OGH 10ObS137/14s

OGH10ObS137/14s16.12.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und KR Karl Frint (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Mag. Christoph Arnold und Mag. Fiona Arnold, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Berufsunfähigkeits-pension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Juli 2014, GZ 25 Rs 54/14y-39, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 11. Februar 2014, GZ 75 Cgs 352/12t-34, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:010OBS00137.14S.1216.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Der 1961 geborene Kläger hat eine Lehre als Großhandelskaufmann abgeschlossen. Bis 16. 4. 2007 war er als angestellter Geschäftsführer eines in Liechtenstein ansässigen Unternehmens tätig. Seit damals geht er weder in Liechtenstein noch in Österreich einer Berufstätigkeit nach. Nach dem Ende seiner Berufstätigkeit bezog er aus Liechtenstein zwei Jahre Krankengeld (AS 107). Am 16. 4. 2009 stellte er den Antrag auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension.

Mit Bescheid vom 24. 9. 2012 wies die beklagte Partei diesen Antrag mit der Begründung ab, dass Berufsunfähigkeit nicht vorliege.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Klage.

Die beklagte Partei beantragte Klageabweisung.

Das Erstgericht wies das gegen den abweislichen Bescheid gerichtete Klagebegehren ab.

Es traf über die eingangs wiedergegebenen Feststellungen hinaus folgende weitere Feststellungen:

„Auf Grund seiner medizinischen Einschränkungen kann der Kläger nur mehr leichte körperliche Arbeiten sowie leichte, mittelschwere und fallweise verantwortungsvolle geistige Tätigkeiten überwiegend im Sitzen und Stehen ausüben. Arbeiten im Gehen sind ihm ohne Pause nur für eine halbe Stunde zumutbar, im Anschluss benötigt er eine Pause von ca drei Minuten. Die Möglichkeit zu einem Wechsel der Körperhaltung sollte in stündlichen Intervallen gegeben sein (ohne dass eine Arbeitsunterbrechung nötig wäre). Zu vermeiden sind Arbeiten unter besonderem Zeitdruck (fallweise besonderer Zeitdruck ist zumutbar). Zu vermeiden sind weiters Überkopfarbeiten, häufiges oder routinemäßiges Bücken, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten und an höhenexponierten Stellen. Dauerndes Treppensteigen ist nicht möglich.

In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. 5. 2009) war der Kläger in Liechtenstein insgesamt 116 Beitragsmonate hindurch als Verkaufsleiter in zwei Unternehmen tätig, und zwar von 1. 1. 1999 bis 16. 11. 2004 bei der Firma I***** und von Jänner 2005 bis 16. 4. 2007 bei der Firma A*****. Unternehmensgegenstand war jeweils der Verkauf von Dienstleistungen der Betriebshygiene. Die Reinigungsarbeiten wurden von Reinigungskräften ausgeführt, deren Arbeit von Objektleitern kontrolliert wurde. Der Kläger war in beiden Unternehmen jeweils Leiter des operativen Geschäfts und allein zeichnungsberechtigt. Bei der Firma I***** war er für ca 45 bis 55 Mitarbeiter und bei der Firma A***** für ca 35 bis 40 Mitarbeiter allein verantwortlich. Es oblagen ihm die Einstellung, Einschulung und Führung des Personals, das Auftragswesen und die Kundenakquisition, die Kundenbetreuung, die Vorführung der Reinigungstechnik bei Kunden, die Vertragsverhandlungen und Geschäftsabschlüsse (ohne Vorgaben bei den Konditionen seitens des Verwaltungsrats), die Planung, Organisation, Lohnverrechnung, Nachkalkulation, der Einkauf sowie die Erstellung von Vorschlägen für Investitionen und Veränderungen an den Verwaltungsrat. Diese Tätigkeit ist mit verantwortungsvollen und sehr verantwortungsvollen geistigen Arbeiten unter jedenfalls zeitweise besonderem Zeitdruck verbunden und überschreitet daher das medizinische Leistungskalkül des Klägers. Seine Berufstätigkeit als angestellter Geschäftsführer in Liechtenstein ist analog einer Anstellung in der Verwendungsgruppe VI des (österreichischen) Kollektivvertrags der Angestellten im Reinigungsgewerbe („Angestellte mit umfassenden Kenntnissen und Erfahrungen in leitenden, das Unternehmen in ihrem Wirkungsbereich entscheidend beeinflussenden Stellungen“) zu sehen. Mit dem medizinischen Leistungskalkül des Klägers sind nur mehr der Verwendungsgruppe IV entsprechende Berufstätigkeiten vereinbar („Angestellte, die schwierige Arbeiten verantwortlich selbständig ausführen, wozu besondere Fachkenntnisse und praktische Erfahrungen erforderlich sind“), wie zB die Tätigkeit eines Sachbearbeiters mit Führungsaufgaben, eines Gesamtleiters oder eines selbständigen Buchhalters. Kalkülsüberschreitend sind hingegen Tätigkeiten, die der Verwendungsgruppe V („Angestellte mit verantwortungsvollen und fallweise sehr verantwortungsvollen geistigen Arbeiten“) entsprechen. Bewertet man die Beschäftigungsmöglichkeiten des Klägers zum Stichtag (dem 1. 5. 2009), liegt ein Zeitraum von zwei Jahren ohne Beschäftigung infolge eines Krankenstands vor. Vor diesem Hintergrund ist eine Anstellung in einer Tätigkeit der Verwendungsgruppe IV aus berufskundlicher Sicht als durchaus möglich zu bewerten. Wollte man hingegen auf das Jahr 2013 abstellen ‑ in diesem Fall wäre der Kläger über sechs Jahre beschäftigungslos ‑ wäre es aus berufskundlicher Sicht unrealistisch anzunehmen, dass er eine Beschäftigung in einer Tätigkeit der Verwendungsgruppe IV erlangen könnte, ohne zuvor ein bis zwei Jahre in einer Tätigkeit der Verwendungsgruppe III (als Handelsvertreter im Angestelltenverhältnis oder als Sachbearbeiter der Verwendungsgruppe III) gearbeitet zu haben, in welcher er beweisen könnte, dass er die entsprechenden Fachkenntnisse und das Durchsetzungsvermögen für eine verantwortungsvolle und selbständig auszuführende Tätigkeit besitze. Eine Beschäftigung in der Verwendungsgruppe III wäre mit dem medizinischen Leistungskalkül des Klägers vereinbar.

