OGH 7Ob135/14z

OGH7Ob135/14z29.10.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr.

 Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Heimaufenthaltssache der Bewohnerin S***** P*****, vertreten durch den Sachwalter J***** P*****, und den Verein VertretungsNetz‑Sachwalterschaft ‑ Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung, 8050 Graz, Kärntner Straße 417 (Bewohnervertreterin S***** K*****, BSc, MSc), dieser vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, Einrichtungsleiter Direktor I***** J*****, vertreten durch Kuhn Rechtsanwälte GmbH in Wien, über den Revisionsrekurs des Vereins gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 6. Mai 2014, GZ 1 R 107/14h‑13, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Graz Ost vom 26. Februar 2014, GZ 232 HA 2/14w‑5, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0070OB00135.14Z.1029.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden im Umfang der Freiheitsbeschränkung durch Verwendung eines Schutzbettes (Punkt 2. des Erstgerichtes) aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

 

Begründung:

Die Bewohnerin lebt seit 7. 1. 2014 auf der Station ***** im Pflegezentrum K*****, einer Einrichtung im Sinn des § 2 Abs 1 HeimAufG. Seit 20. 1. 2014 besucht sie die Tagesstätte in P*****, wo sie von Montag bis Freitag tagsüber einer Beschäftigung nachgeht. Sie zeigt im Rahmen ihrer Erkrankung (aggressives Verhalten bei Smith Magenis Syndrom) wiederkehrende Verhaltensauffälligkeiten, insbesondere bei Strukturmangel, aber auch um verstärkte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie beginnt meist mit dem Schlagen auf Oberflächen (zB Tische), steigert sich dann bis zum Treten gegen Gegenstände und bis hin zum Werfen von Objekten (Tische, Sessel). Dies geht meist mit einer weinerlichen Stimmung und/oder verbalen Auffälligkeiten einher. Wird die Kaskade nicht unterbrochen, steigert sich das Verhalten weiter, hin zu massiver Auto‑ und Fremdaggression. Im Zuge eines solchen Vorfalls wurde am 26. 1. 2014 von 13:57 bis 14:33 Uhr und von 17:15 bis 19:15 Uhr ein Schutzbett angewandt.

Auf Antrag des Vereins erklärte das Erstgericht die Freiheitsbeschränkung in Form von „Schutzbett“ für den Zeitraum 26. 1. 2014 von 13:57 bis 14:33 Uhr sowie von 17:15 bis 19:15 Uhr für zulässig „und zwar in extrem eskalierenden Situationen, als gelindere Mittel in solchen Situationen können nebenbei noch angeführt werden, die in etwa gleichwertig sind mit dem Schutzbett, der Transport ins LSF sowie ein geschützter Time‑out‑Raum“. Die Freiheitsbeschränkung durch Anwendung des „Schutzbettes“ sei in Akutfällen, bei denen es zu einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben des Bewohners, eines Mitbewohners oder eines Mitarbeiters komme, zulässig. In der Folge seien gelindere Mittel anzuwenden.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Dass Schutzbetten entsprechend der Empfehlung des CPT nicht mehr „State of the art“ seien, habe das Erstgericht berücksichtigt und die Freiheitsbeschränkung „in Form von Schutzbett“ nur für zulässig erachtet, weil Akutfälle vorgelegen seien, in denen eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben des Bewohners, eines Mitbewohners oder eines Mitarbeiters gegeben gewesen sei. Da die Bewohnerin am 26. 1. 2014 mit Kopf und Unterarmen mit voller Wucht gegen Türen und Fensterscheiben geschlagen und das Pflegepersonal attackiert habe, sei unter Berücksichtigung der Dauer der Freiheitsbeschränkung die Maßnahme im Verhältnis zur bestehenden Gefahrenlage als angemessen zu beurteilen. Zum Zeitpunkt der Anordnung der Freiheitsbeschränkung seien keine gelinderen Mittel zur Verfügung gestanden. Die Verbringung ins „LSF“ sei für die weitere Entwicklung der Bewohnerin nicht zielführend gewesen, da dies zwar die aktuelle Situation erleichtert hätte, langfristig aber für die Bewohnerin nicht positiv sei. Auch die Verbringung in einen Time‑out‑Raum sei in Fällen, in denen die Situation derart eskaliert sei, dass die Bewohnerin nicht mehr „haltbar“ sei, wegen der Entfernung nicht möglich. Schließlich stelle das Schutzbett das gelindere Mittel gegenüber der auch möglichen 5‑Punkt‑Fixierung dar.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Revisionsrekurs des Vereins mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Einrichtungsleiter beantragt in der ihm nach § 11 Abs 3 erster Satz HeimAufG iVm § 48 Abs 1 AußStrG freigestellten Revisionsbeantwortung ( Zierl/Wall/Zeinhofer , Heimrecht 3 Anm zu § 19a), dem Revisionsrekurs keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist im Sinn des Aufhebungsantrag zulässig, er ist auch berechtigt.

