OGH 7Ob199/14m

OGH7Ob199/14m26.11.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei O***** AG, *****, vertreten durch Dr. Gerhard Horak und Mag. Andreas Stolz, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei R***** AG, *****, vertreten durch Dr. Maria Brandstetter, Rechtsanwältin in Wien, wegen 256.192,32 EUR sA, über die Revisionen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 23. Juli 2014, GZ 4 R 102/14w‑65, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 5. März 2014, GZ 20 Cg 1/10s‑61, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0070OB00199.14M.1126.000

 

Spruch:

Den Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.555,28 EUR (darin enthalten 425,88 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.470,24 EUR (darin enthalten 245,04 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Transportversicherer der v***** GmbH (V*****). Die V***** lieferte im Jahr 2007 einer Kundin in Italien regelmäßig Stahlbänder, die in aufgerollter Form als sogenannte „Coils“ zum Versand gelangten. Am 28. 12. 2007 übergab die V***** zwei mit Stahlcoils beladene Züge und am 1. 1. 2008 einen weiteren Zug an die Beklagte jeweils mit dem Auftrag, die Fracht binnen 13 Stunden nach S***** (Italien) zu befördern. Das Frachtentgelt betrug 64.048,08 EUR. Die Ware sollte von M***** Srl (M*****) entladen und/oder eingelagert werden, bevor die Ware an die Kundin mit LKW weiterbefördert werden sollte.

Die Frachtbriefe, die von der Beklagten im Namen der V***** ausgefüllt wurden, enthalten folgende gemeinsame Angaben:

Links oben verweist ein Vordruck darauf, dass die Beförderung von Gütern auch bei einer gegenteiligen Abmachung den Einheitlichen Rechtsvorschriften CIM unterliegt.

Als Absender wird die V***** genannt. Beim Empfänger, formularmäßig spezifiziert durch „Name, Anschrift, Land“, steht in Großbuchstaben: „E***** SRL“, gefolgt von der deutlich kleiner geschriebenen Wortfolge „presso M.***** Srl“, gefolgt von „VIA I*****“ wieder in Großdruck. In Feld 7 ist vermerkt, dass der Empfänger nicht verfügungsberechtigt ist.

Die M***** ist eine 100%ige Tochter der E***** Srl (E*****), die im Jahr 2000 von der Beklagten gegründet wurde. Beide Unternehmen haben einen gemeinsamen Geschäftsführer und sind im selben Werk tätig. Die M***** führt den operativen Teil der an E***** erteilten Aufträge durch und erhält von ihr dafür Entgelt.

Entgegen der vereinbarten Lieferfrist von jeweils 13 Stunden trafen die beiden Züge vom 28. 12. 2007 erst am 8. 1. 2008, der Zug vom 1. 1. 2008 am 7. 1. 2008 in S***** ein. Die Ursache für die Verzögerungen ist nicht feststellbar. Die Beklagte informierte die V***** nicht davon, dass die Stahlcoils nicht innerhalb der vereinbarten Lieferfrist bei der Empfängerin ankommen würden. Die Züge wurden im Freien abgestellt. Wegen der Temperaturschwankungen bildete sich Kondenswasser an den Coils.

Nach Ankunft der Züge übernahm die M***** die Warenlieferungen samt den Originalfrachtbriefen unter Vorbehalt der Kontrolle. Es wurde festgestellt, dass die Coils nass waren. Die M***** informierte davon die V***** am 9. 1. 2008. Die Ware werde ausgeliefert, wenn nicht binnen zehn Tagen nach Erhalt des Schreibens anderweitige Instruktionen erteilt würden. Die V***** wandte sich daraufhin an die Klägerin, die das Unternehmen „A*****“ mit der Schadensabwicklung und der Reklamation beauftragte. A***** betraute am 14. 1. 2008 eine italienische Sachverständige mit der Untersuchung des Schadens und sandte am 15. 1. 2008 an die Faxnummer des Servicecenters der Beklagten ein Schreiben mit der Aufforderung, sich zwecks Teilnahme an der Befundaufnahme mit der Sachverständigen in Verbindung zu setzen. Unter „RE“ werden das Datum der Transporte, die Wagennummern und die Namen der Endempfängerin, der Versicherungsnehmerin (V*****) und der Klägerin als Transportversicherer angeführt. Es wird ausgeführt, dass an den Stahlcoils Nässeschäden bestünden, hiemit eine Schadensanzeige nach den einschlägigen Rechtsvorschriften erstattet werde und die Beklagte für einen allfälligen Schaden von den von A***** vertretenen „Ladungsbeteiligten“ haftbar gemacht werde.