Rechtlich ging das Erstgericht zusammengefasst davon aus, auch im vorliegenden Fall sei die Rechtsprechung anwendbar, nach der bei Versicherten, die vor dem Stichtag jahrelang in keinem Beschäftigungsverhältnis gestanden seien, bei Überprüfung der Verweisbarkeit der soziale Wert maßgeblich sei, den die Kenntnisse und Fähigkeiten, die bei der zuletzt ausgeübten Tätigkeit von Bedeutung waren, unter den Verhältnissen zum Stichtag haben. Es sei davon auszugehen, dass „der soziale Wert“ der zuletzt vom Kläger augeübten Tätigkeit unter den zum Stichtag am Arbeitsmarkt herrschenden Verhältnissen nur noch jenem einer Tätigkeit der Verwendungsgruppe IV entspreche. Ein unzumutbarer sozialer Abstieg sei durch eine Verweisung auf Tätigkeiten der Verwendungsgruppe IV nicht gegeben, weil der Kläger nach wie vor mit Führungsaufgaben betraut werden könnte und als Gesamtleiter auch eine den Tätigkeiten von seiner zweijährigen Absenz nicht unähnliche Verantwortung inne hätte. Berufsunfähigkeit liege daher nicht vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Wenngleich die vom Erstgericht als anwendbar erachtete Judikatur ausgehend von einer längeren Berufsabsenz entwickelt worden sei (10 ObS 83/91: 22 Jahre; 10 ObS 256/92: 20 Jahre; 10 ObS 164/99m: 18 Jahre), komme ihr aufgrund der Schnelllebigkeit der Arbeitswelt auch bei kürzerer Beschäftigungsdauer Geltung zu. Aus diesem Grund bedinge die Verweisung des Klägers auf Tätigkeiten der Beschäftigungsgruppe III und IV keinen unzumutbaren Abstieg; die Berufsunfähigkeit des Klägers sei deshalb zu verneinen. Die Revision sei zulässig, weil noch keine oberstgerichtliche Entscheidung dazu bestehe, ob die zu einer langjährigen Berufsabsenz entwickelte Judikatur, nach der es bei der Lösung der Frage des sozialen Abstiegs entscheidend sei, welchen Wert die Allgemeinheit der vorhandenen Ausbildung und den vorhandenen Kenntnissen und Fähigkeiten zum Zeitpunkt des Stichtags beimisst, auch für eine nur zweijährige Abwesenheit vom Arbeitsmarkt zum Tragen komme.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Der Revisionswerber macht zusammengefasst geltend, die von den Vorinstanzen herangezogene Rechtsprechung beruhe auf weit längeren als zweijährigen Berufsabsenzen. Sie treffe auf ihn nicht zu, weil es der Lebenserfahrung widerspreche, dass Berufstätige, die ihren Beruf lediglich zwei Jahre hindurch nicht ausgeübt haben, später nur mehr in geringer eingestuften Berufstätigkeiten eingesetzt werden. Eine Verweisung auf eine Tätigkeit entsprechend der Verwendungsgruppe III oder IV komme für ihn daher nicht in Betracht. Ausgehend von seiner Tätigkeit entsprechend der Verwendungsgruppe VI sei er lediglich auf Tätigkeiten entsprechend der Verwendungsgruppe V verweisbar, die aber sein medizinisches Leistungskalkül überschreiten würden.

