OGH 10ObS131/14h

OGH10ObS131/14h25.11.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Rodlauer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Horst Nurschinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei W*****, vertreten durch Mag. Paul Haider, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 2. September 2014, GZ 12 Rs 66/14h‑32, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:010OBS00131.14H.1125.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision beruft sich „zusammenfassend“ im Wesentlichen darauf, der Kläger habe als gelernter „geradezu typischer“ Berufskraftfahrer bzw LKW-Fahrer „im internationalen Güterverkehr“ gearbeitet. Mit seinem medizinischen Leistungskalkül sei er nicht auf den Beruf eines Fuhrparkdisponenten verweisbar und es fehlten Feststellungen dazu, ob er über EDV-Grundkenntnisse verfüge. Dem Berufungsurteil lägen „gerichtsnotorische Tatsachen“ zur von Fuhrparkdisponenten ausgeübten Tätigkeit zugrunde, die mit den Beweisergebnissen nicht in Einklang stünden und vom Berufungsgericht weder mit den Parteien erörtert noch durch ergänzende Beweisaufnahme untermauert worden seien. Daher sei das rechtliche Gehör des Rechtsmittelwerbers im Berufungsverfahren verletzt worden. Dieses leide an wesentlichen Verfahrensmängeln und die Berufungsentscheidung an Nichtigkeit gemäß §§ 269 iVm 477 Abs 1 Z 4 ZPO.

Dem ist zu erwidern:

1. Fehlt dem Revisionswerber schon der ‑ vorweg zu prüfende, hier ebenfalls verneinte ‑ Berufsschutz, kommt es auf die angesprochene Verweisbarkeit gar nicht an.

2. Auch wenn man davon ausgeht, dass der am 6. 11. 1963 geborene, zum Stichtag (1. 4. 2012) 49-jährige Kläger eine Ausbildung zum Berufskraftfahrer absolviert und im April 1991 mit der Lehrabschlussprüfung abgeschlossen hat, kann ein von ihm in diesem Lehrberuf nach § 255 Abs 1 ASVG erworbener Berufsschutz nämlich nur dann erhalten bleiben, wenn die spätere Tätigkeit in ihrer Gesamtheit noch als Ausübung des erlernten Berufs anzusehen ist. Entscheidend ist daher, ob ein Kernbereich der Ausbildung auch bei späterer Ausübung einer bloßen Teiltätigkeit des erlernten Berufs verwertet werden muss. Die Ausübung einer Teiltätigkeit, die sich qualitativ nicht hervorhebt und bloß untergeordnet ist, vermag demgegenüber einen vorher bestehenden Berufsschutz nicht aufrecht zu erhalten (RIS‑Justiz RS0084497 [T3, T8, T15, T18]).

3. Die (Rechts-)Frage, ob bestimmte Tätigkeiten als quantitativ und qualitativ nicht ganz unbedeutend angesehen werden können und damit berufsschutzerhaltend sind, kann nur an Hand der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (RIS-Justiz RS0084497 [T20 und T26]). Hiefür ist neben dem festgestellten Inhalt der Tätigkeit auch die Einschulungs- oder Einweisungszeit wesentlich, die ein ungelernter Arbeiter benötigt, um solche Tätigkeiten verrichten zu können (10 ObS 51/14v mit Hinweis auf 10 ObS 98/11a, SSV-NF 25/92 mwN).

3.1. Dazu vertrat der Oberste Gerichtshof für den Fall, dass eine ungelernte Kraft nach einer kurzen Einschulungs- oder Einweisungszeit von zwei bis drei Monaten (bzw sogar drei bis sechs Monaten: RIS-Justiz RS0084497 [T18]) solche Tätigkeiten verrichten kann, bereits mehrfach die Auffassung, dass hier wohl nur von einer untergeordneten Teiltätigkeit des erlernten Berufs gesprochen werden kann, die bloß Kenntnisse erfordert, die über einfache Hilfsarbeiten nicht hinausgehen, und eine solche Tätigkeit daher nicht berufsschutzerhaltend ist (jüngst: 10 ObS 51/14v mwN).

3.2. Bei der Frage, ob bestimmte Tätigkeiten berufsschutzerhaltend sind, handelt es sich also ‑ entgegen der diesbezüglichen „Feststellung“ des Erstgerichts ‑ um eine Rechtsfrage, die nur an Hand der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden kann (10 ObS 51/14v mwN). Dazu hat der erkennende Senat auch schon festgehalten, dass keine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt wird, wenn die Revision dem Berufungsgericht vorwirft, eine qualitativ zu hohe Anforderung für den Erhalt des Berufsschutzes als gelernter Berufskraftfahrer gestellt zu haben (10 ObS 160/12w, SSV-NF 26/83).