1. Der mit der Ub‑Heimauf‑Novelle 2010 eingefügte § 19a HeimAufG (nachträgliche Überprüfung) sieht ‑ ebenso wie § 38a UbG ‑ vor, dass auf Antrag des Bewohners oder seines Vertreters das Gericht nachträglich über die Zulässigkeit einer Freiheitsbeschränkung zu entscheiden hat, wenn diese bereits vor einer Antragstellung nach § 11 HeimAufG aufgehoben wurde (§ 19a Abs 1 HeimAufG). Das rechtliche Interesse eines in seinen Rechten Beeinträchtigten, auch nach Aufhebung oder Beendigung der gesetzten Maßnahme eine gerichtliche Entscheidung erwirken zu können, ob die vorgenommene Handlung zu Recht erfolgte, war in beiden Rechtsgebieten im Hinblick auf einen wirksamen Grundrechtsschutz auch schon vor der Novelle in ständiger Rechtsprechung (1 Ob 21/09h, RIS‑Justiz RS0071267) anerkannt und erfuhr nun eine explizite Verankerung ( Zierl/Wall/Zeinhofer , Heimrecht 3 Anm zu § 19a, Strickmann, Heimaufenthaltsrecht 2 , 222 f).

Die Gerichte werden überprüfend tätig und stellen ex post die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines bereits beendeten Eingriffs in die persönliche Freiheit fest. Ausschließlicher Gegenstand der nachträglichen Überprüfung ist damit die Beurteilung, ob der konkrete Eingriff in die körperliche Integrität, der bereits stattgefunden hatte, zulässig oder unzulässig war.

Das Erstgericht hat keine Auflage formuliert, sondern wegen des entsprechenden Antrags des Vereins offenbar im Hinblick auf § 15 HeimAufG für andauernde Maßnahmen Vorgaben über die gelinderen Mittel gegeben. Da hier aber nicht eine andauernde Maßnahme zu beurteilen ist, sondern eine bereits abgeschlossene, ist die Spruchfassung des Erstgerichts unrichtig.

Im vorliegenden Fall ist nur zu prüfen, ob in der konkreten Situation am 26. 1. 2014 der Einsatz von Schutzbetten zur Gefahrenabwehr zulässig war oder nicht.