Am 18. 1. 2008 lieferte die M***** die Stahlbänder an die Kundin weiter. Am 21. 1. 2008 lud die Sachverständige per Fax die Kundin, M*****, die V*****, die A***** und die Beklagte zur Befundaufnahme ein, wobei diese Verständigung wiederum an die Faxnummer des Servicecenters der Beklagten versendet wurde. Zum bekanntgegebenen Termin am 23. 1. 2008 erschienen nur Vertreter der Kundin und Mitarbeiter der Sachverständigen. Die Sachverständige stellte Rost als Folge der Kondenswasserbildung fest und schätzte den Schaden auf 276.378,28 EUR. Diesen Betrag bezahlte die Klägerin an die V*****.

Am 19. 6. 2009 trat die Kundin sämtliche Rechte aus dem Schadensfall an die V***** ab. Die E***** und die M***** traten weder an die V***** noch an die Klägerin Ansprüche aus dem Transport ab.

Die Klägerin begehrt unter Vorlage der Originalfrachtbriefe den auf sie gemäß § 67 VersVG übergegangenen und auch rechtsgeschäftlich zedierten Schadenersatzanspruch aus dem Transport. Die Schäden seien umgehend bei der Beklagten reklamiert worden. Die Beklagte habe die V***** nicht über Beförderungshindernisse informiert. Es habe sich ein in der Transportbranche allgemein bekanntes Schaden‑ und Risikobild verwirklicht, weshalb bewusst kurze Beförderungsfristen vereinbart worden seien. Die Beklagte habe in den Frachtbriefen in arglistiger Weise nicht die tatsächliche Empfängerin, sondern ihre Tochterunternehmen E***** und M***** eingesetzt, um bei Schäden allfälligen Anspruchstellern von vornherein jegliche Ansprüche abschneiden zu können. Die Beklagte sei erfolglos zur Teilnahme an der Schadensfeststellung aufgefordert worden. Folge man dem Vorbringen der Beklagten, so seien die E***** und die M***** als im Frachtbrief angeführte Empfängerinnen allein aktivlegitimiert, obwohl sie keinen Schaden erlitten hätten, wohingegen die V***** als Geschädigte nicht klagslegitimiert wäre. Der Anspruch werde daher auch auf Drittschadensliquidation gestützt.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Das verspätete Eintreffen der Züge sei außerhalb ihrer Einflusssphäre gelegen. Weder die E***** noch die M***** hätten einen Schaden an der Ladung geltend gemacht, wodurch gemäß Art 47 CIM alle Ansprüche gegen den Beförderer erloschen seien. Die V***** habe auf die Gefahr der Rostbildung nicht hingewiesen. Es habe sich ein atypischer Kausalverlauf verwirklicht, für den die Beklagte nicht einzustehen habe. Die Schadensmeldung der A***** sei nicht wirksam, weil sie nur an die allgemeine Servicenummer der Beklagten gerichtet gewesen sei und „nicht an die Nummer, bei der das sensible Begehren anzubringen“ gewesen wäre. Die V***** treffe ein Mitverschulden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Beklagte hafte für Schäden, die in ihrem Obhutszeitraum einträten, unabhängig davon, welche Eisenbahninfrastuktur benützt werde. Sie hafte für alle ihre Bediensteten und für solche Personen, deren sie sich bei der Durchführung der Beförderung bedient habe. M***** habe die Ware ‑ wenn auch unter Vorbehalt der Kontrolle ‑ in ihre Verfügungsgewalt übernommen, worin eine wirksame Annahme durch die Empfängerin liege. Daher sei nach der CIM nur mehr die Empfängerin berechtigt, Ansprüche geltend zu machen. Diese habe jedoch weder Reklamationen erhoben noch eine Aufforderung zur Tatbestandsaufnahme an die Beklagte gerichtet oder auch nur ihre Ansprüche an die Klägerin abgetreten. Die Klägerin sei nicht aktivlegitimiert.

