhältnis des Ausmaßes ihrer Arbeitszeit. Die Aliquotierungsregelung des § 22 Abs 4 iVm § 21 Abs 2 leg cit knüpft die Minderung des Anspruchs von Teilzeitbeschäftigten auf die Kinderzulage somit an das Ausmaß der Arbeitszeit. Damit normiert der Kollektivvertrag die Maßgeblichkeit des Pro‑rata-temporis‑Grundsatzes im Sinn des § 4 Nr 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG in der durch die Richtlinie 98/23/EG geänderten Fassung.
3.1 Aufgrund der unionsrechtlichen Implikation hat der Oberste Gerichtshof dem Europäischen Gerichtshof (unter anderem) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„Ist der Pro‑rata‑temporis‑Grundsatz nach § 4 Nr 2 der Rahmenvereinbarung im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. 12. 1997 zur Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl L 14/1998 S 9, berichtigt durch ABl L 128/1998 S 71, in der durch die Richtlinie 98/23/EG, ABl L 131/1998 S 10, geänderten Fassung) auf eine in einem Kollektivvertrag (Tarifvertrag) normierte Kinderzulage, bei der es sich um eine Sozialleistung des Arbeitgebers zum teilweisen Ausgleich der finanziellen Unterhaltslasten der Eltern gegenüber dem Kind, für das die Zulage bezogen wird, handelt, aufgrund der Art dieser Leistung (als angemessen) anzuwenden?“
3.2 Mit seinem Urteil vom 5. November 2014 zu C‑476/12, ÖGB, antwortete der Europäische Gerichtshof auf diese Frage wie folgt:
„Paragraf 4 Nr 2 der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit in der durch die Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 7. April 1998 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass der Pro‑rata‑temporis‑Grundsatz auf die Berechnung der Höhe einer Kinderzulage anzuwenden ist, die der Arbeitgeber eines Teilzeitbeschäftigten aufgrund eines Kollektivvertrags wie des für Angestellte der österreichischen Banken und Bankiers geltenden zahlt.“
In der Begründung führte der Europäische Gerichtshof aus, dass die Kinderzulage nach dem zugrunde liegenden Kollektivvertrag keine gesetzlich vorgesehene staatliche Leistung und daher keine Leistung der sozialen Sicherheit im Sinn der Verordnung 883/2004/EG zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sei, auch wenn mit ihr (soziale) Ziele verfolgt würden, die den Zielen bestimmter in der genannten Verordnung vorgesehener Leistungen entsprechen würden. Vielmehr werde die Kinderzulage vom Arbeitgeber auf Basis des Kollektivvertrags gezahlt und sei daher Entgelt, weshalb sie sich nach den zwischen dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber vereinbarten Bedingungen des Arbeitsverhältnisses richte. Sei der Arbeitnehmer teilzeitbeschäftigt, so sei die Berechnung der Kinderzulage ‑ so wie beim Ruhegehalt und beim Jahresurlaub ‑ nach den Pro‑rata‑temporis‑Grundsatz sachlich gerechtfertigt und angemessen.
3.3 Nach der im Anlassfall eingeholten Vorabentscheidung erachtet der Europäische Gerichtshof die Anwendung des Pro‑rata‑temporis‑Grundsatzes somit auf sämtliche vom Arbeitgeber bezahlten Entgeltbestandteile (im weiteren Sinn) als gerechtfertigt. Auf die (allenfalls sozialpolitische) Zweckbestimmung und die Rechtsnatur der Entgeltleistung kommt es nicht an. Der Begriff des „Entgelts“ umfasst alle gegenwärtigen oder künftigen Vergütungen, die der Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Beschäftigung dem Arbeitnehmer gewährt. In der Berücksichtigung einer im Verhältnis zum vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer reduzierten Arbeitszeit erblickt der Europäische Gerichtshof ein objektives Kriterium, das eine proportionale Kürzung aller Entgeltansprüche der betroffenen Arbeitnehmer erlaubt.
3.4 Nach diesen unionsrechtlichen Grundsätzen kann sich der Antragsteller hinsichtlich der Aliquotierung der Kinderzulage bei Teilzeitbeschäftigung nach dem zugrunde liegenden Kollektivvertrag nicht auf das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten berufen.
4. Auch eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts liegt nicht vor. Beim Pro‑rata‑temporis‑Grundsatz handelt es sich in Bezug auf Entgeltbestandteile von Teilzeitbeschäftigten um einen sachlichen arbeitszeitbezogenen Grund. Die Aliquotierungsregelung des anzuwendenden Kollektivvertrags ist daher im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs durch nicht auf das Geschlecht bezogene sachliche Gründe gerechtfertigt.
5. Insgesamt war der Feststellungsantrag damit abzuweisen.
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