OGH 9ObA143/13i

OGH9ObA143/13i29.1.2014

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Rodlauer und Mag. Schneller als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache des Antragstellers Österreichischer Gewerkschaftsbund ‑ Gewerkschaft v*****, gegen die Antragsgegnerinnen 1. Wirtschaftskammer Österreich, Fachverband *****, 2. Wirtschaftskammer Österreich, beide *****, 3. Wirtschaftskammer Niederösterreich, *****, über den Antrag auf Feststellung gemäß § 54 Abs 2 ASGG den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: AT:OGH:2014:E106606

 

Spruch:

Der Antrag, der Oberste Gerichtshof möge feststellen, dass die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Mitarbeiter der A***** GesmbH ‑ ungeachtet eines allfälligen Betriebsübergangs ‑ aufgrund der abgeschlossenen Vergleiche mit der A***** GesmbH über den 1. 6. 2012 fortgesetzt wurden und die Mitarbeiter daher gegen die A***** GesmbH einen Anspruch auf Entgelt seit dem 1. 6. 2012 haben,

in eventu, es werde festgestellt, dass ein Betriebsübergang vorliegt, die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Mitarbeiter mit 1. 6. 2012 auf die D***** GesmbH übergegangen sind und die Mitarbeiter daher gegen die D***** GesmbH einen Anspruch auf Entgelt seit dem 1. 6. 2012 haben,

in eventu, es werde festgestellt, dass kein Betriebsübergang vorliegt, die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Mitarbeiter mit der A***** GesmbH über den 1. 6. 2012 fortbestehen und die Mitarbeiter daher gegen die A***** GesmbH einen Anspruch auf Entgelt seit dem 1. 6. 2012 haben,

wird abgewiesen.

Text

Begründung

Der Antragsteller begehrt die aus dem Spruch ersichtliche Feststellung gemäß § 54 Abs 2 ASGG, die für acht Arbeitnehmer von Bedeutung sei. Er bringt dazu zusammengefasst vor, die A***** GesmbH (idF: A*****) habe ursprünglich das Catering für zwei Lounges der F***** AG übernommen. Im Rahmen einer Neuausschreibung habe die D***** GesmbH (idF: D*****) den Zuschlag dafür erhalten. Obwohl A***** davon ausgegangen sei, dass die Lounges ab 1. 6. 2012 im Rahmen eines Betriebsübergangs auf D***** übergegangen seien, habe sie sämtliche Mitarbeiter gekündigt. Die darauffolgenden Feststellungs‑, in eventu Anfechtungsverfahren der Mitarbeiter seien ‑ mit einer Ausnahme ‑ mit Vergleich beendet worden, mit dem die Unwirksamkeit der Kündigungen und infolge dessen der aufrechte Bestand der Arbeitsverhältnisse mit A***** festgestellt worden sei. Da D***** einen Betriebsübergang verneint habe, hätten die Mitarbeiter aus prozessualer Vorsicht am 14. 6. 2012 entsprechende Feststellungsklagen gegen D***** eingebracht, die derzeit unterbrochen seien. Mangels rechtsverbindlicher Klärung des Schicksals der Arbeitsverhältnisse habe der Betriebsrat der A***** Mitte September 2012 gegen A***** eine Feststellungsklage nach § 54 Abs 1 ASGG eingereicht, an dem D***** als Nebenintervenientin beteiligt sei. Das Landesgericht Korneuburg habe zu AZ ***** mit Urteil vom 11. 4. 2013 einen Betriebsübergang bejaht und den geschlossenen Vergleichen über die Wirkung der Verfahrensbeendigung hinaus keine Bedeutung zuerkannt. Die Antragstellerin stütze sich auf den in diesem Urteil (im Einzelnen wiedergegebenen) festgestellten Sachverhalt. Aufgrund der Berufungen des Betriebsrats und von D***** sei es aber wahrscheinlich, dass der Sachverhalt entsprechend abgeändert werde. Es werde daher auch ein Eventualsachverhalt (zu den näher konkretisierten Themenkomplexen Vergleiche, Betriebsmittel, Küche und Stammpublikum) vorgebracht und, sofern sich hierdurch die rechtliche Beurteilung ändere, um Berücksichtigung ersucht. Nach ihrer Ansicht seien die Rechtsverhältnisse zwischen der A***** und den Mitarbeitern jedenfalls aufgrund der gerichtlichen Vergleiche fortgesetzt worden. Da die ständigen Cateringleistungen vor Ort aber als abgrenzbare und auf Dauer angelegte wirtschaftliche Einheit auf D***** übergegangen seien, sei von einem Betriebsteilübergang auszugehen.

