OGH 8ObA20/12t

OGH8ObA20/12t13.9.2012

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter MMag. Dr. Robert Schneider und Johann Sommer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache des Antragstellers Österreichischer Gewerkschaftsbund, 1020 Wien, Johann Böhm Platz 1, vertreten durch Milchram Ehm Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Antragsgegner Verband Österreichischer Banken und Bankiers, 1010 Wien, Börsegasse 11, vertreten durch die CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, über den gemäß § 54 Abs 2 ASGG gestellten Antrag auf Feststellung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

A. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist der Pro‑rata‑temporis‑Grundsatz nach § 4 Nr 2 der Rahmenvereinbarung im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. 12. 1997 zur Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl L 14/1998 S 9, berichtigt durch ABl L 128/1998 S 71, in der durch die Richtlinie 98/23/EG, ABl L 131/1998 S 10, geänderten Fassung) auf eine in einem Kollektivvertrag (Tarifvertrag) normierte Kinderzulage, bei der es sich um eine Sozialleistung des Arbeitgebers zum teilweisen Ausgleich der finanziellen Unterhaltslasten der Eltern gegenüber dem Kind, für das die Zulage bezogen wird, handelt, aufgrund der Art dieser Leistung (als angemessen) anzuwenden?

2. Wenn Frage 1 verneint wird:

Ist § 4 Nr 1 der Rahmenvereinbarung im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. 12. 1997 zur Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl L 14/1998 S 9, berichtigt durch ABl L 128/1998 S 71, in der durch die Richtlinie 98/23/EG, ABl L 131/1998 S 10, geänderten Fassung) dahin auszulegen, dass eine Ungleichbehandlung der Teilzeitbeschäftigten durch aliquote Minderung des Anspruchs auf Kinderzulage im Verhältnis zur Arbeitszeit ‑ in Beachtung des weiten Ermessensspielraums der Sozialpartner bei Festlegung eines bestimmten sozial- und wirtschaftspolitischen Ziels und der für seine Erreichung geeigneten Maßnahmen ‑ unter der Annahme sachlich gerechtfertigt ist, dass ein Aliquotierungsverbot

a) Teilzeitbeschäftigungen in Form der Elternteilzeit und/oder geringfügige Beschäftigungen während eines Elternkarenzurlaubs erschwert oder unmöglich macht und/oder

b) zu Wettbewerbsverzerrungen durch höhere finanzielle Belastungen der Arbeitgeber mit einer größeren Anzahl von Teilzeitbeschäftigten sowie zu einer Verringerung der Bereitschaft der Arbeitgeber zur Aufnahme von Teilzeitbeschäftigten führt und/oder

c) zur Begünstigung von Teilzeitbeschäftigten führt, die weitere Arbeitsverhältnisse in Teilzeitarbeit aufweisen und mehrfachen Anspruch auf eine kollektivvertragliche Leistung wie die Kinderzulage haben und/oder

d) zur Begünstigung von Teilzeitbeschäftigten führt, weil diese über mehr arbeitsfreie Zeit als Vollzeitbeschäftigte und daher über bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten verfügen?

3. Wenn die Fragen 1 und 2 verneint werden:

Ist Art 28 der Grundrechtecharta dahin auszulegen, dass in einem Arbeitsrechtssystem, in dem wesentliche Teile der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach den übereinstimmenden sozialpolitischen Einschätzungen besonders ausgewählter und qualifizierter Kollektivvertragsparteien geschaffen werden,

im Fall der (nach nationaler Praxis) Nichtigkeit lediglich einer (gegen ein unionsrechtliches Diskriminierungsverbot verstoßenden) Detailregelung in einem Kollektivvertrag (hier Aliquotierung der Kinderzulage bei Teilzeitarbeit) die gesamte kollektivvertragliche Vorschrift zu diesem Regelungsbereich (hier Kinderzulage) von der Nichtigkeitssanktion erfasst ist?

B. Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.

Begründung

I. Sachverhalt:

Die vom Geltungsbereich des zugrunde liegenden Kollektivvertrags (des Kollektivvertrags für Angestellte der Banken und Bankiers) erfassten Angestellten erhalten gestützt auf § 22 des Kollektivvertrags bei Vorliegen der Voraussetzungen eine so bezeichnete „Kinderzulage“ ausbezahlt. Diese Kinderzulage wird gemeinsam mit der „Familienzulage“ gemäß § 21 des Kollektivvertrags in der Abschnittsüberschrift als „Sozialzulage“ bezeichnet. Teilzeitbeschäftigte Angestellte erhalten die Kinderzulage nicht im vollem Ausmaß, sondern lediglich aliquotiert im Verhältnis des Ausmaßes ihrer Arbeitszeit. Die Anzahl teilzeitbeschäftigter Frauen überwiegt gegenüber der Anzahl teilzeitbeschäftigter Männer.

II. Unionsrechtliche Grundlagen:

Die nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs maßgebenden Bestimmungen der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit, die mit der Richtlinie 97/81/EG (ABl L 14/1998 S 9, berichtigt durch ABl L 128/1998 S 71, in der durch die Richtlinie 98/23/EG, ABl L 131/1998 S 10, geänderten Fassung) in den Rechtsbestand der Europäischen Union übernommen wurde, lauten:

„§ 1 Ziel

Diese Rahmenvereinbarung soll

a) die Beseitigung von Diskriminierungen von Teilzeitbeschäftigten sicherstellen und die Qualität der Teilzeitarbeit verbessern;

b) die Entwicklung der Teilzeitarbeit auf freiwilliger Basis fördern und zu einer flexiblen Organisation der Arbeitszeit beitragen, die den Bedürfnissen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Rechnung trägt.

