OGH 9ObA119/14m

OGH9ObA119/14m27.11.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Dr. Peter Schnöller als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsrat der A***** GmbH, *****, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Siemer-Siegl-Füreder & Partner, Rechtsanwälte in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei D***** GmbH, *****, vertreten durch Schuppich Sporn & Winischhofer, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung nach § 54 Abs 1 ASGG, über die außerordentliche Revision der Nebenintervenientin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. August 2014, GZ 8 Ra 83/13d‑38, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:009OBA00119.14M.1127.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

1. Die Beklagte betrieb bis 31. 5. 2012 zwei Lounges am ***** Flughafen und beschäftigte dort acht Mitarbeiter, in deren Interesse der Betriebsrat der Beklagten als Kläger auftritt. In einem Anfang 2012 durchgeführten Vergabeverfahren ging die Nebenintervenientin als Bestbieterin für den Betrieb der Lounges hervor und betreibt diese seither mit eigenem Personal. Die Übernahme der Mitarbeiter der Beklagten wurde von ihr abgelehnt. Die Beklagte kündigte daraufhin die Dienstverhältnisse zum 8. 6. 2012 (im Fall einer Dienstnehmerin zum 31. 12. 2012) auf. Die gegen die Beklagte gerichteten Kündigungsanfechtungsverfahren der Mitarbeiter endeten jeweils mit Vergleich (eines mit gleichlautendem Anerkenntnisurteil) mit dem Inhalt, dass die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung rechtsunwirksam sei und das Arbeitsverhältnis ungeachtet dieser Erklärung über den 8. 6. 2012 bzw 31. 12. 2012 hinaus fortbestehe. Die gegen die Nebenintervenientin gerichteten Verfahren der Mitarbeiter auf Feststellung des Übergangs ihrer Arbeitsverhältnisse zum 1. 6. 2012 sind unterbrochen.

2. Die vom Kläger begehrte Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, den acht Mitarbeitern das ihnen ab 1. 6. 2012 zustehende Entgelt zu zahlen, hilfsweise den Fortbestand ihrer Arbeitsverhältnisse mit der Beklagten über den 1. 6. 2012 hinaus festzustellen, wurde von den Vorinstanzen abgewiesen. Es liege ein Betriebsübergang vor. Die Vergleiche und das Anerkenntnisurteil ließen keinen Schluss darauf zu, dass die Dienstverhältnisse zum Veräußerer fortbestehen sollten. Die Verfahren hätten sich nur gegen die Wirksamkeit der Kündigung gerichtet.

Rechtliche Beurteilung

In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision zeigt die Nebenintervenientin keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf, weil sowohl die Frage, ob ein Betriebs‑(teil‑)übergang vorliegt, als auch jene, welchen Inhalt ein Vergleich oder ein Anerkenntnisurteil hat, nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden können (s zum Betriebsübergang RIS‑Justiz RS0124074; zum Vergleich RIS‑Justiz RS0113785, RS0112106 [T7, T8]; zum Sinngehalt einer gerichtlichen Entscheidung RIS‑Justiz RS0118891 [T3]). Auch liegt keine grobe Fehlbeurteilung vor, die der höchstgerichtlichen Korrektur bedürfte.

3. Zum Vergleich und zum Anerkenntnisurteil:

Die Nebenintervenientin meint, das Anerkenntnis und die Vergleiche seien als eindeutige Erklärung der Beklagten anzusehen, die Dienstverhältnisse ungeachtet eines allfälligen Betriebsübergangs über den 1. 6. 2012 hinaus fortsetzen bzw wiederaufnehmen zu wollen. Diesem Verständnis steht jedoch entgegen, dass das gesamte Prozessverhalten der Mitarbeiter nur ihr Interesse am Fortbestand der Dienstverhältnisse zum Ausdruck bringt. Die inhaltsgleich abgeschlossenen Vergleiche enthalten konsequenterweise auch keinen Hinweis auf eine bestimmte Dienstgeberin. Vor diesem Hintergrund kann aber die im Vergleichsweg (Anerkenntnisurteil) getroffene Feststellung aufrechter Dienstverhältnisse aus der Sicht redlicher Erklärungsempfänger auch darin gesehen werden, dass die Kündigungen der Beklagten keine Wirksamkeit haben sollten, ohne dass daraus gefolgert werden müsste, dass die Beklagte selbst die Dienstverhältnisse über den 1. 6. 2012 hinaus fortsetzen wollte. Auch aus dem in dieser Streitsache ergangenen Beschluss des Obersten Gerichtshofs 9 ObA 143/13i ist für die Nebenintervenientin nichts zu gewinnen. Der dortige Antrag wurde vorrangig deshalb abgewiesen, weil das vorliegende Verfahren bereits anhängig war und kein Rechtsschutzinteresse des dortigen Klägers (Gewerkschaft) an einer Feststellung nach § 54 Abs 2 ASGG ersichtlich war.