4. Was die vom Kläger im Beobachtungszeitraum tatsächlich ausgeübte Kraftfahrertätigkeit betrifft, ist ‑ nach den im zweiten Rechtsgang getroffenen Feststellungen der Tatsacheninstanzen ‑ von folgendem, für die Beurteilung maßgeblichen Sachverhalt auszugehen:

4.1. Der Kläger hat in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag 163 Beitragsmonate unselbständig als Zusteller gearbeitet, und zwar 52 Monate bei der Firma F***** als Zusteller von Kartonagen (wo er auch „Auslandsfahrten“ durchgeführt hat), 26 Monate bei der Firma M***** als Tag- und Nachtzusteller von Zeitungen und sonstigen Drucksorten und 85 Monate bei der Firma O***** GmbH als Zusteller von Stückgut, Elektrogeräten, Baustoffen und vereinzelt Paketen. Für diese im Beobachtungszeitraum ausgeübten „Zustelltätigkeiten“ ist eine Anlernzeit (nämlich eine betriebsinterne oder betriebsexterne Ausbildungszeit) von maximal sechs Monaten erforderlich. Es gibt aber auch Arbeitgeber am Arbeitsmarkt, die eine Anlernzeit von lediglich zwei bis drei Monaten verlangen, und solche, die Personen nach dem bloßen Erwerb des LKW-Führerscheins (mit einer Vollausbildungszeit von vier Wochen) ohne weitere Qualifikation als Kraftfahrer bzw Zusteller einsetzen. Konkret hat der Kläger für die Tätigkeit bei der Firma F***** einen „Berufskraftfahrerkurs“ gemacht, der inklusive Prüfung vier Monate dauerte. Diesen Kurs verlangte auch die Firma M***** als Anstellungsvoraussetzung.

5. Das Berufungsgericht hat diese Feststellungen, die im Revisionsverfahren nicht mehr anzuzweifeln sind, in vertretbarer Weise dahin beurteilt, dass der Kläger (nach dem Gesamtbild aller Tätigkeitsfelder [10 ObS 160/12w, SSV‑NF 26/83], also auch angesichts der „Auslandsfahrten“, für die eine Zusatzqualifikation ebenfalls nicht erforderlich war) keine berufsschutzerhaltende Tätigkeit für seinen erlernten Beruf verrichtet hat (vgl jüngst: 10 ObS 51/14v [Tätigkeiten in der Fleischproduktion mit nur dreimonatiger Anlernzeit nicht berufsschutzerhaltend für einen gelernten Facharbeiter in der Fleischindustrie]). Wenn der Kläger behauptet, als „klassischer LKW-Fahrer im internationalen Transportwesen“ tätig gewesen zu sein (vgl dazu auch 10 ObS 121/10g, SSV-NF 24/63 mwN), zeigt die außerordentliche Revision somit keine erhebliche Rechtsfrage auf, sondern bekämpft die bindend festgestellte Tatsachengrundlage:

5.1. Der erkennende Senat hat nämlich in der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 10 ObS 19/09f, SSV-NF 23/25 (mit Hinweis auf 10 ObS 290/99s, SSV‑NF 13/129) zur Verweisbarkeit von Berufskraftfahrern auf die Tätigkeit von Zustellern bereitsklargestellt, dass insoweit auch die Dauer der Anlernzeit maßgebend ist: Wenn ‑ wie hier ‑ eine Anlernzeit von wenigen Monaten genügt, handelt es sich um keinen qualifizierten Beruf, sodass eine solche Tätigkeit nicht als berufsschutzerhaltend zu qualifizieren ist.

5.2. Da der Kläger ‑ mangels Berufsschutzes als Berufskraftfahrer ‑ auf die vom Erstgericht angeführten Tätigkeiten (als Zusteller von Waren mit geringem Gewicht zB von Pharmazeutika im Apotheken- oder Fotohandel-Zustelldienst) verweisbar ist, kommt es auf die bekämpften weiteren Überlegungen des Berufungsgerichts ‑ zur Erfolglosigkeit des Klagebegehrens auch bei Bejahung seines Berufsschutzes ‑ nicht an.

5.3. Die Frage, ob die aufgenommenen Beweise für eine Übernahme der Feststellungen durch das Gericht zweiter Instanz ausreichten, oder ob noch weitere Beweise aufzunehmen gewesen wären, gehört ebenfalls zur Beweiswürdigung und ist daher mit der Revision nicht neuerlich bekämpfbar (RIS-Justiz RS0043320 [T15]; 10 ObS 105/14k mwN). Die geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel liegen nicht vor. Die außerordentliche Revision zeigt daher insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage auf und ist zurückzuweisen.

Stichworte