§ 2 Anwendungsbereich

1. Die vorliegende Vereinbarung gilt für Teilzeitbeschäftigte, die nach den Rechtsvorschriften, Tarifverträgen oder Gepflogenheiten in dem jeweiligen Mitgliedstaat einen Arbeitsvertrag haben oder in einem Arbeitsverhältnis stehen.

2. Nach Anhörung der Sozialpartner gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften, den Tarifverträgen oder [den] Gepflogenheiten können die Mitgliedstaaten und/oder die Sozialpartner auf der entsprechenden Ebene in Übereinstimmung mit den einzelstaatlichen Praktiken im Bereich der Arbeitsbeziehungen aus sachlichen Gründen Teilzeitbeschäftigte, die nur gelegentlich arbeiten, ganz oder teilweise ausschließen. Dieser Ausschluss sollte regelmäßig daraufhin überprüft werden, ob die sachlichen Gründe, auf denen er beruht, weiter vorliegen.

§ 3 Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Vereinbarung ist

1. „Teilzeitbeschäftigter“ ein Arbeitnehmer, dessen normale, auf Wochenbasis oder als Durchschnitt eines bis zu einem Jahr reichenden Beschäftigungszeitraumes berechnete Arbeitszeit unter der eines vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten liegt;

2. „vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter“ ein Vollzeitbeschäftigter desselben Betriebs mit derselben Art von Arbeitsvertrag oder Beschäftigungsverhältnis, der in der gleichen oder einer ähnlichen Arbeit/Beschäftigung tätig ist, wobei auch die Betriebszugehörigkeitsdauer und die Qualifikationen/Fertigkeiten sowie andere Erwägungen heranzuziehen sind. Ist in demselben Betrieb kein vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter vorhanden, so erfolgt der Vergleich anhand des anwendbaren Tarifvertrages oder, in Ermangelung eines solchen, gemäß den gesetzlichen oder tarifvertraglichen Bestimmungen oder den nationalen Gepflogenheiten.

§ 4 Grundsatz der Nichtdiskriminierung

1. Teilzeitbeschäftigte dürfen in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.

2. Es gilt, wo dies angemessen ist, der Pro-rata-temporis-Grundsatz.

… .“

Die maßgebenden Bestimmungen der Verordnung 883/2004/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. 4. 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl L 166/2004 S 1, berichtigt durch ABl L 200/2004 S 1) lauten:

„Art 1 Definitionen

Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

z) „Familienleistungen“ alle Sach- oder Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten, mit Ausnahme von Unterhaltsvorschüssen und besonderen Geburts‑ und Adoptionsbeihilfen nach Anhang I.

Art 3 Sachlicher Geltungsbereich

(1) Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften, die folgende Zweige der sozialen Sicherheit betreffen:

a) Leistungen bei Krankheit;

b) Leistungen bei Mutterschaft und gleichgestellten Leistungen bei Vaterschaft;

c) Leistungen bei Invalidität;

d) Leistungen bei Alter;

e) Leistungen an Hinterbliebene;

f) Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten;

g) Sterbegeld;

h) Leistungen bei Arbeitslosigkeit;

i) Vorruhestandsleistungen;

j) Familienleistungen.“

III. Innerstaatliche Rechtsvorschriften:

Die relevanten Bestimmungen des zugrunde liegenden Kollektivvertrags (des Kollektivvertrags für Angestellte der Banken und Bankiers) lauten:

„Abschnitt III Sozialzulagen

Als Sozialzulage werden Familien‑ und Kinderzulagen gewährt.

§ 21 Familienzulage

(1) Familienzulagen erhalten über Antrag folgende Arbeitnehmer:

(2) Die Familienzulagen für stundenweise Beschäftigte oder im Stundenlohn stehende Arbeitnehmer sowie Teilzeitbeschäftigte werden errechnet, indem die entsprechenden Zulagen für Vollzeitbeschäftigte (siehe Anlage) durch die kollektivvertragliche wöchentliche Normalarbeitszeit (38,5 Stunden) dividiert und mit der Anzahl der vereinbarten Wochenarbeitsstunden multipliziert werden.

(3) … .

§ 22 Kinderzulage

(1) Kinderzulagen erhalten Arbeitnehmer für jedes Kind, für das sie Anspruch auf gesetzliche Familienbeihilfe haben und diese nachweislich beziehen. Die Kinderzulage gebührt erstmals/letztmals für jenen Kalendermonat, in dem die Voraussetzung für die Bezugsberechtigung eintritt/entfällt. Die Kinderzulage laut Anlage 2 gelangt 14‑Mal jährlich zur Auszahlung und gebührt seitens des Kreditinstituts für jedes Kind nur einmal. Sie wird letztmalig für den Monat gezahlt, in welchem das Kind in das Erwerbsleben tritt.

(2) Geschiedene Arbeitnehmer, die keinen Anspruch auf Kinderzulage(n) nach Abs 1 haben, erhalten über Antrag die kollektivvertragliche(n) Kinderzulage(n), solange für das (die) Kind(er) aus der geschiedenen Ehe Anspruch auf gesetzliche Familienbeihilfe besteht und solange sie Unterhaltsleistung(en) in der Höhe zumindest der im Kollektivertrag vorgesehenen Kinderzulage für das erste Kind nachweislich erbringen und der andere Elternteil keine Kinderzulage(n) von einem anderen, diesem Kollektivvertrag unterliegenden Kreditinstitut für das (die) jeweilige(n) Kind(er) bezieht. Der Nachweis über die Unterhaltsleistung und den Nichtbezug einer Kinderzulage durch den anderen Elternteil ist anlässlich der Antragstellung und in weiterer Folge einmal jährlich zu erbringen, ebenso wie der Nachweis, dass ein Anspruch auf Familienbeihilfe für das (die) Kind(er) besteht. In begründeten Ausnahmefällen kann von diesen Nachweisen seitens des Kreditinstitutes Abstand genommen werden. Im Übrigen ist Abs 1 sinngemäß anzuwenden.