2. Nach § 3 HeimAufG liegt eine Freiheitsbeschränkung im Sinn dieses Bundesgesetzes vor, wenn eine Ortsveränderung einer betreuten oder gepflegten Person (Bewohner) gegen oder ohne ihren Willen mit physischen Mitteln, insbesondere durch mechanische, elektronische oder medikamentöse Maßnahmen, oder durch deren Androhungen unterbunden wird. In diesem Sinn liegt eine Freiheitsbeschränkung dann vor, wenn es einer Person unmöglich gemacht wird, ihren Aufenthalt nach ihrem freien Willen zu verändern (RIS‑Justiz RS0075871 [T6]). Zunächst ist die Beschränkung der Bewegungsfreiheit auf einen bestimmten räumlich abgegrenzten Bereich wesentlich (RIS‑Justiz RS0121662). Durch die Allseitigkeit der Bewegungsbeschränkung unterscheidet sich die Freiheitsbeschränkung (im Sinne des PersFrG und des HeimAufG) maßgeblich von sonstigen Beschränkungen der Bewegungsfreiheit, die durch andere Grundrechte (ua Art 2 Abs 1 4. ZPMRK [Bewegungsfreiheit und freie Wahl des Wohnsitzes], Art 4 StGG [Freizügigkeit der Person, Freiheit der Auswanderung]; Art 6 StGG [freie Wahl des Aufenthalts und des Wohnsitzes]) erfasst sind [ErlRV 353 BlgNR XXII GP  9; Barth/Engel , Heimrecht § 3, HeimAufG Anm 2).

Der räumliche Umfang der Beschränkung spielt für die Freiheitsbeschränkung keine Rolle. Auch Bewegungsbeschränkungen auf die Einrichtung in ihrer Gesamtheit unter Wahrung freier Bewegungsmöglichkeiten innerhalb des Areals der Einrichtung sind daher ebenso eine Freiheitsbeschränkung (RIS‑Justiz RS0121662), wie die Beschränkung auf einzelne Bereiche der Einrichtung, die Beschränkung auf ein einzelnes Zimmer oder die Beschränkung innerhalb eines Raums (ErlRV aaO 10, Barth/Engel aaO § 3 HeimAufG Anm 10, Strickmann aaO, 106, 7 Ob 209/13f).

Mechanische Mittel der Freiheitsbeschränkung sind etwa unmittelbare körperliche Zugriffe mit dem Ziel, den Bewohner zurückzuhalten. Hiezu zählt der Gebrauch von speziellen Möbeln, von Kleidung oder Vorrichtungen, die verhindern, dass der Bewohner seinen Körper bewegt oder einen bestimmten Ort oder Raum verlässt (7 Ob 209/13f, Barth/Engel aaO § 3 HeimAufG Anm 5). Das Schutzbett (Netzbett oder psychiatrisches Intensivbett) stellt ohne Frage ein mechanisches Mittel der Freiheitsbechränkung dar.

3. § 4 HeimAufG regelt die materiellen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Freiheitsbeschränkung in einem Heim oder in einer ähnlichen Einrichtung. Eine Freiheitsbeschränkung des Betroffenen darf ohne oder gegen dessen Willen nur vorgenommen werden, wenn er an einer psychischen Krankheit leidet oder geistig behindert ist. Neben den psychischen Beeinträchtigungen wird gefordert, dass der Betroffene wegen dieser Krankheit sich oder andere gefährdet (§ 4 Z 1 HeimAufG). § 4 Z 2 HeimAufG setzt voraus, dass die Freiheitsbeschränkung zur Gefahrenabwehr unerlässlich und geeignet ist. Sie muss zudem in ihrer Dauer und in ihrer Intensität im Verhältnis zur Gefahr angemessen sein. § 4 Z 3 HeimAufG fordert schließlich, dass die Gefährdung nicht durch andere pflegerische Maßnahmen, die nicht (oder weniger) in die Freiheitsrechte des Betroffenen eingreifen, abgewendet werden kann. Dabei kommt es auf zeitgemäße Pflegestandards an ( Zierl/Wall/Zeinhofer aaO 113). Für die Beschränkung der Bewegungsfreiheit gelten demnach die Prinzipien der Unerlässlichkeit und Verhältnismäßigkeit (RIS‑Justiz RS0105729). Die Beschränkung muss zur Erreichung des angestrebten Ziels unerlässlich und zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stehen; es gilt der Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs (7 Ob 144/06m; 2 Ob 77/08z; Barth/Engel aaO § 4 HeimAufG Anm 9).