Das Berufungsgericht gab der Berufung teilweise Folge und änderte das Urteil dahin ab, dass es die Beklagte verpflichtete, der Klägerin 256.192,32 EUR samt 5 % Zinsen seit dem 20. 1. 2010 (das ist der Tag der Klagseinbringung) zu bezahlen. Es bestätigte die Abweisung des 5%igen Zinsenbegehrens vom 15. 1. 2008 bis zum 19. 1. 2010. Unstrittig seien die Schadenersatzansprüche aus dem Beförderungsvertrag nach der CIM 1999 zu beurteilen. Nach den Frachtbriefen sei die M***** Empfängerin, allenfalls eine von zwei Empfängerinnen, im Sinn der CIM. Sie habe die Ware unter der aufschiebenden Bedingung der Kontrolle übernommen, was vorerst keine Annahme gewesen sei. Der Vermerk in den Frachtbriefen „Empfänger nicht verfügungsberechtigt“ schließe eine Verfügungsberechtigung nach Art 18 § 3 CIM aus. Die Schadensfeststellung durch die beauftragte Sachverständige bringe den Annahmevorbehalt nicht zum Erlöschen, weil sie mangels Beteiligung der Beklagten und der V***** nicht als Tatbestandsfeststellung im Sinn des Art 42 CIM angesehen werden könne. Die V***** sei weiterhin gemäß Art 44 § 1 CIM zur gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Beförderungsvertrag berechtigt.

Das Zinsenbegehren von 5 % bereits vom Tag der Reklamation an hätte die Vorlage der Frachtbriefdoppel vorausgesetzt. Das Fax vom 15. 1. 2008 stamme von der A***** und sei nicht im Namen der V***** abgesendet worden. Es sei nicht einmal behauptet worden, dass gleichzeitig die Frachtbriefdoppel vorgelegt oder die Zustimmung der Empfängerin beigebracht oder der Nachweis über die Verweigerung der Annahme des Guts mitgeschickt worden sei. Weder dieses Fax noch das Schreiben der Sachverständigen vom 21. 1. 2008 könnten als Reklamation angesehen werden. Der Zinsenlauf beginne erst mit dem Tag der Klagserhebung.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zu Art 44 § 1 CIM 1999 kaum Rechtsprechung bestehe.

Gegen die Abweisung des Zinsenmehrbegehrens richtet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag.

Gegen die Klagsstattgebung richtet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

In den Revisionsbeantwortungen beantragen die Parteien jeweils, der Revision der Gegnerin nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen sind zulässig, sie sind aber nicht berechtigt.

Österreich ist Mitgliedstaat der COTIF 1980 und auch des Änderungsprotokolls vom 3. 6. 1999 (BGBl III 2006/122). Italien ist Mitgliedstaat der COTIF 1980, das Protokoll von 1999 wurde bis zum 21. 12. 2007 nicht ratifiziert (Freise in Münchener Kommentar, Int. EisenbahntranspR Vorbem Rn 6). Nach Art 1 § 2 CIM 1999 gelten die Einheitlichen Rechtsvorschriften auch für Verträge über die entgeltliche Beförderung von Gütern auf der Schiene, wenn der Ort der Übernahme des Guts zur Beförderung und der für die Ablieferung vorgesehene Ort in zwei verschiedenen Staaten liegen, von denen nur einer ein Mitgliedstaat ist und die Parteien des Vertrags vereinbaren, dass der Vertrag diesen Einheitlichen Rechtsvorschriften unterliegt. Diese Vereinbarung wurde, wie oben dargestellt, getroffen, beide Parteien gehen daher zu Recht von der Geltung der CIM 1999 aus.