(3) Der Anspruch auf kollektivvertragliche Kinderzulage besteht für volljährige Kinder, für die für Juni 2011 die Kinderzulage vom Arbeitgeber geleistet wird und nach dem 30. 6. 2011 kein Anspruch auf Familienbeihilfe aufgrund der Vollendung des 24. Lebensjahres mehr besteht, für längstens zwei Jahre, maximal bis zur Vollendung des 26. Lebensjahres, auf gesonderten Antrag des Arbeitnehmers. Dies gilt auch sinngemäß für vor dem 1. 7. 1988 geborene Kinder. Es sind jene aktuellen Nachweise weiterhin zu erbringen (zB aktuelle Inskriptionsbestätigungen), die am 30. 6. 2011 für den Bezug der Familienbeihilfe maßgeblich waren. Weiters darf das Kind kein eigenes Einkommen über der im FLAG [Familienlastenausgleichsgesetz] enthaltenen Grenze beziehen. Bei Auslaufen dieser Regelung wird eine Evaluierung erfolgen.

(4) § 21 Abs 2 und 3 gilt sinngemäß für den Bezug von Kinderzulagen.“ (Abs 4 idF ab 1. 4. 2011)

§ 19d des Arbeitszeitgesetzes (AZG) bestimmt:

„(1) Teilzeitarbeit liegt vor, wenn die vereinbarte Wochenarbeitszeit die gesetzliche Normalarbeitszeit oder eine durch Normen der kollektiven Rechtsgestaltung festgelegte kürzere Normalarbeitszeit im Durchschnitt unterschreitet.

(6) Teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer dürfen wegen der Teilzeitarbeit gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern nicht benachteiligt werden, es sei denn, sachliche Gründe rechtfertigen eine unterschiedliche Behandlung. …

(7) Im Streitfall hat der Arbeitgeber zu beweisen, dass eine Benachteiligung nicht wegen der Teilzeitarbeit erfolgt.“

IV. Anträge und Vorbringen der Parteien:

Der Antragsteller begehrte die Feststellung gemäß § 54 Abs 2 ASGG, dass die vom Geltungsbereich des in Rede stehenden Kollektivvertrags erfassten teilzeitbeschäftigten Angestellten das Recht haben, die Kinderzulage nach § 22 des Kollektivvertrags nicht nur aliquotiert, sondern ungekürzt ausgezahlt zu erhalten. Antragsteller und Antragsgegner seien kollektivvertragsfähige Körperschaften und im vorliegenden besonderen Feststellungsverfahren legitimiert. Die dem Antrag zugrunde liegende Rechtsfrage des materiellen Rechts sei für mindestens drei Arbeitnehmer von Bedeutung. Der Feststellungsantrag beziehe sich auf den Anspruch von teilzeitbeschäftigten Angestellten auf Auszahlung der ungekürzten, also nicht aliquotierten Kinderzulage nach § 22 des Kollektivvertrags. In rechtlicher Hinsicht führte der Antragsteller aus, dass die Aliquotierung der Kinderzulage bei Teilzeitbeschäftigung gegen das Diskriminierungsverbot verstoße, weil die vom Geltungsbereich des Kollektivertrags erfassten Teilzeitbeschäftigten gegenüber den Vollzeitbeschäftigten benachteiligt würden. Es liege damit ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlich verankerten Gleichheitssatz, aber auch gegen das Diskriminierungsverbot nach Art 4 der EU‑Richtlinie über Teilzeitarbeit bzw gegen § 19d Abs 6 AZG vor. Bei der Kinderzulage handle es sich um Entgelt im Sinn des weiten arbeitsrechtlichen Entgeltbegriffs. Dabei handle es sich nicht um eine lediglich freiwillige Sozialleistung; vielmehr bestehe ein Rechtsanspruch auf die Zulage. Sachliche Gründe für die Benachteiligung der Teilzeitbeschäftigten bestünden nicht. Mit der Zulage werde die spezifische sozialpolitische Zielsetzung der Förderung von Angestellten mit Kindern verfolgt. Der Zweck der Kinderzulage bestehe in der Erleichterung der Lasten aus dem Familienstand bzw aus der Kindererziehung. Diese Lasten seien für Teilzeitbeschäftigte ebenso hoch wie jene für Vollzeitbeschäftigte. Die Kinderzulage hänge nicht mit dem zeitlichen Ausmaß der Tätigkeit zusammen. Die aliquotierte Auszahlung der Kinderzulage bei Teilzeitbeschäftigung treffe gerade die Frauen, weil diese die Hauptlast der Kinderbetreuung tragen würden.

Der Antragsgegner bestritt in seiner Stellungnahme die Rechtsansicht des Antragstellers und führte aus, dass es sich bei der fraglichen Kinderzulage um Entgelt handle. Jedes Entgelt gelte die Arbeitsleistung ab. Bei Teilzeitbeschäftigung sei der Entgeltanspruch aufgrund der Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung geringer als bei Vollzeitbeschäftigung. Davon abgesehen sei die Zulagenaliquotierung bei Teilzeitbeschäftigten sachlich gerechtfertigt. Die sachliche Rechtfertigung liege in der geringeren Arbeitsleistung. Selbst unter der Annahme, dass die Kinderzulage die Kinderbetreuungslasten ausgleichen solle, sei die Aliquotierung sachlich gerechtfertigt, weil der finanzielle Aufwand für die Organisation der Kinderbetreuung bei Vollzeitbeschäftigten ungleich höher als bei Teilzeitbeschäftigten sei. Die Kinderzulage sei keine der Familienbeihilfe ähnliche Sozialleistung. Schließlich liege auch keine mittelbare Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts vor. Das Ausmaß der Elternteilzeit werde dadurch bestimmt, dass die Zuverdienstgrenze für den Kinderbetreuungsbezug nicht überschritten werde. Müsste die gesamte Kinderzulage gezahlt werden, so hätte dies den Effekt, dass das Teilzeitausmaß herabgesetzt und die Verbundenheit zum Betrieb gemindert werde. Dadurch werde der Wiedereintritt in das volle Berufsleben erschwert.