Nach § 5 Abs 3 HeimAufG muss die Freiheitsbeschränkung unter Einhaltung der (medizinisch, pflegerisch und betreuerisch) fachgemäßen Standards unter möglichster Schonung des Bewohners vorgenommen werden. Die Bestimmung ist als eine Konkretisierung der bereits in § 4 HeimAufG normierten Verhältnismäßigkeitsprüfung zu sehen ( Strickmann aaO 168 f).

4. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 4 Z 1 HeimAufG steht außer Zweifel.

Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist die Frage, ob der Einsatz eines psychiatrischen Intensivbetts unerlässlich und verhältnismäßig war und den zeit‑ und fachgemäßen Standards entsprach.

4.1 In den Materialien zum HeimAufG finden psychiatrische Intensivbetten als ein Beispiel für eine Freiheitsbeschränkung innerhalb eines Raumes ausdrücklich Erwähnung, und zwar neben „Angurten, Zwangsjacke und ähnlichen Maßnahmen“ (ErlRV 353 BlgNR 22. GP  10).

4.2.1 Das Europäische Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe wurde von Österreich ohne Erfüllungsvorbehalt (Art 50 B-VG) ratifiziert und trat mit 1. 5. 1989 in Kraft (BGBl 1989/74; derzeit gilt es idF BGBl III 2002/198 und BGBl III  2002/199). Das Übereinkommen sieht die Schaffung eines Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) vor, das durch Besuche vor Ort die Behandlung von Personen, denen die Freiheit entzogen ist, prüft. Das Komitee verfasst nach jedem Besuch einen Bericht über die bei diesem Besuch festgestellten Tatsachen. Verweigert die Vertragspartei die Zusammenarbeit oder lehnt sie es ab, die Lage im Sinne der Empfehlungen des Komitees zu verbessern, so kann das Komitee, nachdem die Vertragspartei Gelegenheit hatte, sich zu äußern, mit Zweidritelmehrheit beschließen, dazu eine öffentliche Erklärung abzugeben (Art 10 des Übereinkommens).

4.2.2 Das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (englisch abgekürzt OPCAT) sieht sowohl einen internationalen als auch einen nationalen Besuchsmechanismus an dem Ort vor, an dem Personen in ihrer Freiheit beschränkt werden. Als internationaler Besuchsmechanismus wird ein Unterausschuss zur Verhütung von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe eingerichtet. Auf Basis der bei Besuchen gemachten Wahrnehmungen spricht der Unterausschuss Empfehlungen aus. Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, die Empfehlungen des Unterausschusses zu prüfen und mit ihm einen Dialog über mögliche Maßnahmen zur Umsetzung einzuleiten. Auch dieses Übereinkommen sieht bei einer Weigerung des Vertragsstaates, Maßnahmen im Sinn der Empfehlungen des Ausschusses zu setzen, eine öffentliche Erklärung in der Sache oder eine Veröffentlichung seines Berichts vor ( Füszl , Netzbetten ‑ ein völkerrechtliches Problem?, ÖZPR 2013, 129).

4.2.3 Weiters wurde im Zuge der Durchführung des OPCAT die Volksanwaltschaft (OPCAT‑Durchführungsgesetz (BGBl II 1/2012) mit ihren Kommissionen seit Juli 2012 mit der Aufgabe betraut, Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch an Menschen mit Behinderungen im Sinn des Art 16 Abs 3 der Konvention zu verhindern. Zu diesem Zweck werden von ihr alle Einrichtungen und Programme, die für Menschen mit Behinderungen bestimmt sind, wirksam überwacht (Generalpräventionsmechanismus). Als Beratungsorgan wurde von der Volksanwaltschaft ein Menschenrechtsbeirat eingerichtet. Die Kommissionen berichten der Volksanwaltschaft über ihre Besuche und erstatten ihr Vorschläge für Empfehlungen oder Missstandsfeststellungen ( Füszl aaO; Kucsko/Stadlmayer , Die Volksanwaltschaft als „Nationaler Präventionsmechanismus“ ÖJZ 2013/107).

