OGH 7Ob139/14p

OGH7Ob139/14p29.10.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Heimaufenthaltssache des Bewohners J***** P*****, vertreten durch die Sachwalterin I***** B*****, und den Verein VertretungsNetz Sachwalterschaft, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung (Bewohnervertreterin: Dr. M***** W*****), *****, vertreten durch Dr. Helmut Heiger, Rechtsanwalt in Wien, Einrichtungsleiter Dir. Reg.Rat G***** R*****, vertreten durch Dr. Heinrich Fassl, Rechtsanwalt in Wien, über den Revisionsrekurs des Vereins gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 25. Juni 2014, GZ 23 R 253/14z‑18, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Melk (Nebenstelle Ybbs) vom 15. Mai 2014, GZ 17 HA 4/14t‑13, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0070OB00139.14P.1029.000

 

Spruch:

Die Revisionsrekursbeantwortung wird zurückgewiesen, soweit sie sich auf Freiheitsbeschränkung durch Androhung/Anordnung des Zurückhaltens durch Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes bezieht.

Dem Revisionsrekurs wird teilweise, nämlich dahin Folge gegeben, dass Punkt 4. in Abänderung der Beschlüsse der Vorinstanzen lautet:

„4. Die am Bewohner vorgenommene Freiheitsbeschränkung durch Androhung/Anordnung des Zurückhaltens durch Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes ist unzulässig.“

Im Übrigen wird dem Revisionsrekurs nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Der Bewohner leidet an einer weit fortgeschrittenen paranoiden Schizophrenie. Derzeit ist das Krankheitsbild einerseits durch eine eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit, andererseits durch wiederkehrende Impuls‑ und Aggressionsdurchbrüche gekennzeichnet. Die Schnittstelle zwischen Innen‑ und Außenwelt des Bewohners ist massiv gestört, wodurch er auf einer logisch/rationalen Ebene nur wenig zugänglich ist. Es hat den Anschein, als leide er unter optischen und akustischen Halluzinationen.

Am 23. 3. 2000 wurde der Bewohner mit seinem Einverständnis in die psychiatrische Abteilung der B***** in W***** aufgenommen. Im Oktober 2000 wurde er in das Geriatriezentrum des S***** überstellt. Seit Oktober 2005 lebt er im S***** nach Umstrukturierung auf der Station 3. Die Station 3 teilt sich in zwei Wohngruppen, wobei der Bewohner mit weiteren fünf männlichen Bewohnern in der Wohngruppe 3A lebt. Dort betreuen diese sechs Bewohner derzeit tagsüber zwei Pflegepersonen, in der Nacht eine Pflegeperson. Tagsüber ist zusätzlich die Stationsleiterin anwesend. Zum Betreuungsteam zählen auch pädagogische Mitarbeiterinnen. Sämtliche Betreuungspersonen der Wohngruppe 3A verfügen über qualifizierte Ausbildungen (diplomiertes Pflegepersonal oder pädagogische Ausbildungen). Sämtliche Bewohner der Wohngruppe 3 neigen zu aggressiven Handlungen, weshalb es häufig zu Konflikten unter den Bewohnern kommt. Zusätzlich zum Pflegepersonal wurde daher ein Sicherheitsdienst der Firma S***** installiert. In der Zeit zwischen 07:00 Uhr und 19:00 Uhr sind zwei Mitarbeiter, in der Zeit von 19:00 Uhr bis 07:00 Uhr ist ein Mitarbeiter im Einsatz. Die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes müssen eine Schulung zum Thema „Gewalt, Aggressions‑ und Deeskalationsmanagement im Gesundheitswesen“ durch befugte und zugelassene Trainer mit Praxisnachweis in einem psychiatrischen Krankenhaus, eine Sozialtherapie und jährlich eine psychologische und sozialtherapeutische Schulung in Bezug auf den Umgang mit psychisch kranken Personen durch einen Facharzt der Neurologie und Psychiatrie vorweisen können. Von Seiten der Einrichtung wurde die Anweisung erteilt, dass Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes von jedem Mitarbeiter des Therapiezentrums bei Bedrohung durch Patienten, bei sich anbahnenden Konfliktmöglichkeiten zum Schutz vor körperlichen Übergriffen ‑ so wenn bei der Durchführung von Pflegehandlungen eskalierende Zwischenfälle erwartet werden ‑, zur Begleitung von Patiententransporten und zur Unterstützung beim Lösen von Fixierungen usw angefordert werden können. Die Leitung des Einsatzes erfolgt durch das verantwortliche medizinische und pflegerische Personal.