Zur Revision der Beklagten (Hauptforderung):

Der Beförderer hat dem Empfänger an dem für die Ablieferung vorgesehenen Ort gegen Empfangsbescheinigung und gegen Zahlung der sich aus dem Beförderungsvertrag ergebenden Forderungen den Frachtbrief zu übergeben und das Gut abzuliefern (Art 17 § 1 CIM). Der Berechtigte kann die Annahme des Guts auch nach Einlösung des Frachtbriefs und Zahlung der sich aus dem Beförderungsvertrag ergebenden Forderungen so lange verweigern, bis seinem Verlangen auf Feststellung eines behaupteten Schadens Folge geleistet wird (Art 17 § 4 CIM). Der Beförderer haftet für den Schaden, der unter anderem durch Beschädigung des Guts in der Zeit von der Übernahme des Guts bis zur Ablieferung sowie durch Überschreitung der Lieferfrist entsteht, unabhängig davon, welche Eisenbahninfrastruktur benutzt wird (Art 23 § 1 CIM). Mit der Annahme des Guts durch den Berechtigten sind alle Ansprüche gegen den Beförderer aus dem Beförderungsvertrag bei teilweisem Verlust, Beschädigung oder Überschreitung der Lieferfrist erloschen (Art 47 § 1 CIM). Die Ansprüche erlöschen jedoch bei teilweiser Beschädigung nicht, wenn die Beschädigung vor der Annahme des Guts durch den Berechtigten gemäß Art 42 CIM festgestellt worden ist oder die Feststellung, die hätte erfolgen müssen, nur durch Verschulden des Beförderers unterblieben ist (Art 47 § 2 lit a Z 1 und 2 CIM). Wird eine teilweise Beschädigung vom Verfügungsberechtigten behauptet, so hat der Beförderer je nach Art des Schadens den Zustand des Guts, seine Masse und, soweit möglich, das Ausmaß und die Ursache des Schadens sowie den Zeitpunkt seines Entstehens unverzüglich und, wenn möglich, in Gegenwart des Berechtigten in einer Tatbestandsaufnahme festzuhalten (Art 42 § 1 CIM). Reklamationen aus dem Beförderungsvertrag sind schriftlich an den Beförderer zu richten, gegen den die Ansprüche gerichtlich geltend gemacht werden können (Art 43 § 1 CIM). Sie können von den Personen eingereicht werden, die zur gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen gegen den Beförderer berechtigt sind (Art 43 § 2 CIM). Zur gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen ist der Absender bis zu dem Zeitpunkt berechtigt, in dem (soweit hier von Bedeutung) der Empfänger das Gut angenommen hat, ab der Annahme ist es der Empfänger (Art 44 § 1 CIM).

Zunächst ist zu klären, wer Empfänger der Fracht ist. Dabei ist davon auszugehen, dass die Urkundenauslegung die rechtliche Beurteilung betrifft (RIS‑Justiz RS0017911). Aus den Frachtbriefen ergibt sich ‑ im Gegensatz zur Ansicht des Berufungsgerichts ‑, dass Empfänger die E***** ist. Nach dem Vordruck ist der Empfänger mit Namen, Anschrift und Land anzuführen. Berücksichtigt man davon ausgehend das Schriftbild, so ergeben sich die Angaben zum Empfänger allein schon aus den Wortfolgen mit größerem Druck. Die Angabe mit kleinerem Druck, eingeleitet mit „presso M*****“, kann (selbst unabhängig davon, dass „presso“ „bei“ bedeutet) nicht als Angabe eines zweiten Empfängers aufgefasst werden, sondern nur als ein Zusatz zur Adresse. Da die M***** nach den Feststellungen den operativen Teil der an E***** erteilten Aufträge für diese entgeltlich durchführt, handelte sie nicht im eigenen Namen, sondern als beauftragte Vertreterin für die E*****. Das ‑ tatsächliche ‑ Einschreiten der M***** ist daher der E***** zuzurechnen.

