OGH 2Ob175/14w

OGH2Ob175/14w22.1.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** P*****, vertreten durch Böhm Reckenzaun & Partner, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. K***** S*****, 2. F***** B*****, und 3. S***** AG, *****, alle vertreten durch Dr. Roman Moser, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 160.240,52 EUR sA, über die Revision der Klägerin (Revisionsinteresse 50.000 EUR) gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 27. Juni 2014, GZ 4 R 62/14s-36, womit infolge Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 27. Februar 2014, GZ 14 Cg 177/12p‑29, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0020OB00175.14W.0122.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Teilurteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung einschließlich des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teils wie folgt zu lauten hat:

„Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 130.003,30 EUR samt 4 % Zinsen seit 7. 2. 2014 und jeweils 4 % Zinsen aus 29.125,88 EUR vom 16. 7. 2012 bis 6. 2. 2014, aus 47.185 EUR vom 16. 2. bis 30. 11. 2012 und aus 38.185 EUR vom 1. 12. 2012 bis 6. 2. 2014 zu bezahlen.

Das Mehrbegehren auf Zahlung von 14.044,50 EUR samt Zinsen wird abgewiesen.“

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten aller drei Instanzen bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Entscheidungsgründe:

Am 24. 6. 2011 ereignete sich ein Unfall, bei dem die im Jahr 1955 geborene Klägerin aus dem Alleinverschulden des Erstbeklagten schwer verletzt wurde. Dieser hatte ein von der Zweitbeklagten gehaltenes und bei der Drittbeklagten versichertes Fahrzeug auf einer steilen Auffahrt abgestellt und weder einen Gang eingelegt noch die Handbremse angezogen. Das Fahrzeug löste sich daher aus seiner Parkposition, rollte rückwärts in Richtung einer am Ende des Abhangs vor einem Reisebus stehenden Reisegruppe, touchierte zunächst den Ehegatten der Klägerin und erfasste dann die Klägerin, die vom Fahrzeug mitgeschliffen und darunter eingekeilt wurde. Der Erstbeklagte wurde strafgerichtlich verurteilt und der Klägerin als Privatbeteiligter ein Teilschmerzengeld von 2.000 EUR, ihrem Ehemann ein solches von 500 EUR zuerkannt. Die Drittbeklagte zahlte der Klägerin insgesamt 43.370 EUR, und zwar 30.000 EUR Schmerzengeld, 9.000 EUR als Ersatz für Pflegeaufwand, 3.120 EUR Kosten für Haushaltshilfe und 1.250 EUR auf die Position Spesen/ Heilbehelfe.

Die Klägerin begehrt von den Beklagten ein weiteres Schmerzengeld von 100.000 EUR sowie Spesen für Pflege- und Betreuungsaufwand, Haushaltshilfe, Fahrtspesen/ Heilbehelfe, und den ihr vom Ehemann zedierten Anspruch auf Schockschaden bzw Trauerschmerzengeld, insgesamt sohin einen Gesamtbetrag von zuletzt 160.240,52 EUR sA.

Die Beklagten wendeten im Wesentlichen ein, die geforderten Beträge seien überhöht bzw zum Teil auch dem Grunde nach nicht zustehend.

Das Erstgericht traf zum vor dem Obersten Gerichtshof allein noch strittigen Schmerzengeldanspruch folgende für das Revisionsverfahren entscheidungsrelevante (und insoweit unbekämpfte) Feststellungen:

Die Klägerin erlitt nachfolgende, zum Teil lebensbedrohliche Verletzungen: Polytrauma mit schwerem Thoraxtrauma, Serienrippenfraktur beidseits (4 ‑ 7 rechts, 5 ‑ 8 links), ausgedehnte Lungenprellungen und Erguss beidseits, instabile Beckenringfraktur mit beidseitigem Bruch des Kreuzbeines und der Schambeinäste und Verrenkungsbruch der rechten Hüftpfanne, komplexer Schienbeinkopfbruch rechts, Zerrung der Halswirbelsäule mit Bruch des Querfortsatzes des 7. Halswirbelkörpers links, zahlreiche Prellungen und Hautabschürfungen.