Die Antragsgegner beantragen, den Antrag zurück-, in eventu abzuweisen, weil nicht die Rechtslage, sondern lediglich der Sachverhalt strittig sei. Ein Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 2 ASGG diene nicht dessen Klärung. Es werde nicht bestritten, dass dann, wenn die Sachverhaltselemente für einen Betriebs‑(teil‑)übergang vorlägen, die Arbeitsverhältnisse ex lege auf den Erwerber übergegangen seien und dann, wenn kein Betriebsübergang vorliege, die Arbeitsverhältnisse zu (gemeint wohl:) A***** weiter aufrecht seien. Es sei daher kein Feststellungsinteresse zu den Eventualbegehren gegeben. Der Hauptantrag, dass „ungeachtet eines allfälligen Betriebsübergangs auf Grund der abgeschlossenen Vergleiche“ die Arbeitsverhältnisse zu A***** weiter bestehen sollten, sei unschlüssig und in sich widersprüchlich. Zudem könne nicht gleichzeitig sowohl ein Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 1 ASGG als auch nach § 54 Abs 2 ASGG anhängig gemacht werden. Der Antragsteller könne auch kein rechtliches Interesse an einer Feststellung gegenüber den Antragsgegnern haben, weil zwischen ihnen selbst kein strittiges Rechtsverhältnis bestehe, die Entscheidung keine bindende Wirkung zwischen A***** bzw D***** und den Arbeitnehmern habe und entgegen § 54 Abs 2 ASGG kein von Personen unabhängiger Sachverhalt vorliege. Die rechtliche Qualifikation der Vorverfahren beim Landesgericht Korneuburg könne nicht herangezogen werden. Zudem handle es sich um individualrechtliche Fragen, die schon rechtskräftig entschieden seien.

Folgendes ist zu erwägen:

Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 54 Abs 2 ASGG können kollektivvertragsfähige Körperschaften der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer im Rahmen ihres Wirkungsbereichs gegen eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitnehmer bzw der Arbeitgeber beim Obersten Gerichtshof einen Antrag auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen anbringen, die einen von namentlich bestimmten Personen unabhängigen Sachverhalt betreffen. Der Antrag muss eine Rechtsfrage des materiellen Rechts auf dem Gebiet der Arbeitsrechtssachen nach § 50 ASGG zum Gegenstand haben, die für mindestens drei Arbeitgeber oder Arbeitnehmer von Bedeutung ist. Gemäß § 54 Abs 4 ASGG hat der Oberste Gerichtshof über den Feststellungsantrag auf der Grundlage des darin angegebenen Sachverhalts zu entscheiden (RIS‑Justiz RS0085712).

Dass der vorliegende Feststellungsantrag mindestens drei Arbeitnehmer betrifft, bestreitet auch die Antragsgegnerin nicht. Er ist daher zulässig, jedoch aus folgenden Überlegungen nicht berechtigt.

2. Ein Feststellungsantrag gemäß § 54 Abs 2 ASGG muss einen Sachverhalt enthalten, der ein Feststellungsinteresse begründet. Die Formulierung der Bestimmung deckt sich mit jener des § 228 ZPO. Danach kann das Bestehen oder Nichtbestehen von Rechten oder Rechtsverhältnissen mit Feststellungsklage dann geltend gemacht werden, wenn ein rechtliches Interesse an dieser Feststellung besteht. Dieses rechtliche Interesse ist vom Obersten Gerichtshof auf der Grundlage des vom Antragsteller zu behauptenden Sachverhalts, der auch auf das rechtliche Interesse Bezug nehmen muss, von Amts wegen zu prüfen. Sein Fehlen führt nach ständiger Rechtsprechung zur Abweisung des Antrags (9 ObA 131/10w mwN).

Der vorgebrachte Sachverhalt ist vom Obersten Gerichtshof nicht zu überprüfen. Vielmehr hat der Antragsteller einen allgemeinen typisierten Sachverhalt zu behaupten, aus dem hervorgeht, dass sich zumindest drei gleichgelagerte Einzelsachverhalte ereignet haben. Der im Antrag angeführte Sachverhalt muss alle wesentlichen Tatsachen enthalten, auf die sich das festzustellende Recht oder Rechtsverhältnis gründet (rechtserzeugende Tatsachen) sowie jene Tatsachen, aus denen sich das Feststellungsinteresse ergibt (Neumayr in ZellKomm II2 ASGG § 54 Rz 25, 27). Für ein Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 2 ASGG eignen sich daher nur Sachverhalte, aus denen eindeutige Rechtsfolgen abgeleitet werden können. Es ist nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs, mögliche Fallgruppen zu variieren und rechtlich zu beurteilen. Die Entscheidung hat sich vielmehr im Rahmen der gestellten Anträge auf jene Beurteilung zu beschränken, die zum behaupteten Sachverhalt im Verhältnis der Schlüssigkeit steht (RIS‑Justiz RS0085664).

Feststellungsanträge zur Klärung abstrakter Rechtsfragen, denen bloß theoretische Bedeutung zukommt, erfüllen die Voraussetzungen eines rechtlichen Interesses auch im Rahmen eines Feststellungsantrags nach § 54 Abs 2 ASGG nicht, weil abstrakte Rechtsfragen grundsätzlich nicht feststellungsfähig sind. Der Antrag nach § 54 Abs 2 ASGG muss ebenso wie eine Feststellungsklage der Prävention und der Prozessökonomie dienen. Insofern unterscheidet sich das Modell des besonderen Feststellungsverfahrens nach § 54 Abs 2 ASGG von einer reinen Gutachtertätigkeit (9 ObA 131/10w mwN; RIS‑Justiz RS0109383).