V. Bisheriges Verfahren:

Gemäß § 54 Abs 2 ASGG können kollektivvertragsfähige Körperschaften der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer im Rahmen ihres Wirkungsbereichs gegen eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitnehmer bzw der Arbeitgeber beim Obersten Gerichtshof einen Antrag auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen anbringen, die einen von namentlich bestimmten Personen unabhängigen Sachverhalt betreffen. Der Antrag muss eine Rechtsfrage des materiellen Rechts auf dem Gebiet der Arbeitsrechtssachen nach § 50 ASGG zum Gegenstand haben, die für mindestens drei Arbeitgeber oder Arbeitnehmer von Bedeutung ist. Gemäß § 54 Abs 4 ASGG hat der Oberste Gerichtshof über den Feststellungsantrag auf der Grundlage des darin angegebenen Sachverhalts zu entscheiden.

Der Antragsteller ist eine kollektivvertragsfähige freiwillige Berufsvereinigung der Arbeitnehmer nach § 4 Abs 2 des Arbeitsverfassungsgesetzes (ArbVG) und für die in Rede stehenden Arbeitsverhältnisse zuständig. Die Antragsgegnerin ist eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitgeber nach § 4 Abs 1 ArbVG. Auch die übrigen Voraussetzungen für den Feststellungsantrag sind im Anlassfall gegeben.

Rechtliche Beurteilung

VI. Berechtigung zur Vorlage:

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs kann mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts nicht mehr angefochten werden (Art 267 AEUV). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs hat in einem Verfahren nach Art 267 AEUV nur das befasste nationale Gericht sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden, das Unionsrecht betreffenden Fragen zu beurteilen (vgl EuGH C‑395/08 Rn 18).

VII. Begründung der Vorlagefragen:

1. Rechtscharakter und Zweck der kollektivvertraglichen Kinderzulage

1.1 Die zu beurteilende Aliquotierungsregelung des § 22 Abs 4 in Verbindung mit § 21 Abs 2 des zugrunde liegenden Kollektivvertrags knüpft die Minderung des Anspruchs von Teilzeitbeschäftigten auf die Kinderzulage an das Ausmaß der Arbeitszeit. Der Kollektivvertrag normiert damit die Maßgeblichkeit des Pro‑rata‑temporis‑Grundsatzes im Sinn des § 4 Nr 2 der Rahmenvereinbarung im Anhang der Richtlinie zur Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit.

1.2 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es Sache des vorlegenden Gerichts, das nationale Recht auszulegen (EuGH C‑378/07 Rn 70). Im Anlassfall gilt dies für den Rechtscharakter der Kinderzulage, der nach seiner Zweckbestimmung zu ermitteln ist.

Die zu beurteilende Kinderzulage nach § 22 des zugrunde liegenden Kollektivvertrags wird in dessen Abschnitt III geregelt. Dieser Abschnitt ist mit „Sozialzulagen“ überschrieben. Inhaltlich ist die Kinderzulage an den Anspruch auf die gesetzliche (staatliche) Familienbeihilfe bzw bei geschiedenen Arbeitnehmern auf die Leistung von Unterhalt für das Kind, für das die Zulage bezogen wird, geknüpft. Die Kinderzulage gebührt bis zum Eintritt des Kindes in das Erwerbsleben, also bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes, maximal bis zur Vollendung des 26. Lebensjahrs. Schließlich ist normiert, dass die Kinderzulage (seitens des Kreditinstituts) für jedes Kind nur einmal gebührt.

Aus dem dargestellten Regelungsgehalt des § 22 des Kollektivvertrags, insbesondere der Verknüpfung des Anspruchs auf Kinderzulage mit dem Anspruch auf gesetzliche Familienbeihilfe, lässt sich der Rechtscharakter und die Zweckbestimmung der Kinderzulage wie folgt ableiten: Dem Charakter nach handelt es sich um eine Zulage zur gesetzlichen Familienbeihilfe als Beitrag zu den Unterhaltsleistungen gegenüber dem Kind, für das die Zulage bezogen wird. Nach ihrem Zweck sollen mit der Zulage ‑ so wie mit der gesetzlichen Familienbeihilfe ‑ die Kosten, die die Eltern aufgrund ihrer Unterhaltspflicht gegenüber den Kindern treffen, teilweise ausgeglichen werden. Den Eltern sollen die im Zusammenhang mit der Gründung und dem Bestand einer Familie entstandenen finanziellen Belastungen zum Teil abgenommen werden. Dieser teilweise Ausgleich der Unterhaltslasten dient dem wirtschaftlichen Schutz der Familie. Nach den Gesetzesmaterialien zur staatlichen Familienbeihilfe ist ein solcher Ausgleich der finanziellen Mehrbelastung, die die Ernährung, Bekleidung, häusliche Unterbringung und Erziehung von Kindern verursacht, nicht nur eine Forderung der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch eine gesellschaftliche Existenznotwendigkeit. Derartige Zulagen stellen keine Entlohnung für geleistete Dienste dar.