Auf Grund des distanzlosen Verhaltens des Bewohners kommt es häufig zu Konfliktsituationen, in denen von Bewohnern aggressive Handlungen gegen andere Personen gesetzt werden. Dabei kam es bereits auch zu Verletzungen des Pflegepersonals. Das aggressive Verhalten des Bewohners wird nahezu immer dadurch beendet, dass der Sicherheitsdienst zugezogen und der Bewohner ruhig weggeführt wird. Bei Konflikten mit anderen Bewohnern werden die Konfliktpartner getrennt und der Bewohner von einer Pflegeperson gemeinsam mit einem Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes ohne weiteren Krafteinsatz weggeführt. Auf Grund des Umstands, dass der Bewohner fremdaggressive Tendenzen aufweist und auch örtlich nicht orientiert ist, sich daher im Gelände des Therapiezentrums verlaufen und nicht wieder zurückfinden würde, wurde am 9. 9. 2010 von der Ärztin die Freiheitsbeschränkung des Hinderns am Verlassen eines Bereichs mittels Androhung/Anordnung des Zurückhaltens durch Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes angeordnet. Sie dokumentierte dies schriftlich und verständigte den Verein.

Am 25. 3. 2014 wirkte der Bewohner bereits morgens angespannt und unruhig. Am Nachmittag schlug er im Raucherzimmer auf einen Mitbewohner ein. Da die orale Medikation ohne Wirkung blieb und der Bewohner im deeskalierenden Gespräch nicht erreichbar war, ordnete der diensthabende Arzt die Behandlung mit einer Ampulle Cisordinol acutard und einer Ampulle Gewacalm an. Am 25. 4. 2014 schlug der Bewohner ohne weitere Vorankündigung mit der Faust gezielt in das Gesicht eines Pflegers, der zu Boden ging und sich eine Rissquetschwunde zuzog. Der diensthabende Arzt ordnete eine Zusatzmedikation zur Morgenmedikation an, die der Bewohner jedoch teilweise wieder ausspuckte. In weiterer Folge wurde dem Bewohner eine Ampulle Gewacalm und zwei Ampullen Cisordinol acutard verabreicht. Die genannte Medikation hat den Zweck, die psychotische Dekompensation des Bewohners zu behandeln und eine krankheitsmodifizierende Wirkung herbeizuführen. Durch diese Medikation war der Bewohner in seinem Bewegungsdrang in keinster Weise eingeschränkt.