In den ersten Wochen bestand Lebensgefahr, der Ausgang der Verletzungen war nicht vorherzusagen. In weiterer Folge entwickelte sich eine sklerosierende Cholangitis [Gallenwegsentzündung], die prinzipiell nicht heilbar ist, mit deutlichem Anstieg der Leberparameter und ausgeprägtem Ikterus [„Gelbsucht“]. Diese Veränderungen sind kausal aufgrund der Schwere der Verletzung, der langen Schockphase und der intensivmedizinischen Behandlung. Da eine Lebertransplantation einen sehr großen chirurgischen Eingriff mit entsprechender Komplikationsrate darstellt, ist davon auszugehen, dass eine derartige Operation nur dann indiziert ist, wenn die eigene Leber nicht mehr in der Lage ist, die Funktion ausreichend zu bewerkstelligen und somit für die Patientin auch in der Folge eine unmittelbare Lebensgefahr anzunehmen ist. Die Klägerin benötigt eine neue Leber.

Die Klägerin befand sich vom 24. 6. bis 15. 9. 2011 in stationärer Behandlung im Krankenhaus, vom 12. 10. bis 30. 11. 2011 und vom 15. 2. bis 20. 3. 2012 in einem Rehabilitationszentrum. Vom 6. bis 15. 5. 2012 erfolgte eine stationäre Behandlung an einer gastroenterologischen Klinik und in weiterer Folge vom 9. bis 14. 6. 2012, vom 19. bis 28. 6. 2012 und vom 10. bis 17. 7. 2012 an einem Klinikum für Transplantationschirurgie. Zwischen dem 31. 7. und dem 3. 8. 2012 war die Klägerin wieder im Krankenhaus und vom 3. bis 7. 8. 2012 an der gastroenterologischen Klinik stationär aufhältig. Im Zeitraum vom 13. 11. bis 4. 12. 2012 absolvierte sie neuerlich eine Rehabilitation.

Komprimiert auf einen 24-Stunden-Tag hatte die Klägerin bis zu Untersuchung durch den medizinischen Sachverständigen am 7. 3. 2013 (ON 14, Seite 1 und 6) 29 Tage starke, 27 Tage mittelstarke und 95 Tage leichte Schmerzen zu erdulden. Zusätzlich sind für die nächsten acht Jahre noch 100 Tage leichte Schmerzen (allein für die knöchernen Gelenksverletzungen) anzunehmen. Im Schmerzkatalog nicht inkludiert sind die durch die Cholangitis verursachten Beschwerden wie Juckreiz, Müdigkeit und Antriebslosigkeit.

Im März 2013 waren bereits folgende kausale Dauerfolgen eingetreten: sämtliche Operationsnarben, bland und funktionell nicht behindernd, Beschwerden im Bereich der Narbe im Rippenbereich, Hautareal mit verminderter Belastbarkeit und lokaler Berührungsempfindlichkeit nach Weichteildefekt unterhalb des Außenknöchels, Notwendigkeit der einliegenden Implantate im Bereich des Beckens und der Hüftpfanne rechts, die Platten im Bereich des Außenknöchels und des Schienbeinkopfes außen unter der Haut tastbar mit lokaler Berührungsempfindlichkeit, sklerosierende Cholangitis mit bestehendem Juckreiz, Müdigkeit und Antriebslosigkeit, möglicherweise Notwendigkeit einer Lebertransplantation mit den Begleitfaktoren (Warteliste auf ein entsprechendes Organ, unsichere Prognose und weiterer Verlauf), schmerzhafte Bewegungseinschränkung des Hüftgelenks rechts, schmerzhafte Einschränkung des Kniegelenks rechts mit Restinstabilität, schmerzhafte Einschränkung des Sprunggelenks rechts, bereits aufgetretene posttraumatische Arthrose des rechten Hüftgelenks und des Kniegelenks, Sensibilitätsstörung im Bereich des rechten Rückfußes, hinkendes Gangbild, Muskelatrophie und deutliche funktionelle Einschränkung.