4.2.4 In seinem Standard hält das CPT fest, dass bestimmte mechanische Zwangsmittel, die in einigen psychiatrischen Krankenhäusern noch zu finden sind, für einen solchen Zweck völlig ungeeignet seien und als erniedrigend eingestuft werden müssten. Handschellen, Metallketten und Gitterbetten würden in diese Kategorie fallen und sollten unverzüglich eingestellt werden. Das CPT ermunterte die Staaten, sich weiterhin dafür einzusetzen, die Zahl der Schutzbetten weiter zu reduzieren.

In seinem Bericht an die österreichische Regierung über seinen Besuch in Österreich vom 15. bis 25. 2. 2009 äußerte das CPT die Empfehlung, psychaitrische Imtensivbetten als Mittel zur Freiheitsbeschränkung von erregten Patienten in allen psychiatrischen Anstalten und Pflegeheimen in Österreich aus dem Verkehr zu ziehen.

Die Volksanwaltschaft verweist in ihrem Bericht an den Nationalrat und Bundesrat des Jahres 2013 auf den Standpunkt des CPT und erklärt nachdrücklich, dafür einzutreten, dass den Empfehlungen internationaler Organisationen zur Abschaffung von psychiatrischen Intensivbetten in Österreich Folge geleistet werde. Als legislative Anregung wird das Verbot der Verwendung von psychiatrischen Intensivbetten in psychiatrischen Einrichtungen und Pflegeheimen durch Erlass oder Gesetz bei gleichzeitiger Sicherstellung, dass medikamentöse oder mechanische Freiheitsbeschränkungen nicht häufiger eingesetzt würden, formuliert.

4.2.5 Weder den Standards und Berichten des CPT, noch den Berichten und Anregungen der Volksanwaltschaft kommt normative Kraft zu ( Kuscko/Stadlmayer aaO [917, 921], dieselbe in Korinek/Holoubek , Österreichisches Bundesverfassungsrecht Art 148 d B-VG Rz 3).

4.3 Die UN-Behindertenkonvention trat am 26. 10. 2008 (BGBl III 2008/155) in Kraft. Art 15 enthält die Verpflichtung der Vertragsstaaten, alle wirksamen gesetzgeberischen, verwaltungsmäßigen, gerichtlichen oder sonstigen Maßnahmen zu ergreifen, um auf der Grundlage der Gleichberechtigung zu verhindern, dass Menschen mit Behinderungen der Folter oder grausamer unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Anlässlich der Ratifikation hat der Nationalrat gemäß Art 50 Abs 2 Z 3 B-VG beschlossen, dass das Übereinkommen durch die Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist. Es bedarf also der Erlassung von Transformationsnormen, um dem Übereinkommen auch innerstaatlich zur Wirksamkeit zu verhelfen ( Schauer , Das UN‑Übereinkommen über die Behindertenrechte und das österreichische Sachwalterrecht; Auswirkungen und punktueller Anpassungsbedarf iFamZ 2011/258; 3 Ob 97/13f mwN). Solche Normen wurden bisher nicht erlassen.

4.5 In 7 Ob 59/13x wurde ausgesprochen, dass der Einsatz einer den Körper äußerst begrenzenden Maßnahme wie eine 4‑Punkt‑Fixierung gravierender ist als eine Unterbringung in einem psychiatrischen Intensivbett, die dem Kranken eine relativ größere Bewegungsfreiheit erlaubt.