Das Erstgericht wies den Antrag, die dem Bewohner laufend verabreichte ‑ näher bezeichnete - Medikation als medikamentöse Freiheitsbeschränkung für unzulässig zu erklären, ab (Punkt 1.). Weiters wies es den Antrag, die dem Bewohner am 25. 3. 2014 verabreichte Einmalgabe von einer Ampulle Cisordinol acutard und einer Ampulle Gewacalm und die am 25. 4. 2014 verabreichte Einmalgabe von zwei Ampullen Cisordinol acutard und einer Ampulle Gewacalm als medikamentöse Freiheitsbeschränkung für unzulässig zu erklären, ab (Punkt 2. und 3.). Letztlich erklärte es die am Bewohner vorgenommene Freiheitsbeschränkung durch Androhung bzw Anordnung des Zurückhaltens durch Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes bis zum 15. 11. 2014 für zulässig (Punkt 4.). Die medikamentöse Behandlung stelle keine Freiheitsbeschränkung dar, weil keine Sedierung des Bewohners bewirkt, sondern therapeutische Ziele verfolgt worden seien. Der Bewegungsdrang des Bewohners sei nicht eingeschränkt worden. Die Freiheitsbeschränkung durch Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes sei zulässig. Konkrete und ausreichende Pflege‑ und Betreuungsalternativen stünden nicht zur Verfügung. Alternative Formen eines erhöhten Personaleinsatzes erforderten umfangreiche organisatorische Maßnahmen, deren Durchführbarkeit nicht innerhalb von sechs Monaten zu bewerkstelligen sei.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Die Dauermedikation, aber auch die Notfallmedikation bei den akuten Gewaltdurchbrüchen am 25. 3. und 25. 4. 2014 sei nicht auf Hinderung des Bewegungsdrangs und Sedierung, sondern auf die Lösung von Angstzuständen und psychotischen Zuständen gerichtet gewesen. Insoweit lägen keine unzulässigen freiheitsbeschränkenden Maßnahmen vor. Die Mitarbeiter des privaten Sicherheitsdienstes würden zwar zu pflegerischen Maßnahmen in der Form beigezogen, dass sie dabei körperlich anwesend seien, ohne aber selbst pflegerische oder mit der Behandlung im Zusammenhang stehende Handlungen zu setzen. Sie stünden nur bereit, um im Fall eines Aggressionsdurchbruchs des Bewohners dem Pflegepersonal oder den behandelnden Ärzten zur Seite zu stehen, um sie vor weiteren Tätlichkeiten zu schützen. Dass der Bewohner durch die Anwesenheit des Sicherheitsdienstes eingeschüchtert und in seinem Handeln insoweit beeinträchtigt wäre, habe das Verfahren nicht ergeben. Da es in aller Regel gelinge, den Bewohner durch den Sicherheitsdienst ohne Einsatz körperlicher Zwangsmittel aus auftretenden Konfliktsituationen zu bekommen, sei auch die Gefahr einer Kriminalisierung nicht gegeben. Die Unterscheidung in Pflegepersonal und solches, das lediglich der Gewährleistung der Sicherheit diene, biete durchaus auch die Chance, die Beziehung zwischen Pflegepersonal und Bewohner zu verbessern. Letztlich würden durch den Einsatz des Sicherheitsdienstes dem Bewohner Freiräume eröffnet werden, die ohne Einsatz des Sicherheitspersonals nicht möglich wären. Die Maßnahme diene daher dem Ziel der persönlichen Freiheit des Bewohners mehr als sie diese beeinträchtige.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil es keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage des Einsatzes eines privaten Sicherheitsdienstes in einer Therapieeinrichtung gebe.

Die Abweisung des Antrags, die Dauermedikation für unzulässig zu erklären (Punkt 1. des erstgerichtlichen Beschlusses) erwuchs in Rechtskraft. Im Übrigen wendet sich der Revisionsrekurs des Vereins gegen den Beschluss des Rekursgerichts mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Einrichtungsleiter beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 16 Abs 3 HeimAufG steht das Recht zur Rekursbeantwortung nur dem Bewohner, seinem Vertreter und seiner Vertrauensperson gegen Rechtsmittel des Leiters der Einrichtung zu. Nach § 17a HeimAufG gilt § 16 Abs 3 HeimAufG im Revisionsrekursverfahren sinngemäß. Daraus folgt, dass die Revisionsrekursbeantwortung des Einrichtungsleiters, soweit sie den Revisionsrekurs gegen die Zulässigerklärung der Freiheitsbeschränkung durch Androhung bzw Anordnung des Zurückhaltens durch Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes beantwortet, unzulässig ist. Für die nachträgliche Überprüfung der Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Mittel am 25. 3. und 25. 4. 2014 nach § 19a HeimAufG gilt hingegen nicht das Sonderrecht des Heimaufenthaltsrechts, sondern das allgemeine Außerstreitverfahren, sodass die Revisionsrekursbeantwortung hier zulässig ist.

Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist teilweise berechtigt.