Kausale Spätfolgen sind nicht auszuschließen. Möglich wären: Auftreten einer posttraumatischen Arthrose in allen betroffenen Gelenken und/bzw die Zunahme der bereits im Hüft- und Kniegelenk rechts vorhandenen Arthrose, Komplikationen über den einliegenden Implantaten (Infekt, Schraubenwanderung, Bursa, Plattenbruch) und Komplikationen bei einer eventuell durchzuführenden Metallentfernung, Komplikationen bei einer eventuell rechtzeitig durchgeführten Lebertransplantation, Verschlechterung des Allgemeinzustands aufgrund der Cholangitis bei nicht rechtzeitigem Eintreffen des Spendertransplantats, Verwachsungen und Einschränkungen der Vitalkapazität, Infekt und Ergussbildung im Bereich der Brustkorbhöhlen, eventuell zunehmende Schmerzen durch eine Kapselspannung in der Leber.

Der Allgemeinzustand der Klägerin lässt sonst zur Verfügung stehende operative Eingriffe gegen die posttraumatische Arthrose (Gelenkstoilette, Arthrodese, Prothese oder ähnliches) nicht zu. Zusätzlich werden die Beschwerden der Klägerin durch die Kombination von Beschwerden im Bereich von Gelenken mit Funktionseinschränkungen und die bei ihr vorliegende Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes potenziert. Bei der Klägerin besteht nach wie vor ein Zustand von Müdigkeit, Antriebslosigkeit und Schlaflosigkeit. Verstärkt werden diese Zustände durch Kreislaufprobleme und die ständige Angst vor der Zukunft aufgrund der Unsicherheiten wegen des Zustandes der Leber. Insbesondere in der Nacht leidet die Klägerin seit dem Unfall unter Todesangst, ihre Gedanken kreisen ständig um dieses Thema und es ist ihr bewusst, dass sie eine verkürzte Lebensdauer hat. Darüber hinaus besteht nach wie vor ein Juckreiz und es ist als weitere Folge des Unfalls eine starke Osteoporose hinzugekommen, die auch auf den Zustand der Leber zurückzuführen ist und sich wahrscheinlich verschlechtern wird. Der Klägerin wurde von Ärzten mitgeteilt, dass sich ihr Zustand verschlechtern und sie in Zukunft wahrscheinlich nicht mehr werde gehen können. Weiters verursacht die Spannung der Leberkapsel zusätzliche Schmerzen. Der Klägerin wurde ein Invaliditätsgrad von 90 % zuerkannt.

Vor dem Unfall übte die Klägerin intensiv Sport aus, der einen Hauptteil ihres Lebens einnahm. Gemeinsam mit ihrem Ehegatten war sie etwa 40 bis 60mal im Jahr Skifahren, zusätzlich praktizierte sie Langlaufen und machte Skitouren. Im Sommer unternahmen die Ehegatten viele Bergtouren und fuhren Rad. Sie reisten sehr viel, auch mit ihrem Wohnmobil. Seit dem Unfall kann die Klägerin das alles nicht mehr unternehmen; sie sitzt hauptsächlich im Haus herum, was sie naturgemäß sehr belastet. Das vor dem Unfall normale Sexualleben der Eheleute besteht seit dem Unfall nicht mehr.