Die M***** übernahm die Stahlcoils am vereinbarten Ort der Ablieferung unter dem Vorbehalt der Kontrolle, die sie sofort vornahm. Zu prüfen ist, ob dies als Annahme im Sinn der CIM zu beurteilen ist.

Die Ablieferung ist jener Vorgang, durch den die Bahn den Gewahrsam an dem beförderten Gut im Einverständnis mit dem Empfangsberechtigten aufgibt und diesen instande setzt, über das Gut zu verfügen (RIS‑Justiz RS0073585). Der Begriff der Ablieferung deckt sich mit den gleichlautenden Begriffen in Art 13 CMR und § 421 HGB (Freise aaO, Art 17 CIM Rn 1). Zur CMR hat der Oberste Gerichtshof mit dem zitierten Rechtssatz vergleichbar ausgesprochen, dass der Ablieferungsvorgang abgeschlossen ist, wenn ein Verhältnis hergestellt wird, das dem zur Entgegennahme bereiten Empfänger die Einwirkungsmöglichkeit auf das Gut einräumt. Wie die Übernahme ist auch die Ablieferung ein zweiseitiger Akt. Sie bedarf der Mitwirkung des Empfängers (RIS‑Justiz RS0074012). Die Ablieferung kann nur mit Wissen und Willen des Empfängers erfolgen (RIS‑Justiz RS0062704).

Die Annahme setzt voraus, dass der Empfänger neben der tatsächlichen Entgegennahme des Guts die Ablieferung als im Wesentlichen vertragsgemäß anerkennt. Die vorbehaltlose Annahme des Guts durch den Empfänger gilt als stillschweigende Erklärung, dass der Beförderer den Frachtvertrag ordnungsgemäß erfüllt hat. Vorläufige Inbesitznahme zur Besichtigung und Ermittlung etwaiger Schäden stellt keine Annahme dar (Freise aaO, Art 47 CIM, Rn 5 mwN). Die Ablieferung ist damit mehr als ein tatsächlicher Vorgang. Sie enthält zum einen ein konsensuales Element, zum anderen das Zurverfügungstellen in einer dem Vertrag entsprechenden Art und Weise (vgl Jesser‑Huß, Münchener Kommentar, Art 13 CMR Rn 12). Die bloße Besichtigung stellt keine Annahme dar. Es kommt auf die Umstände des Einzelfalls an, ob von einer Annahme gesprochen werden kann (Koller aaO Art 47 CIM Rn 2).

Der Umstand, dass die M***** als Vertreterin der Empfängerin E***** die Warenlieferung unter Vorbehalt der Kontrolle annahm, stellt keine Abnahme und auch keine Verweigerung der Abnahme, sondern eine bloß vorläufige Inbesitznahme zur Besichtigung und Ermittlung etwaiger Schäden dar. Die Frage, wie lang dieser Schwebezustand dauern kann, stellt sich hier nicht, weil die Beklagte der Empfängerin keine Frist setzte, um eine Klärung der unsicheren Lage herbeizuführen (vgl Jesser‑Huß aaO, Art 15 CMR Rn 5). Die A***** als zur Reklamations‑ und Schadensabwicklung Beauftragte meldete der Beklagten mit Fax am 15. 1. 2008 den Schadensfall, also zu einem Zeitpunkt, in dem die Empfängerin E***** das Gut noch nicht als vereinbarungsgemäß geliefert angenommen hat.

Nun ist die Frage zu beantworten, ob das Schreiben der A***** vom 15. 1. 2008 eine wirksame Reklamation und der Beklagten gegenüber als zugegangen zu beurteilen ist.