Dazu ist auszuführen:

1.1 Nach § 273 Abs 1 ASVG in der zum Stichtag 1. 5. 2009 geltenden Fassung BGBl I Nr 145/2003 gilt ein Versicherter als berufsunfähig, dessen Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen und geistigen Zustands auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist.

1.2 Die Pensionsversicherung der Angestellten ist somit eine Berufsversicherung (Berufsgruppenversicherung), deren Leistungen bereits einsetzen, wenn der Versicherte infolge seines körperlichen und/oder geistigen Zustands einen Beruf seiner Berufsgruppe nicht mehr ausüben kann. Dabei ist von jenem Angestelltenberuf auszugehen, den der Versicherte zuletzt ausgeübt hat. Dieser Beruf bestimmt das Verweisungsfeld, dh die Summe aller Berufe, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen sind, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen (RIS-Justiz RS0084867).

1.3 Der Versicherte darf innerhalb seiner Berufsgruppe nicht auf eine Berufstätigkeit verwiesen werden, deren Ausübung für ihn mit einem unzumutbaren sozialen Abstieg verbunden wäre. Hiefür ist die Einschätzung der Allgemeinheit maßgebend. Die Einstufung einer Tätigkeit in einem Kollektivvertrag kann ein Indiz für diese Einschätzung bilden und daher zur Beurteilung des sozialen Werts einer Tätigkeit herangezogen werden. Die Verweisung eines Angestellten auf Tätigkeiten, die einer Beschäftigungsgruppe unmittelbar nachgeordnet ist, ist in der Regel zulässig (RIS-Justiz RS0085599 [T7]). Dies, auch wenn es sich dabei um Arbeiten mit weniger Eigenverantwortung handelt. Gewisse Einbußen an Entlohnung und sozialem Prestige muss ein Versicherter hinnehmen (RIS-Justiz RS0085599 [T2]). Wesentlich ist vielmehr die Stellung in der Betriebshierarchie, die damit verbundene Verantwortung für den Betriebsablauf und das hieraus resultierende Ansehen, das eine bestimmte Tätigkeit in den Augen der Umwelt genießt (RIS-Justiz RS0085599 [T10]).

1.4 Grundsätzlich gilt, dass bei der Feststellung, ob ein Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension besteht, die Verhältnisse am Stichtag berücksichtigt werden müssen. Ebenso wie der körperliche und geistige Zustand des Versicherten am Stichtag maßgebend ist, ist auch die Frage seiner Verweisbarkeit nach den Verhältnissen zum Stichtag zu beurteilen. Es kommt daher auch bei der Lösung der Frage eines unzumutbaren sozialen Abstiegs auf den sozialen Wert an, den die Ausbildung und die Kenntnisse und Fähigkeiten, die in der zuletzt ausgeübten Berufstätigkeit von Bedeutung waren, unter den Verhältnissen zum Zeitpunkt des Stichtags haben (RIS-Justiz RS0084890). Hiefür kann nur der soziale Wert einer Tätigkeit aus der Zeit maßgebend sein, in der die Berufstätigkeiten miteinander verglichen werden können, nicht aber der Wert aus verschiedenen Zeiten (10 ObS 160/89, SSV-NF 3/108).