Aus der vom Antragsgegner angesprochenen Historie der zugrunde liegenden Bestimmung des Kollektivvertrags, wonach die Anknüpfung an die Familienbeihilfe nur zur Verwaltungsvereinfachung erfolgt und die Tatbestandsprüfung an das Finanzamt ausgelagert worden sei, lässt sich keine gegenteilige Aussage zur Zweckbestimmung dieser Regelung entnehmen.

1.3 Der Oberste Gerichtshof gelangt somit zum Ergebnis, dass die Kinderzulage nach § 22 des zugrunde liegenden Kollektivvertrags als vertragliche Leistung des Arbeitgebers zu qualifizieren ist, die nicht nur den durch die Arbeitsleistung bedingten finanziellen Mehraufwand für die Kinderbetreuung abgelten, sondern generell die Unterhaltslast des arbeitenden Elternteils ausgleichen soll. Die Kinderzulage ist somit eine Zulage des Arbeitgebers zur gesetzlichen (staatlichen) Familienbeihilfe.

Durch die gesetzliche (staatliche) Familienbeihilfe sollen Kosten, die Eltern aufgrund ihrer Unterhaltspflicht gegenüber den Kindern entstehen, ausgeglichen werden. Sie wird unabhängig von der Beschäftigung und vom Einkommen der Eltern gewährt. Die Höhe der gesetzlichen Familienbeihilfe wird durch das Alter des Kindes bestimmt. Sie ist damit eine Leistung der sozialen Sicherheit im Sinn des Art 1 Buchstabe z (Familienleistung) der Verordnung 883/2004/EG und eine direkte Transferleistung an die Anspruchsberechtigten. Die gesetzliche Familienbeihilfe betrifft demnach das unionsrechtliche Sozialrecht.

2. Sozialleistung des Arbeitgebers und Entgelt

2.1 Für eine „Leistung der sozialen Sicherheit“ im Sinn der Verordnung 883/2004/EG ist charakteristisch, dass es sich um eine gesetzlich vorgesehene staatliche Leistung handelt (vgl EuGH C‑395/08 Rn 42; C‑268/06 Rn 131).

Die zu beurteilende Kinderzulage ist keine derartige Leistung. Vielmehr wird sie vom Arbeitgeber auf Basis der vertragsrechtlichen Beziehung zum Arbeitnehmer geleistet. Sie betrifft damit das unionsrechtliche Arbeitsrecht.

2.2 Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung schon anerkannt, dass (gesetzlich vorgesehene) staatliche Sozialleistungen kraft gesetzlicher Anordnung durch Leistungen des Arbeitgebers substituiert werden können. Als Beispiel dafür kann die Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber als Substitut für das staatliche Krankengeld genannt werden (vgl EuGH C‑45/90 Rn 19).

Auch ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die zu beurteilende Kinderzulage basiert nicht auf einem gesetzlichen, generell abstrakten System; sie wird nicht kraft besonderer gesetzlicher Anordnung anstelle der staatlichen Leistung ausnahmsweise vom Arbeitgeber erbracht.

2.3 Sowohl die staatlichen Leistungen der sozialen Sicherheit als auch die sozialen Leistungen des Arbeitgebers (vgl Art 7 Abs 2 der Verordnung 492/2011/EU: „soziale Vergünstigungen“) gehören nach der unionsrechtlichen Begrifflichkeit zu den Sozialleistungen. Die Kinderzulage ist damit eine Sozialleistung, die vom Arbeitgeber aufgrund des Arbeitsvertrags geleistet wird.

Als Zuschlag zur Familienbeihilfe verfolgt die Kinderzulage ähnliche Ziele wie die gesetzliche Familienbeihilfe. Sie dient damit dem Ausgleich von Familienlasten im Sinn des Art 3 Buchstabe z der Verordnung 883/2004/EG. Demnach kann sie als eine nach ihrem Zweck und Inhalt den Familienleistungen ähnliche Sozialleistung des Arbeitgebers qualifiziert werden.

2.4 Unbestritten ist, dass es sich bei der zu beurteilenden Kinderzulage um Entgelt handelt.

Nach Art 157 AEUV sind unter Entgelt die üblichen Grund‑ oder Mindestlöhne und ‑gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar oder unmittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt. Nicht dazu zählen unmittelbar durch Gesetz geregelte Leistungen der sozialen Sicherheit, insbesondere Altersrenten, die zwingend für allgemein umschriebene Gruppen von Arbeitnehmern gelten.

Da die in Rede stehende Kinderzulage vom Arbeitgeber auf vertraglicher Basis geleistet wird, ist sie in den unionsrechtlichen Entgeltbegriff einzubeziehen. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners kann daraus aber nicht abgeleitet werden, dass die Aliquotierung aufgrund der geringeren Arbeitsleistung bei Teilzeitbeschäftigung von vornherein sachlich gerechtfertigt sei. Vielmehr ist nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs auf den Rechtscharakter bzw die Zweckbestimmung des Entgeltbestandteils abzustellen, wobei zwischen Entgelt im engeren und im weiteren Sinn unterschieden werden kann. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es sogar denkbar, dass eine (hier nicht vorliegende, vom Arbeitgeber substituierte) Leistung der sozialen Sicherheit unter den arbeitsrechtlichen Entgeltbegriff fällt (EuGH C‑45/90 Rn 15). Die Einbeziehung in den Entgeltbegriff allein sagt über die Zulässigkeit der Aliquotierungsregelung daher noch nichts aus.