Wer reklamiert, muss im Zeitpunkt der Reklamation forderungsberechtigt sein, damit die Reklamation ihre Rechtswirkung entfaltet (Freise aaO, Art 43 CIM Rn 4). Dafür genügt eine bloß formlose, nicht näher begründete Behauptung eines Schadensfalls durch den Berechtigten (Koller aaO, Art 42 CIM Rn 1).

Das Fax vom 15. 1. 2008 enthält alle Informationen, die die Beklagte brauchte, um den Kontext zu den konkreten Transporten und den behaupteten Schäden herzustellen. Insbesondere wird auf die Absenderin, den Tag der Übergabe und die Waggon-Nummern hingewiesen. Es lässt erkennen, dass es sich um eine Reklamation im Namen der Absenderin V*****, der nach Art 43 § 2 CIM Berechtigten, handelt. Es wird die Schadensfeststellung und die Tatbestandsaufnahme im Sinn der CIM verlangt.

Die Beklagte meint, dass ein Übersenden eines Fax an ihre allgemeine Kundennummer keine ordnungsgemäße Zustellung einer Reklamation darstelle. Es hätte eine nicht näher spezifizierte, andere Faxnummer gewählt werden müssen. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden.

Nach der Empfangstheorie ist eine Erklärung dem Adressaten dann zugekommen, wenn sie in eine solche Situation gebracht wurde, dass die Kenntnisnahme durch den Adressaten unter normalen Umständen erwartet werden kann und Störungen, die sich ihr entgegenstellen sollten, nur mehr im Lebensbereich des Adressaten möglich sind (RIS‑Justiz RS0014071). Es reicht aus, wenn Willenserklärungen in den Machtbereich des Adressaten gelangt sind, selbst wenn sie dieser persönlich nicht erhalten hat. Es genügt, dass der Adressat die Möglichkeit hatte, die Erklärung zur Kenntnis zu nehmen (RIS‑Justiz RS0014076). Hat jemand mit dem Eingang rechtsgeschäftlicher Erklärungen zu rechnen, hat er auch im Sinn einer Obliegenheit sicherzustellen, dass ihn diese erreichen. So ist beispielsweise von Unternehmern zu erwarten, dass sie stets Empfangsvorkehrungen treffen. Desgleichen hat der Empfänger die mangelnde oder mangelhafte Bereitschaft zur Entgegennahme eines Telefax zu vertreten (9 ObA 51/10f mwN).

Abgesehen davon, dass die Beklagte nicht darlegt, woraus ihre Vertragspartnerin schließen musste, dass sie Reklamationen nur an einer bestimmten Faxnummer entgegennehmen möchte, gelangte das Schreiben unstrittig in ihre Sphäre. Dass sie ihre Organisation nicht danach ausrichtet, dass eingehende Schreiben an die zuständigen Stellen gelangen, hat sie sich selbst zuzuschreiben.

Es ist daher davon auszugehen, dass die Beklagte am 15. 1. 2008 eine Reklamation von der damals dazu Berechtigten erhielt, darauf aber nicht reagierte. Es unterblieb aus ihrem Verschulden die Tatbestandsaufnahme nach Art 42 CIM. Die Ansprüche nach Art 47 § 2 lit a Z 2 CIM sind damit nicht erloschen.

Die M***** leitete die Waren letztlich am 18. 1. 2008 an die Kundin der V***** weiter, wie es dem (ursprünglichen) Auftrag der V***** entsprach. Sie hat damit also nicht das hier in den Frachtbriefen ausgeschlossene Recht zur nachträglichen Änderung des Beförderungsvertrags, das ansonsten dem Empfänger bereits von der Ausstellung des Frachtbriefs an zusteht (Art 18 § 3 CIM), ausgeübt. Zu einer Änderung des Beförderungsvertrags kam es nämlich nicht.