Das Erstgericht erachtete aufgrund der erlittenen und noch zu erwartenden Schmerzen, der großen Anzahl an Dauerfolgen und zu erwartenden Spätfolgen, die teilweise bereits eingetreten seien und eine Verschlechterung ihres Zustands erahnen ließen, dem sich daraus ergebenden Bewusstsein, dass sich ihr Leben in negativer Weise nachhaltig verändert habe und der bestehenden Unsicherheiten im Hinblick auf die Zukunft, der bestehenden Todesangst in Verbindung mit der nahezu gänzlich entzogenen Lebensfreude und der sich insgesamt ergebenden immensen psychischen Belastung ein Schmerzengeld von insgesamt 125.000 EUR für angemessen. Dem diesbezüglichen Begehren der Klägerin auf Zahlung von 100.000 EUR (130.000 EUR minus der bereits empfangenen 30.000 EUR) gab es daher mit 95.000 EUR statt und wies das diesbezügliche Mehrbegehren von 5.000 EUR ab. Auch im Hinblick auf die weiteren ‑ in dritter Instanz nicht mehr strittigen bzw nicht vom Teilurteil des Berufungsgerichts umfassten ‑ Positionen erfolgten Zusprüche.

Das Berufungsgericht ging von einem angemessenen Schmerzengeld von bloß 80.000 EUR aus und sprach der Klägerin aus diesem Titel mittels Teilurteils einen Betrag von 48.000 EUR zu (80.000 EUR minus der bereits empfangenen 30.000 EUR sowie des Zuspruchs von 2.000 EUR im Strafverfahren). Die Verletzungen der Klägerin würden nicht das Ausmaß und die „Qualität“ von Beeinträchtigungen (häufig Lähmungen, hirnorganische Psychosyndrome) erreichen, die ein Schmerzengeld von 130.000 EUR (Klägerin) oder 125.000 EUR (Erstgericht) rechtfertigen würden. Umgekehrt erscheine das von den Beklagten angestrebte Schmerzengeld von 50.000 EUR als deutlich zu niedrig gegriffen. Mit dem genannten Teilurteil erledigte das Berufungsgericht auch die Klagsforderungen aus dem Titel Pflegeaufwand, Haushaltshilfe, Kosten der Neueinkleidung und Schockschaden/Trauerschaden des Ehemanns, sodass es insgesamt den Betrag von 80.003,30 EUR sA zusprach. In Bezug auf die Positionen Spesen/Heilbehelfe hob es das Urteil des Erstgerichts (hinsichtlich des Zuspruchs von weiteren 16.192,72 EUR sA) auf und verwies die Rechtssache insoweit an das Erstgericht zurück. Die ordentliche Revision gegen das Teilurteil erklärte das Berufungsgericht zur Rechtsfrage des Ersatzes des Trauerschadens für zulässig.

Die Klägerin wendet sich in ihrer Revision ausschließlich gegen die Abweisung eines Schmerzengeld‑(mehr‑)betrags von 50.000 EUR. Sie beantragt, das angefochtene Teilurteil dahin abzuändern, dass ihr 130.000,30 EUR sA zugesprochen werden; in eventu stellte sie einen Aufhebungsantrag. In Anbetracht der getroffenen Feststellungen sei dem Berufungsgericht eine eklatante Fehlbemessung des Schmerzengelds vorzuwerfen. Allein aus dem körperlichen Zustand der Klägerin und der erlittenen bzw der noch zu erwartenden Schmerzen ergebe sich eine außergewöhnliche Art, Dauer und Stärke der Schmerzen. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sei speziell bei Verletzungsbildern mit lebenslangen Beeinträchtigungen das Schmerzengeld nicht zu knapp zu bemessen. Im vorliegenden Fall könne bei der Klägerin jederzeit ein Leberversagen eintreten. Die Klägerin sei durch den Unfall ständig mit ihrem möglichen Tod konfrontiert. Die dadurch verursachte psychische Alteration äußere sich durch einen Zustand extremer Hilflosigkeit, da für die Klägerin nicht absehbar sei, ob und wann sie überhaupt eine neue Leber erhalten werde. Durch ihren Invaliditätsgrad von 90 % sei die Klägerin auf die ständige Hilfe ihres Gatten angewiesen. Die Angemessenheit des begehrten Schmerzengelds von insgesamt 130.000 EUR werde auf die mehrfachen schweren, lebensbedrohlichen Verletzungen, den komplizierten Heilungsverlauf, der schließlich zu einer sklerosierenden Cholangitis geführt habe, die beträchtlichen Schmerzperioden und die schwerwiegenden Dauerfolgen mit ungewisser verbleibender Lebensdauer, sowie schließlich auch auf die unfallsbedingten psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin gestützt.