3. Pro‑rata‑temporis‑Grundsatz

3.1 Aus unionsrechtlicher Sicht stellt sich somit die Frage, ob für eine Sozialleistung des Arbeitgebers der Pro‑rata‑temporis‑Grundsatz schon aufgrund der Art der Leistung als angemessen (sachlich gerechtfertigt) anzusehen ist. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs hängt diese Beurteilung von der Zweckbestimmung der Sozialleistung ab.

3.2 Der Pro‑rata‑temporis‑Grundsatz besagt, dass eine Leistung des Arbeitgebers für eine Person in Teilzeitbeschäftigung nach dem Ausmaß der Arbeitszeit berechnet wird (EuGH C‑395/08 Rn 65).

In diesem Zusammenhang hatte der Gerichtshof bisher Fälle zum Jahresurlaub sowie zur betrieblichen Altersversorgung zu entscheiden. Er gelangte zum Ergebnis, dass die Minderung des Anspruchs auf Jahresurlaub bei Teilzeitbeschäftigung aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist (EuGH C‑486/08 Rn 33). Auch bei der Betriebspension hat er am Pro‑rata‑temporis‑Grundsatz festgehalten. Demnach steht das Unionsrecht einer zeitanteiligen Berechnung des Ruhegehalts bei Teilzeitbeschäftigung nicht entgegen (EuGH C‑537/07 Rn 59 mwN). Die Höhe der Versorgung hängt nämlich unmittelbar vom Umfang der geleisteten Arbeit und den entsprechenden Beiträgen ab. Die Berücksichtigung des Umfangs der von einem Teilzeitbeschäftigten während seines Berufslebens tatsächlich geleisteten Arbeit im Vergleich zum Umfang der Arbeitsleistung eines Beschäftigten, der während seines gesamten Berufslebens in Vollzeit gearbeitet hat, stellt ein objektives Kriterium dar, das eine proportionale Kürzung der Altersversorgung des Teilzeitbeschäftigten zulässt (EuGH C‑395/08 Rn 65 mwN).

3.3 Die Kinderzulage weist keine unmittelbare Relation zur Arbeitszeit auf. Es ist daher keineswegs ausgeschlossen, dass der Gerichtshof die hier vorliegende Sachlage anders als in den zitierten Fällen beurteilt und zum Ergebnis gelangt, dass bei einer Sozialleistung des Arbeitgebers, die ähnliche Ziele wie die gesetzliche Familienbeihilfe verfolgt, die Anwendung des Pro‑rata‑temporis‑Grundsatzes nicht schon allein aufgrund der Art der Leistung angemessen ist.

4. Besondere Rechtfertigungsgründe

4.1 Gelangt man zum Ergebnis, dass der Pro‑rata‑temporis‑Grundsatz bei der zu beurteilenden Kinderzulage nicht schon aufgrund der Leistung als angemessen zu qualifizieren ist, so stellt sich die Frage nach einer besonderen Rechtfertigung der Ungleichbehandlung der Teilzeitbeschäftigten durch aliquote Minderung des Anspruchs auf die Kinderzulage im Verhältnis zur Arbeitszeit.

4.2 Der Antragsgegner führt in dieser Hinsicht ins Treffen, dass Teilzeitbeschäftigung häufig in Form von Elternteilzeit (Teilzeitbeschäftigung in Zeiten einer Kinderbetreuung) besteht. Für das für diese Zeit gebührende gesetzliche Kinderbetreuungsgeld besteht eine Zuverdienstgrenze. Um sich das gesetzliche Kinderbetreuungsgeld in Beachtung dieser Einkommensgrenze zu sichern, müsste bei Auszahlung der Kinderzulage in voller Höhe (durchschnittlich monatlich 120 EUR pro Kind) das Ausmaß der Teilzeitbeschäftigung entsprechend herabgesetzt werden. Durch einen solchen Effekt würde die Teilzeitbeschäftigung nicht gefördert.

Der Antragsgegner weist zudem darauf hin, dass bei einem Verbot der Aliquotierung der Kinderzulage bei mehreren Kindern eine geringfügige Beschäftigung (darunter versteht man ein Beschäftigungsverhältnis, dessen Entgelt die Geringfügigkeitsgrenze nicht übersteigt und das mit abgabenrechtlichen Vorteilen verbunden ist) während eines Elternkarenzurlaubs nicht mehr möglich wäre, weil die Geringfügigkeitsgrenze (monatlich 376,26 EUR) durch mehrfache Kinderzulagen in voller Höhe bereits ausgeschöpft wäre.

4.3 Der Oberste Gerichtshof zieht als zusätzliche mögliche Rechtfertigungsgründe noch folgende Argumente in Betracht:

Ein Verbot der im zugrunde liegenden Kollektivvertrag normierten Aliquotierung der Kinderzulage bei Teilzeitbeschäftigung führt zu einer Benachteiligung jener Arbeitgeber, die mehrere Teilzeitbeschäftigte aufgenommen haben als andere Arbeitgeber. Damit ist unweigerlich eine Wettbewerbsverzerrung verbunden. Die Richtlinie 97/81/EG zur Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit will Wettbewerbsverzerrungen aber gerade vermeiden.

Die höhere Entgeltpflicht für die Arbeitgeber führt außerdem dazu, dass diese weniger Teilzeitbeschäftigte aufnehmen. Die erwähnte Richtlinie will die Teilzeitarbeit aber fördern (vgl EuGH C‑378/07 Rn 21) und die Flexibilität zwischen Voll- und Teilzeitbeschäftigungen erleichtern.