Soweit das Berufungsgericht den Vergleichen bzw dem Anerkenntnisurteil daher nur das erwähnte Verständnis beilegt, ist dieses Auslegungsergebnis jedenfalls vertretbar.

4. Zum Betriebs‑(teil‑)übergang:

Ob ein Betriebsübergang vorliegt, ist aufgrund der den betreffenden Vorgang kennzeichnenden tatsächlichen Umstände zu beurteilen, wie etwa der Übernahme der materiellen und immateriellen Aktiva und des Großteils der Belegschaft, des Übergangs der Kundschaft, des Grades der Ähnlichkeit zwischen der vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeit und der Dauer einer eventuellen Einstellung dieser Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Übergang (RIS‑Justiz RS0082749). Ob dies der Fall ist, hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab.

Im vorliegenden Fall wurden die Lounges ‑ von der Belegschaft abgesehen ‑ im Wesentlichen zur Gänze übernommen. Die Nebenintervenientin betreibt sie am selben Standort, in den denselben Räumlichkeiten und unter Verwendung derselben Betriebsmittel (Ausstattung wie Kücheneinrichtung, Kühlboote, -wannen und -schränke, Eiswürfelerzeuger, Spülzeilen, Selbstbedienungs-entnahmestellen etc) fort. Dass die Betriebsmittel von der Auftraggeberin stammen, ist dabei nicht entscheidend, weil es nach der Rechtsprechung nur auf einen Wechsel des für die Geschicke des Betriebs verantwortlichen Inhabers, nicht aber auf einen Eigentümerwechsel bezüglich der übernommenen Betriebsmittel ankommt (s RIS‑Justiz RS0110832; RS0119396). Auch die Tätigkeit des Loungebetriebs blieb im Prinzip unverändert, weil den gleichen Loungegästen (Businessclass-Kunden, Meilensammler ua) weiterhin, idR zur Überbrückung von Wartezeiten vor oder zwischen Flügen, ein kleines Speisenangebot sowie Getränke anzubieten sind und WLAN und PC‑Arbeitsplätze zur Verfügung stehen müssen. Vor diesem Hintergrund kommt dem Umstand, dass die Nebenintervenientin die Speisen ‑ ebenso wie ihre Vorgängerin ‑ nicht in den von der Auftraggeberin zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten produziert, sondern diese nur vor Ort essfertig macht, kein ausschlaggebendes Gewicht zu. Auch dass das Speisenangebot und die Öffnungszeiten in beschränktem Umfang erweitert wurden, ändert daran im Grundsätzlichen nichts. Hervorzuheben bleibt vielmehr, dass der EuGH in der Rechtssache C‑340/01 Ablerdie Verpflegung (dort für ein Krankenhaus) nicht als eine Tätigkeit angesehen hat, bei der es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, da dafür Inventar in beträchtlichem Umfang erforderlich ist. Ein besonderes Know-How, das dem Personal eine spezielle Bedeutung für die Identität des Betriebs geben könnte, erscheint auch für die Tätigkeit in den Lounges nicht notwendig, weil die dort zu verrichtenden Arbeiten (Herrichten der angelieferten Speisen, Abservieren etc) keine solche Fachkunde erfordern, die dem Betrieb einen vom jeweiligen Personal abhängigen prägenden Charakter verleihen würde.

Soweit die Revisionswerberin auf Grundprinzipien der Marktordnung und auf Lohnkosten als gerade im Dienstleistungssektor wesentlichen Kostenpunkt rekurriert und meint, ein Betriebsübergang sei nicht ohne vertiefte Prüfung der wirtschaftlichen Hintergründe der Auftragsvergabe zu beurteilen, so können darin nur rechtspolitische Argumente gesehen werden, weil Schutzzweck von § 3 AVRAG die von einem Inhaberwechsel unabhängige Kontinuität von Dienstverhältnissen der beschäftigten Mitarbeiter ist.

Wenn die Vorinstanzen daher einen Betriebsübergang im vorliegenden Einzelfall bejahten, so liegt auch darin keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung.

5. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Nebenintervenientin daher zurückzuweisen.

Stichworte