Das Verhalten der Empfängerin E*****, die nunmehr über die Ware verfügte, indem sie deren Weitertransport anordnete, kann nur als Annahme, also als Beendigung des Schwebezustands durch den Vorbehalt der Überprüfung nach wirksam erfolgter Reklamation, gedeutet werden. Da die Feststellung des Schadens vor Annahme nur aus Verschulden der Beklagten unterblieb, weil sie auf die wirksame, im Namen der Absenderin erhobene Reklamation nicht reagierte, bringt auch die nunmehrige Annahme der Frachtgüter gemäß Art 47 § 2 lit a Z 2 CIM den Anspruch gegen den beklagten Beförderer nicht zum Erlöschen.

Dem Schadenersatzanspruch wird noch im Revisionsverfahren ein Mitverschuldenseinwand entgegen-gesetzt. Ein Mitverschulden der V***** kann jedoch nicht erkannt werden.

Die Parteien vereinbarten eine Lieferfrist von 13 Stunden. Dennoch dauerten die Beförderungen sechs und elf Tage. Im Hinblick auf die konkret vereinbarte Beförderdauer musste die V***** nicht gesondert darauf hinweisen, dass Schäden entstehen könnten, wenn die Lieferfrist beträchtlich überschritten wird. Auch wenn der Grund für die Lieferverzögerungen nicht bekannt ist, steht doch fest, dass er in Beförderungshindernissen lag. In diesem Fall hat der Beförderer zu beurteilen, ob es im Interesse des Verfügungsberechtigten liegt, ihn um eine Anweisung zu ersuchen, wobei er ihm alle nützlichen Angaben mitteilt, über die er verfügt (Art 20 § 1 CIM). Bei einer derartig langen Überschreitung der Lieferfrist hätte die Beklagte aktiv werden, die V***** von den Beförderungshindernissen informieren und ihr Gelegenheit geben müssen, Anordnungen zu treffen, die den Eintritt eines Schadens hätten verhindern können.

Dass das Übersenden des Fax an die Kundennummer der Beklagten zulässig und wirksam war, wurde bereits ausgeführt. Es gibt daher insgesamt keine Anhaltspunkte für die Annahme eines Mitverschuldens der V*****.

Zu prüfen bleiben die Rechtsfolgen der letztlich erfolgten Annahme der Stahlcoils durch die Empfängerin.

Die Aktivlegitimation ist an das Verfügungsrecht über das Gut gekoppelt und steht daher entweder dem Absender oder dem Empfänger zu. Eine Doppellegitimation ist im Rahmen der CIM ausgeschlossen (Freise aaO, Art 44, Rn 4). Die Aktivlegitimation des Absenders und seines Rechtsnachfolgers erlischt, sobald sie der Empfänger erlangt (Koller aaO, Art 45 CIM Rn 4).

Durch die Annahme verlor die V***** und damit auch die Klägerin ihre Klagslegitimation nach Art 44 § 1 CIM. Der Anspruch kann nur mehr von der Empfängerin geltend gemacht werden. Diese trat aber weder den Schadenersatzanspruch an die V***** oder an die Klägerin ab noch verfolgt sie ihn selbst. Dies wirft die Frage nach der Drittschadensliquidation auf, die im Frachtrecht bereits anerkannt wurde.

In Deutschland wird von Freise (aaO, Art 44 CIM Rn 7) und Koller (aaO, Art 44 CIM Rn 4) vertreten, dass Art 44 § 1 CIM einen Forderungsübergang nicht ausschließt. Koller (aaO) meint ausdrücklich, dass auch die Regeln der Drittschadensliquidation gelten.