Gemäß § 22 Abs 1 des zugrunde liegenden Kollektivvertrags gebührt die zu beurteilende Kinderzulage seitens des Kreditinstituts für jedes Kind nur einmal. Ein anspruchsberechtigter Arbeitnehmer in Teilzeitarbeit kann durchaus mehrere solcher Arbeitsverhältnisse aufweisen. Im Fall der Beschäftigung bei einer anderen Bank, die beispielsweise demselben Kollektivvertrag unterliegt, hätte der Arbeitnehmer bei Verbot einer Aliquotierung der Kinderzulage im Verhältnis zur Arbeitszeit Anspruch auf mehrfache Auszahlung der vollen Kinderzulage. Dies würde zu einer Begünstigung von Teilzeitbeschäftigten gegenüber von Vollzeitbeschäftigten führen.

Eine Begünstigung von Teilzeitbeschäftigten könnte schließlich auch darin erblickt werden, dass diese über mehr arbeitsfreie Zeit als Vollzeitbeschäftigte verfügen. Dies ermöglicht ihnen, sich in einem größeren zeitlichen Ausmaß selbst um die Kindererziehung zu kümmern. Sie verfügen daher über bessere eigene Kinderbetreuungsmöglichkeiten, was mit einem geringeren finanziellen Aufwand für eine Fremdbetreuung verbunden sein kann.

4.4 Für den Obersten Gerichtshof ist somit fraglich, ob die genannten Gründe eine Ungleichbehandlung der Teilzeitbeschäftigten durch aliquote Minderung des Anspruchs auf Kinderzulage im Verhältnis zur Arbeitszeit (als angemessen und erforderlich) rechtfertigen können.

Bei dieser Beurteilung ist nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs zu berücksichtigen, dass den Sozialpartnern (so wie den Mitgliedstaaten) auf nationaler Ebene bei der Festlegung der sozial- und beschäftigungspolitischen Schutzziele (Rechtfertigungs-gründe) sowie der für ihre Erreichung geeigneten Maßnahmen ein weiter Ermessensspielraum zusteht (EuGH C‑297/10 und C‑298/10 Rn 65; C‑141/11 Rn 32; vgl auch EuGH C‑19/02 Rn 47). In der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist ebenso anerkannt, dass die Sozialpartner bei der Wahrnehmung ihres in Art 28 der Grundrechtecharta anerkannten Grundrechts auf Kollektivverhandlungen darauf geachtet haben, einen Ausgleich zwischen ihren jeweiligen Interessen festzulegen (EuGH C‑297/10 und C‑298/10 Rn 66). Dies bedeutet, dass bei der Beurteilung der Angemessenheit und Erforderlichkeit einer kollektivvertraglichen Maßnahme ein großzügiger Maßstab anzulegen sein wird. Im Zweifel wird daher die in einer Kollektivvertragsbestimmung zum Ausdruck gelangende übereinstimmende sozialpolitische Einschätzung zu einer sachliche Rechtfertigung im Sinn des § 4 Nr 1 der Rahmenvereinbarung im Anhang der Richtlinie 97/81/EG führen.

5. Interessenausgleich durch die Sozialpartner

5.1 Aus Art 152 Abs 1 AEUV geht hervor, dass die Union die Autonomie der Sozialpartner unter Berücksichtigung der Unterschiedlichkeit der nationalen Systeme achtet (EuGH C‑172/11 Rn 50; C‑271/08 Rn 39).

5.2 Art 28 der Grundrechtecharta normiert das Recht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber oder ihrer jeweiligen Organisationen, Kollektivverträge auf den geeigneten Ebenen auszuhandeln und abzuschließen. Der Begriff des Kollektivvertrags erfasst dabei alle Arten von kollektiven Vereinbarungen, die vom nationalen Recht zugelassen werden (Riedel in Meyer, Charta der Grundrechte der EU, Art 28 Rz 22).

In der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist geklärt, dass das Grundrecht auf Kollektivverhandlungen und auf kollektivvertragliche Regelungen im Einklang mit dem Unionsrecht ausgeübt werden muss und unionsrechtliche Diskriminierungsverbote daher zu beachten sind (EuGH C‑297/10 und C‑298/10 Rn 67 f; C‑447/09 Rn 47 f). Ebenso hat der Gerichtshof schon festgehalten, dass sich das Wesen durch Kollektivvertrag erlassener Maßnahmen vom Wesen einseitig im Gesetzes- oder Verordnungsweg von den Mitgliedstaaten erlassener Maßnahmen dadurch unterscheidet, dass die Sozialpartner bei der Wahrnehmung ihres in

Art

28 der Grundrechtecharta anerkannten Grundrechts auf Kollektivverhandlungen darauf geachtet haben, einen Ausgleich zwischen ihren jeweiligen Interessen festzulegen (EuGH C‑297/10 und C‑298/10 Rn 66).

Ein Kollektivvertrag dient somit dem beiderseitigen Interessenausgleich. Er hält das Ergebnis fest, das beide Kollektivvertragsparteien als sachlichen Endpunkt der Verhandlungen angesehen haben. Eine kollektivvertragliche Regelung ist demnach das Verhandlungsergebnis, das auf Konsens beruht, und dementsprechend eine zweiseitige Maßnahme.

5.3 Es entspricht nun auch der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass Art 28 der Grundrechtecharta in Verbindung mit Art 52 Abs 6 leg cit zu entnehmen ist, dass beim Schutz des Grundrechts auf Kollektivverhandlungen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten in vollem Umfang Rechnung zu tragen ist.