Ganner (iFamZ 2013/140), weist in seiner Glossierung dieser Entscheidung darauf hin, dass der Einsatz von psychiatrischen Intensivbetten seit Jahren vom CPT und der Volksanwaltschaft kritisiert werde. Allein die Tatsache, dass auf den Einsatz in Westösterreich schon lange verzichtet werde, lasse die regelmäßige Verwendung in österreichischen Einrichtungen in einem zweifelhaften Licht erscheinen.

Koppensteiner (Dokumentationspflicht, Netzbett und Kinderpsychiatrie ‑ Aktuelles vom OGH, ÖZPR 2013/61) hält die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs insofern für bemerkenswert, als psychiatrische Intensivbetten auch in der Öffentlichkeit in Verruf geraten seien und auch mittlerweile nur mehr in wenigen psychiatrischen Abteilungen bzw Anstalten in Verwendung stünden.

Koppensteiner/Zierl (Die Freiheitsbeschränkung ‑ aber wie? ÖZPR  2013/128) hält fest, dass für manche Praktiker das psychiatrische Intensivbett als weniger gravierende Freiheitsbeschränkung als eine Mehrpunktfixierung weiterhin einen Platz habe.

Füszl (aaO) kommt zu dem Ergebnis, dass unabhängig von jeder fachlichen Diskussion zur Frage, ob der Gebrauch von psychiatrischen Intensivbetten noch dem Stand der medizinischen oder pflegerischen Wissenschaft entspricht, diesbezüglich schwerwiegende Bedenken im Hinblick auf diverse von Österreich ratifizierte völkerrechtliche Übereinkommen bestünden und damit legislativer Handlungsbedarf gegeben sei.

4.6 Mittlerweile verbot der Bundesminister für Gesundheit im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Justiz mit Erlass vom 22.7.2014 (BMG-93330/0002-II/A/2014) die Verwendung von psychiatrischen Intensivbetten beim Vollzug des UbG und des HeimAufG, wobei im Hinblick auf allfällig nötige Begleitmaßnahmen davon ausgegangen wird, dass ab 1.7.2015 derartige Mittel nicht mehr zum Einsatz gelangen.

5. Es bestehen derzeit keine rechtlich verbindlichen Normen, die die Verwendung von psychiatrischen Intensivbetten generell verbieten. Der Gesetzgeber erwähnt in der bereits dargestellten ErlRV sogar ausdrücklich psychiatrische Intensivbetten als freiheitsbeschränkende Maßnahme, was bedeutet, dass ‑ zumindest zu diesem Zeitpunkt ‑ vom Vorliegen der in §§ 4 und 5 Abs 3 HeimAufG geforderten Voraussetzung der Zeit‑ und Fachgemäßheit der Maßnahme ausgegangen wurde. Auch der eben angeführte Erlass verbietet den Einsatz erst ab 1. 7. 2015. Selbstverständlich ist geänderten Standards Rechnung zu tragen.

6. Zu prüfen ist, ob der konkret zur Gefahrenabwehr gewählte Eingriff in die körperliche Integrität der Bewohnerin zur Gefahrenabwehr unerlässlich war. Die Feststellungen des Erstgerichts sind noch zu unpräzise, um eine abschließende Beurteilung vornehmen zu können.

Das Erstgericht nennt zwar „gelindere Mittel“, seine Feststellungen lassen aber nicht zweifelsfrei erkennen, ob sich deren Anwendung auf die konkrete oder generell auf vergleichbare Situationen bezieht. Es sind daher vorerst unmissverständliche Feststellungen dazu zu treffen, welche Maßnahmen in der am 26. 1. 2014 konkret bestehenden Situation grundsätzlich eingesetzt hätten werden können und welche Auswirkungen sie auf die Bewohnerin hätten haben können. Sollte sich nach dieser Prüfung ergeben, dass tatsächlich kein gelinderes Mittel zur konkreten Gefahrenabwehr zur Anwendung hätte gelangen können, wäre der Einsatz des psychiatrischen Intensivbetts zulässig gewesen.

7. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher zwecks Ergänzung des Verfahrens aufzuheben.

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