I. Zur medikamentösen Freiheits-beschränkung:

1. Es kann nicht entscheidend sein, ob eine Beschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit durch physische Zwangsmittel wie Einsperren oder Festbinden des Patienten oder durch pharmakologische Beeinflussung erfolgt, die eine massive Beschränkung der Bewegungsfreiheit bezweckte. Auch stark sedierende Mittel haben zur Folge, dass der Patient nicht mehr in der Lage ist, sich nach seinem freien Willen örtlich zu verändern (RIS‑Justiz RS0106974). Eine Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Mittel ist nur zu bejahen, wenn die Behandlung unmittelbar die Unterbindung des Bewegungsdrangs bezweckt, nicht jedoch bei unvermeidlichen bewegungsdämpfenden Nebenwirkungen, die sich bei der Verfolgung anderer therapeutischer Ziele ergeben könnte (RIS‑Justiz RS0121227).

2. Die Beantwortung der vom Verein als erheblich bezeichneten Frage, ob eine Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Mittel zu bejahen sei, wenn über den therapeutischen Zweck hinaus auch eine Bewegungsdämpfung intendiert wird, wenn also die Unterbindung des Bewegungsdrangs einen von mehreren Zwecken der Behandlung darstellt, kann dahingestellt bleiben.

Nach den in dritter Instanz nicht mehr angreifbaren Feststellungen erfolgte die Verabreichung von Cisordinol actuard und Gewalcam nicht zur Ruhigstellung, sondern zur Behandlung der psychotischen Dekompensation und zur Herbeiführung einer krankheitsmodifizierenden Wirkung. Durch die Verabreichung der Medikamente wurde der Bewohner auch in keiner Weise in seinem Bewegungsdrang eingeschränkt.

Dass die Vorinstanzen hier eine Freiheitsbeschränkung im Sinn des § 3 Abs 1 HeimAufG durch Verabreichen von Medikamenten verneinten, ist nicht zu beanstanden und wirft keine erhebliche Rechtsfrage auf.

II. Zur Freiheitsbeschränkung durch Androhung, Anordnung des Zurückhaltens durch Sicherheitswachebeamte:

1. Nach § 3 Abs 1 HeimAufG liegt eine Freiheitsbeschränkung vor, wenn eine Ortsveränderung einer betreuten oder gepflegten Person gegen oder ohne ihren Willen mit physischen Mitteln, insbesondere durch mechanische, elektronische oder medikamentöse Maßnahmen, oder durch deren Androhung unterbunden wird. § 4 HeimAufG normiert, dass eine Freiheitsbeschränkung nur vorgenommen werden darf, wenn 1. der Bewohner psychisch krank oder geistig behindert ist und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben und die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet, 2. sie zur Abwehr dieser Gefahr unerlässlich und geeignet sowie in ihrer Dauerintensität im Verhältnis zur Gefahr angemessen ist und 3. diese Gefahr nicht durch andere Maßnahmen, insbesondere schonendere Betreuungs‑ und Pflegemaßnahmen abgewendet werden kann.

Nach der Erläuternden Regierungsvorlage (353 BlgNR 22. GP  8 ff) umschreibt § 3 HeimAufG den für die Anwendung des Gesetzes zentralen Begriff der Freiheitsbeschränkung:

„... Eine Freiheitsbeschränkung im Verständnis dieses Gesetzes liegt immer dann vor, wenn es einer Person unmöglich gemacht wird, ihren Aufenthalt nach ihrem freien Willen zu verändern. Dabei ist zunächst die Beschränkung der Bewegungsfreiheit auf einen bestimmten räumlich abgegrenzten Bereich wesentlich. ...

Neben der Allseitigkeit der Beschränkung ist die Unterbindung persönlicher Ortsveränderungen mit physischen Mitteln ein zentrales Kriterium. ...