1.5 Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Berufstätige, die ihren Beruf längere Zeit nicht ausgeübt haben, später nur mehr in geringer eingestuften Berufstätigkeiten eingesetzt werden, also gleichsam „von vorn beginnen“ müssen. Dies kann bei der Frage der Zumutbarkeit eines sozialen Abstiegs nicht unberücksichtigt bleiben, weil es nicht gerechtfertigt wäre, für den Pensionsanspruch jene Behandlung außer Betracht zu lassen, die dem Versicherten im Berufsleben tatsächlich zuteil würde (10 ObS 85/95, SSV-NF 9/48 mwN ua). Hat ein Berufstätiger seinen Beruf vor dem Stichtag nicht ausgeübt, dann ist nach ständiger Rechtsprechung bei der Prüfung der Verweisbarkeit der soziale Wert wesentlich, den die Allgemeinheit der Ausbildung und den Kenntnissen und Fähigkeiten, die bei der zuletzt ausgeübten Tätigkeit von Bedeutung waren, zum Zeitpunkt des Stichtags beimisst (RIS‑Justiz RS0084926 [T3]). Die Einstufung einer Tätigkeit in einem Kollektivvertrag kann ein Indiz für die Einschätzung des sozialen Werts sein und kann daher zur Beurteilung des sozialen Abstiegs herangezogen werden (RIS-Justiz RS0084890 [T3] mwN).

1.6 So wurde etwa in der Entscheidung 10 ObS 164/99m darauf hingewiesen, dass die Arbeitstechnik und die Arbeitsweise von Büroangestellten insbesondere durch den Einsatz von EDV-Geräten in den 18 Jahren seit der letzten Berufstätigkeit der Versicherten eine so wesentliche Änderung erfahren haben, dass die Kenntnisse und Fähigkeiten, die eine Büroangestellte während ihrer (erlernten und ausgeübten) Angestelltentätigkeit erworben hat, am Stichtag nur mehr einen geringen Wert hatten. Der Entscheidung 10 ObS 100/06p lag zugrunde, dass die von der Versicherten 1980 aufgegebene Berufstätigkeit als wissenschaftliche Verlagslektorin nicht mehr existiert. Jene Kenntnisse und Fähigkeiten, die 1980 für die Tätigkeit einer wissenschaftlichen Vertragslektorin und Übersetzerin bedeutsam waren, rechtfertigten aber zur Zeit des Stichtags (1. 12. 1999) nur mehr eine Einstufung in die Beschäftigungsgruppe 2 des Kollektivvertrags für die Handelsangestellten (zB Informationsdiensttätigkeiten bzw Rezeptionistentätigkeiten in Großbetrieben und öffentlichen Institutionen). Nach der Entscheidung 10 ObS 100/99z, SSV‑NF 13/112, war ein zuletzt sieben Jahre vor dem Stichtag als EDV-Fachkraft in der Verwendungsgruppe IV bis V tätig gewesener Versicherter, der in der Folge aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr berufstätig war, auf Tätigkeiten der Verwendungsgruppe II verweisbar, weil der soziale Wert der seinerzeit erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nur mehr eine Einstufung in diese niedrige Verwendungsgruppe rechtfertigte.

1.7 Nicht maßgeblich sind hingegen jene Kenntnisse und Fähigkeiten, die der Versicherte am Stichtag noch besitzt, weil sich danach die Frage eines unzumutbaren sozialen Abstiegs nicht richten kann. Der Verlust von Kenntnissen und Fähigkeiten geht nämlich in der Regel gerade auf den geistigen und körperlichen Zustand des Versicherten zum Zeitpunkt des Stichtags zurück. Würde man bei der Entscheidung der Frage, ob eine Verweisungstätigkeit einen unzumutbaren sozialen Abstieg bedeutet, rein von den am Stichtag vorhandenen Kenntnissen und Fähigkeiten des Versicherten ausgehen, wären Versicherte, die wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen die bis unmittelbar vor dem Stichtag ausgeübte Tätigkeit nicht mehr ausüben können, ohne Rücksicht auf den damit verbundenen sozialen Abstieg auf alle Tätigkeiten verweisbar, die ihrem derzeitigen medizinischen Leistungskalkül noch entsprechen. Es kommt daher auf jene Ausbildung und auf jene Kenntnisse und Fähigkeiten an, die im zuletzt ausgeübten Beruf erforderlich waren und auch angewendet wurden. Die Lösung der Frage des sozialen Abstiegs hängt dann davon ab, welchen Wert die Allgemeinheit dieser Ausbildung und diesen Kenntnissen und Fähigkeiten zur Zeit des Stichtags nach beimisst (10 ObS 160/89, SSV-NF 3/108).

1.8 Demnach sind Feststellungen dahingehend notwendig, inwieweit die Ausbildung und die Kenntnisse und Fähigkeiten, über die ein Versicherter am Ende seiner Berufstätigkeit verfügt, nach der Berufsabsenz zum Stichtag in vergleichbaren Berufstätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt noch von Bedeutung waren (RIS-Justiz RS0084926 [T4]). Auf Grundlage dieser Feststellungen ist zu prüfen, in welche Beschäftigungsgruppe eines anwendbaren Kollektivvertrags der Versicherte zum Zeitpunkt des Stichtags einzustufen gewesen wäre (vgl RIS-Justiz RS0043194). Ausgehend davon ist dann die Frage eines zumutbaren Abstiegs zu beurteilen (RIS-Justiz RS0084926 [T4]).