Im Übrigen macht die Klägerin eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend, die darin gelegen sei, dass das Berufungsgericht über den Berufungspunkt Kostenbegehren (vorprozessuale Kosten) nicht entschieden, sondern die Kostenentscheidung der Endentscheidung vorbehalten hat.

Die Beklagten beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Weiterentwicklung der Rechtsprechung zur Höhe von Schmerzengeldansprüchen bei schweren Verletzungen mit Dauerfolgen zulässig und berechtigt.

1. Das Schmerzengeld ist die Genugtuung für alles Ungemach, das der Geschädigte infolge seiner Verletzungen und ihrer Folgen zu erdulden hat. Es soll den Gesamtkomplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf die Dauer und die Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzungen und auf das Maß der physischen und psychischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustands abgelten und die durch Schmerzen entstandenen Unlustgefühle ausgleichen. Das Schmerzengeld ist nach freier Überzeugung (§ 273 ZPO) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls für alles Ungemach, das der Verletzte bereits erduldet hat und voraussichtlich noch zu erdulden haben wird, grundsätzlich global festzusetzen (2 Ob 105/09v mwN; Danzl in Danzl/Gutièrrez-Lobos/Müller, Schmerzengeld10 68). Tendenziell erscheint es geboten, das Schmerzengeld nicht zu knapp zu bemessen (Danzl aaO 72; RIS-Justiz RS0031075 [T4]; 2 Ob 242/09s; 2 Ob 83/14s). In die Globalbemessung des Schmerzengelds sind neben den bereits erlittenen Schmerzen auch künftige, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zu erwartende körperliche und seelische Schmerzen einzubeziehen (2 Ob 261/04b; 2 Ob 78/05t; 2 Ob 101/05z; 2 Ob 240/10y). Unter diesem Gesichtspunkt kann etwa auch das Bewusstsein eines die gewohnte Lebensgestaltung nachhaltig beeinflussenden Dauerschadens und die damit verbundene seelische Belastung sowie das Gefühl der Todesangst bei der Bemessung des Schmerzengelds in Betracht zu ziehen sein (vgl Danzl aaO 155 f).

2. Das Berufungsgericht hat zutreffend aufgezeigt, dass nach bisheriger Rechtsprechung die Zuerkennung von Schmerzengeld etwa in der Höhe der hier vom Erstgericht vorgenommenen Zumessung häufig im Fall von Lähmungen oder hirnorganischen Psychosyndromen erfolgte. So wurde in der Entscheidung 2 Ob 104/06t (ZVR 2006/157 [Danzl]) für einen zwanzigjährigen Mann mit schwerem Schädelhirntrauma samt (nahezu) apallischem Syndrom (Wachkoma) mit Lähmung aller Extremitäten und ohne sprachliche Äußerungsmöglichkeit ein Schmerzengeld von 180.000 EUR für angemessen erachtet. Mit der Entscheidung 2 Ob 180/04s (ZVR 2004/113 [Danzl]) wurde der zum Unfallszeitpunkt 41 Jahre alten Klägerin für ein schwerstes Schädelhirntrauma mit Gehirnquetschung, Hirnödem, Mittelgesichtsfraktur, Nasenbeinfraktur, Abknicktrauma der Halswirbelsäule, Tetraspastik mit Verkürzung der Muskulatur, schwerste Gehbehinderungen und 100 % Minderung der Erwerbsfähigkeit ohne Besserungsaussicht ein Schmerzengeldbetrag von 160.000 EUR zuerkannt.

3.1. Im vorliegenden Fall leidet die Klägerin zwar weder an vergleichbaren Gehirnschäden bzw Lähmungen, jedoch fällt hier besonders die Dauerfolge der sklerosierenden Cholangitis mit der Problematik des ungewissen Wartens auf eine Spenderleber und die damit im Zusammenhang stehende ständige Todesangst ins Gewicht.