Eine Freiheitsbeschränkung setzt nicht notwendigerweise die Anwendung physischen Zwangs voraus. Es genügt auch dessen Androhung. Der Begriff der Androhung ist im spezifischen Konnex der Pflege oder Betreuung des Betroffenen zu verstehen. Es ist nicht erforderlich, dass ihm von der anordnungsbefugten Person oder anderen Bediensteten konkret mit freiheitsentziehenden Maßnahmen 'gedroht' wird. Vielmehr reicht es aus, wenn er aus dem Gesamtbild des Geschehens den Eindruck gewinnen muss, dass er den Aufenthaltsort nicht mehr verlassen kann. ...

In solchen Fällen wird es also darauf ankommen, ob der Bewohner ungehindert von äußerem Zwang seinen Aufenthaltsort nach freiem Willen verlassen kann oder mit einem physischen Zugriff rechnen muss. ...“

2. Im vorliegenden Fall ordnete die Ärztin (§ 5 Abs 1 Z 1 HeimAufG) die Freiheitsbeschränkung des Hinderns des Bewohners am Verlassen eines Bereichs mittels Androhung/Anordnung des Zurückhaltens durch Mitarbeiter des privaten Sicherheitsdienstes an. Die Anordnung umfasst auch den physischen Zugriff, um den Bewohner am Verlassen der Station ohne Begleitung zu hindern, dies vor allem auch, um zu vermeiden, dass er sich auf Grund der mit seiner Erkrankung einhergehenden fehlenden örtlichen Orientierung verläuft.

3. Die Verantwortung für die Anordnung und Vornahme kann auseinanderfallen. In einem solchen Fall kommt der anordnungsbefugten Person die Anordnungsverantwortung und der die Anordnung ausführenden Person die Durchführungsverantwortung zu (Zierl/Wall/Zeinhofer, Heimrecht³ 143).

4. Der Revisionsrekurs zieht die Anordnungsbefugnis der Ärztin nicht in Zweifel. Er wendet sich ausschließlich dagegen, dass die Durchführung der angeordneten Freiheitsbeschränkung nicht dem Pflegepersonal, sondern einem privaten Sicherheitsdienst übertragen wurde.

5. Die Gesundheits‑ und Krankenpflegeberufe dürfen nur nach Maßgabe des Gesundheits‑ und Krankenpflegegesetzes (GuKG) ausgeübt werden. Auf die Ausübung dieser Berufe findet die Gewerbeordnung keine Anwendung (§ 3 Abs 1 und 2 GuKG). Die Pflegeberufe nach dem GuKG dienen vorrangig der Unterstützung der ärztlichen Tätigkeit und damit der Pflege von Personen, die medizinischer Hilfe bedürfen (RIS‑Justiz RS0115067). Die Grenze zur Laientätigkeit liegt dort, wo medizinisches oder pflegerisches Fachwissen Voraussetzung für die fachgerechte Durchführung der Tätigkeit ist und auf Grund dieses Fachwissens Selbst‑ und Fremdgefährdung vermieden werden kann (Schwamberger/Biechl, GuKG7§ 3, 15).

Angehörige von Sozialbetreuungsberufen sind unter bestimmten, in § 3a GuKG näher geregelten Voraussetzungen zur Durchführung unterstützenden Tätigkeit bei der Basisversorgung berechtigt.

Die Delegation von pflegerischen Tätigkeiten an Laien unterliegt den §§ 3b und 3c GuKG.

Für Mitarbeiter eines gewerblichen Sicherheitsdienstes besteht damit keine gesetzliche Ausnahme, die sie grundsätzlich zur Vornahme von Pflegehandlungen berechtigen würde. Außerdem ist die hier zu beurteilende körpernahe Tätigkeit des Festhaltens, um den Bewohner am Verlassen der Station zu hindern, von den Ausnahmebestimmungen nicht umfasst. Es werden im Gegenteil besondere Regelungen im Hinblick auf die Pflege von Personen mit psychischen Störungen und neurologischen Erkrankungen getroffen:

Im zweiten Hauptstück des GuKG ist der gehobene Dienst für Gesundheits‑ und Krankenpflege geregelt. Zum Tätigkeitsbereich gehört die psychiatrische Gesundheits‑ und Krankenpflege. Diese umfasst die Betreuung und Pflege von Menschen mit psychischen Störungen und neurologischen Einschränkungen aller Alters‑ und Entwicklungsstufen sowie die Förderung der psychischen Gesundheit (§ 19 Abs 1 GuKG). Dazu zählt nach § 19 Abs 2 GuKG insbesondere das Beobachten, die Betreuung und Pflege sowie die Assistenz bei medizinischen Maßnahmen unter anderem im stationären, teilstationären und ambulanten Bereich von Menschen mit akuten und chronischen psychischen Störungen einschließlich untergebrachter Menschen (§ 19 Abs 2 Z 1 GuKG). Zur Ausübung des gehobenen Dienstes für Gesundheits‑ und Krankenpflege sind Personen unter anderem nur berechtigt, wenn sie einen entsprechenden Qualifikationsnachweis (§§ 28 bis 31 GuKG) erbringen (§ 27 Abs 1 Z 3 GuKG). Die Sonderausbildung in der psychiatrischen Gesundheits‑ und Krankenpflege dauert mindestens ein Jahr und umfasst 1.600 Stunden theoretische und praktische Ausbildung (§ 67 Abs 1 GuKG). Sie beinhaltet insbesondere die Pflege und Betreuung von Menschen mit psychischen Störungen (Z 1), mit organischen und psychischen Störungen im höheren Lebensalter (Z 3), mit Abhängigkeitserkrankungen (Z 5), mit Intelligenzminderung (Z 7), die Einführung in die Psychologie (Z 12), die Psychotherapie, Supervision und Sozialtherapie (Z 13), Gesprächsführung (Z 14) und Krisenintervention (Z 15).

Der Gesetzgeber erachtet es damit für notwendig, dass insbesondere Menschen mit psychischen Störungen und neurologischen Erkrankungen nur von Personen betreut und gepflegt werden dürfen, die für diese sehr anspruchsvolle Aufgabe entsprechend seinen Vorgaben ausgebildet sind. Dies dient deren Schutz, weil damit gewährleistet werden soll, dass die Pflegepersonen sowohl in psychischer als auch physischer Hinsicht adäquat auf den Kranken eingehen können und eine zweckmäßige Behandlung unter größtmöglicher Schonung erfolgen kann. Das GuKG enthält sogar in seinem § 105 eine Strafbestimmung, die unterbinden soll, dass die Tätigkeit des gehobenen Dienstes für Gesundheits‑ und Krankenpflege jemand ausübt, der dazu weder durch dieses Bundesgesetz noch durch eine andere gesetzliche Vorschrift berechtigt ist.

Die Durchführung der ärztlichen Anordnung, die das Festhalten des Bewohners beim Versuch des Verlassens der Station zu hindern, um ihn vor der drohenden Selbstgefährdung des Verlaufens zu schützen, gehört zur Betreuung und Pflege von Menschen mit psychischen Störungen und neurologischen Erkrankungen und damit zur psychiatrischen Gesundheits‑ und Krankenpflege.

Sofern der Arzt die von ihm angeordnete Freiheitsbeschränkung durch Anordnung der Androhung/ Anordnung des Festhaltens des Bewohners beim Verlassen der Station nicht selbst durchführt, hat das diplomierte Krankenpflegepersonal die Durchführungsverantwortung. Es besteht das gleiche Schutzbedürfnis wie bei anderen Pflegemaßnahmen. Damit ist das von der Anordnung umfasste Festhalten als eine Pflegehandlung dem Pflegepersonal nach den oben dargelegten gesetzlichen Regelungen vorbehalten (vgl 7 Ob 119/14x zum UbG).

6. Eine Notfallsituation (eine aktuelle oder unmittelbar drohende Gefährdung von notwehrfähigen Rechtsgütern wie unter anderem Leib, Leben und Gesundheit), die in dieser Ausnahmesituation einen Rechtfertigungsgrund für jedermann, also auch hinsichtlich des Einschreitens der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes darstellen könnte (§ 19 ABGB, § 3 StGB), wurde nicht festgestellt, sodass sich weitere Ausführungen dazu erübrigen.

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