Sollte die zu beurteilende Aliquotierungsregelung zufolge Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot der Richtlinie zur Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit unionsrechtswidrig sein, so müsste die nationale Umsetzungsvorschrift, konkret § 19d AZG, im Lichte der Judikatur des Gerichtshofs ausgelegt werden. Dies hätte zur Konsequenz, dass diese zwingende gesetzliche Rechtsvorschrift (mangels ausdrücklicher gesetzlicher Ermächtigung) durch den zu beurteilenden Kollektivvertrag nicht abgedungen werden könnte. Eine mit zwingendem Recht in Widerspruch stehende Kollektivvertragsbestimmung ist nämlich nicht rechtsgültig und daher nichtig. Davon abgesehen besteht im normativen Teil von Kollektivverträgen eine Bindung der Kollektivvertragsparteien an Gleichbehandlungsgebote, zu denen auch die unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote zählen. Ein Verstoß dagegen hat ebenso die Nichtigkeit der betreffenden Regelung zur Folge (vgl dazu bei Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit C‑172/11 Rn 52).

Die Verneinung der Fragen 1 und 2 hätte somit zur Konsequenz, dass die Aliquotierungsvorschrift des § 22 Abs 4 des zugrunde liegenden Kollektivvertrags in Verbindung mit § 21 Abs 2 leg cit nichtig wäre. Dies würde bedeuten, dass die Teilzeitbeschäftigten im Anwendungsbereich des Kollektivvertrags Anspruch auf die gesamte Kinderzulage hätten.

5.4 Dieses Ergebnis entspricht nun allerdings nicht dem übereinstimmenden Willen der Sozialpartner (Kollektivvertragsparteien), den sie in Ausübung des Grundrechts auf Kollektivverhandlungen niedergeschrieben haben. Auf eine Auszahlung der gesamten Kinderzulage an Teilzeitbeschäftigte haben sie sich gerade nicht geeinigt. Der Antragsteller versucht vielmehr einseitig, einen Detailaspekt der Einigung zwischen den Sozialpartnern (Kollektivvertragsparteien) aus dem kollektivvertraglichen Regelwerk zu eliminieren.

Die Existenz von Sozialpartnern (Kollektivvertragsparteien) wird im österreichischen Arbeitsrecht grundsätzlich durch fachlich bzw branchenmäßig gegliederte gesetzliche Interessenvertretungen garantiert. Ebenfalls in einem genau gegliederten und strukturierten System können statt den gesetzlichen Interessenvertretungen freiwillige Interessenvertretungen zugelassen werden. Auf diese Weise ist garantiert, dass jeweils auf einer Seite (Arbeitgeber- bzw Arbeitnehmerseite) nur eine gesetzliche oder eine freiwillige Kollektivvertragspartei verhandlungsbefugt ist (§§ 4 ff des Arbeitsverfassungsgesetzes [ArbVG]). Durch das Zulassungssystem wird sichergestellt, dass besonders qualifizierte Verhandlungspartner einander gegenüberstehen. Die abgeschlossenen Kollektivverträge und vereinbarten Mindeststandars gelten regelmäßig für alle Arbeitnehmer in der jeweiligen Branche, auch wenn die Arbeitnehmer nicht Mitglied bei der verhandelnden Arbeitnehmer-Kollektivvertragspartei sind (§ 12 ArbVG). Unter Bedachtnahme auf die strikten und strukturierten Voraussetzungen für die Zulassung als Kollektivvertragspartei geht die Rechtsprechung grundsätzlich von einem Einschätzungsprärogativ der Sozialpartner bei den Kollektivverträgen aus. Bei der Auslegung eines Kollektivvertrags wird daher davon ausgegangen, dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten. Ebenso wird von jedem, der die Wirksamkeit von Kollektivvertragsregelungen in Frage stellt, verlangt, dass er den Nachweis für einen Gesetzes‑ oder Grundrechtsverstoß erbringt. Im Zweifel wird also davon ausgegangen, dass ein angemessener Ausgleich der Interessen stattgefunden hat. Dies stärkt das kollektivvertragliche Verhandlungsrecht, zumal die Arbeitnehmer‑Kollektivvertragspartei die Bedürfnisse der von ihr vertretenen Arbeitnehmergruppen wirksam einschätzen und darüber disponieren kann. Gleichzeitig ist die wirksame Festlegung sachlicher Grenzen für die Gewährung von Sozialleistungen, die ja allen Arbeitnehmern zugute kommen, oft wesentliche Voraussetzung für die Bereitschaft der Arbeitgeber-Kollektivvertragspartei zur Vereinbarung solcher Leistungen.

Eine Nichtigkeitssanktion lediglich der vom Antragsteller angegriffenen Aliquotierungsvorschrift könnte die Effizienz des Kollektivverhandlungsrechts beeinträchtigen und damit dem vom Verhandlungs- und Einigungsgedanken geprägten Grundrecht auf Kollektivverhandlung nach Art 28 der Grundrechtecharta zuwiderlaufen. Ein Indiz in diese Richtung lässt sich auch der Rechtsprechung des Gerichtshofs entnehmen. Bei Verletzung eines unionsrechtlichen Diskriminierungsverbots bleibt dem Verletzer im Allgemeinen die Freiheit der Wahl unter den verschiedenen Lösungen bzw Abhilfemaßnahmen (vgl EuGH C‑172/11 Rn 53).

Im Fall einer unionsrechtswidrigen kollektivvertraglichen Regelung spricht dies für die Notwendigkeit einer Neuverhandlung durch die Sozialpartner. Dies könnte bedingen, dass sich die Nichtigkeitssanktion einer gegen ein Diskriminierungsverbot verstoßenden Detailregelung in einem Kollektivvertrag nicht nur auf diese Detailregelung, sondern auf die gesamte kollektivvertragliche Vorschrift zum jeweiligen Regelungsbereich erstreckt. Ob bzw in welchem Umfang sich der einzelne Arbeitgeber auf diese Nichtigkeit berufen kann, muss im vorliegenden Fall nicht erörtert werden.

6. Der Ausspruch über die Aussetzung des Verfahrens gründet sich auf § 90a Abs 1 GOG.

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