Schadenersatz kann nach herrschender Meinung grundsätzlich nur derjenige beanspruchen, der selbst einen Schaden erlitten hat. Gerade aber im Frachtrecht tritt häufig der Fall auf, dass der formell zum Ersatz Legitimierte, insbesondere der Verfügungsberechtigte, nicht gleichzeitig auch der Geschädigte ist. In einem solchen Fall folgt die Befugnis, trotzdem den Wertersatz der verloren gegangenen oder beschädigten Güter verlangen zu können, aus dem allgemeinen, auch im CMR‑Haftpflichtprozess geltenden Grundsatz, dass der Berechtigte immer dann für den einem Dritten entstandenen Schaden Ersatz verlangen kann, wenn seine Interessen mit denen des Dritten, etwa auf Grund eines Speditions‑, Fracht‑ oder Kaufvertrags, so verknüpft sind, dass sie die Wahrnehmung der Drittinteressen durch den Anspruchsinhaber rechtfertigen. In solchen Fällen wäre es nämlich untragbar, wenn der Schädiger aus dem für ihn rein zufälligen Auseinanderfallen von Anspruchsberechtigung einerseits und Schaden andererseits Nutzen ziehen dürfte mit der Begründung, dass der Ersatzberechtigte selbst keinen Schaden und der Geschädigte keinen Anspruch habe. Die aus dem Blickwinkel der Gefahrenentlassung sogenannte „Drittschadensliquidation“ durch einen mittelbaren Stellvertreter (zB Spediteur oder Frachtführer) oder durch einen vertraglich zur Obhut Verpflichteten (zB Lagerhalter oder Versender fremden Guts) wird daher allgemein für zulässig erachtet. Der Berechtigte hat in diesen Fällen einen eigenen Anspruch auf Ersatz eines fremden Schadens und kann deshalb auf Leistung entweder an sich selbst oder an den Geschädigten klagen (7 Ob 216/10f mwN; allgemein zur Bejahung der Drittschadensliquidation im Frachtrecht vgl RIS‑Justiz RS0073768, RS0107085, RS0107088).

Die selben Erwägungen gelten wegen der vergleichbaren Interessenlage ‑ wie sich aus dem vorliegenden Rechtsfall ergibt ‑ auch für die CIM. Die E***** war zwar Empfängerin laut Frachtbrief, nicht jedoch Kundin der Absenderin V*****. Sie ist daher nicht unmittelbar geschädigt und erhebt als einzige Berechtigte selbst keine Ansprüche. Diese Rechtsbeziehung rechtfertigt es, dass die Absenderin (V*****), die die Liquidation des Schadens durch ihren Haftpflichtversicherer (Klägerin) veranlasste, ihn nun als eigenen gegen den Beförderer (die Beklagte) geltend machen kann. Es kommt damit nicht zu einer Ausweitung des Schadenersatzanspruchs. Der Beföderer soll nur nicht aus dem zufälligen Auseinanderfallen von Anspruchsberechtigung und Schaden einen Nutzen ziehen dürfen.

Zur Revision der Klägerin (Zinsenforderung):

Der Berechtigte kann auf die Entschädigung Zinsen in der Höhe von 5 % jährlich verlangen, und zwar vom Tag der Reklamation gemäß Art 43 an oder, wenn keine Reklamation vorangegangen ist, vom Tag der Klagserhebung (Art 37 § 2 CIM).

Die Klägerin vertritt den Standpunkt, dass sie einen Anspruch auf Zinsen ab dem Tag der Reklamation hat, auch wenn kein Frachtbriefdoppel vorgelegt wurde.

Art 43 CIM fordert neben der Schriftlichkeit der Reklamation (§ 1 leg cit), dass der Absender (ua) das Frachtbriefdoppel vorzulegen hat (§ 3 leg cit). Die Vorlage des Frachtbriefdoppels weist die anspruchstellende Partei als berechtigt aus. Bevor diese Berechtigung nicht durch die Vorlage des Frachtbriefdoppels bescheinigt ist, kann keine Zahlungspflicht des Beförderers bestehen und daher auch kein Anspruch auf Zahlung von Zinsen. Wird das Frachtbriefdoppel ‑ wie hier ‑ nicht vor Klagseinbringung dem Beförderer vorgelegt, beginnt der Zinsenlauf erst mit Klagseinbringung.

Zu den Kosten:

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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