3.2. Der gegenständliche Fall ist aber auch dadurch ganz wesentlich geprägt, dass die Klägerin durch den Unfall aus einem besonders sportlich aktiven Leben gerissen wurde und nunmehr neben der massiven Beeinträchtigung ihres Allgemeinzustands ‑ der ihr seit diesem lebenseinschneidenden Ereignis jegliche sportliche (aber auch sexuell‑partnerschaftliche) Aktivitäten verunmöglicht und dessen wahrscheinliche Verschlechterung allenfalls sogar dazu führen wird, dass ihr in Zukunft auch das Gehen unmöglich sein wird ‑ in einer zeitlich unbegrenzten ständigen Unsicherheit wegen des Zustands ihrer Leber und deren voraussichtlich erforderlicher Transplantation lebt. Diese Umstände, insbesondere die zeitlich unbegrenzte Todesangst, rechtfertigen eine erhebliche Erhöhung des vom Berufungsgericht ausgemessenen Schmerzengelds. Diese Zukunfts‑ und Todesangst, die als „seelisch bedingter Folgeschaden der Verletzungshandlung“ (vgl Danzl aaO 154) ersatzfähig ist, liegt hier in einem zeitlich besonders ausgedehnten Ausmaß vor und stellt damit ebenfalls eine in die Schmerzengeldbemessung einfließende, ganz wesentliche Verletzungsfolge dar.

4.1. Die Zuerkennung höherer Beträge im Vergleich zu früheren Schmerzengeldzusprüchen ist einerseits aufgrund der inflationsbedingten Geldentwertung (vgl 3 Ob 128/11m = ZVR 2012/129 [Ch. Huber]) und andererseits aufgrund der oben zu 1. zitierten Rechtsprechung, wonach das Schmerzengeld tendenziell nicht zu knapp zu bemessen ist (zuletzt 2 Ob 83/14s), gerechtfertigt.

4.2. Der Senat hat kürzlich in dieser zuletzt zitierten Entscheidung 2 Ob 83/14s im Zusammenhang mit einer Klägerin, die von einem Traktoranhänger überrollt wurde und einen ausgedehnten Weichteilverlust vom Unterbauch bis zu den Oberschenkeln und zahlreiche Knochenbrüche im Beckenbereich erlitten hatte, samt zahlreicher Operationen und Rehabilitationen, einem künstlichen Darmausgang und Rückoperation, Gefühllosigkeit im Unterleib und dauerhaften starken Schmerzen trotz starker Medikamente (mit dadurch verursachter Opiatabhängigkeit), reaktiver Depression und posttraumatischer Belastungsstörung, ein Teilschmerzengeld von 170.000 EUR für vertretbar erachtet.

5. Im Lichte dieser jüngeren Rechtsprechung hält der Senat im konkreten Fall den begehrten Schmerzengeldbetrag von 130.000 EUR im Rahmen der Globalbemessung für angemessen.

6. Der Verfahrensrüge der Klägerin ist entgegen zu halten, dass ein Vorbehalt der Kostenentscheidung bis zur rechtskräftigen Erledigung der Streitsache nicht anfechtbar ist (§ 52 Abs 1 ZPO). Die Tatsache, dass sich das Berufungsgericht nicht mit der Anfechtung der Kostenentscheidung erster Instanz auseinandersetzte, ist keine mit Revision bekämpfbare Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (RIS-Justiz RS0042966; zur Unanfechtbarkeit von Kostenentscheidungen im Revisionsverfahren siehe § 528 Abs 2 Z 3 ZPO iVm RIS‑Justiz RS0007695 uva).

7. Der Revision war somit Folge zu geben. Der Schmerzengeldzuspruch des Berufungsgerichts war um 50.000 EUR zu erhöhen und das angefochtene Teilurteil in diesem Sinne abzuändern.

8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 4 ZPO.

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