2.1 Der Kläger kann aufgrund seiner medizinischen Einschränkungen die der Verwendungsgruppe VI unmittelbar nachgeordneten Tätigkeiten der Verwendungsgruppe V nicht verrichten, sondern nur jene der Verwendungsgruppe IV und darunter. Nach ständiger Rechtsprechung (siehe oben Pkt 1.3) wäre eine Verweisung auf eine Tätigkeit, die nicht einer der zuletzt ausgeübten Beschäftigung unmittelbar nachgeordneten Beschäftigungs- oder Verwendungsgruppe entspricht, mit einem unzumutbaren sozialen Abstieg verbunden.

2.2 Ein unzumutbarer sozialer Abstieg wäre aber dann nicht gegeben, wenn feststehen sollte, dass der soziale Wert, den die Allgemeinheit der Ausbildung des Klägers als Großhandelskaufmann und seinen Kenntnissen und Fähigkeiten, die bei dessen Tätigkeit als angestellter Geschäftsführer von Bedeutung waren, unter den Verhältnissen zur Zeit des Stichtags beimisst, auch schon nach lediglich zweijähriger Berufsabsenz nur mehr eine Einstufung in die Verwendungsgruppe IV rechtfertigen sollten (RIS-Justiz RS0084926 [T3]).

2.3 Die aufgrund des berufskundlichen Gutachtens getroffenen Feststellungen sind aber nicht in dieser Richtung zu verstehen, sondern dahin, dass darauf abgestellt wird, welche Tätigkeiten der Kläger trotz seiner medizinischen Einschränkungen noch verrichten kann (nämlich Tätigkeiten entsprechend der Verwendungsgruppe IV oder niedriger); dann wurde geprüft, ob auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zum Stichtag diesen Tätigkeiten entsprechende realistische Beschäftigungsmöglichkeiten ‑ unter Berücksichtigung der zweijährigen krankheitsbedingten Berufsabsenz ‑ bestehen. Damit wird im Ergebnis aber nicht auf den noch vorhandenen Wert der seinerzeit erworbenen und angewendeten Kenntnisse und Fähigkeiten abgestellt, sondern der auf den geistigen und körperlichen Zustand des Klägers zurückgehende Verlust von Kenntnissen und Fähigkeiten zum Zeitpunkt des Stichtags als maßgeblich angesehen. Danach kann sich die Frage des sozialen Abstiegs aber nicht richten (siehe oben Pkt 1.7). Tragfähige Feststellungen dazu, ob und allenfalls in welcher Weise der soziale Wert der Ausbildung, Kenntnisse und Fähigkeiten des Klägers als angestellter Geschäftsführer zwischen 2007 und 2009 abgesunken ist, finden sich nicht.

Der Ansicht der Vorinstanzen, ausgehend von diesen Sachverhaltsfeststellungen werde durch eine Verweisung auf Tätigkeiten der Verwendungsgruppe IV die Unzumutbarkeitsgrenze nicht überschritten, liegt daher das erforderliche Tatsachensubstrat (noch) nicht zugrunde.

Die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen erweist sich somit als unumgänglich. Es bedarf ergänzender Feststellungen, um die Verweisbarkeit und die Frage des sozialen Abstiegs beurteilen zu können. Insbesondere werden Feststellungen dazu zu treffen sein, ob jene Kenntnisse und Fähigkeiten, die 2007 für die Tätigkeit eines angestellten Geschäftsführers entsprechend der Verwendungsgruppe VI bedeutsam waren, nach lediglich zweijähriger Berufsabsenz im Jahr 2009 in ihrer Bedeutung am Arbeitsmarkt nur mehr eine Einstufung in die Beschäftigungsgruppe IV rechtfertigen, diese Kenntnisse also in ihrem sozialen Wert schon nach zwei Jahren in derart erheblichem Umfang abgesunken sein sollten. Auf Grundlage dieser Feststellungen wird neuerlich zu prüfen sein, in welche Verwendungsgruppe eines anwendbaren Kollektivvertrags der Kläger zum Zeitpunkt des Stichtags einzustufen gewesen wäre (vgl RIS-Justiz RS0043194). Ausgehend davon wird dann die Frage eines zumutbaren Abstiegs zu beurteilen sein (RIS‑Justiz RS0084926 [T4]).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Stichworte