3. Ein Feststellungsinteresse, das diese Anforderungen erfüllt, zeigt der Antragsteller nicht auf:

Es ist nicht zu verkennen, dass sein Antrag insgesamt darauf abzielt, das Schicksal der Arbeitsverhältnisse der von ihm genannten Arbeitnehmer klären zu lassen. Allerdings bringt er vor, dass der Betriebsrat der A***** gegen A***** zu AZ ***** des Landesgerichts Korneuburg eine Klage nach § 54 Abs 1 ASGG eingereicht hat, die zufolge dem beigelegten Urteil auf Feststellung der aufrechten Dienstverhältnisse der auch hier verfahrensgegenständlichen Mitarbeiter über den 1. 6. 2012 hinaus sowie auf die Verpflichtung von A***** zur Zahlung der entsprechenden Entgelte gerichtet ist. Anders als im Verfahren 9 ObA 170/99m ist sohin bereits ein Verfahren nach § 54 Abs 1 ASGG anhängig. Angesichts des unterschiedlichen Klägers bzw Antragstellers im Verfahren des Landesgerichts Korneuburg zu AZ ***** und im vorliegenden Verfahren liegt zwar keine Parteienidentität vor. Dennoch ist nicht ersichtlich, womit der Antragsteller des vorliegenden Verfahrens in Bezug auf das Haupt- und das zweite Eventualbegehren ein weiteres Feststellungsinteresse begründen könnte, sind doch selbst die von beiden Verfahren betroffenen Mitarbeiter ident.

4. Aber auch folgende Erwägungen sprechen gegen ein Feststellungsinteresse:

Soweit der Antragsteller mit seinem Hauptantrag festgestellt wissen will, dass die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Mitarbeiter „ungeachtet eines allfälligen Betriebsübergangs aufgrund der abgeschlossenen Vergleiche mit der A***** über den 1. 6. 2012 hinaus fortgesetzt wurden“, so war diese Feststellung nach dem Antragsvorbringen Gegenstand der Vergleiche in den von den Mitarbeitern gegen die A***** gerichteten Feststellungs-, in eventu Anfechtungsverfahren, lauteten die Vergleiche doch: „Es wird festgestellt, dass die von der beklagten Partei ausgesprochene Kündigung datiert mit 18. 5. 2012 zum 8. 6. 2012 rechtsunwirksam ist und daher das Arbeitsverhältnis ungeachtet dieser Erklärung über den 8. 6. 2012 hinaus aufrecht fortbesteht.“ Ein Interesse des Antragstellers an einer weiteren Feststellung des aus der rechtsunwirksamen Kündigung resultierenden aufrechten Bestandes der Dienstverhältnisse mit A***** ist hier nicht erkennbar.

5. Soweit er mit dem Hauptantrag auch einen Entgeltanspruch der Arbeitnehmer gegen die A***** festgestellt haben will, so ist dieser ‑ ungeachtet dessen, dass diese Frage, wie dargelegt, bereits Gegenstand des Verfahrens des Landesgerichts Korneuburg, AZ ***** ist ‑ davon abhängig, ob ein Betriebsübergang auf D***** stattgefunden hat. Dies ist danach zu beurteilen, ob auf tatsächlicher Ebene die nach Maßgabe des § 3 AVRAG erforderlichen Voraussetzungen für einen Betriebsübergang vorliegen. Dazu hat der Antragsteller allerdings keinen klaren Sachverhalt vorgetragen, gesteht er doch selbst zu, dass der vom Landesgericht Korneuburg im Verfahren zu AZ ***** mit Urteil vom 11. 4. 2013 festgestellte Sachverhalt, auf den er sich zur Begründung seines Antrags beruft, vom Betriebsrat der A***** und von D***** bekämpft wurde und es „wahrscheinlich“ ist, dass der festgestellte Sachverhalt noch „entsprechend“ abgeändert wird. Soweit er deshalb als „Eventualsachverhalt“ offenbar die von den Berufungswerbern begehrten Ersatzfeststellungen wiedergibt, so wird daraus offenkundig, dass der Antragsteller entgegen den oben dargelegten Anforderungen an einen Antrag nach § 54 Abs 2 ASGG gerade keinen Sachverhalt darlegt, aus dem eindeutige Rechtsfolgen abgeleitet werden könnten.

6. Dies gilt umso mehr für die beiden Eventualanträge, deren Berechtigung der Antragsteller ebenfalls vom Vorliegen (1. Eventualantrag) bzw vom Nichtvorliegen (2. Eventualantrag) eines Betriebsübergangs ableitet. Sie sind nicht nur auf keine eindeutigen, sondern sogar auf gegenläufige Rechtsfolgen gerichtet.

7. Da damit aber insgesamt kein Feststellungsinteresse des Antragstellers iSd § 54 Abs 2 ASGG ersichtlich ist, ist seinem Antrag ein Erfolg zu versagen.

Stichworte